Donnerstag, 25. April 2024

Archiv


Ein wirklichkeitsnahes und literatrisches Bild

Erasmus Schöfer, geboren 1931, hat viele Jahre lang Theaterstücke geschrieben, Hörspiele und Erzählungen. Erst mit Mitte 50 legt er seinen ersten Roman "Tod in Athen" vor. Es folgte ein Romanzyklus, in dessen vier Bänden er die deutsche Nachkriegsgeschichte zwischen 1968 und 1989 erzählt. Seine Tetralogie nennt er "Die Kinder des Sisyfos":

Von Simone Hamm | 17.02.2009
    "Ich habe in meinen frühen Autorenjahren gedacht, dass ein Roman eine nicht sehr wirklichkeitsnahe Gattung ist und auch im Grunde eine überholte Gattung, weil sie versucht, so eine Gesamtsicht auf eine Person oder eine Situation herzustellen. Ja, dann habe ich aber gemerkt, dass eigentlich doch das Hauptwerk eines Schriftstellers sich erst da wirklich entfalten kann - in einem Roman. Und ich habe angefangen damit und im Laufe von Jahren der Arbeit an diesem Projekt dann gemerkt, welche Schwierigkeiten so ein Roman macht. Welche Anforderungen er stellt. Und habe erst allmählich mich einer gewissen, na, wie soll ich sagen, Perfektion in der Weise genähert, dass ich dann sagte: Das ist jetzt das, was ich erzählen möchte. Vielleicht noch nachgesagt, es ist der Roman auch für den jungen Menschen, einen jungen Autor nicht die angemessene Form, weil ihm einfach die Lebenserfahrung noch fehlt, um ein großes Panorama zu entwickeln."

    Erasmus Schöfer, geboren 1931, hat seinen ersten Roman "Tod in Athen" 1986 veröffentlicht. Zuvor hatte er dazu gar keine Zeit gefunden.

    Erasmus Schöfer hat viele Jahre lang Theaterstücke geschrieben, Hörspiele und Erzählungen. 1970 war er Mitbebegründer des Werkkreis Literatur der Arbeitswelt, auch Günter Wallraff gehörte dazu. Lehrer, Sozialarbeiter und Studenten halfen mit, Werkstätten aufzubauen, in denen Autoren und Arbeiter sich treffen sollten. Sie riefen Wettbewerbe ins Leben. Arbeitsalltag sollte endlich Einzug finden in die Literatur. Schöfer betreute die Autoren, redigierte, suchte Mitstreiter unter den anderen Schriftstellerkollegen. Das desillusionierte ihn bald. Autoren wie Grass und Böll ermunterten ihn zwar, arbeiteten aber nicht mit.

    Erst als Schöfer bereits Mitte 50 war, erschien sein erster eigener Roman "Tod in Athen". Erasmus Schöfer hat dann nicht einen Roman geschrieben, sondern einen Romanzyklus. In vier Bänden erzählt er auf tausenden von Seiten die deutsche Nachkriegsgeschichte zwischen 1968 und 1989. Darin beschreibt er diese Zeit nicht aus der überlegenen Sicht dessen, der zurückblickt. Seine Tetralogie nennt er "Die Kinder des Sisyfos":

    "Ja, die Kinder des Sisyphus, das sind diejenigen, die wie dieser mythische Vater eben nicht aufgeben. Nicht, weil sie dazu gezwungen werden von den Göttern, sondern es ist ihr eigene Bestimmung oder ihr Trieb auch, die Welt, in der sie leben, zu verbessern. Und sich durch Rückschläge nicht endgültig in Verzweiflung treiben zu lassen, sondern noch wieder neu anzufangen."

    Seine Kinder des Sysifos, das sind der Betriebsrat Manfred Anklam, der Journalist Armin Kolenda und der Geschichtslehrer Victor Bliss, die Schneiderin und Schauspielerin Lena Bliss und die Funktionärin Malina Stotz. "Ein Frühling irrer Hoffnung" schildert die Aufbruchsstimmung im Jahre 1968, die sexuelle Befreiung, den Kampf gegen die Notstandsgesetze. "Zwielicht" spielt in den siebziger Jahren, den Zeiten der RAF-Attentate und der großen Zeit des Düsseldorfer Werkkreises Literatur der Arbeitswelt. In "Sonnenflucht", das eigentlich die überarbeitete Fassung des Romans "Tod in Athen" ist, hatte sich Victor Bliss auf eine griechische Insel zurückgezogen und war dann in Athen fast in einer Feuersbrunst umgekommen. Er lag - schwerverletzt und für immer durch die Brandwunden verunstaltet - in der Berliner Charité und hörte die Kassetten, die ihm eine junge Frau geschickt hatte, in die er sich verliebt hatte.

    Im vierten Band "Winterdämmerung" findet der verletzte, verwundete Victor Bliss ganz langsam ins Leben zurück. Er lernt seine erwachsene Enkelin kennen, die in Amerika groß geworden ist. Sie hat einen ganz anderen jungen und frischen Blick auf die deutsche Wirklichkeit. Bliss traut sich wieder auf die Straße, geht auf Lesungen.

    Der Gewerkschafter Manfred Anklam wechselt in die Betriebsführung. Kann er dort weiterkämpfen? Oder ist er kaltgestellt?

    Lena Bliss verlässt ihren Mann endgültig und geht nach Bremerhaven. Auch Malina Stotz verlässt ihren Mann. Es ist die Hochzeit der Frauenbewegung. Und sie wollen sich befreien.

    Der Journalist Armin Kolenda wird den schwersten Artikel seines Lebens schreiben: Einen Nachruf auf einen Freund, der zum Mörder geworden ist. Zum Mörder an der 13-jährigen Tochter seiner Lebensgefährtin Lisa. Kolenda will das nicht wahrhaben, wittert Verschwörung. Lisa aber schafft es, nicht in Hass und Wut auf den Mörder zu verfallen. Sie sagt: Ich liebe diesen Mann dennoch. Das ist sehr eindringlich geschrieben und sehr, sehr schwer nachzuvollziehen.

    "Ja, das ist natürlich wirklich schwer zu begreifen. Ich denke, es ist so, dass diese Frau, weil sie ja in den Mörder ihrer Tochter ihre ganze große Liebe investiert hat, dass sie annehmen muss, dass dieses Delikt, diese Tötung, in einem Augenblick des Zerbrechens seiner normalen Existenz geschehen ist. Also in einem Augenblick, für den er womöglich gar nicht verantwortlich war. Der jedenfalls nicht verständlich ist aus seinem übrigen Leben. Sie kennt ihn nicht als einen bösen, verbrecherischen Menschen, sondern als einen sehr guten, sehr moralisch Engagierten. Und deshalb hält sie glaube ich ihre Liebe so lange aufrecht, wie es irgend geht. Ja, aus einem Selbsterhaltungstrieb auch."

    In Schöfers Romanen gibt es wunderschöne lyrische Stellen, hocherotische Liebesgeschichten, großartige Naturbeschreibungen. Wie Bliss, Anklam, Kolenda und die junge Frau aus Amerika auf dem Hüttengelände, neben den Hochöfen hoch oben auf einem Turm, den sie heimlich erklommen haben, Sylvester feiern und dabei eine rote Fahne hissen, tief unter sich den Rhein, über sich die Raketen, das ist schon kühn geschrieben.

    Solchen Beschreibungen setzt Schöfer Dokumentarisches gegenüber, das auch immer als solches gekennzeichnet ist. Er zitiert Reden. Er gibt die politischen Diskussionen jener Zeit wieder.

    "Das war ja mein Bestreben, über diese Zeit ein wirklichkeitsnahes literarisches Bild zu geben. Und die Glaubhaftigkeit für Leser, auch für Jüngere, die jetzt nicht dabei waren, sollte auch dadurch mit erzeugt werden, dass ich Dokumente, die überprüfbar sind, da mit eingefügt habe und eben immer auch wieder historische Personen, die allen mehr oder weniger bekannt sind und an denen sie auch jeweils die Situationen, die erzählt werden, lokalisieren können, zeitlich lokalisieren können. Ach ja, das war ja da, als der Willy Brandt das und das gesagt und gemacht hat, und andere auch. Und so werden die fiktiven Romanpersonen dann eingeordnet. Es wird möglich, sie einzuordnen in den zeitlichen Zusammenhang."

    Wie in seinen anderen Romanen, verflechtet Schöfer auch in "Winterdämmerung" die Schicksale seiner Hauptpersonen mit den politischen Geschehnissen: dem Widerstand gegen die Startbahn-West in Frankfurt, gegen die Raketenstationierung, gegen die Schließung des Stahlwerkes in Rheinhausen.

    Schöfer versucht so nahe wie möglich bei der Wirklichkeit zu bleiben. Warum sind die Menschen auf die Straße gegangen, worüber diskutierten sie?

    Schöfers Vorstellung von Sozialismus ist die Verwirklichung des Individuums. Er ist in den 70er Jahren in die DKP eingetreten, in den 80ern wieder ausgetreten. Er glaubte, nur gemeinsam, nicht allein, könne man etwas verändern. Und so sind auch seine Protagonisten.

    "Das ist das, wie wir das Leben erleben, nicht? Wir müssen arbeiten, wir haben Liebesverhältnisse. Und wir verhalten uns auch als Bürger, wenn wir denn nicht völlig abtauchen ins Private. Aber diese Personen interessieren mich dann weniger. Mich interessieren genau die Bürger, die in der Gesellschaft sich nicht zufrieden geben mit dem Vorhandenen, sondern es entwickeln wollen."

    Wohl deshalb klingen die Romane des 78-Jährigen weder abgeklärt noch desillusioniert. Erasmus Schöfer hat aus der Sicht eines DKP Mitgliedes die literarischer Chronik der bundesrepublikanischen Vergangenheit von 68 bis 89 geschrieben.

    Was ist der Sinn eines solchen Engagements, dass man mit seinem Schreiben versucht, etwas zu bewirken? Und mit diesem Werk, möchte ich Jüngeren die Möglichkeit geben, sich zu informieren darüber, was ihre Eltern damals gemacht haben, so wie die 68er ihre Eltern gefragt haben: Was habt ihr in der Nazi-Zeit gemacht? So kommt es ja jetzt auf die 68er auch zu, dass sie so gefragt werden. Aber die Alten, die diese Bücher lesen, erinnern sich dann an dem, was sie, an das, was sie getan haben. Und sie bekommen ihre eigenen Motive vorgespielt. Und das ist natürlich auch etwas, was man von Literatur nicht so oft geschenkt bekommt.

    Erasmus Schöfers Chronik ist allemal lesenswert. Natürlich auch dann, wenn man seine einstige politische Haltung nicht teilt.


    Erasmus Schöfer: Die Kinder des Sisyfos (sic!) Romantetralogie:
    Erasmus Schöfer: Ein Frühling irrer Hoffnung. 496 Seiten. 20 Euro
    Erasmus Schöfer: Zwielicht. 600 Seiten. 24.80Euro
    Erasmus Schöfer: Sonnenflucht. 354 Seiten. 19.80 Euro
    Erasmus Schöfer: Winterdämmerung. 632 Seiten. 24.80Euro
    Unsichtbar lächelnd träumt er Befreiung : Erasmus Schöfer unterwegs mit Sisyfos. Herausgegeben von Volker Dittrich. 224 Seiten 17.80 Euro
    Alle Dittrich Verlag