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Eine afrikanische Geschichte
Armes, reiches Guinea

Das westafrikanische Land Guinea ist reich an Ressourcen - und gleichzeitig sehr arm. Das liefert das Einfallstor für internationale Konzerne, die sich mit etwas Bestechungsgeld lukrative Rohstoffrechte sichern wollen. Aber auch für Staaten, die ihre Umweltsünden auszulagern versuchen.

Von Benjamin Moscovici | 06.07.2019
Wo noch bis vor kurzem die Felder der Dorfbewohner lagen, entsteht jetzt eine Zugstrecke für den Abtransport des Bauxits.
Wo noch bis vor kurzem die Felder der Dorfbewohner lagen, entsteht jetzt eine Zugstrecke für den Abtransport des Bauxits. (Deutschlandradio / Benjamin Moscovici)
In Guinea erzählt man sich eine Geschichte: Als Gott die Erde schuf, wanderte er über die Erdteile, um seine Schätze zu verteilen. In der Schürze seines weiten Gewandes trug er Gold, Diamanten und Edelsteine vor sich her. Sorgsam vergrub er die Schätze hier und dort. Und dann, ausgerechnet in Guinea, am äußersten südwestlichen Bogen Afrikas, stolperte er über eine Baumwurzel und verschüttete alle seine Schätze.
Bertis Café liegt in einer kleinen Seitenstraße in Guineas Hauptstadt Conakry. Eine Hütte wie viele hier. Ein paar Holzlatten, darüber Wellblechdach. Drinnen einige Bänke und Plastikstühle. Im Kühlschrank warten sieben Colaflaschen und zwei Dosen Energydrink auf einen Kunden. In der Ecke läuft ein alter Röhrenfernseher und auf einem kleinen improvisierten Holzkohlegrill blubbert Kaffee in einer großen Espressokanne aus Aluminium.

"Können Sie mir erklären, warum das Land trotz seiner Rohstoffe so arm ist?"
Bertis Café. Männer beim Dame spielen. Links hinter der Mauer liegt das Camp Boiro
Bertis Café: Hier spielen die Männer Dame. Links hinter der Mauer liegt das Camp Boiro (Deutschlandradio / Benjamin Moscovici)
"Unsere Politiker taugen nichts."
"Außerdem fehlt es an guter Bildung."
"Das Land wird einfach miserabel geführt. Das Problem ist die Korruption."
Korruption ist nicht das einzige Problem
Hört man sich im Land um, erhält man auf diese Frage immer die gleiche Antwort. "Schuld ist die Korruption". Was ist mit den Folgen des Kolonialismus, was denken die Menschen über die Aktivitäten internationaler Konzerne oder über das Welthandelssystem?
"Wir müssen über unsere eigene Fehler sprechen, nicht nur über die der anderen."
"Die Leute müssen aufhören, immer Frankreich die Schuld zu geben."
"Der Ursprung des Problems liegt hier in Guinea. Es ist an uns, das zu ändern."
"Guinea ist reich. Das stimmt. Und trotzdem sind wir arm."

Es ist Guineas Ressourcenparadox: Im Südosten des Landes, an der Grenze zu Sierra Leone und Liberia schlummern die größten Eisenvorkommen der Welt. Im Norden, an der Grenze zu Mali, gibt es Gold und Diamanten. Und im Nordwesten liegen die größten Bauxitreserven der Erde, Ausgangsstoff für Aluminium. Nahezu 100 Prozent der guineischen Exporte stammen aus dem Bergbausektor, knapp die Hälfte des guineischen Staatshaushaltes wird über die Minen finanziert. Den mit Abstand größten Anteil stellt die Bauxitförderung. Wer verstehen will, warum Guinea trotz all seiner Ressourcen arm ist, muss also zunächst hier suchen.
Conakry: Armut trotz Ressourcenreichtum. Menschen suchen im Abfall nach Verwertbarem. Im Hintergrund eine Moschee.
Conakry: Armut trotz Ressourcenreichtum (Deutschlandradio / Benjamin Moscovici)
Armut trotz Ressourcenreichtums
Aluminium ist das häufigste Metall in der Erdkruste. Es kommt allerdings nie in reiner, ungebundener, metallischer Form vor, sondern immer in Verbindung mit anderen Elementen als Bauxiterz. Und nirgendwo gibt es mehr und aluminiumhaltigeres Erz als hier in Guinea.

Seit einigen Jahren ist es in Guinea zu einem regelrechten Bauxitboom gekommen. Wieso kommt davon nichts bei der Bevölkerung an? Dafür lohnt sich ein Blick auf die halbstaatliche guineische Bergbaufirma CBG. 1963 nahm die Firma die Arbeit auf. Mit 49 Prozent ist der guineische Staat der wichtigste Anteilseigner. Weitere Anteilseigner sind die amerikanische Bergbaufirma Alcoa, die australische Bergbaufirma Rio Tinto und die Firma DadcoAlumina, die ihren Firmensitz in einem Steuerparadies im Ärmelkanal hat.
Die Liste der ehemaligen Vorstandsvorsitzenden der CBG lässt aufhorchen. Bis 2010 standen der guineischen Bergbaufirma zwei Australier vor, zwei Franzosen, sechs Kanadier und sieben Amerikaner. Erst 2010 kam der erste Guineer an die Spitze der Firma. Kemoko Touré. Ich treffe Touré in einem von Conakrys Luxushotels auf einer Terrasse mit Blick aufs Meer. Er erklärt mir, was das Problem mit den ausländischen Firmenchefs ist.
"Die internationalen Investoren waren immer gleichzeitig Miteigentümer und Kunden."
LKWs für den Bauxittransport im Abendlicht.
LKW für den Bauxittransport: In Guinea gibt es einen regelrechten Boom - bei den Menschen kommt aber kaum was davon an. (Deutschlandradio / Benjamin Moscovici)

Dadurch konnten die Investoren aus den USA und Kanada Kosten und Gewinne einfach zwischen der CBG und ihren eigenen Firmen hin und herschieben. Kemoko Touré beschreibt, wie das ablief und was für Verträge er vorfand, als er 2010 den Vorstand der CBG übernahm.
"Es gab Deals mit den Partnern über die Details der Lieferungen. Dabei ging es um den Aluminiumgehalt im Bauxit. Die Anforderungen waren am Anfang sehr hoch, und die CBG konnte die entsprechende Qualität liefern, weil die ersten Minen bei Sangaredi einen enorm hohen Aluminiumgehalt hatten. Aber die Investoren sind bei ihren Anforderungen geblieben, auch als die CBG ihre Aktivitäten über die Jahre auf weniger reichhaltige Abbaugebiete ausdehnen musste und die Bedingungen nicht mehr erfüllen konnte. 20 Millionen Dollar hat die CBG deshalb pro Jahr an Vertragsstrafen an die eigenen Investoren gezahlt."
Kemoko Touré, erster Guineer an der Spitze der guineischen Bergbaufirma CBG
Kemoko Touré, erster Guineer an der Spitze der guineischen Bergbaufirma CBG (Deutschlandradio / Benjamin Moscovici)
Fragwürdige Firmendeals
Anders ausgedrückt: Eine Firma, wie beispielsweise die amerikanische Bergbaufirma Alcoa, kauft Anteile an der guineischen CBG, installiert dann einen ihrer Leute als Chef der CBG, der unterschreibt wiederum einen Abnahmevertrag mit Alcoa, in dem unerreichbare Vertragsziele festgeschrieben werden. Und die CBG muss daraufhin jedes Jahr Vertragsstrafen in Millionenhöhe an Alcoa zahlen.
"Da Guinea 49 Prozent an der CBG hält und das Recht hat, die CBG zu besteuern, ist ein Gewinn für die CBG immer auch ein Gewinn für Guinea. 65 Prozent der Gewinne gehen an den guineischen Staat. Wenn die CBG 20 Millionen Dollar verliert, bedeutet das also, dass dem guineische Staat 65 Prozent von 20 Millionen an Einnahmen entgehen."
13 Millionen Dollar. Pro Jahr. In Guinea würde das reichen, um gut 7.000 Lehrer zu bezahlen.
Wertschöpfung außerhalb Guineas
Ein weiteres Problem: Indem die guineische Bergbaufirma CBG ausschließlich Rohstofflieferant blieb und die Käufer-Investoren wie Rio-Tinto und Alcoa die Verarbeitung des Rohmaterials zu Bauxit übernahmen, blieb der Löwenanteil der Wertschöpfungskette außerhalb Guineas. Während Bauxit mit leichten Schwankungen rund 40 Euro pro Tonne kostet, zahlen Kunden für eine Tonne Aluminium rund 2.000 Euro. Die Kosten der Aluminiumverhüttung sind zwar enorm, die technischen Herausforderungen hoch. Aber die Gewinnmargen unterscheiden sich trotzdem erheblich. Kemoko Touré, der frühere Vorstand der CBG sagt:
"Ich gehe davon aus, dass man mit der Transformation von Bauxit zu Aluminium bis zu 10 Mal mehr Profit machen kann, als mit der bloßen Förderung von Bauxit."
Und er fügt hinzu: "Wenn ein Land immer nur den einfachsten Weg nimmt, um Geld zu verdienen, wird es sich nie entwickeln."
Tatsächlich steht der nächste Entwicklungsschritt wohl kurz bevor. Demnächst sollen erste Anlagen zur Aluminiumverhüttung in Guinea aufgebaut werden. Allerdings nicht von der CBG, sondern von einem Player, der noch recht neu in Guinea ist.
2014 wurde in Guinea die SmB Winning Group gegründet. Ein kompliziertes Konsortium, das nahezu vollständig von der China Hongqiao Group finanziert wird, einem chinesischen Staatskonzern. 2015 exportierte die SmB die erste Tonne Bauxit und 2017 hatte die chinesische Firma mit Sitz in Conakry mit 31 Millionen Tonnen pro Jahr bereits die guineische CBG überholt. Und die Exporte sollen weiter steigen. Ende 2018 kündigte die SmB an, eine Alumium-Raffinerie in Guinea zu errichten. Wird damit Guineas Traum von der eigenen Aluminiumproduktion wahr? Ja, aber aus dem Traum könnte ein Albtraum werden. Ich treffe JingJing Zhang, eine chinesische Anwältin, die Umweltsünden chinesischer Bergbaukonzerne untersucht und gerade auf einer Recherchereise durch Guinea ist. In China hat Zhang bereits mehrfach erfolgreich gegen Bergbaufirmen geklagt.
"Meine Untersuchungen zeigen, dass die Bergbauaktivitäten der SmB in Guinea gravierende Auswirkungen auf die Umwelt haben. Insbesondere gibt es eine enorme Staubproduktion, Lärm und Verschmutzung von Gewässern."
China exportiert Umweltprobleme
Zhang weiß auch, warum China auf einmal ein Interesse daran hat, in Guinea Aluminiumfabriken zu errichten: Umweltpolitik sei in China in den letzten Jahren zu einem Riesenthema geworden, die Auflagen zum Umweltschutz streng. Grund für diesen Politikwechsel in China sei die extreme Luftverschmutzung in chinesischen Großstädten gewesen. Ein Weg, die Emissionen zu reduzieren: die Aluminiumverhüttung auslagern. Denn das Verschmelzen von Aluminiumoxid zu Aluminium ist enorm energieintensiv und der dafür benötigte Strom wird vor allem in umweltbelastenden Kohlekraftwerken erzeugt.
"Jetzt versuchen chinesische Firmen, wie die SmB, die Aluminiumverhüttung in Länder wie Guinea zu verlegen, weil sie wissen, dass sie dort so ziemlich machen können, was sie wollen. Im Klartext bedeutet das: China exportiert seine Umweltverschmutzung."
Aber die Umweltverschmutzung ist nicht der einzige Grund, warum sich das Engagement der Chinesen in Guinea schließlich als wenig vorteilhaft für die lokale Bevölkerung erweisen könnte. Eigentlich gibt es in Guinea einen sogenannten "Code Minier", eine Art Grundgesetz des Bergbaus. Dieser Code Minier sieht vor, dass Guinea an jedem Bergbauunternehmen mit mindestens fünfzehn Prozent beteiligt werden soll. Damit will der Staat garantieren, dass Guinea auch von den Aktivitäten ausländischer Unternehmen profitiert. Die Gewinne sollen dann in den Ausbau von Entwicklungsprojekten investiert werden. Im Fall der SmB machte der Staat allerdings eine Ausnahme. Die Beteiligung des guineischen Staates liegt nur bei zehn statt bei fünfzehn Prozent. Wie es zu dieser Regelung kam, bleibt unklar. Klar ist aber, das Guinea zu den korruptesten Ländern der Welt zählt. Und JingJing Zhang erklärt:
"China hat zwar ein Gesetz, das die Bestechung von Politikern und Beamten im Ausland unter Strafe stellt, aber bislang ist noch nicht ein einziger chinesischer Geschäftsmann wegen Korruption im Ausland vor chinesischen Gerichten belangt worden."
Ex-CBG-Chef Kemoko Touré kennt das Prinzip nur zu gut.
"Das Gehalt eines Ministers hier ist gerade mal rund 1.000 Dollar im Monat. Jetzt kommt jemand und gibt ihm vielleicht 20.000 oder 50.000 Dollar dafür, dass er einen bestimmten Vertrag unterzeichnet. Für einen Minister in Guinea ist das richtig viel. Und so unterschreibt er einen Vertrag, der absolut nicht im Interesse seines Landes ist. Auch wenn der Staat dadurch Milliarden verliert. Das ist das Schlimme an der Korruption."
Doch es sind nicht nur nachteilhafte Verträge mit ausländischen Konzernen, bei denen die Korruption dem Land schadet. Es geht auch um das Geld, das trotz allem in die Staatskasse fließt. Abdoulaye Keita ist Journalist bei einem lokalen Radiosender in der Bergbauregion Boké und hat sich auf den Minensektor spezialisiert.
"Die Defizite in der Verwaltung reichen von der Regierung bis runter in die Lokalpolitik. Trotz aller Willensbekundungen und Reformen hat sich an den Problemen vor Ort bislang nichts verändert und der Grund dafür ist einfach die Misswirtschaft."
Gekommen, um auszubeuten
Abdoulaye Keita sieht die Lage ganz nüchtern: "Bergbaufirmen kommen nicht in ein Land, um es zu entwickeln. Sie kommen, um die Rohstoffe auszubeuten. Sie kommen, um zu produzieren und zu verkaufen. Entwicklung kommt nur durch den Staat, der seinen Teil an den Gewinnen verwaltet und reinvestiert. Und das macht Guinea einfach nicht ausreichend. Hat das Krankenhaus seine Kapazitäten erhöht, seit hier der Bergbauboom eingesetzt hat? Nein. Also, was macht der Gesundheitsminister? Hat der Umweltminister die Wiederaufforstung verstärkt oder in den Umweltschutz investiert? Nein! Hat das Energieministerium die Stromkapazitäten für die Allgemeinheit erhöht? Der Staat macht hier einfach nicht seine Arbeit."
Wie lassen sich dieses staatliche Versagen und die grassierende Korruption erklären? Einer der Gründe liegt direkt hinter Bertis Café. Dort hinter einer hohen Mauer befand sich zwischen 1961 und 1984 das berüchtigte Folterlager Camp Boiro. Hier endeten Verschwörer, Putschisten und alle, die sich irgendwie den Vorwurf einhandelten "Feinde des Volkes und der Revolution" zu sein.
Erst Kolonialherrschaft, dann Willkürregime
Guinea hatte sich 1958 per Volksentscheid von der französischen Kolonialherrschaft befreit. Alle anderen französischen Kolonien waren auf das Angebot von Präsident Charles de Gaulle eingegangen, Teil einer sogenannten "französischen Gemeinschaft" zu werden, die zwar nicht Autonomie, aber Privilegien und gute Beziehungen zum französischen Mutterland verhieß. Anders Guinea. Frankreich zahlte dem Land die Freiheitswahl heim, versuchte, den jungen Staat durch geheime Missionen zu destabilisieren. Die anderen Kolonien sollten sehen, dass sich die Unabhängigkeit nicht lohnt, dass ein Land wie Guinea ohne die Hilfe Frankreichs im Chaos versinkt. Dafür schreckte Paris nicht davor zurück, Geheimagenten ins Nachbarland Senegal zu schicken, von dort aus Waffen nach Guinea zu schmuggeln und Untergrundmilizen aufzubauen, zu trainieren und auszurüsten. Als Guinea schließlich seine eigene Währung, den guineischen Franc ins Leben rief, ließ Frankreich sogar Falschgeld drucken und nach Guinea fliegen, um die Wirtschaft Guineas in eine Inflation zu stürzen. Alles belegt durch Untersuchungsausschüsse im französischen Parlament, Briefe, Telegramme und die Memoiren Beteiligter.

Frankreich wollte den neuen Präsidenten, Sekou Touré, stürzen und der spürte das. Die Freiheit Guineas, die Revolution und Sekou Tourés Leben standen auf dem Spiel. Der Präsident deckte Komplotte auf, ließ Verschwörer verhaften, aber die Abwehr gegen die einstige Kolonialmacht mündete schon bald in Willkür. So entstand das System, das später als "sechster Kontinent" bekannt werden sollte: ein Netz von Foltergefängnissen im ganzen Land. Das größte und berüchtigtste: das Camp Boiro in Conakry. Der Historiker Djibril Tamsir Niame war einer der ersten, die im Camp Boiro interniert wurden. Er überlebte. Rückblickend sagt er:
"Es ist nicht übertrieben zu sagen: Das Camp Boiro war ein Genozid an den Intellektuellen."
Offizielle Angaben zur Zahl der Ermordeten gibt es nicht. Schätzungen gehen aber von rund 50.000 Menschen aus, die in den 26 Jahren der Herrschaft Sekou Tourés umgebracht wurden. Abbas Bah ist einer der Überlebenden des Lagers. Sieben Jahre verbrachte er im Camp Boiro.
"Jeder der eine gute Ausbildung hatte, wurde ermordet, jeder, der aus einer guten Familie kam, wurde umgebracht." Mit verheerenden Folgen.
"Es heißt immer, Guinea sei ein geologischer Skandal. Jeder Schüler lernt das. Es gibt hier Gold, Diamanten, Bauxit. Alles. Aber es braucht menschliche Ressourcen, um die Bodenschätze zu heben. Und Sekou Touré hat alle umgebracht, die dem Land dabei hätten helfen können. Ingenieure, Ärzte und Professoren. Sie alle wurden ermordet."
Die Zerstörung der intellektuellen Elite ist eine der Folgen des Camp Boiro, ein weiteres Problem ist, dass es auch später nie Gerechtigkeit gab. Die Verbrechen der Ära Sekou Touré wurden nie aufgearbeitet. Auch als es Jahre später 2009 zu einem Massaker an Demonstranten kam, verübt durch die Militärregierung, gab es keine Justizverfolgung. Das Fehlen von Gerechtigkeit habe zu einer allgemeinen Atmosphäre der Straflosigkeit geführt. Und die sei der Ursprung der Korruption, erklärt Abbas Bah.
Der Historiker Djibril Tamsir Niame kam 1961 als einer der ersten ins Camp Boiro. Porträt
Der Historiker Djibril Tamsir Niame kam 1961 als einer der ersten ins Camp Boiro. (Deutschlandradio / Benjamin Moscovici)
Ein Land in einem Sumpf aus Gestzlosigkeit?
Jeder für sich und der Staat gegen alle. Wer kann, bedient sich. Die Menschen sehen, wie internationale Konzerne mit Guineas Rohstoffen Milliarden machen und Politiker sich Gelder in die eigene Tasche stecken. Jeder weiß, dass die Polizei nicht für Sicherheit sorgt, sondern die Menschen bei jeder Gelegenheit um ihr Geld bringt, dass die Armee nicht der Verteidigung, sondern zur brutalen Vergeltung von Demonstrationen dient und vor Gericht nur ziehen sollte, wer einen Richter kennt. Das Vertrauen der Bürger in den Staat ist vollkommen zerstört. Die Menschen haben keine Nation mehr, nichts Gemeinsames, keine Idee, für die es sich lohnt, gemeinsam zu arbeiten.

Abbas Bah, selbst Opfer der Diktatur, ist überzeugt: "Solange Guinea sich nicht um eine nationale Versöhnung kümmert, solange das Land nicht über seine Vergangenheit sprich, wird sich nichts ändern. Der Staat muss seine Fehler anerkennen."
Aber davon ist Guinea noch weit entfernt. Eine kritische Aufarbeitung der Ära Sekou Tourés ist nicht in Sicht, die Gräuel des Camp Boiro werden weitgehend totgeschwiegen.
Guinea ist in vielerlei Hinsicht ein Sonderfall in der Region. Aber gleichzeitig steht das Land auch stellvertretend für vieles, was in vielen Ländern Afrikas schief läuft. Kein Kontinent der Erde ist so reich an Ressourcen und keiner gleichzeitig so arm. Die grassierende Korruption, das desaströse Bildungssystem und der totale Vertrauensverlust der Bürger in den Staat sind Phänomene, die sich in den meisten afrikanischen Ländern beobachten lassen. Das liefert das Einfallstor für internationale Konzerne, die sich mit etwas Bestechungsgeld lukrative Rohstoffrechte sichern wollen und für Staaten, die ihre Umweltsünden auslagern wollen.
Abbas Bah besucht die Überreste des Camp Boiro. Unser Begleiter war schon zu Zeiten des Camp Boiro hier stationiert. Allerdings in dem Kasernenteil, nicht in dem Gefängnisabschnitt. Von dem Horror nebenan wusste er sehr gut. Aber wenn du den Leuten helfen wolltest, bist du selbst im Camp gelandet, sagt er.
Abbas Bah besucht die Überreste des Camp Boiro (Deutschlandradio / Benjamin Moscovici)