Donnerstag, 25. April 2024

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Ein Windstoß besiegelte den Untergang

Der Größenwahn von Schwedenkönig Gustav Adolf II. wurde der "Vasa" zum Verhängnis. Weil der Auftraggeber immer gewaltigere Kriegsschiffe forderte, gerieten die Proportionen aus dem Blick. Bei ihrer Jungfernfahrt sank die "Vasa" im Stockholmer Hafen. 333 Jahre später wurde sie geborgen.

Von Irene Meichsner | 24.04.2006
    "Vor uns liegt also dieses großartige Wrack in seiner vollen Größe. Es fehlt eigentlich nichts anderes als das Oberdeck und die Schiffsmasten und die Segel. Sonst ist das Schiff vollkommen erhalten.

    Was Sie hier hören, dieses Rauschen, das kommt daher, dass viele Hunderte von Wasserleitungen, Schlauchleitungen täglich Zehntausende von Litern Wasser über dieses Schiff spritzen. Ununterbrochen, Tag und Nacht, muss das Wasser über alle Teile des Schiffes rieseln, damit es nicht austrocknet.

    Es ist eine enorme Arbeit, die hinter der Bergung dieses Schiffes liegt. Und zugleich auch ein einzigartiges Glück."

    61 Meter lang, etwa 12 Meter breit und bis zur Mastspitze fast 53 Meter hoch war die "Vasa": der ganze Stolz von Gustav Adolf II., einem der führenden Feldherren Europas im 30-jährigen Krieg. Mit 64 Bronzekanonen ausgerüstet, trat das Schiff des Schwedenkönigs im August 1628 seine Jungfernfahrt an.

    Am Ufer spielte eine Militärkapelle. Doch wenig später ver-stummte der Jubel. Ein Windstoß brachte die "Vasa" zum Kentern, Wasser drang durch die offenen Geschützpforten, das Schiff ging mit wehenden Fahnen unter. Nur durch glückliche Umstände blieb das hölzerne Wrack erhalten, wie Peter Freudental erklärte, einer der Archäologen, die den vor Stockholm gefundenen Schatz gleich nach seiner Bergung am 24. April 1961 inspizierten.

    "Erstens, hier gibt es den Schiffswurm nicht, dem gefällt es nicht in diesem Mischwasser von Salz und Süß. Zweitens lag das Schiff tief im Lehm. Dieser Lehm hat eine außerordentliche konservierende Bedeutung gehabt."

    Noch etwas Drittes kam hinzu. Anders Franzén, Stabs-ingenieur der schwedischen Marine, hatte schon als kleiner Junge davon geträumt, später einmal untergegangene Schiffe zu heben. In Archiven sammelte er alle Daten, die er über Wracks an der Ostseeküste finden konnte.

    "Entdecken Sie die 'Vasa', und Sie werden den größten aller Schätze finden","

    riet ihm Niels Ahnlund, ein schwedischer Archäologe. 1953 machte sich Franzén mit einigen gleichgesinnten Idealisten ans Werk.

    ""Drei Sommer lang zog ich Schleppnetze und Greifer hin und her über den Boden des Stockholmer Hafens. Meist förderten wir alte Christbäume, rostige Fahrräder, tote Katzen und eine Menge anderer Dinge ans Tages-licht. Eines schönen Tages im Jahre 1956 brachte mein Pro-bensammler einen kleinen Eichenholzsplitter nach oben - altes schwarzes Eichenholz, gerade von der Stelle, an der die 'Vasa' liegen musste. Die schwedische Marine schickte Taucher. Und kurze Zeit später fanden sie das Flaggschiff."

    Nun sollte die 'Vasa' geborgen werden. Aber wie?

    "An Einfallsreichtum herrschte kein Mangel","

    erzählte Lars-Ake Kvarning, ehemaliger Direktor des Stockholmer Vasa-Museums:

    ""Ein Witzbold schlug vor, die 'Vasa' mit Tischtennisbällen zu füllen, um ihr Auftrieb zu verleihen. Die Bergungsgesellschaft entschied sich jedoch für ein traditionelleres Verfahren."

    Mit einem scharfen Wasserstrahl wurden sechs Tunnel unter das Wrack gespült. Dadurch zog man Stahlseile, befestigte sie an zwei Hebepontons, die abwechselnd ausgepumpt und geflutet wurden. So wurde die "Vasa" behutsam in seichtes Wasser bugsiert. Rund 16.000 Fundstücke wurden aus dem Wrack geborgen: von kostbaren Schnitzereien bis zur schlammdicht verschlossenen Seemannskiste - die Peter Freudental besonders begeisterte:

    "Und als wir sie aufmachten, fanden wir oberst einen sehr schönen großen Filzschlapphut und zwei paar Schuhe, eine kleine Tonne, wo einmal vielleicht Branntwein drin war, eine kleine Schachtel mit Nähsachen, Zwirn und Nadel und einen Ring mit kleinen Löchern, womit man genäht hat. Und Geld."

    Für den Historiker sei so ein gesunkenes Schiff "eine Art Zeitkapsel", sagte Lars-Ake Kvarning:

    "Es kann über die Epoche, der es entstammt, mehr aussagen als Gerätschaften, die wir in Grabkammern oder Grundsteinen eingemauert finden, mehr sogar als historische Aufzeichnen. Denn es vermittelt eine völlig unverfälschte Momentaufnahme des täglichen Lebens."

    Die "Vasa" wurde mit einer Kunststofflösung konserviert. In ihrer alten Pracht ist sie im Vasa-Museum ausgestellt. Inzwischen weiß man auch, warum sie sank. Schuld hatte letztlich der König selber, der ein immer größeres Schiff forderte - irgendwann stimmten die Proportionen nicht mehr. Offenbar hatte niemand den Mut, dem mächtigen Feldherrn ins Gesicht zu sagen, dass seine schöne "Vasa" instabil geworden war.