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"Eindeutige Verletzung der demokratischen Spielregeln

Die vom ungarischen Parlament beschlossene Verfassungsänderung bedeutet eine erhebliche Einschränkung der Meinungsfreiheit. Es sei an der Zeit, dass Europa "ein klares Wort" sage, meint der ungarische Schriftsteller György Dalos.

György Dalos im Gespräch mit Stefan Koldehoff | 11.03.2013
    Stefan Koldehoff: Während sich der ungarische Staatspräsident János Áder heute zu einem Staatsbesuch in Berlin aufhält – was ganz normal klingt –, sind in seiner Heimat politische Dinge geschehen, die alles andere als normal sind. In Budapest stand eine Parlamentsentscheidung an, die viele als Entmachtung des Verfassungsgerichtes werten. Und nicht nur das: Wenn dort die rechtskonservative Regierung Orbán, wie sie es vorhin bekommen hat, die Mehrheit für ihre Ideen tatsächlich auch umsetzt, dann wird auch die Meinungsfreiheit erheblich eingeschränkt werden. Immer dann zum Beispiel, wenn die "Würde der ungarischen Nation" verletzt wird. - Ich habe den ungarischen Schriftsteller György Dalos vor dieser Sendung gefragt, ob er denn weiß, was das ist, die Würde der ungarischen Nation?

    György Dalos: Ich befürchte, dass unsere Regierungspartei Fidesz sich gerne mit der ungarischen Nation verwechselt, und es geht immer nur darum, um ihre Macht und vor allem die persönliche Macht von Viktor Orbán zu schützen.

    Koldehoff: Es hat Proteste gegeben auf den Straßen, zuletzt am Wochenende. Offensichtlich haben sie keine große Wirkung gehabt. Tut Europa genug?

    Dalos: Es ist nicht so einfach, weil diese Proteste gab es in der Tat, zuletzt am Samstag Nachmittag und am Donnerstag, als junge Leute, Studenten und Mittelschüler, den Hof der ehemaligen Jugendpartei Fidesz besetzen wollten. Andererseits: Ich höre, dass heute um halb fünf wieder eine Demonstration stattfindet, wo endlich alle Oppositionsparteien beteiligt sind. Also die Sache ist noch nicht entschieden.
    Und zu Europa: Es gibt wieder zahlreiche Proteste gegen diese eindeutige Verletzung der demokratischen Spielregeln in Ungarn und ich freue mich über diese Proteste, obwohl ihr Anlass alles andere als Optimismus einflößt. Ich bin auch dafür, obwohl ich in den meisten Fällen eher dafür bin, dass die ungarische Gesellschaft sich demokratisch genug zeigt, um gegenüber diesen autoritären Versuchungen sich schützen zu könn
    en. Aber in manchen Punkten muss schon Europa ein klares Wort sagen, und das ist eben der Fall.

    Koldehoff: Der ungarische Staatspräsident, János Áder, der derselben Partei angehört wie Viktor Orbán, ist heute auf Staatsbesuch in Berlin. Was erwarten Sie konkret von der deutschen Bundesregierung?

    Dalos: Es wäre schon, ich würde sagen, einfach zu begrüßen, wenn die Bundesregierung und persönlich die Bundeskanzlerin Angela Merkel in einem freundlichen privaten Gespräch dem Herrn Áder mitteilt, was eigentlich für die Bundesrepublik als Demokratie und Verfassungsmäßigkeit gilt. Es geht nicht darum, sich in die inneren Angelegenheiten Ungarns einzumischen, sondern um doch etwas, was das Allernatürlichste ist, doch Demokratie bei einer demokratisch gewählten Regierung zu hinterfragen.

    Koldehoff: Herr Dalos, was da im Moment in Ihrer Heimat, in Ungarn geschieht, hat ja auch Auswirkungen auf die Kultur. Sie selbst sind 1968 in Haft genommen worden, hatten Publikationsverbot. Befürchten Sie, dass es solche Zustände in Ungarn wieder geben könnte?

    Dalos: Also ich bin eher der Meinung, dass jetzt etwas passiert, was nicht für die kommunistischen Zeiten typisch war, weil mein Eindruck von dieser Regierung ist, dass sie sich gar nicht für die Kultur interessiert. Ihr geht es nur darum, der eigenen Klientel gut bezahlte Stellungen zu sichern, und da geht die Regierung symbolisch gesehen über Leichen. Und was wieder zum Beispiel mit der Verfassungsänderung zusammenhängt, das zeigt das Beispiel der sogenannten "Nationalen Akademie der Künste", ein ursprünglich als zivile Organisation gegründeter Verein, einer der vielen damals, die jetzt nicht nur eine Art Allmacht über alle kulturelle Institutionen erhält, sondern diese Allmacht ist noch in der Verfassung fixiert. Und das bedeutet, dass praktisch alle staatlichen Gelder oder die absolute Mehrheit der Finanzierungsgelder für diese Akademie gesichert wird, und das bedeutet, dass jeder Schriftsteller oder Künstler, der nicht Mitglied dieser Akademie ist – und die ist doch eine ideologisch sich als hauptsächlich national definierte Vereinigung -, wer nicht dazugehört, der wird automatisch aus bestimmten Formen der staatlichen Förderung ausgeschlossen.

    Koldehoff: Wenn Sie sagen, die Regierung interessiert sich eigentlich überhaupt nicht für Kultur, bedeutet das im Umkehrschluss aber doch auch: Die Proteste der Kulturschaffenden, der Schriftsteller, der Theaterleute, der Künstler, werden relativ ungehört verhallen, oder?

    Dalos: Ja die haben sowieso keine rosige Situation. Was die Literatur anbelangt: Die Literatur hat überlebt, diese sehr schwierigen Zeiten. Aber es ging ihr immer darum, dass sie wegen dieser Freiheit Probleme hatten, und jetzt haben sie eher Probleme dadurch, dass eine autoritäre Staatsmacht versucht, sie auch gegeneinander auszutricksen. Wenn irgendwo ein Theaterdirektor aus ideologischen Gründen abgelöst wird und ein anderer ernannt wird, das bedeutet auch, dass innerhalb der ganzen Branche lang anhaltende Konflikte und Rivalitäten künstlich ernährt werden.

    Koldehoff: … sagt der Schriftsteller György Dalos zur Lage in seinem Heimatland Ungarn. Das Gespräch haben wir, wie gesagt, vor der Sendung aufgezeichnet. Inzwischen sind die Verfassungsänderungen beschlossen.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.