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"Eine durcherzählte Geschichte"

Mittelerde heißt das Land von J.R.R. Tolkiens "Der Hobbit" und "Der Herr der Ringe". Doch vor den Zeiten, in denen diese beiden Romane spielen, gab es schon das Erste Zeitalter in Mittelerde. Und dort ereignen sich die Geschichten um die "Kinder Húrins". Morgen erscheint "Die Kinder Húrins" in Großbritannien, in den USA und in Deutschland.

Moderation: Christoph Schmitz | 16.04.2007
    Christoph Schmitz: Frage an den Übersetzer und Tolkien-Experten Helmut Pesch: "Die Kinder Húrins" - das erste Mal komplett, heißt es im Verlag Klett-Cotta. Was war bisher in Teilen und in welchen Publikationen bisher schon erschienen?

    Helmut W. Pesch: Teile des Materials sind bereits bekannt. Sie sind erschienen in den Bänden "Das Simarillion" und "Nachrichten aus Mittelerde". Nur diese Bücher haben einen etwas eigenartigen literarischen Status. "Das Simarillion" ist die große Sammlung und Zusammenfassung von Tolkiens Legenden aus dem ersten Zeitalter, aber es hat nicht die Unmittelbarkeit der Erzählung wie zum Beispiel "Der Herr der Ringe". Tolkien hat zwischen 1917 und 1936 zunächst daran gearbeitet, bis er dann die Arbeit am "Herrn der Ringe" aufnahm. Und als das Buch dann fertig war 1955, warf er sich wieder mit neuem Elan auf die alten Geschichten und hat eben versucht, einige von diesen Geschichten, unter anderem die Geschichte der Kinder Húrins als Roman komplett neu zu fassen.

    Schmitz: Die aber dann doch nicht neu gefasst worden sind. Die lagen bisher in Fragmenten nur vor eingebettet in bisherige Editionen, in das von Ihnen bereits erwähnte "Silmarillion" und "Nachrichten aus Mittelerde". Warum fragmentiert dort?

    Pesch: Ja, Tolkien hat es nie geschafft, diese Geschichte wirklich zu Ende zu bringen. Das, was er in der Folge des "Herrn der Ringe" geschrieben hat, ist im Wesentlichen in "Nachrichten aus Mittelerde" erschienen. Aber diese Geschichte hat zum einen größere Lücken, und zum anderen ist sie natürlich ein herausgegebener Text, mit Kommentaren des Herausgebers, mit Verweisen auf andere Texte, aber keine zusammenhängende Erzählung. Zwischenzeitlich hat Christopher Tolkien die Manuskripte seines Vaters in zwölf dickleibigen Bänden herausgebracht. Und aus dieser Kenntnis des Werkes, die natürlich eine ganz andere ist als damals 1980, hat er jetzt sich diesen Text noch einmal vorgenommen.

    Schmitz: Was ist also neu an den Kindern Húrins?

    Pesch: "Die Kinder Húrins" sind eine der großen Geschichten aus dem ersten Zeitalter, und es ist eine der Geschichten, die Tolkien gerne als eigenständige Publikation, als eigenständigen Roman sehen wollte. Christopher Tolkien ist nun zu der Überzeugung gelangt, dass das Material, so wie er es nun gesichtet hat, dazu ausreicht, diese Geschichte als geschlossenen Text für die Leser von heute neu herausgeben.

    Schmitz: Hat er selbst dazu geschrieben, Christopher Tolkien?

    Pesch: Er hat Überleitungen geschrieben, wie er sagt, aber er sagt, nichts an diesem Text ist mein Werk, es ist alles das Werk meines Vaters.

    Schmitz: Ist das ein durchgehend lesbarer Text oder merkt man, dass es aus Fragmenten zusammengesetzt worden ist?

    Pesch: Es ist natürlich künstlich insofern, als einige dieser Teile aus früheren Stadien kommen, aber es ist ein durchgehend lesbarer und durcherzählter Text.

    Schmitz: Warum erst jetzt diese Rekonstruktion?

    Pesch: Weil halt die Kenntnis des Werks von Tolkien, auch bei seinem Sohn, eine ganz andere ist als noch vor 25 oder 30 Jahren. Die Manuskriptlage bei Tolkien ist sehr schwierig. Er hat seine Manuskripte immer wieder umgeschrieben, zum Teil drübergeschrieben, und jetzt erst war es offensichtlich möglich, nachdem das Ganze eben herausgegeben vorlag, daraus eben die ursprüngliche Intention des Autors zu erfüllen.

    Schmitz: Sie haben diesen Text übersetzt. Was zeichnet ihn aus gegenüber anderen Publikationen, dem großen "Ringberg" beispielsweise oder den von Ihnen bereits erwähnten Sagen-Sammlungen?

    Pesch: "Das Simarillion" ist ein sehr sperriger Text, weil es ursprünglich aus einer Zusammenfassung entstanden ist. Es hat nicht die Unmittelbarkeit des "Herrn der Ringe". Es ist eine Geschichte von einem ganz anderen Charakter als der "Herr der Ringe", insbesondere weil es eine tragische Geschichte ist - was bei Tolkien sehr ungewöhnlich ist - und es sind auch durchaus gebrochene Figuren. Túrin ist kein strahlender Held. Er verarbeitet dort Mythologien, Sagen und Legenden, aber er tut es eben auf seine eigene Art wie auch im "Herrn der Ringe". Insofern ist die Geschichte durchaus vergleichbar.

    Schmitz: Welche Gemeinsamkeiten gibt es denn mit dem "Herrn der Ringe"

    Pesch: Es ist wie "Der Herr der Ringe" ein Kampf Gut gegen Böse, ein Kampf gegen eine Macht, die letztlich nicht zu besiegen ist. Aber was Tolkiens Grundeinstellung war, ist, dass es sich trotzdem immer lohnt, nicht aufzugeben, sondern weiterzukämpfen.

    Schmitz: Was war denn Ihre Maßgabe, um einmal über die Sprache zu reden beim Übersetzen? Haben Sie sich an schon vorhandene Übersetzungen ins Deutsche angelehnt wie die von Wolfgang Krege oder hat man hier einen ganz anderen sprachlichen Duktus, andere Übersetzungsmöglichkeiten als die bisher bekannten?

    Pesch: Der Text in "Nachrichten aus Mittelerde" war übersetzt von Hans J. Schütz, und diese Übersetzung ist zugrunde gelegt worden, aber sie wurde von mir zunächst einmal dem Originaltext wieder angenähert und dann komplett überarbeitet und ergänzt. Das heißt, alles das an Material, was bereits in irgendeiner Form vorlag, wurde zum Teil in Fragmenten herangezogen, aber daraus wurde dann in mehreren Arbeitsgängen eine durcherzählte Geschichte, auch im Deutschen.