Donnerstag, 28. März 2024

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Eine Fahrt mit der Metro-Linie 1
Durch den Bauch von Teheran

Sie ist fast 40 Kilometer lang und führt geradewegs durch den Bauch von Teheran. Vom wohlhabenden Norden in den ärmeren Süden. Die Metro-Linie 1 ist eine von vier U-Bahn-Linien in der iranischen Hauptstadt. Sie ist die Alternative zum täglichen Stau auf den Straßen der Metropole.

Von Jörg-Christian Schillmöller | 28.10.2016
    In der Metrostation Tajrish in Teheran geht es mit langen Rolltreppen oder über Treppen mit Marmorfliesen tief nach unten zu den Gleisen.
    In der Metrostation Tajrish in Teheran geht es mit langen Rolltreppen oder über Treppen mit Marmorfliesen tief nach unten zu den Gleisen. (Deutschlandradio / Jörg-Christian Schillmöller)
    Im Iran geschehen die Dinge selten so, wie man sie plant. Vor dem Eingang der Metrostation Tajrish steht ein Obsthändler, und als wir ihn ansprechen, ist er es, der die Fragen stellt. Wollt ihr in Deutschland die Mauer zurück? Oder die D-Mark? Kann ich bei euch Geschäfte machen? Habt ihr Vorurteile? Dann dürfen wir ihn aber auch noch was fragen. Wie geht es ihm, wie geht es dem Iran? Die Kluft zwischen Arm und Reich wächst, sagt der Mann. Und die Politiker denken nur an sich, nicht an das Volk.
    "Die Gedanken müssen sich ändern. Solange das Denken vergiftet ist, wird es nicht besser. Die Klassenunterschiede müssen weg, es gibt immer noch Leute, die sich den ganzen Tag für ein Stück Brot abmühen."
    Ein bisschen Sozialismus morgens um halb zehn in Teheran. Die schneebedeckten Berge des Alborz leuchten, hier oben im Norden der Hauptstadt ist die Luft besser als im Süden, wo wir hinfahren. Der Metroschacht führt uns tief unter die Erde. Lange Rolltreppen, Marmorfliesen, Handywerbung. Paris, London, Teheran - auf den ersten Blick macht das keinen Unterschied.
    Aufkleber auf dem U-Bahn-Fenster zeigen: dies ist ein Frauenabteil
    Aufkleber auf dem U-Bahn-Fenster zeigen: dies ist ein Frauenabteil (Deutschlandradio / Jörg-Christian Schillmöller)
    In der Schalterhalle unter Tage hängen Porträts der Religionsführer Khomeini und Chamenei an der Wand - wie überall im öffentlichen Raum. Die Frauen tragen Kopftuch, so will es das Gesetz. Frauen haben auch eigene Abteile in der U-Bahn. "Women only" steht in Englisch auf den Scheiben, dazwischen das Symbol einer Frau mit Schleier. In diese Abteile dürfen Männer nicht einsteigen. Die Frauen dagegen dürfen überall einsteigen. In der Rush-Hour hat ein Frauenabteil einen Vorteil: Es gibt etwas weniger Gedränge.
    Basar auf Schienen
    Die Linie 1 bringt uns Richtung Süden. Noch sind nur wenige Menschen im Abteil, sie sitzen einander auf roten Bänken gegenüber. Die gleichen Mobiltelefone, die gleichen Klingeltöne, fast jeder schreibt Kurznachrichten oder surft. Ja klar gibt es hier unten Internet, sagt einer, etwas irritiert, während die Stationen vorbeiziehen: Shahid Sadr, Dr. Sharia'ti, Shahid Beheshti, Haft-e Tir..
    Die ersten Verkäufer steigen ein, denn die Teheraner Metro ist ein Basar: Hier gibt es Kugelschreiber, Wasserpistolen, Kaugummis und Socken zu kaufen - und in den Frauenabteilen auch schon mal Unterwäsche und BHs. Neben uns steht ein junger Mann, der Englisch spricht. Er arbeitet im IT-Bereich und bringt in der Freizeit Reisende aus aller Welt bei sich unter. Und die, sagt er, sind begeistert.
    "Iran gefällt ihnen, aber die USA haben das öffentliche Bild unseres Landes beeinflusst. Ich hoffe, das wird wieder besser. Die Menschen mögen die Iraner, sie sagen: Iraner sind gastfreundlich."
    Es wird jetzt voller in der U-Bahn, wir sind im Herzen der Hauptstadt. Die Station heißt Emam Khomeini, und der Große Basar ist nicht weit - bis heute ein wichtiger Umschlagplatz und Wirtschaftsfaktor.
    Kurz danach folgt die Station Shoosh. Bei diesem Namen denken viele im Iran an die Drogen, denn in Shoosh leben viele Abhängige. Auch das ist Iran 2016: Das Drogenproblem des Landes hat längst alle Schichten der Gesellschaft erreicht.
    Südlich von Shoosh verlässt der Zug den Tunnel. Draußen ein Industriegelände, die Fassaden der Wohnhäuser sind meist unverputzt. Wir erreichen Shahr-e Rey, das war früher eine der wichtigsten Städte des Landes. Nicht weit von hier liegt der große Friedhof Behesht-e Zahra. Dort sind viele Märtyrer des Iran-Irak-Krieges aus den Achtziger Jahren bestattet, gleich daneben steht das gigantische Mausoleum für den Revolutionsführer Ayatollah Khomeini.
    Eine Tafel im U-Bahnhof zeigt die Strecke der Metrolinie 1 in Teheran.
    Eine 40 Kilometer lange Strecke unter der Erde (Deutschlandradio / Jörg-Christian Schillmöller)
    Die Verkäufer in den Waggons haben jetzt Kuchen, Schuhsohlen und Rucksäcke im Angebot. Draußen ziehen Felder vorbei: Salat, Weizen, Roggen, dazwischen eine ganz kleine Moschee. Wir haben Teheran verlassen, die Metro ist jetzt ein Vorortzug. Die Frauen sind strenger verschleiert, viele tragen Schwarz. Die Gegend ist ärmer als der Norden, und konservativer.
    Surrealer Moment vor der Endstation
    Immer mehr junge Soldaten in Uniform steigen ein - das liegt daran, dass wir gleich am Ziel sind, Endstation Kahrizak. Dort gibt es nicht nur einen Militärstützpunkt. In einem Gefängnis hier in Kahrizak wurden nach den Protesten der grünen Bewegung im Jahr 2009 viele Demonstranten eingesperrt, misshandelt und gefoltert. Die Zustände waren so grauenerregend, dass der religiöse Führer Ayatollah Chamenei schließlich anordnete, das Gefängnis zu schließen.
    Draußen vor der Endstation brennt die Sonne, aus einem Lautsprecher kommt kitschige Klaviermusik. Gleich gegenüber hat ein Händler seine Waren aufgebaut, die Soldaten kaufen bei ihm abgepackten Kuchen, sie lachen, sie machen Scherze, dazu die Musik, der Staub, die Hitze, es ist ein surrealer Moment.
    Wir fahren zurück mit der Linie 1 der Teheraner Metro und kommen mit zwei jungen Männern ins Gespäch. Sie erzählen uns, dass sie vor ein paar Monaten nach Deutschland geflüchtet sind. Knapp 4.000 Euro haben sie bezahlt, die Hälfte ging an den Schlepper. Wir waren vier Monate lang unterwegs, sagt der eine, wir kamen in Deutschland an, und sie gaben uns 700 Euro für den Rückflug und schickten uns wieder weg. Die beiden sind freundlich, aber sie sind auch enttäuscht und wütend. Heute jobben sie im Teheraner Basar, als Motorrad-Kurier. Eine Station später steigen sie aus, und wir bleiben sitzen, während uns die Metro zurückfährt in den Norden der iranischen Hauptstadt. Eine Frage der beiden Flüchtlinge bleibt uns im Kopf: Warum, meinte der eine, warum habt ihr uns in Deutschland keine Arbeit gegeben?