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Eine aussterbende Spezies

Bei Suhrkamp streiten sich die Verlegerwitwe Ulla Unseld-Berkewicz und Minderheitengesellschafter Hans Barlach um das Sagen im Verlag. Angesichts dessen wünschen sich nicht nur die Autoren Verlegerpersönlichkeiten vom Schlage des Verlagsgründers Peter Suhrkamp oder seines Nachfolgers Siegfried Unseld zurück.

Von Jürgen König | 11.02.2013
    1950 beschrieb der Verleger und Autor Max Tau, der in den 30er-Jahren Lektor bei Bruno Cassirer gewesen war, in seiner Dankesrede für den ersten Friedenspreis des deutschen Buchhandels, die Aufgabe des Verlegers so:

    "Was aber können die Verleger tun? Von hier aus geht der Ruf an alle jungen Menschen aller Nation: Wir möchten so gerne, dass die Jugend zu den Gelehrten ihres Landes geht, um zu erfahren, welche Werte das Leben hat. In jedem Land sollen die jungen Menschen das Märchen ihres Lebens schreiben, die Eigenart der Anschauung, die Melodie der Muttersprache soll das Hohelied vom Leben singen."

    "Der Jugend die Werte des Lebens vermitteln" – das war auch ganz im Sinne des Verlegers - und Volkspädagogen - Peter Suhrkamp, bei dem auch der heutige Verleger Klaus Wagenbach in die Lehre ging:
    "Ich habe aber den alten Suhrkamp erlebt, und das war ein äußerst eindrucksvoller Mann. Ganz mager, er hatte eine KZ-Einbuchtung mühsam überlebt, sehr deutsch, sehr protestantisch; der war so was von norddeutsch, das ging einem ein bisschen auf die Nerven, aber ganz ernsthaft, gescheit, freundlich. Der hat einmal den Geschäftsführer des Suhrkamp-Verlages draußen warten lassen, weil er dem Lehrling erklären wollte – 1950! – wie ein Verlag funktioniert! Da musste der Geschäftsführer warten, Lehrling war wichtiger! Er war ein guter Pädagoge, will ich damit sagen."

    Sein Verlegertalent beschrieb Peter Suhrkamp tatsächlich sehr "norddeutsch".

    "Ich glaube, dass es eine Begabung bei mir gibt, die Begabung, das, was auf Blättern geschrieben da ist, auf einem ganzen Konvolut von Blättern, in eine plastische Gestalt zu übersetzen, in die Buchgestalt. "

    Literarisch wertvolle Bücher für die Jugend wollte auch Ernst Rowohlt machen; für sie erfand er das Taschenbuch. 1.50 Mark kostete ein Band der rororo-Reihe, die sofort erfolgreich war. Ernst Rowohlt:

    "'"Es kommt darauf an, gute, verhältnismäßig billige Bücher, die einigermaßen hergestellt sind, für die Jugend zu beschaffen.""

    Reporter:
    "Was hat diese Bücher denn eigentlich so sehr billig gemacht, Herr Rowohlt?"

    Ernst Rowohlt:
    "Wir drucken die Bände im Rotationsdruck, allerdings auf aufgebessertem Zeitungspapier und lassen sie im Lumbeckverfahren binden. Das garantiert eine große Haltbarkeit des Rückens, die Bücher liegen flach auf, und da der deutsche Bücherkäufer stets gern Halbleinenbände haben will, haben wir auch einen Halbleinenrücken angewandt."

    Siegfried Unseld, der jahrzehntelang das Haus Suhrkamp führte, er wollte den Studenten kritische Theorie und zeitgenössische Literatur nahebringen, auch er ein Anreger und Sichaufreger und: ein glänzender Geschäftsmann. Der sich - nach Rowohlts Vorbild – auch eine Taschenbuchreihe ausdachte, die "Edition Suhrkamp", was Hans Magnus Enzensberger den "intellektuellen Ausverkauf des Hauses Suhrkamp" befürchten ließ, Max Frisch fragte brieflich an, ob es "Suhrkamp demnächst auch in Dosen oder gar als Brotaufstrich" geben werde. Doch Siegfried Unseld blieb stur – auch das eine Verlegerqualität:

    "Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass ich diese Idee dieser Reihe gegen Autoren durchsetzen musste. Es gibt also ein Foto, wo wir im Hause von Martin Walser am Bodensee im Garten diese Runde mit Uwe Johnson, mit Martin Walser, mit Hans Magnus Enzensberger, Walter Boehlich, Karl Markus Michel und diese damaligen Berater von mir: Sie waren alle eigentlich dagegen, dass der Suhrkamp-Verlag das machen sollte. Und erst nach zweitägigen Debatten hat dann Walser bestimmt, "also nun, wenn er sich ruinieren will, dann soll er das machen."

    Dieser Typus des Verlegers ist ausgesprochen selten geworden. Michael Krüger, der den Hanser-Verlag groß machte, fällt einem ein – und natürlich Klaus Wagenbach. Der Markt hätte sich völlig verändert, erzählt er und lacht nur noch über die horrenden Vorschüsse, die Agenten für ihre Autoren fordern – und bekommen.

    Klaus Wagenbach:
    "Jeffrey Archer zum Beispiel, ein Autor, den kein Schwein kennt: eine Million Dollar Vorschuss. Der Agent lacht natürlich. Dann kommt so ein Titel ins Programm, dann muss eine Riesenwerbung gemacht werden, das ist sehr schädlich für den Umgang mit Literatur. Weil diese Titel, die dann hoch eingekauft worden sind, die müssen das ja unbedingt bringen. Dann werden sie in die Buchhandlungen reingeschoben und kommen drei Monate später wieder zurück inzwischen verstopfen sie aber alles der Buchmarkt ist manchmal so eine gigantische Verstopfung, wenn man es heiter sieht, da hat aber noch keiner ein Abführmittel gefunden. (Lacht.)!"

    Die Zeiten großer Verlegerpersönlichkeiten scheinen vorbei zu sein, die Zeiten großer Verlage – nicht: findet Klaus Wagenbach und meint, in Anspielung auf den aktuellen Streit innerhalb der Gesellschafter des Suhrkamp-Verlages:

    Klaus Wagenbach:
    ""Ich bin überzeugt davon, dass der Suhrkamp-Verlag weiter existieren wird. Das ist ein bedeutender Verlag, der geht nicht einfach unter. Das ist eine falsche Vorstellung."