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Ein Umweltministerium als Beruhigungsmittel

Nach der Explosion im Kernkraftwerk Tschernobyl im April 1986 drohte die Stimmung eindeutig zu Ungunsten der Atomkraft zu kippen. Kein Grund für den damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl, von seinem atomfreundlichen Kurs abzurücken. Er wusste sich aus dieser Stimmungslage zu retten.

Von Monika Köpcke | 03.06.2011
    "Ich habe nach sorgfältigen Überprüfungen aller Sachverhalte aus den letzten Wochen mich entschieden, ein Ministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu bilden. Ich werde beim Bundespräsidenten vorschlagen, den Oberbürgermeister der Stadt Frankfurt, Herrn Dr. Walter Wallmann, zum Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu ernennen."

    Mit knappen Worten gab Helmut Kohl am 3. Juni 1986 diese Erweiterung seines Kabinetts bekannt. Eine gelungene Überraschung - nicht nur für die anwesenden Journalisten. Auch der CDU-Vorstand und der Koalitionspartner FDP erfuhren erst auf dieser Pressekonferenz von dem neuen Ministerium. Es war ein regelrechter Coup, mit dem der Bundeskanzler die Grünen von der Macht fernhalten und die Atomkraft retten wollte.

    "In dem sowjetischen Kernkraftwerk Tschernobyl ist es offenbar zu dem gefürchteten GAU gekommen, dem größten anzunehmenden Unfall. Auch drei Tage nach dem Ausbruch ist der Nuklearbrand noch immer nicht unter Kontrolle. Die sowjetische Nachrichtenagentur Tass meldete, zwei Menschen seien ums Leben gekommen."

    "Herr Minister, ist eine Gefährdung der Bevölkerung in der Bundesrepublik auszuschließen? - Ja, absolut auszuschließen, denn eine Gefährdung besteht nur in einem Umkreis von 30-50 Kilometer um den Reaktor herum. Dort ist sie hoch. Wir sind 2000 Kilometer weg. Messungen, wie sie in Skandinavien ..."

    Als Innenminister war der CSU-Politiker Friedrich Zimmermann in der Kohl-Regierung zuständig für Umweltfragen. "Keine akute Gefährdung” - verkündete er geradezu mantraartig nach dem Reaktor-Unglück von Tschernobyl am 26. April 1986. Doch die Deutschen ließen sich mit dieser Formel nicht beruhigen, denn es wurde schnell offensichtlich, dass die Strahlenwolke die verantwortlichen Stellen in ein heilloses Wirrwarr stürzte: Einzelne Ministerien untereinander und Bund und Länder lähmten sich gegenseitig in einem undurchschaubaren Kompetenzgerangel; Mess- und Grenzwerte waren dem freien Spiel der Meinungen anheimgegeben; besorgte Fragen - Dürfen die Kinder draußen spielen? Ist es gefährlich, frische Milch zu trinken? - wurden unklar und widersprüchlich beantwortet.

    "Ich schwöre, dass ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden und das Grundgesetz ..."

    Am 6. Juni 1986, nur drei Tage nach Kohls überraschender Ankündigung, leistete der frischgebackene Umweltminister seinen Amtseid. Die Zeit drängte, denn das schlechte Regierungsmanagement der vergangenen Wochen hatte dem Ansehen der Union nicht gut getan, und in wenigen Tagen musste die strategisch wichtige Landtagswahl in Niedersachsen gewonnen werden.
    Walter Wallmann, bislang Oberbürgermeister der Stadt Frankfurt, sollte Kohls Kabinett nun wieder Schwung geben. Der CDU-Politiker war Laie in seinem neuen Fach. Er verstehe von Umweltschutz ungefähr so viel wie ein Eskimo von der Bananenzucht, lästerte man in der SPD. Doch Wallmann war, ganz im Sinne Kohls, ein Anhänger der Atomenergie.

    ""Wir haben Abwägungsprozesse vorzunehmen, und im Augenblick muss mir jeder erklären, der abschalten will, wie er mit den Folgen fertig werden will. Mit den gesundheitlichen Folgen, mit den ökologischen Folgen, mit den wirtschaftlichen Folgen. In dieser Reihenfolge übrigens.”"

    Kohls Coup glückte: Sowohl die Niedersachsen-Wahl vom 15. Juni 1986 als auch die Bundestagswahl im Januar 1987 gewann die CDU. Das neue Umweltministerium hatte sich als ein Beruhigungsmittel gegen "beispiellose Angstmacherei”, wie Helmut Kohl es formulierte, bewährt. Zwölf Jahre lang blieb es ungebrochen in CDU-Hand: Nach nur elf Monaten im Amt ging Walter Wallmann als Ministerpräsident zurück nach Hessen. Klaus Töpfer, ein anerkannter Umwelt-Fachmann, wurde sein Nachfolger. Als er mehr Kompetenzen forderte, schob ihn Helmut Kohl ins Bauressort ab und setzte Angela Merkel als neue Umweltministerin ein. Erst 1998, mit Jürgen Trittin als erstem grünen Umweltminister, änderte sich die politische Ausrichtung. Der damals beschlossene Atomausstieg wurde von Merkels schwarz-gelber Regierung im sogenannten Atom-Kompromiss zwar wieder abgeschwächt, steht aber nach Fukushima heute wieder auf der umweltpolitischen Tagesordnung.