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"Ein zerstrittener Verein ist für niemanden attraktiv"

15 Prozent bei den letzten Bundestagswahlen, vier Prozent in aktuellen Umfragen. Die Liberalen müssen bei den sieben anstehenden Landtagswahlen fürchten, an der 5-Prozent-Hürde zu scheitern. Zur Situation, der Kritik an Parteichef Guido Westerwelle und steuerlichen Entlastungen der Bürger äußert sich Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP).

Rainer Brüderle im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 06.01.2011
    Dirk-Oliver Heckmann: Ist Guido Westerwelle also ein Vorsitzender auf Abruf? Thema heute am Dreikönigstag, an dem sich die Liberalen traditionell in Stuttgart versammeln. Am Telefon begrüße ich dazu Rainer Brüderle, den Bundeswirtschaftsminister von der FDP. Guten Morgen!

    Rainer Brüderle: Guten Morgen, Herr Heckmann!

    Heckmann: Herr Brüderle, auf einer Skala von eins bis zehn – wie loyal stehen Sie zu Guido Westerwelle?

    Brüderle: Wir sind ein Team, wir haben gemeinsam dieses beste Wahlergebnis unserer Geschichte mit rund 15 Prozent vor gut einem Jahr erreicht, wir werden auch gemeinsam aus den aktuellen Schwierigkeiten wieder rauskommen. Eine Partei muss Geschlossenheit zeigen, ein zerstrittener Verein ist für niemanden attraktiv, und mein Eindruck ist, dass zwar Ihre Einspielungen durchaus richtig sind, aber die Situation sich inzwischen ein Stück geändert hat. Das hat ja auch die Diskussion gestern auf dem Landesparteitag hier in Baden-Württemberg gezeigt, dass die Partei geschlossen engagiert in die Wahlen hineingeht, und wir wollen die Wahlen gewinnen, nicht die Umfragen, und mit einem anderen Ergebnis herauskommen, als manche es heute einschätzen.

    Heckmann: Aber wenn die Partei, Herr Brüderle, Geschlossenheit demonstrieren muss, warum haben Sie denn eigentlich so lange gezögert, Westerwelle beizuspringen?

    Brüderle: Wieso so lange gezögert? Ich war der Erste, der Kubicki widersprochen hat. Sie müssen da jenseits von diesem einen oder anderen Zeitungskommentar die Realität recherchieren, und ich war derjenige, der sehr, sehr oft, sehr, sehr schnell – ich kann das ja nicht täglich und stündlich machen, nur weil einige sehr aufgeregt sind – ihm zur Seite gestanden hat.

    Heckmann: Der Spitzenkandidat für die Landtagswahl in Rheinland-Pfalz Herbert Mertin sprach davon, dass Westerwelle ein Klotz am Bein sei, er verbittet sich Wahlkampfauftritte Westerwelles. Was halten Sie denn von der Haltung Ihres Parteifreunds? Immerhin steht er ja für Ihren Landesverband.

    Brüderle: Das ist nicht meine Auffassung und nicht meine Formulierung, da müssen Sie mit ihm selbst drüber reden.

    Heckmann: Haben Sie denn mit ihm gesprochen?

    Brüderle: Ja dann zitieren Sie ihn, aber nicht mich, und ich bin der Landesvorsitzende, und Guido Westerwelle wird selbstverständlich im Wahlkampf für Rheinland-Pfalz auch auftreten und mit mir gemeinsam.

    Heckmann: Haben Sie denn Herrn Mertin Ihre Meinung deutlich gemacht?

    Brüderle: Meine Meinung kennt er.

    Heckmann: Entwicklungshilfeminister Dirk Niebel spricht davon, dass Guido Westerwelle der beste Vorsitzende sei, den die FDP je hatte. Sehen Sie das auch so?

    Brüderle: Vom Ergebnis her ist das so, kein anderer Vorsitzender der FDP hat rund 15 Prozent erreicht, das ist das beste Ergebnis, das wir während der Geschichte je erreicht haben, und es wäre völlig falsch, wenn man jetzt – in der Tat, wir sind in einer schwierigen Phase, braucht man gar nicht drum herum zu reden – das alles beim Vorsitzenden ablädt. Wir sind gemeinsam die Partei, wir sind gemeinsam die Mannschaft, die führt, wir müssen gemeinsam auch das Vertrauen bei den Menschen wieder zurückgewinnen. Das ist unsere Aufgabe, vor die wir gestellt sind, und nicht das Hin- und Herspielen von Schwarzen Petern und sich gegenseitig öffentlich miteinander zu beschimpfen und kritisch auseinanderzusetzen, das ist nicht die Lösung, sondern miteinander gemeinsam für Positionen zu stehen. Und die Politik hat ja gewirkt, wir haben ja einen Politikwechsel geschafft in Deutschland, dass wir einen stärksten Aufschwung von allen westlichen Industrieländern haben. Kein Land ist so schnell aus der Wirtschaftskrise herausgekommen wie Deutschland, das hängt mit dem Fleiß und Engagement vieler Menschen im Lande zusammen, auch damit, dass Politik auch gewirkt hat. Ich darf erinnern, dass wir vor einem Jahr mit rund 24 Milliarden Euro, das sind fast 50 Milliarden D-Mark, um es noch mal in alten Währungsrelationen darzustellen, zusätzlich Entlastung auf den Weg gebracht haben und damit auch Beiträge mit eingebracht haben, dass wir diesen Aufschwung hingekriegt haben. Wir haben die Kurzarbeiterregelung verlängert, wir haben andere Maßnahmen ergriffen. Die Politik hat gewirkt, der Politikwechsel hat gewirkt, das müssen wir gemeinsam darstellen.

    Heckmann: Herr Brüderle, es wäre jetzt völlig falsch, über Personalien zu sprechen, haben Sie gerade gesagt, aber wie viele Landtagswahlen darf die FDP denn verlieren, ohne dass Westerwelle Konsequenzen zieht?

    Brüderle: Wir wollen möglichst alle gewinnen, wir gehen doch nicht in Wahlen hinein mit der Absicht, die zu verlieren.

    Heckmann: Das hört sich ein bisschen nach Zweckoptimismus an. Kubicki würde davon sprechen, dass ihn das an das Ende der SED-Diktatur erinnert.

    Brüderle: Zitieren Sie Herrn Kubicki, wenn Sie mit mir sprechen, müssen Sie sich mit meiner Meinung auseinandersetzen, und meine Meinung ist, dass wir engagiert in diese Wahl hineingehen, dass wir gute Chancen haben, sie erfolgreich zu bestreiten. Keiner negiert, es ist eine schwierige Phase in der FDP, ich bin seit über 30 Jahren politisch aktiv, leider gab es solche Phasen auch in der Vergangenheit. Die kann man am besten dann überwinden, wenn man geschlossen gemeinsam auftritt, und wenn man sich nicht öffentlich gegenseitig beschädigt.

    Heckmann: Sie haben gerade eben die Errungenschaften der FDP aufgezählt. Was waren denn die größten Fehler der Vergangenheit?

    Brüderle: Es war sicherlich ein Fehler – Sie meinen jetzt das Jahr, in dem wir regieren, und nicht die gesamte Geschichte der FDP –, es war sicherlich ein Fehler, dass man die Ausrichtung der Maßnahmen sich an den Wahlen in Nordrhein-Westfalen orientiert haben, das war falsch. Man hätte alles sofort anpacken sollen. Wir haben aber dann Tritt gefasst, wir haben eine Energiepolitik, ein Konzept auf den Weg gebracht, was es seit Anfang der 70er-Jahre nicht in Deutschland gab. Die Vorgängerregierungen haben es nicht geschafft. Wir haben schwierige Fragen dabei entschieden, auf den Weg gebracht. Wir haben diese Entlastung angepackt, auf den Weg gebracht. Ja, wir mussten die Konsolidierung der Haushalte mit Priorität versehen, weil auch wir aus Überzeugung dafür eingetreten sind, die sogenannte Schuldenbremse ins Grundgesetz aufzunehmen. Das zwingt uns, bis 2016 auf faktisch null Neuverschuldung runterzukommen, auf 0,35 Prozent ist das maximal dann noch Mögliche. Deshalb mussten wir einen Vorhang setzen, die Haushaltseinsparungen, Haushaltskonsolidierung vorzunehmen. Aber das heißt nicht, dass das, was wir unverändert für notwendig halten, die Mitte in Deutschland, die Leistungsträger, wie Sie zum Beispiel, als klassische Zielgruppe unserer Maßnahmen steuerlich zu entlasten. Es war in der Zeitachse verschieben, aber nicht aufheben. Weil's notwendig ist, es hat auch mit der Belastungsgerechtigkeit zu tun, dass man auch die mit ins Auge nimmt, die das erarbeiten müssen, was wir anderen geben wollen als Hilfestellung, ob Hartz IV oder anderes. Das muss auch mit beachtet werden. Insofern hat sich die Agenda nicht geändert, aber in der zeitlichen Folge anders aufsortiert.

    Heckmann: Herr Brüderle, Generalsekretär Christian Lindner, Gesundheitsminister Philipp Rösler und der NRW-Landeschef Daniel Bahr, die haben in ihrem Neujahrsappell geschrieben, Zitat: "Die thematische Verengung, die Parteinahme für einzelne Wählergruppen, die exklusive und dauerhafte Bindung an nur einen Koalitionspartner, die Radikalisierung von Programm und Rhetorik oder die interne Zirkelbildung sind keine Optionen für eine liberale Partei." Fühlen Sie sich da angesprochen? Denn auch Sie standen ja dafür, dass das Thema Steuersenkungen ganz zum zentralen Thema gemacht wurde.

    Brüderle: Also erstens mal, von all den Genannten bin ich der Einzige, der das auch praktiziert hat. Wir haben in Rheinland-Pfalz 15 Jahre erfolgreich mit der SPD auch regiert, nachdem wir zuvor mit der CDU regiert haben. Ich habe das immer so gesehen, ich halte es für richtig, was da doch formuliert ist. Wir haben uns auch nicht thematisch nur auf ein Thema reduziert, wenn wir auch im Wahlkampf dies besonders herausgestellt haben, was aber als damals kleine Oppositionspartei auch notwendig ist, damit man merkbar erkennbar ist, und dass es gewirkt hat, haben Sie am Wahlergebnis gesehen.

    Heckmann: Notwendig, sich auf ein Thema zu beschränken?

    Brüderle: Dass man ein Thema – ich darf wiederholen, was ich eben gesagt habe – herausstellt, und das haben wir gemacht, dass das Steuerthema ja ein generelles Thema ist, und zwar: Dahinter steht ja nicht nur die Tatsache, dass keiner gern Steuern zahlt, sondern dahinter steht ein anderes gesellschaftliches Leitbild, eine andere Balance zwischen Privatheit und Staatlichkeit, zwischen eigenverantwortlichen Entscheidungsmöglichkeiten und Kollektiventscheidungen des Staates. Das ist das Bild, was für uns dahintersteht, und diese Grundorientierung ist unverändert richtig. Wir brauchen heute viele Mitmacher in die Entwicklung der Zukunft hinein, und müssen gerade auch, ich sage es noch mal, die Leistungsgerechtigkeit für die Mitte in Deutschland – das sind Facharbeiter, andere, die jetzt merken, was es heißt, kalte Progression, etwas mehr verdienen, und überproportional mehr Steuerbelastung – dies in Schritten nach der Haushaltskonsolidierung zu verändern, ist unverändert richtig.

    Heckmann: Was sagen Sie denn zu Forderungen, das sozialliberale Profil der Partei zu schärfen?

    Brüderle: Das ist immer richtig, auch das ist ein wichtiger Punkt. Ich sage noch mal: Ich habe 15 Jahre in Rheinland-Pfalz eine sozialliberale Koalition geführt, das habe ich praktiziert und gemacht, und das ist sicher richtig, dass man dies macht und auch deutlich macht, was hinter den Maßnahmen steht. Das ist vielleicht das Wichtigste, wie ich eben erläutert habe bei der Steuerpolitik, dass man damit ja auch soziale Kompetenz mit hineinbringt, dass man es mitmacht, dass man ausrichtet, was man mit der Politik erreichen will. Eine Vollbeschäftigungspolitik, die jetzt wieder möglich ist, wir sind auf dem Weg hin zur Vollbeschäftigung, ist eine auch soziale Politik, denn die größte soziale Tat ist, unverändert einen Arbeitsplatz zu haben, weil es den Menschen mehr respektiert, als wenn man nur Hilfestellung beim Sozialamt abholen kann.

    Heckmann: Herr Brüderle, die versprochene Steuersenkung, die fällt in dieser Legislaturperiode zumindest aus, auch die beschlossene Steuervereinfachung will Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble erst im Jahr 2012 greifen lassen. Stiehlt er Ihnen damit nicht das einzig praktisch verbliebene Thema, für das man die FDP wählen würde?

    Brüderle: Zunächst mal muss ich mal Ihre Aussage, dass in dieser Periode keine steuerliche Entlastung kommt, korrigieren, ich sehe das völlig anders. Ich weiß nicht, woher Sie die Erkenntnis haben. Auch wenn wir auf der Zeitachse schieben müssen, ist für mich völlig klar vor Augen, dass noch in dieser Legislaturperiode entsprechende Beschlüsse auf den Weg gebracht werden müssen.

    Heckmann: Auf den Weg gebracht werden, ja.

    Brüderle: Ja, natürlich.
    Heckmann: Aber nicht wirksam werden.

    Brüderle: Auch zur Wirkung gebracht werden, Herr Heckmann, wenn Sie mich freundlicherweise auch ausreden lassen. Das Zweite ist, wir haben in der Tat im Koalitionsausschuss beschlossen, Steuervereinfachungen auf den Weg zu bringen als ersten Schritt genau in diese Richtung, wo wir hinwollen mit den Entlastungen von etwa 600 Millionen, und das wird jetzt über einen Referentenentwurf, das ist noch nicht der Beschluss, und wie oft kommen Referentenentwürfe auf den Gesetzgebungsweg, die anschließend durchs Parlament, durch den Souverän ganz anders entschieden werden. Was wir vereinbart haben, ist mit Herrn Schäuble, dass wir – wo immer technisch möglich – möglichst schnell, das heißt, auch rückwirkend zum 1. Januar 2011, zu steuerlichen Vereinfachungen und Entlastungen kommen wollen. Wenn er jetzt plötzlich da Hindernisse sieht, dass das technisch nicht gehen soll, muss er das darstellen, erläutern, muss man darüber reden. Aber die Zielvorstellung – das haben ja auch die beiden Fraktionsvorsitzenden Homburger, Herr Kauder und der Vorsitzende der CSU-Landesgruppe Herr Friedrich ja öffentlich auch bestätigt –, die Zielsetzung ist klar, möglichst schnell zu Entlastungen zu kommen, und diese Gespräche werden jetzt natürlich auch beginnen. Und interessanterweise, Herr Schäuble hat sich bisher öffentlich nicht geäußert, es wird nur diskutiert über einen Referentenentwurf, und das kenne ich aus meiner Tätigkeit, Referentenentwürfe sind das eine, die Beschlüsse des Parlaments sind das andere.

    Heckmann: Herr Brüderle, Mitte Mai wird die Führung der FDP neu gewählt. Letzte Frage in diesem Zusammenhang: Würden Sie Guido Westerwelle raten, noch einmal anzutreten?

    Brüderle: Die Entscheidung muss er selbst treffen, und ich bin überzeugt, dass er auch jetzt mit uns gemeinsam auch wieder mehr Vertrauen bei der Bevölkerung zurückgewinnen kann und damit auch eine Basis ist, dass er die Entscheidung treffen kann, seine Tätigkeit fortzusetzen.

    Heckmann: Wir haben gesprochen hier im Deutschlandfunk mit Rainer Brüderle, dem Bundeswirtschaftsminister von der FDP. Herr Brüderle, ich danke Ihnen für das Gespräch!

    Brüderle: Danke Ihnen auch.