Donnerstag, 25. April 2024

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Eine aufregende Kulturdebatte

Soll Europa besorgniserregende Tendenzen in der islamischen Kultur tolerieren - oder ihnen im Namen von säkularer Demokratie und Aufklärung entgegentreten? Um diese Frage stritten sich im vergangenen Jahr Intellektuelle auf den Seiten des Online-Magazins Perlentaucher. Dabei kreiste die Debatte vor allem um zwei Personen kreiste: um die niederländische Islamkritikerin Ayaan Hirsi Ali und um Tariq Ramadan, den viele junge Muslime in Europa längst als Idol feiern. Diese grundsätzliche Debatte ist jetzt in der edition suhrkamp als Taschenbuch erschienen. Eine Kritik von Dorothea Jung.

03.12.2007
    2. November 2004. Mohammed Bouyeri, ein junger Niederländer marokkanischer Herkunft streckt den Filmemacher Theo van Gogh mit mehreren Schüssen auf offener Straße nieder. Anschließend schneidet er dem Toten die Kehle durch und heftet eine Botschaft an seine Brust. Darin ruft er zum Mord an Ayaan Hirsi Ali auf. Die in Somalia geborene Politikerin hatte gemeinsam mit Theo van Gogh einen islamkritischen Film gedreht. Bouyeris Botschaft schloss mit den Worten:

    Ich weiß, oh Amerika, du wirst untergehen.
    Ich weiß, oh Europa, du wirst untergehen.
    Ich weiß, oh Fundamentalisten des Unglaubens,
    ihr werdet untergehen.


    Es ist die Formulierung vom 'Fundamentalismus des Unglaubens', die den britischen Historiker Timothy Garton Ash nachdenklich macht. Seiner Meinung nach liegt der Mörder nicht völlig falsch, wenn er im Fundamentalismus des Unglaubens seinen europäischen Feindestypus ausmacht. Garton Ash erinnert er an die Erfahrungen, die Ayaan Hirsi Ali in ihrer Jugend mit dem islamischen Fundamentalismus gemacht hat. Hirsi Ali selbst hat die Faszination beschrieben, die einst die Ideologie der Muslimbruderschaft für sie hatte. Sie bekennt in ihrer Rede zum Karikaturenstreit, die den Diskussionsbeiträgen im vorliegenden Suhrkamp-Band vorangestellt wurde:

    Ich war einst den vom Propheten Mohammed niedergelegten Gesetzen treu. 1989, als Khomeini zur Ermordung Salman Rushdies aufrief, weil er Mohammed beleidigt habe, fand ich, er habe recht. Jetzt glaube ich das nicht mehr.

    Jetzt, so Hirsi Ali, glaube sie, dass Mohammed im Irrtum war, als er seine Ideen über das kritische Denken stellte, die Frau dem Mann unterordnete und sagte, dass Glaubensabtrünnige und Schwule getötet werden sollen. Jetzt, so konstatiert Historiker Ash, sei Hirsi Ali von einem Extrem ins andere gefallen. Sie sei heute eine mutige, etwas schlicht argumentierende Fundamentalistin der Aufklärung. Und er fährt fort:

    Das macht sie zur Heldin für viele säkulare europäische Intellektuelle, die selbst Fundamentalisten der Aufklärung sind. Sie glauben, dass nicht nur der Islam, sondern jede Religion eine Beleidigung der Intelligenz und Verkrüppelung des menschlichen Geistes darstellt. Die Mehrheit von ihnen ist der Ansicht, dass ein ganz und gar auf säkularen Humanismus gegründetes Europa ein besseres Europa wäre.

    Die Frage, ob sie Recht haben oder nicht ist für Timothy Garton Ash weniger wichtig als die Frage, ob diese Haltung eine friedliche Koexistenz zwischen traditionellen Europäern und muslimischen Einwanderern befördern kann. Denn der Autor ist sicher: In Zukunft wird es bedeutsam sein, dass sich muslimische Europäer in ihren Ländern zu Hause fühlen. Ayaan Hirsi Alis Rückzug aus der Religion könne kein Vorbild für alle Muslime in Europa sein. Damit sich Muslime in Europa heimisch fühlen können, empfiehlt Garton Ash, den Rat von Muslimen zu suchen, die zwischen europäischen Gesellschaftsmodellen und dem islamischen Fundamentalismus vermitteln können. Garton Ash hält den Islamwissenschaftler Tariq Ramadan für einen geeigneten Mann. Genau wie der niederländische Publizist Ian Buruma. Der notiert:

    Ramadan offeriert einen anderen Weg, indem er darauf beharrt, dass ein vernunftgeleitetes, aber eben auch traditionalistischeres Verständnis des Islam Werte hervorbringt, die ebenso universell sind wie jene der europäischen Aufklärung. Soweit ich ihn verstanden habe, sind die Werte zwar weder säkular noch generell liberal; aber sie sind auch nicht Teil eines Heiligen Krieges gegen die westlichen Demokratien.

    Nachdem Garton Ashs Aufsatz über Ian Buruma und den Islam in Europa im 'New York Review of Books' erschienen ist, wittert das Online-Magazin 'Perlentaucher' Chancen für eine aufregende Kulturdebatte. Das Magazin bittet den französischen Schriftsteller Pascal Bruckner um einen Beitrag. Thema: Der Fundamentalismus der Aufklärung. Und Pascal Bruckner zieht blank. Und zwar nicht mit dem Florett, sondern mit argumentativen Keulenschlägen. Bruckner beschimpft Garton Ash als Apostel des Multikulturalismus. Die Botschaft des Historikers sei eine Art "Rassismus des Antirassismus". Darin habe der Respekt vor dem Islam mehr Gewicht als die Freiheit und die Menschenrechte der Muslime.

    Wer schüchtern daran erinnert, dass Freiheit unteilbar ist, dass ein Menschenleben überall denselben Wert besitzt, dass die Amputation der Hand eines Diebes oder die Steinigung einer ehebrüchigen Frau nirgendwo geduldet werden können, wird im Namen der notwendigen Gleichheit der Kulturen zurechtgewiesen. Wie die anderen leben und leiden, wenn man sie erst einmal in das Ghetto ihrer Eigentümlichkeit eingepfercht hat, darum soll man sich nicht scheren?

    Bald diskutieren im Perlentaucher-Magazin Autoren aus ganz Europa. Der Diskurs wird vor allem deswegen leidenschaftlich geführt, weil mit Ayaan Hirsi Ali und Tariq Ramadan zwei vollkommen gegensätzliche Positionen zum europäischen Islam deutlich werden. Hirsi Ali stellt die Religion selbst in Frage - und Tariq Ramadan behauptet, der Islam sei in den Westen integrierbar. Wobei Zweifel bestehen, ob er nicht vielleicht doch eher den Westen in den Islam integrieren will. Es müsse aber möglich sein, den Islam an sich in Frage zu stellen, fordert zum Beispiel die Kolumnistin der Zeitschrift Merkur, Ulrike Ackermann in der Online-Debatte. Die Einstellung Burumas und Garton Ashs zum Islam erinnert sie an die Haltung der westeuropäischen Linken gegenüber dem Kommunismus.

    Der Vorbehalt vieler westlicher Intellektueller gegenüber den ost-mitteleuropäischen Dissidenten gründete nicht zuletzt darin, dass sie ja nur für so genannte bürgerliche Freiheiten kämpften. Viele träumten damals noch vom 'dritten Weg' zwischen Kapitalismus und Kommunismus. Bis in den Sprachgebrauch hinein liegt die Analogie nahe: Die Stalinismuskritik war damals hoffähig, aber der Kommunismus als solcher wurde mit Samthandschuhen angefasst; heute ist die Islamismuskritik 'common sense', aber der Islam darf nur maßvoll kritisiert werden.

    Was denn aber der angemessene Weg ist, mit dem Islam in Europa umzugehen, diese Erkenntnis bleibt die Perlentaucher-Debatte schuldig. Denn es fehlen Stimmen, die sorgsam und ohne Polemik die Vereinbarkeit von Islam und Demokratie untersuchen. Auch wenn zum Schluss der in Damaskus geborene Deutsche Politikwissenschaftler Bassam Tibi die Bedingungen nennt, innerhalb derer der Islam europäisch werden kann:

    Der Islam kann nur dann europäisiert werden, wenn Konzepte wie etwa Schari'a und Djihad sowie die Vision einer Islamisierung durch die Missionierung - aufgegeben werden. Nur ein Islam, der in Einklang mit den Grundinhalten der kulturellen Moderne (Demokratie, individuelle Menschenrechte, Zivilgesellschaft, Pluralismus) steht und die Werteorientierung des Pluralismus annimmt, verdient es, als Euro-Islam bezeichnet zu werden.

    Bei aller Abstraktheit ist der Disput, den der vorliegende Band dokumentiert, nicht zuletzt wegen der Schärfe, mit der er geführt wurde, anregend zu lesen. Doch mit der Emotionalität kommt dem Diskurs leider auch die sachliche Differenzierung abhanden, die er eigentlich nötig hat. Der Suhrkamp-Verlag hätte gut daran getan, Autoren zu finden, die die Perlentaucher-Arbeiten durch bedachtsame Beitrage ergänzen. Autoren, für die der Begriff der Aufklärung nicht nur ein Instrument politischer Polemik ist, sondern auch ein Weg, das Fremde zu verstehen und mit ihm in Beziehung zu treten.

    "Islam in Europa. Eine internationale Debatte" - so der Titel des Taschenbuches, herausgegeben von Thierry Chervel und Anja Seeliger, erschienen in der edition suhrkamp, 227 Seiten für Euro 10,00.