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Eine erbarmungslose Groteske

An Arbeitslosen herrschte in letzter Zeit kein Mangel auf deutschen Bühnen. Eine Unzahl von Stücken über Hartz-IV-Empfänger, Prekarier und Globalisierungs-Erniedrigte lief an deutschen Theatern. Die Welle scheint noch nicht ganz abgeebbt, denn in Senftenberg in der Niederlausitz wurde gerade eine Bühnenfassung von Joachim Zelters Roman "Schule der Arbeitslosen" uraufgeführt.

Von Hartmut Krug | 02.12.2007
    Die zeitweilig intensive Beschäftigung deutschsprachiger Theater mit unserer prekären Arbeitswelt begann mit Urs Widmers "Top Dogs" auf der Königsebene. Nach den von den Überhitzungen der New Economy betroffenen Managern kamen in Rolf Hochhuths "McKinsey kommt" die Unternehmensberater ins kritische Visier, bis in Volker Löschs Dresdner Weber-Version die Arbeitslosen ihre Erfahrungen, Beschwerden und Wünsche chorisch selbst auf der Bühne verkündeten.

    Zwei Spielzeiten lang gab es eine Fülle von Stücken, die von Arbeitslosigkeit und Hartz IV sprachen und sangen, sogar etliche Liederabende und Musicals spielten in Arbeitsagenturen. Mittlerweile aber beherrschen wieder die antiken Klassiker die Bühnen, in deren alten Texten die neuen Erfahrungen sich spiegeln sollen. Wenn jetzt gleich zwei Theater, die Bühnen von Osnabrück und Senftenberg, gestern das Thema Arbeitslosigkeit mit der Bühnenversion von Joachim Zelters Erfolgsroman "Schule der Arbeitslosen" zur so genannten "Ring"-Uraufführung brachten, muss diese besondere Qualitäten besitzen:

    "Ich habe selten ein Stück gelesen, wo so klar wird, dass Arbeitslosigkeit eben kein Charakterfehler ist, sondern ein Strukturproblem der Gesellschaft. Und das habe ich bei "Top Dogs" zum Beispiel nicht gesehen, da war es ja ohnehin auch auf so einer Königsebene angesiedelt, und auch bei anderen Stücken, die sich mit Arbeitslosigkeit befassen, die das dann oft aus so einer liebenswerten Ernsthaftigkeit eher zu melancholisch gestaltet haben, die Depression, die damit zusammen hängt, - ist hier gelungen, dass jemand mit recht bissigem Humor in die ganze Sprachwelt hinein schaut und hört und dafür eine Übersetzung gefunden hat."

    Intendant Sewan Latchinian hat Joachim Zelters "Schule der Arbeitslosen", in der die schöne neue Welt des Jahres 2016 als erbarmungslose Groteske gezeigt wird, an der Neuen Bühne Senftenberg selbst in Szene gesetzt. Arbeitslosigkeit wird in dieser negativen Utopie durch Trainingslager bekämpft, in denen die Arbeitslosen sich neu erfinden müssen. Die hier Eingesperrten sind als Trainees Arbeitsmaterial von Trainern und Psychologen. Sie leben in Gemeinschaftsschlafsälen und verpflegen sich aus Automaten. Menge und Qualität des Essens werden bemessen nach dem Grad ihres Funktionierens. In Kursen wird mit allen Mitteln, bis zur Gehirnwäsche, versucht, die Menschen umzumontieren (Orwell und Huxley lassen grüßen). Als neue Menschen sollen sie sich nicht mehr über ihre Erfahrungen und Wünsche definieren, sondern nur noch über die Bedürfnisse des Arbeitsmarktes. Der Mensch: eine Wunsch-Konstruktion des Marktes, nicht mehr ein Individuum mit gewachsener Identität.

    Sewan Latchinian entwickelt Zelters düstere gesellschaftliche Horrorvision aus einem spielerischen und partiell komödiantischen Realismus heraus, der den Identitätsverlust der Menschen umso schmerzhafter wirken lässt.

    In der Studiobühne sitzt das Publikum ganz nah an einem klaustrophobischen Spielort, der von in mehreren Reihen übereinander gehängten Kleidern umgeben ist. Die wie bei einer Reinigung in Plastik verpackten Kleidungsstücke (Bühnenbild Tobias Wartenberg) versinnlichen auf bedrückende Weise die weggehängte Identität der in gleichmacherische orangene Anstaltskleidung gesteckten Trainees.

    Wenn Inga Wolff als Karla, 33jährige Floristin, bebrillt, schmal und scheinbar unscheinbar, sich als erste schüchtern hineinzwängt in den Raum und von ihrer Hoffnung aufs Lager erzählt, sich und uns dabei staunend beschwört, äußerlich gehemmt, aber irgendwie doch innerlich bei sich scheint, dann ist mit dieser (schauspielerisch hinreißenden) Eingangsszene ein wunderschönes Hoffnungsbild an den Anfang gesetzt, - gegen die folgenden eiskalten Szenen, in denen Menschen zu Material gemacht werden. Wie Inga Wolff mit gestisch-mimischer Variabilität bis hin zu chaplinesker Komik einen Menschen spielt, der kein Widerständler ist, aber ein Individuum bleibt, der vergeblich versucht, wie gewünscht zu funktionieren, das lässt die Wärmeströmung ihrer Figur aus der ersten Szene durch die Eiseskälte des ganzen Stückes fließen.

    Wie ein Hoffnungszeichen wirkt in all ihrer traurigen Komik eine Szene, in der die sexuelle wie emotionale Annäherung an den Trainee Roland scheitert. Denn der entscheidet sich nicht für Karla, sondern für die Bewerbung auf die einzige angebotene Stelle. Eine Stelle, die, böse Pointe, eine Trainerstelle ist, also allein das Ausbildungssystem erhält. Die Ausbilder kommen in Senftenberg nicht als böse Monster, sondern als selbstsicher schicke Erfolgsmenschen daher. Alle funktionieren einfach, und die Grausamkeit kommt aus der Selbstverständlichkeit ihres Handelns.

    Wie dies ganz unplakativ, ganz beiläufig inszeniert ist, das ist schon beachtlich. Wenn allerdings Karla sich nicht auf die Stelle beworben hat und die Auseinandersetzung mit ihr, dem Fehler im System, in allzu vielen Einzelszenen breit ausgemalt wird, dann schleppt sich die Aufführung etwas zäh und spannungslos an ihr menetekeliges Ende. An dem Roland strahlend als neuer Trainer zurück bleibt, während die anderen Kursteilnehmer mit ihren Zeugnissen über "professionelle Bewerbungsfähigkeiten" nach Sierra Leone ausgeflogen werden. Nicht nur ihre Identität haben sie verloren, sondern auch ihre Daseinsberechtigung: das überflüssige Menschenmaterial wird in Afrika entsorgt.

    Insgesamt eine durchaus beachtliche Inszenierung.