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"Eine Enthaltung zählt weder zur Minderheit noch zur Mehrheit"

Angesichts der durch den Erfolg der Linkspartei veränderten Parteienlandschaft in Bund und Ländern hat der SPD-Politiker Klaus von Dohnanyi eine Grundgesetzänderung hinsichtlich der Stimmen, die im Bundesrat abgegeben werden, gefordert. Künftig sollten Enthaltungen in dem Gremium nicht mehr als Nein-Stimmen gewertet werden. So würde man in Zukunft einer denkbaren Blockadepolitik durch Mehrparteien-Koalitionen in den Ländern vorbeugen können, sagte von Dohnanyi.

Moderation: Elke Durak | 06.03.2008
    Elke Durak: Spätestens nach den Wahlen in Hessen, aber auch in Hamburg ist klar: Deutschlands Parlamente werden bunter, die Parteienlandschaft vielfältiger. SPD und Union haben zunehmend Mühe, Regierungsmehrheiten zusammen zu bekommen. Wohin das führen könnte, hat jetzt der frühere Bundespräsident Roman Herzog ausführlich in der "Süddeutschen Zeitung" dargelegt und er hat auch Vorschläge. Er befürchtet im Prinzip Unregierbarkeit durch Minderheitsregierungen - auch im Bund -, die mit nicht zu vertretender außenpolitischer Schwäche einher ginge. Deshalb müsse das Grundgesetz im Wahlrecht geändert werden. Für die Länderkammer sieht er ganz dringenden Handlungsbedarf, um ihr die Blockademöglichkeit für zustimmungspflichtige Gesetze zu nehmen, das ganze auch etwas klarer zu gliedern. Der Bundesrat sollte künftig mit einfacher Mehrheit von Ja-Stimmen über Nein-Stimmen beschließen können. Zurzeit werden ja Enthaltungen von Koalitionsregierungen wie Nein-Stimmen gewertet und das erschwert die ganze Angelegenheit. Roman Herzog dürfte einen großen Stein ins politische Wasser gestoßen haben, denn dies ausgerechnet jetzt anzuregen, da die großen Parteien Schwierigkeiten durch die Linke bekommen, fällt doch ein wenig auf. Ich will darüber mit einem erfahrenen SPD-Politiker sprechen, der im Übrigen was die Linke und seine Partei betrifft klare Kante gezeigt hat: Klaus von Dohnanyi. Er war lange Jahre Erster Bürgermeister in Hamburg und hat viele andere politische Ämter inne gehabt. Schönen guten Tag Herr von Dohnanyi!

    Klaus von Dohnanyi: Guten Tag Frau Durak!

    Durak: Ich provoziere. Soll aus Angst vor den Linken das Grundgesetz, das Wahlrecht geändert werden?

    von Dohnanyi: Nein. Das ist sicherlich nicht eine Frage der Angst vor den Linken, sondern eine Frage der großen Zahl von Parteien, die wahrscheinlich zukünftig in den Landes- und vielleicht auch eines Tages in der Bundesregierung sich niederschlagen werden. Das heißt also es kommt darauf an zu sehen, ob wir mit den gegenwärtigen Wahlverfahren handlungsfähig sein können, und zwar so handlungsfähig, wie wir unter den beschleunigten Bedingungen der Globalisierung sein müssen.

    Durak: Bisher ist ja, was den Bund betrifft - und das meint wohl Herr Herzog hauptsächlich -, mit einem Fünf-Parteien-System zu rechnen und er nennt das eben eine fundamentale Veränderung unseres Regierungssystems. Ja und?

    von Dohnanyi: Na ja, es ist sicher richtig, dass es mehr als drei Parteien oder auch vier Parteien in eigentlich allen europäischen Ländern gibt, die mit dem Verhältniswahlrecht wählen. Aber es sind alles Länder, die kein föderales System haben, und es sind zum großen Teil auch sehr viel kleinere Länder als wir. Insofern weist Herr Herzog mit Recht aus meiner Sicht auf das hin, was wir im Konvent für Deutschland, wo er der Vorsitzende ist und ich bis zum Januar dieses Jahres Stellvertreter war, diskutiert haben. Wir haben dort seit vielen Monaten über dieses Thema diskutiert und wollten es jetzt noch mal wieder aufnehmen.

    Durak: Das heißt Sie stehen voll und ganz hinter dem, was Herr Herzog vorschlägt?

    von Dohnanyi: Ich stehe insbesondere hinter dem, was ich selber im Konvent vorgeschlagen habe und auf das Herr Herzog sich jetzt bezieht, nämlich auf die Frage der Veränderung des Grundgesetzes hinsichtlich der Stimmen, die im Bundesrat abgegeben werden. Dort heißt es gegenwärtig im Grundgesetz, es muss mindestens mit der Mehrheit der Stimmen des Bundesrats abgestimmt werden, wenn man eine Zustimmung haben will. Das heißt wenn man Enthaltungen hat aufgrund von Länderpositionen und es dann nicht mehr für eine Mehrheit der Stimmen des gesamten Bundesrates reicht, dann gibt es keine Zustimmung mehr. Da die Länder in ihren Koalitionen in der Regel vereinbaren, wenn wir uns bei uns in der Regierung nicht einigen können über die Frage der Abgabe der Stimme im Bundesrat, dann werden wir uns eben enthalten. Das war relativ einfach, solange man mit wenigen Parteien zu rechnen hatte. Wenn man mit vielen Parteien in den Ländern zu rechnen hat, wird das ein ganz großes Problem. Deswegen habe ich dem Konvent für Deutschland vor ein paar Wochen ein Papier vorgelegt, in dem ich gesagt habe, wir müssen das ändern. Herr Herzog nimmt das jetzt auf.

    Durak: Darüber freuen Sie sich, Herr von Dohnanyi. Muss deshalb das Grundgesetz geändert werden, was den Bundesrat jetzt betrifft, oder ist das nicht schon drin?

    von Dohnanyi: Es muss geändert werden, weil im Bundesrat heißt es, es muss mindestens mit der Mehrheit der Stimmen. Wenn man aber sich in den Ländern darauf einigt, dass wenn etwa drei Parteien existieren... Zum Beispiel könnte ich mir vorstellen, wenn es in Hessen dazu kommt, dass Frau Ypsilanti sich wählen lässt und wir dann eine indirekte Beteiligung auch der neuen Linken an dieser Regierung haben, dass dann die neue Linke zum Beispiel die Forderung stellt, wenn ihr im Bundesrat einer Sache zustimmen wollt, dann bedarf das auch unserer Zustimmung. Wenn das passiert, dann kriegen wir die neue Linke in faktisch allen wichtigen ökonomischen Fragen als Blockade für die Stimme von Hessen im Bundesrat. Wenn dann die Stimme von Hessen im Bundesrat fehlt, dann kann es dazu kommen, dass wir keine Mehrheit dort mehr bilden können. Dann haben wir sozusagen eine Blockadesituation, die sich einfach aus der Struktur des Bundesrates ergibt, und das darf nicht sein.

    Durak: Also ist die Linke und ihr Eindringen in die Parlamente und die Folgen eher ein Auslöser oder doch nicht auch ein Grund?

    von Dohnanyi: Es ist insofern ein Auslöser, wenn Sie so wollen, als fünf Parteien in den Ländern mehr sind als vier und die Wahrscheinlichkeit, dass sie jetzt Dreierkoalitionen in den Ländern bilden müssen, dadurch größer wird. Und wenn sie Dreierkoalitionen haben, dann gibt es immer eine Partei mehr in der Koalition, die sagen kann nein, nein, da will ich im Bundesrat nicht zustimmen, also bitte Enthaltung. Da eine Enthaltung ja eigentlich keine Entscheidung, aber aufgrund der Mechanismen im Bundesrat wie eine Nein-Stimme wirkt, muss dieser Punkt nach meiner Meinung geändert werden. Das war mein Vorschlag und ich denke das muss auch gemacht werden.

    Durak: Das ist kein Verbiegen des Wählerwillens, der ja Die Linke gewählt hat?

    von Dohnanyi: Nein, nein! Das ist in keiner Weise so. Das ist einfach eine Feststellung, dass es nicht reicht, wenn in den Ländern Parteien sagen, da können wir uns nicht entscheiden, also sagen wir gar nichts, sondern da muss man einen Weg finden, in dem die Länder sich wirklich entscheiden. Das kann man nur feststellen, indem man ja oder nein stimmt. Deswegen muss es im Grundgesetz zukünftig aus meiner Sicht auf jeden Fall heißen, es gilt die Mehrheit im Bundesrat, und eine Enthaltung zählt weder zur Minderheit noch zur Mehrheit, sondern ist keine Stimmabgabe.

    Durak: Herr von Dohnanyi Sie haben ausdrücklich gesagt, bei diesem Punkt - dem Bundesrat - stimmen Sie Herrn Herzog sehr zu. Also höre ich heraus: bei anderen Dingen vielleicht nicht. Wie sieht es denn aus mit Minderheitsregierungen, die da drohen? Das beschreibt ja keine absoluten Mehrheiten mehr für einfache Koalitionen. Wo ist denn dort die Gefahr?

    von Dohnanyi: Ich bin seit langem ein Anhänger des Mehrheitswahlrechts immer gewesen, schon als das von einer frühen Großen Koalition in den 60er Jahren beabsichtigt war, aber nicht durchgesetzt wurde. Es wird sehr, sehr schwierig sein, das zu verändern, obwohl es dazu keiner Grundgesetzänderung bedarf, sondern nur einer Mehrheit im Bundestag, weil der Bundestag sein eigenes Wahlrecht mit Mehrheit beschließen kann. Aber ich fürchte da wird auf absehbare Zeit wenig zu Stande kommen. Im Prinzip führt ein Mehrheitswahlrecht und eine Direktwahl von Bürgermeistern oder eine Direktwahl von Ministerpräsidenten aus meiner Sicht sowohl zu einfacheren Verhältnissen als auch zu besserem Personal, weil dann die Leute, die dort sich zur Wahl stellen, eben nicht in erster Linie auf ihren Listenplatz schielen müssen, sondern sich selber in der Verantwortung viel klarer positionieren müssen.

    Durak: Wie kommen wir denn aus dem Dilemma heraus, Herr von Dohnanyi, dass die Bundestagsabgeordneten sich selbst sozusagen von der Landesliste nehmen, indem sie Landeslisten beseitigen würden, also das Mehrheitswahlrecht einführen?

    von Dohnanyi: Ja, das ist ein großes Problem. Das war ja auch 1968/69 das große Problem. Beide Parteien haben angefangen zu rechnen "wer kriegt denn jetzt dann die Mehrheit der Wahlkreise?" und haben dann aufgegeben. Irgendwann müsste Deutschland eigentlich den Mut haben zu sehen, wie sich Frankreich entwickelt hat, und ich bin ganz mit Professor Herzog einer Meinung, dass das französische Wahlsystem wahrscheinlich ein besseres System ist. Aber ich würde nicht darauf setzen, dass wir das in absehbarer Zeit kriegen. Also ist meine Priorität - und das war auch mein Antrag im Konvent für Deutschland - eindeutig zunächst mal zu sehen, dass wir diese sinnlose Regel "eine Enthaltung ist eine Nein-Stimme" wegkriegen und dadurch wenigstens den Bundesrat wieder entscheidungsfähig machen, wenn eine große Zahl von Parteien sich in den Länderregierungen niederschlägt.

    Durak: Danke schön! - Klaus von Dohnanyi war bei uns im Interview, SPD-Politiker, ehemals auch Erster Bürgermeister in Hamburg. Herr von Dohnanyi, danke für das Gespräch!