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Ein Wegweiser zur ostasiatischen Literatur

Die Vermittlung der ostasiatischen Literatur ist keine einfache Aufgabe. Die sprachlichen Hindernisse sind beträchtlich, gute Übersetzer vor allem aus dem Chinesischen, mehr noch aus dem Koreanischen, sind rar. Das potenzielle Publikum ist begrenzt. Um so verdienstlicher, wenn sich eine literarische Zeitschrift ausschließlich der Vermittlung dieser Literaturen widmet.

Von Ludger Lütkehaus | 28.07.2008
    Die "Hefte für Ostasiatische Literatur" gehen inzwischen mit ihrem 43. Heft, richtiger: einem fast zweihundertseitigen Buch, in ihr 25. Jahr. Im Mai 1983 ist das erste Heft erschienen, also zu Zeiten, in denen es die DDR noch gab und die Übersetzungen wichtiger Werke der chinesischen Literatur von DDR-Verlagen gepflegt wurden. Das hat sich nach dem Fall auch der literarischen Mauern geändert. Geblieben aber ist die Aufgabe der Horizonterweiterung, auch wenn einige Autoren der ostasiatischen Literaturen es unterdessen zu einiger Bekanntheit gebracht haben. Die Literaturnobelpreise für den Japaner Oe Kenzaburo und den Exilchinesen Gao Xingjian (ein koreanischer Nobelpreis steht noch aus), die Gastauftritte Japans und Koreas auf der Frankfurter Buchmesse haben ihre Wirkung getan. 2009 wird China folgen.

    Die Herausgeber der "Hefte", zusammengesetzt aus Sinologen, Japanologen und Koreanisten, tun trotzdem weiterhin gut daran, an ihrem ursprünglichen Konzept festzuhalten. Angesichts der immer noch weitgehenden Unbekanntheit vor allem koreanischer und chinesischer Schriftsteller auf dem deutschsprachigen Büchermarkt ist es richtig, erst einmal Pilotübersetzungen vorzulegen und die Autoren exemplarisch vorzustellen. Diese Aufgabe wird noch wichtiger werden, wenn neben den großen auch die kleineren und die Minderheitenliteraturen berücksichtigt werden. Einstweilen bewegt man sich noch im klassischen Rahmen der drei großen ostasiatischen Literaturen, die historisch, religiös, kulturell und sprachlich zusammenhängen, sich gegenseitig, wenn auch in unterschiedlichem Maß, beeinflusst haben und auch heute nicht isoliert nebeneinander stehen. Neben den Übersetzungen noch unbekannter Texte gibt es einen Rezensions-, einen Dokumentations- und einen detaillierten Informationsteil, bestehend aus Nachrichten zur chinesischen, japanischen und koreanischen Literatur und bibliographischen Angaben zu neuen deutschsprachigen Veröffentlichungen und Arbeitsvorhaben.

    Die beiden letzten Hefte werden bis auf die japanischen Exempel, die sich auf bekanntere Namen beschränken, ihrer literarischen Pilotfunktion gerecht. Die Erzählung "Der dritte Busen" der 1971 in Seoul geborenen Ch'on Un-yong verbindet sexuelle Unbefangenheit, gewalttätige Obsession und psychologische Raffinesse. Makaber der Rückblick des 1941 geborenen chinesischen Literaturwissenschaftlers und Essayisten Liu Zaifu auf die sogenannte "Kulturrevolution" unter dem Titel "Einen politischen Sarg tragende Lehrer". "Unterdrückung auf der einen ist mit Nachsicht auf der anderen Seite zu verbinden" lautet zwar eine der angewandten "Politnormen", - soll heißen: "Großmut gegenüber Geständigen und Strenge gegenüber Widerspenstigen"; aber gegenüber einer Gruppe unbelehrbarer oppositioneller Lehrer machen die machthabenden Rotgardisten nur von Unterdrückung und Strenge Gebrauch.

    Ma Yuans Erzählung "Wanderer Geist" führt dagegen in Lhasa einen undoktrinären Han-Chinesen mit einem tibetischen Invaliden in einem Meisterstück spannender erzählerischer Kurzprosa zusammen. Der Erzähler weiß hier am wenigsten, woran er ist - Literatur ist Transparenzverweigerung, wo alle Ideologen Bescheid wissen -, und der Leser nur soviel, dass es auch andere Geschichten zwischen Tibeters und Chinesen als die derzeit verhandelten gibt.

    Da möchte man sich unverzüglich einem Satyrspiel wie den Haiku von Kobayashi Issa zuwenden, die Ingo Schäfer kongenial in Kölner Mundart, offenbar den asiatischsten aller deutschen Dialekte, übertragen hat. Aber diese Kölner Haiku sind so unverwechselbar in ihrer Intonation, dass der plattdeutsche Rezensent sich besser mit ihrer sehr freien Zweitübersetzung ins Hochdeutsche begnügt: "Beim Buddha, Gerade habe ich das Maul aufgerissen, da flog eine Mücke rein."

    Hefte für Ostasiatische Literatur. Nr. 42 und 43, hgg. von Wolf Baus u.a. Iudicium Verlag München, 188 und 172 Seiten