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Ein weises Alterswerk

Der US-Sänger Mark Lanegan hatte seine Finger in unglaublich vielen Projekten drin. Da blieb kaum Zeit für ein Soloprojekt. Doch er hat es geschafft und es habe sich toll angefühlt. Anfang Februar erscheint sein neues Album "Blues Funeral".

Mark Lanegan im Gespräch mit Anja Reinhardt | 28.01.2012
    Mark Lanegan: Es hat sich einfach toll angefühlt. Ich wollte ursprünglich auch gar keine so lange Solopause einlegen, aber ich war nun mal ständig mit anderen Sachen beschäftigt. Diese anderen Projekte kamen schnell hintereinander, und ich habe bei allen sehr gerne mitgearbeitet. Und als ich dann endlich die Zeit fand, mich mal wieder an meine eigene Musik zu setzen, habe ich gemerkt, wie sehr ich das genieße, wie gerne ich auch mit Alain Johannes zusammenarbeite, der das Album produziert hat und viele Instrumente darauf gespielt hat.

    Anja Reinhard: Ist es manchmal nicht auch ein bisschen verwirrend, bei so vielen unterschiedlichen Projekten mitzuarbeiten, Songs für andere und dann wieder für sich zu schreiben – oder ist das gar kein Problem?

    Mark Lanegan: Egal, für welches Bandprojekt ich Songs schreibe – manchmal schreibe ich auch mit jemandem zusammen, manchmal schreibe ich die Songs über mich selbst - alles kommt zu seiner Zeit. Und das gilt auch für "Blues Funeral". Die Stücke darauf sind gezielt für dieses Album geschrieben worden. Das, was ich dann schreibe, bestimmt dann am Ende die Musik, das hat sich nie geändert.

    Anja Reinhard: Als Sie an "Blues Funeral" gearbeitet haben, hatten Sie Gäste im Studio, wie zum Beispiel Josh Homme von Queens Of The Stone Age. War es auch mal ganz schön, Chef der Plattenproduktion zu sein?

    Mark Lanegan: Diese Platte ist mein persönlicher Spielplatz. Und die Leute, die dabei waren, haben mich glücklicherweise in meiner Vision für dieses Album unterstützt. So gehe ich auch an eine Aufnahme, wenn ich mit den Twilight Singers oder den Queens Of The Stone Age arbeite: Dann mache ich das für sie. Man teilt sich gewisse Erfahrungen und am Ende sind es einfach auch Freundschaften.

    Anja Reinhard: Der Titel des Albums ist: Blues Funeral, Blues Begräbnis, der erste Song heißt Totengräber-Song, Sie spielen mit Begriffen wie Krankenhaus, schwarz' oder Leviathan, also Seeungeheuer. Sie malen da ein nettes Bild.


    Mark Lanegan: Da kann ich nicht wirklich widersprechen! Aber ich war schon immer sehr gradlinig. Vielleicht sollte ich das, was bei meiner Arbeit herauskommt, mehr hinterfragen, aber ich mache die Dinge so, wie sie sich ergeben. Und offensichtlich bin ich ein wenig düster veranlagt.

    Anja Reinhard: Ihr Unterbewusstsein ist also ziemlich dunkel?

    Mark Lanegan: Ja, so sieht es aus!

    Anja Reinhard: Denken Sie denn viel über den Tod nach?

    Mark Lanegan: Nein, nicht wirklich, außer, wenn ich direkt damit konfrontiert bin. Vor ein paar Wochen sind wir zu der Beerdigung eines guten Freundes meiner Freundin gegangen. Und dann ist man natürlich mit der Realität des Todes konfrontiert.

    Anja Reinhard: Einige Ihrer Freunde sind auch auf sehr tragische Weise gestorben. Sie waren mit Kurt Cobain befreundet, genauso wie mit Layne Stayle von Alice in Chains, der an einer Überdosis Drogen starb. Verändern solche Erfahrungen den Umgang mit dem Tod?

    Mark Lanegan: Bis auf vielleicht sehr junge Leute haben wir doch alle schon Menschen verloren, die uns nahe standen. Damit muss jeder von uns zu leben lernen.

    Anja Reinhard: Trotzdem ist es in unserer Gesellschaft nicht üblich über den Tod zu sprechen, wir lügen uns alle ein bisschen in die Tasche, wenn es darum geht, dass wir nur eine begrenzte Lebensdauer haben.

    Mark Lanegan: Hab ich noch nicht wirklich drüber nachgedacht. Ich glaube, es ist ganz einfach so, dass es für die meisten Menschen sehr beängstigend ist, dass sie irgendwann nicht mehr da sind. Also denken die meisten sich wahrscheinlich, dass man am besten gar nicht erst darüber spricht. Ich weiß auch nicht. Das erste Mal, dass ich wirklich begriffen habe, was Tod eigentlich bedeutet, hat mich am meisten erschreckt, dass nach meinem Tod nichts mehr von mir da ist. Mittlerweile habe ich diese Angst natürlich überwunden. Wer will denn schon wirklich 80 Jahre alt werden?

    Anja Reinhard: Kommt darauf an, in welcher Verfassung man ist! Aber niemand will für immer leben.

    Mark Lanegan: Ich wüsste jedenfalls nicht, wer das wollte. Aber als ich ein Kind war, dachte ich, ich wäre unsterblich.

    Anja Reinhard: Wissen Sie noch wie alt Sie waren, als Sie begriffen haben, dass Sie sterblich sind?

    Mark Lanegan: Fünf vielleicht, irgendwann in diesem Alter. Ich weiß nicht mehr wirklich, wer mir das eigentlich erklärt hat, wahrscheinlich war es meine Mutter. Ich dachte zwei Dinge. Erstens: Ich will auf keinen Fall, dass mir das auch passiert. Und zweitens: Warum bin ich denn dann überhaupt hier, wenn ich am Ende dann doch sterben muss?

    Anja Reinhard: Als ich das Album gehört habe, ist mir noch mal aufgefallen, dass wir in ganz schön düsteren Zeiten leben. In den Achtzigern drehte sich alles um Geld, in den Neunzigern um Party und Spaß. Aber die letzten fünf Jahre sind sehr bestimmt von unterschiedlichen Krisen. Klimakrise, Bankenkrise, Finanzkrise, Umweltverschmutzung und vieles mehr. Sehen Sie das auch so?

    Mark Lanegan: Vielleicht bin ich ja einfach viel zu sehr mit mir selbst beschäftigt, aber das ist nicht wirklich meine Art, die Dinge zu sehen. Ich beschäftige mich lieber mit Sachen, über die ich die Kontrolle habe. Es gibt im Leben so wahnsinnig viel, über das wir keine Macht haben. Mir tut so was nicht gut. Was anderes ist es natürlich, wenn es jemandem, den ich kenne, schlecht geht. Wenn jemand etwas Schlimmes erlebt hat, dann fühle ich mit. Aber ich denke nicht darüber nach, dass mein Blick auf die Dinge und Geschehnisse vielleicht etwas ändern könnte.

    Anja Reinhard: Wobei die Texte Ihrer Songs nicht gerade vor Sorglosigkeit strotzen.

    Mark Lanegan: Glück ist relativ. Was dem einen düster vorkommt, kann für eine andere Person lustig oder aufmunternd sein. Ich persönlich finde meinen Frieden und durchaus auch so etwas wie Glück oder Trost in Songs, die andere als sehr dunkel empfinden würden. Man, du kannst dich dann damit identifizieren. Für mich ist die beste Art von Musik diejenige, bei der ich das Gefühl habe, eine Erfahrung mit jemandem teilen zu können.

    Anja Reinhard: In den letzten Jahren haben Sie mehrfach mit Leuten zusammengearbeitet, die aus der elektronischen Musik kommen, wie zum Beispiel Unkle oder Tim Simenon von Bomb The Bass. Werden Sie da in Zukunft noch mehr machen?

    Mark Lanegan: Ich hab schon immer Musik gehört, die elektronische Elemente hatte. Auf meiner letzten Platte habe ich zum Beispiel auch alte Drumcomputer und Synthesizer benutzt, die haben gewisse Texturen, die ich gerne für meine Musik benutze. Dabei entsteht eine ganz andere akustische Landschaft, wenn man so will. Als dieses Album entstanden ist, habe ich jede Menge altes Zeug aus Deutschland gehört: Can, Neu!, Harmonia, Cluster, Kraftwerk, solche Sachen, die ich zwar schon seit Jahren höre, aber noch nie so intensiv. Dann kaufte ich mir noch alte Drumcomputer und Keyboards, und statt wie sonst mit der Gitarre die Songs zu komponieren habe ich diese Geräte benutzt. Und wahrscheinlich werde ich mit dieser Art zu schreiben auch weiter machen.