Donnerstag, 25. April 2024

Archiv


Eine Art Pompeji der Grabstätten

Irgendwann im zweiten Jahrhundert verschüttete ein Erdrutsch am Vatikanshügel in Rom einen Friedhof. Zum Glück für die Archäologen: Denn unter dem Geröll überdauerte die Nekropole die Jahrhunderte. Während die Forscher weiter buddeln, sollen Besucher die archäologische Sensation nun bestaunen können.

Von Thomas Migge | 28.07.2012
    Giandomenico Spinola ist Chefarchäologe im Vatikan für eine der faszinierendsten antiken Grabungsstätten Roms. Bei Ausschachtungsarbeiten für den vatikanischen Autohof innerhalb des Kirchenstaates, direkt bei den Museen, stießen Bauarbeiter vor einigen Jahren auf antike Gebäudereste. Archäologe Spinola und seine Mitarbeiter begannen zu graben und staunten: Sie waren auf einen römischen Friedhof aus der Zeit zwischen dem dritten vor- und zweiten nachchristlichen Jahrhundert gestoßen. Nichts ungewöhnliches in Rom, sollte man meinen. Das aber stimmt in diesem Fall nicht.

    "Erdrutsche haben die Gräber dieser Nekropole erstaunlich gut erhalten. Das hier ist eine Art römisches Pompeji der Grabstätten. Der Monte Vaticanus, auf dem sich heute der Petersdom erhebt, war damals gefürchtet für seine Erdrutsche. Immer wenn es stark regnete, rutschte die Erde".

    Zum Glück für die Archäologen und für die Besucher. Über Stahlgitter schreitet man an und über den einzelnen Gräbern vorbei und hinweg. Es handelt sich um eine Nekropole für die Mittel- und Unterschicht und so wurden die einzelnen Grabstätten ohne irgendeinen Bebauungsplan nebeneinander errichtet, miteinander verbunden durch schmale Wege und Gassen. Archäologe Spinola vergleicht diesen Bebauungstypus mit dem einer Favela, wo jeder nach Gutdünken Gebäude errichtet, vergrößert und umbaut. In der vatikanischen Nekropole unter dem später darüber errichteten Neubau, der von riesigen Betonsäulen getragen wird, fallen zahllose bis zu vier Meter hohe Grabstätten auf. Mit Eingängen, Wandmalereien, Mosaiken und Stuckaturen.

    In dem Grab eines mit nur 17 Jahren verstorben jungen Mannes, der dem gehobenen Stand der Reiterklasse angehörte, fanden die Archäologen nahezu perfekt erhaltene Sarkophage. Auch in den Gräbern zu Geld gekommener und freigelassener Sklaven, in den Grüften antiker Postboten, Tischler und anderer Handwerker, die dank ausführlich beschrifteter Grabstelen als solche zu klassifizieren sind, wurden die Experten fündig: nicht zerstörte Urnen, Glasgegenstände, Münzen, die man den Toten bei ihre Reise ins Jenseits in den Mund legte, und andere Grabbeigaben. Neben den Grabbauten erheben sich überall, dicht an dicht, Grabstelen.

    Noch wird gegraben und restauriert: Eine Archäologin bearbeitet mit einem Reinigungslaser Stuckaturen in einem reich geschmückten Grab.Spinola will die Nekropole zugänglich machen während seine Mitarbeiter noch in den Gräbern restaurieren und buddeln. Man soll den Fachleuten bei ihrer Arbeit zuschauen können. Darüber hinaus stehen den Besuchern elf Videostationen zur Verfügung. Mit Hilfe von Touchscreens ist es möglich, die Grabstelen und Gräber von Nahem zu sehen und digital zu rekonstruieren: Per Fingerdruck erscheint die Nekropole auf dem Bildschirm im zweiten vor und dann im zweiten nachchristlichen Jahrhundert, bevor sie unter rutschendem Erdreich begraben wurde. Archäologe Spinola und seinen Mitarbeitern ist es gelungen, mithilfe eines spendablen Sponsors, der zwei Millionen Euro locker machte, nicht nur eine einzigartig erhaltene Nekropole auszugraben, sondern für den Besucher auf eine spannende Art und Weise erlebbar zu machen.