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Ein weiterer Linksruck in Lateinamerika?

Mit El Salvador steht ein weiteres lateinamerikanisches Land vor einem Schwenk nach links. Am Sonntag hat der Kandidat der früheren Guerilla FMLN gute Chancen, zum Präsidenten gewählt zu werden. Er will die 20-jährige Herrschaft der rechten ARENA-Partei brechen.

Von Michael Castritius | 14.03.2009
    El Salvador ist nach dem Bürgerkrieg vom Agrarexporteur zum Arbeitskräfte-Exporteur geworden, jeder dritte Salvadorianer arbeitet im Ausland, die meisten ohne Papiere in den USA. Deren Auslandsüberweisungen halten El Salvador über Wasser, sie machen fast 18 Prozent des Bruttoinlandproduktes aus.

    Der Kalte Krieg feiert in El Salvador wahlkämpferische Urstände. Die rechtsextreme Regierungspartei Arena hat das Gespenst des Kommunismus wiederauferstehen lassen, um einen Wahlsieg der linken FMLN im letzten Moment abzuwenden.

    Musik "comunistas"
    "Kommunisten, Kriminelle, sind sie mit animalischen Instinkten. Sie haben getötet, vergewaltigt und das Vaterland ruiniert."

    Der Wahlkampf-Marsch der Arena trommelt die Parolen eines Bürgerkrieges, der formal vor 17 Jahren per Friedensvertrag beendet wurde. 75.000 Tote und 8.000 Verschwundene waren seine grausame Bilanz in diesem kleinen Land. Die linke Nationale Befreiungsfront der FMLN hatte gegen die rechte Diktatur gekämpft, gewinnen konnte letztlich keine Seite - deshalb der Friedensvertrag.

    Aber aus der Diktatur ging die Arena hervor, gegründet von Roberto D'Aubuisson, der die berüchtigten Todesschwadronen dirigierte. Und aus der Guerilla ging die Partei FMLN hervor: zwei Kriegsparteien sollten sich also in Demokratie üben. Das konnte nicht funktionieren, resümiert Benjamin Cuellar vom Menschenrechtszentrum der Jesuiten-Universität in San Salvador.

    Cuellar: "Der Krieg ist nicht vorbei. Zu Ende ist nur der Krieg der Kugeln, nicht der der Worte. Es wird weitergekämpft mit den gleichen Lügen, mit Betrug und schmutzigem Krieg. Das Friedensabkommen sprach von Beendigung des Krieges, aber auch von Demokratisierung, Respektierung der Menschenrechte und nationaler Versöhnung.

    In keinem der letzten drei Punkte haben wir Fortschritte gemacht. In der Zeit nach dem Krieg wäre es notwendig gewesen, Konsens zu schaffen, aber dazu hätten andere Akteure auf die Bühne treten müssen. Mit den Gleichen konnte es nur zu denselben Konfrontationen kommen. Und das ist eingetreten."

    Die rechte Arena, die seit 20 Jahren ununterbrochen den Präsidenten stellt, hat sich nie modernisiert. Die alten Anti-Kommunisten, die Rechtsextremen und die schmale, aber reiche Oberschicht, machten sich Partei und Land untertan.

    In den Wahlspots der Arena werden die heutigen Roten El Salvadors nicht durch deren smarten Präsidentschaftskandidaten repräsentiert - mit gutem Grund. Der 49 jährige Mauricio Funes gehört erst seit einem halben Jahr der FMLN an, war zuvor einer der beliebtesten Fernseh-Moderatoren des Landes und Korrespondent von CNN.

    Stattdessen taucht immer wieder Venezuelas Präsident Chávez als Schreckgespenst auf, mal mit Fidel Castro, mal mit Nicaraguas Daniel Ortega. Der Anschluss an Kuba oder Venezuela droht, so die Botschaft, die auch Arena-Präsidentschaftskandidat Rodrigo Ávila im ARD-Interview verbreitet.

    Chávez: "Ohne Zweifel würden wir im Einflussbereich von Hugo Chávez stehen. Das ist unvermeidlich. Ob wir dadurch ein kommunistisches Land würden, ist schwieriger zu sagen. Sicher ist nur der Einfluss von Chávez."

    El Salvadors Medien, fast zu 100 Prozent in Unternehmerhand, transportieren diese Angst-Kampagne schamlos. Trotzdem hat es der charismatische FMLN-Kandidat Funes geschafft, in den Umfragen vorne zu liegen. Mit Hugo Chávez hat er nichts gemein, er orientiert sich an Lula, dem sozialdemokratischen Präsidenten Brasiliens, mit dem er befreundet ist. Funes Gattin, eine gebürtige Brasilianerin, ist Mitbegründerin der Lula-Partei PT.

    Funes: "Präsident Lula gelang es, den Unternehmern die Angst vor der Linken zu nehmen. Er hat die brasilianische Wirtschaft in eine der dynamischsten und konkurrenzfähigsten des Kontinents verwandelt. Armut und die sozialen Unterschiede sind zurück gegangen.

    Was die Beziehung zu den USA betrifft, bin ich realistisch, denn deren Bedeutung ist für unser Land fundamental: 60 Prozent unserer Exporte gehen in die USA, wo ein Drittel unserer Bevölkerung lebt. Es wäre unvernünftig mit Präsident Obama auf Konfrontationskurs zu gehen. Um was wir ihn bitten, ist Respekt, sowie Garantien für hunderttausende salvadorianischer Migranten, die mit der Bedrohung einer Ausweisung leben müssen."

    Kein Land Lateinamerikas ist so eng mit den USA verwoben wie El Salvador. Im Bürgerkrieg wurde es vom Agrarexporteur zum Arbeitskräfte-Exporteur, heute arbeitet jeder dritte Salvadorianer im Ausland, die meisten ohne Papiere in den USA. Ihre Überweisungen halten El Salvador über Wasser, sie machen fast 18 Prozent des Bruttoinlandproduktes aus. Die 3,7 Milliarden Dollar, die so im letzten Jahr ins Land flossen, sorgten für eine ausgeglichene Handelsbilanz. Ansonsten wird viel zu wenig produziert, um den ausufernden Konsum vor allem der Oberschicht, aufzuwiegen.

    2001 hat das Land gar seine eigene Währung aufgegeben - zugunsten des Dollar.
    Rund 35 Prozent der Menschen in El Salvador leben in Armut, etwa in Wellblechhütten am Rande der Hauptstadt. Ihre Slums scheinen auf einem anderen Planeten zu liegen als die Viertel der Reichen mit ihren unzähligen "malls - Einkaufszentren nach US-Vorbild. Arena-Präsidentschafts-Kandidat Rodrigo Ávila will den neo-liberalen Kurs seiner Vorgänger fortsetzen, die Sozialprogramme der FMLN lehnt er ab.

    Ávila: "Wie wollen die das alles bezahlen? Wir müssen viele Dinge gar nicht finanzieren, weil wir mit verantwortungsvollen Unternehmern zusammenarbeiten. Was wir brauchen ist Vertrauen in die Regierung und Beziehungen zum privaten Sektor, damit wir gemeinsam, mit der Solidarität der Unternehmer, Projekte verwirklichen können."

    Auf diese Solidarität haben die verarmten Salvadorianer 20 Jahre vergeblich gewartet. Einige von ihnen wählen zwar weiter Arena, aus Angst vor Arbeitsplatzverlust, vor Hugo Chávez, vor Fidel Castro und vor Gewalt. Aber die Mehrheit dürfte dem Straßenverkäufer Manuel Tica zustimmen, der seine fünfköpfige Familie mit rund 130 Dollar im Monat durchbringen muss.

    Manuel: "Klar, wir wollen die Frente, einen Wechsel in El Salvador. ARENA halten wir nicht mehr aus. Sie würgen uns ab. Alles ist teuer, das Geld reicht nicht mehr und es gibt keine Arbeit. Es ist eine Regierung für die Reichen, für die fünf Familien von Millionären und nicht für die Armen. Deshalb wollen wir den Wechsel, damit sich unser Leben verändert."

    Vom "cambio" spricht Straßenverkäufer Manuel, den "Wechsel" besingt auch der Wahlkampfhit der FMLN. El Salvador könnte ein weiterer Mosaikstein auf der roten Landkarte Lateinamerikas werden - allerdings ein ganz blass-roter.