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"Eine Figur tritt an mich heran"

Der belgische Autor Jan de Leeuw sagt, dass die Figuren immer im Zentrum seiner Romane stehen. Bei seinem jüngsten Roman "Roter Schnee auf Thorsteinhalla" haben ihn die isländischen Sagas inspiriert: Die Hauptfigur ist Hallgerd, die junge Tochter eines Wikingerfürsten.

Jan de Leeuw im Gespräch mit Tanja Lieske | 21.01.2012
    Tanya Lieske: Der belgische Autor Jan de Leeuw ist heute mein Gast im Studio. Jan de Leeuw hat seit seinem Debüt vor rund acht Jahren fünf Bücher veröffentlicht, die sich an heranwachsende Leser richten, und denen einiges an Erfolg und Aufmerksamkeit beschert war. Von Haus aus, Jan de Leeuw, sind Sie aber Psychologe, arbeiten Sie auch noch in diesem ersten Beruf?

    Jan de Leeuw: Ich habe immer mit Menschen gearbeitet, wenn auch nicht direkt als Psychotherapeut, wie man sich das so vorstellt - ein Einzelgespräch in einem Zimmer mit einem Sofa, auf dem der Patient liegt und von sich erzählt. Das habe ich nie getan, und das interessiert mich auch nicht. Ich habe immer mit Gruppen gearbeitet und um psychologische Fragen herum, die sich den Teilnehmern stellen. Das ist die eine Hälfte meines Lebens, und in der anderen schreibe ich.

    Lieske: Ich finde die Figurenführung und die Emotionen Ihrer Figuren sehr raffiniert, hat das was mit dem Psychologen Jan de Leeuw zu tun?

    Leeuw: Das wäre vielleicht etwas zu einfach. Das würde ja heißen, wenn man Psychologie studiert, wird man ein guter Schriftsteller. Oder ein Schriftsteller, der sich sehr für seine Figuren interessiert. Das ist aber nicht zwangsläufig der Fall. Ich glaube, bei mir war es eher umgekehrt: Ich interessiere mich für Menschen, und wie sie denken und dafür, was sie tun. Ich habe mich schon immer für Charaktere und Typen interessiert, noch bevor ich mich zum Psychologen habe ausbilden lassen. Und ich lege beim Schreiben viel Wert darauf, dass meine Figuren auch wirklich lebendig werden. Wenn man erst einmal herausgefunden hat, wie sie denken und was sie sagen, dann hat man die größte Herausforderung schon bestanden. Wenn die Figuren leben, heißt das zwar nicht, dass der Plot nicht so wichtig ist, denn sie brauchen ja ein Abenteuer oder eine Krise. Aber wenn die Figuren erstmal lebendig sind, kann man keine schweren Fehler mehr machen, sie führen den Autor in gewisser Weise, und deshalb sind sie für mich der wichtigste Bestandteil eines Buchs.

    Lieske: Fünf Titel sind von Ihnen erschienen, vier davon wurden ins Deutsche übersetzt. Rolf Erdorf ist ihre deutsche Stimme: Das Schweigen der Eulen, ihr Debüt 2004, führt zurück in ein flämisches Dorf zur Zeit der deutschen Besatzung. Nachtland 2005 ist ein Roman mit Fantasy-Zügen, Schrödinger, Dr. Linda und eine Leiche im Kühlhaus ist eine schwarze Komödie von2010, und ihr jüngstes Werk Roter Schnee auf Thorsteinhalla ein historischer Roman. Man erkennt an dieser kurzen Aufzählung ganz verschiedene Genres, Stilebenen, Töne und Themen. Man käme nicht auf die Idee, dass ein einziger Autor dahinter steckt - worauf führen Sie diese große Vielfalt zurück?

    Leeuw: (Lacht) vielleicht bin ich ja ein Psychopath oder ein Schizophreniker! Nein, ich glaube, ich probiere einfach gerne neue Sachen aus. Für mich hat es keinen Sinn, dasselbe Buch zwei Mal zu schreiben, oder dieselben Themen zwei Mal auf die gleiche Art und Weise anzugehen. Eine Geschichte oder eine Figur tritt an mich heran, und die entscheiden dann, in welcher Art ich schreibe, und welche Wirkung ich ausübe. Wenn ich ein neues Buch schreibe, dann denke ich nicht unbedingt, o, jetzt mache ich mal was ganz Anderes. Es hat sich so ergeben, und ich betrachte jedes Buch als Lernprozess, ich übe einen neuen Stil, eine neue Kompositionstechnik. Es muss mich auch selbst interessieren. Es sollte ja keine langweilige Arbeit sein, sondern etwas, in dem ich ganz aufgehe, ich will dann etwas Neues probieren. Also, ich selbst als Autor experimentiere, und die Geschichte bestimmt, welche Form sie annimmt.

    Lieske: Ich wurde auf Sie durch "Roter Schnee auf Thorsteinhalla" aufmerksam. Ein Roman, der zur Wikingerzeit spielt, diese Zeit in ihrer mörderischen Schönheit wieder lebendig macht. Hallgerd ist die junge Tochter eines Wikingerfürsten und einer irischen Prinzessin. Hallgerd schwört nach einem schweren Verlust Rache, und sie zieht das durch. Wie kam diese Figur eigentlich zu Ihnen?

    Leeuw Hallgerd begleitet mich schon seit einer geraumen Zeit. Mich hatten die Isländischen Sagas fasziniert, die ja in gewisser Weise die ersten Europäischen Romane sind nach dem Sturz des römischen Empires. Das ist eine höchst interessante, erfrischende Lektüre mit lebensechten Figuren, die ganz ohne innere Monologe auskommt. Man erfährt auch nicht, was die Figuren denken, aber man sieht, was sie tun, und was sie sagen, es sind richtige Individuen. Und auch die Atmosphäre hat mir gefallen, dieses raue, harsche Island um das Jahr 1000. Das war keine gemütliche Umgebung. Das hat mich sehr beeindruckt, und ich wollte unbedingt eine Figur, die ich selbst entworfen habe, in diese Umgebung und in diese Atmosphäre setzen. Ich habe mich aber gegen Island entschieden, denn ich brauchte für meine Geschichte Bäume, und ich war mir nicht sicher, ob es in Island Wälder gab, also habe ich die Handlung nach Skandinavien verlegt, und die inneren Bilder beibehalten. Außerdem wollte ich eine sehr starke Frauenfigur erschaffen. Zwar war es eine sehr männerzentrierte Gesellschaft, aber die Frauen hatten auch Macht. Ich habe dazu viel gelesen und das alles gut recherchiert, und das war sehr befriedigend. Ich hatte einen guten Vorwand, um sehr viel zu lesen. Ich wollte diese Figur Hallgerd erschaffen und sie an den Anfang setzen.

    Lieske: Bevor wir weiter reden, möchte ich Sie bitten, einen Auszug aus diesem Roman zu lesen. Er ist aus der Perspektive verschiedener Figuren erzählt, und der Auftakt ist ein Prolog, ein poetischer Entwurf, in dem der ganze Roman eigentlich in nuce schon enthalten ist. Jan de Leeuw liest den Prolog seines Romans "Roter Schnee auf Thorsteinhalla":

    Leeuw:
    "Hallgerd!"
    Jemand flüsterte ihren Namen.
    "Hallgerd!"
    Eine raue Hand fuhr ihr über den Mund. Sie schrie nicht. Sie war noch im Land des Schlafs und ihre Träume gingen in die Wirklichkeit über. Ein Mann wickelte sie in ein Bärenfell und trug sie aus der Halle.

    Draußen ergoss ein milchblauer Mond sein Licht über die verschneiten Felder. Die Ställe warfen stumpfe Schatten auf den Boden; unergründliche schwarze Tümpel. Kein Wind regte sich. Die Hügel waren eine wogende Linie, Kindergekritzel im Sand. Dies war eine tote, leere Nacht. Der Mann bückte sich und rieb sie mit etwas Schnee wach. Sie krallte sich mit beiden Händen in seinen Bart. Vater.

    Er nahm sie mit in den Wald und sie fürchtete sich, selbst in seinen Armen. Der Wald war gefährlich im Winter, in der Nacht. Es gab Bären. Wölfe. Und die Gräuel der Dunkelheit, das Nachtvolk, Dämonen, gehörnte Teufel, geflügelte Frauen mit Drachenzungen, Elfenkinder, die einem ihre langen Finger in die Augenhöhlen drückten. Was hatte ihr Vater vor?
    Bei einem toten Baum blieben sie stehen. Er hob sie hoch.
    "Steck deine Hand in die Höhle", sagte ihr Vater. "Vorsichtig!"
    Sich zu widersetzen war unmöglich. Vater duldete keinen Ungehorsam und auch keine Angst. Zitternd steckte sie die Hände in die Höhlung. Sie spürte scharfe Spitzen.
    "Schwerter", flüsterte sie.
    "Taste weiter!"
    Unter den Waffen lagen glatte, kalte Scheiben. Sie brauchte nicht zu sehen, was es war. Ihre Finger hatten es ihr schon erzählt. Es war Silber. Es war Gold.
    "Es gehörte deiner Mutter. Jetzt ist es unser. Dein."
    "Mein?"
    "Niemand weiß davon, selbst deine neue Mutter nicht. Das wäre für sie auch etwas zu hoch gegriffen." Er lachte.
    "Wenn ich einmal nicht mehr bin, gehört es dir und niemandem sonst. Ich werde mich nie davon trennen. Es hat mich zu viel Blut gekostet."
    Sie wollte fragen, wie das Silber hierher gelangt war, schwieg aber, als sie seinen Blick sah.
    "Solltest du das hier je verraten, dann reiße ich dir die Zunge heraus, verstanden? Sollte ich entdecken, dass du in der Nähe des Baumes gewesen bist oder dich an meinem Schatz zu schaffen gemacht hast, dann haue ich dir die Finger ab!"
    Er steckte sich ihre blau verfärbten Finger einen nach dem andern in den Mund, bis sie prickelten.
    Wieder zurück in der Halle, fand sie keinen Schlaf. Das Geheimnis brannte in ihr. Sie verbarg es tief, befürchtend, ihre Glut könnte die andern aufwecken. Draußen verwischte Vater ihre Spuren.


    Lieske: Die besondere Atmosphäre dieses Romans entsteht für mich dadurch, dass wir uns in einer Zeit bewegen, in der die Figuren noch ein magisches Denken besitzen. Den Glauben, dass aus Sprache und aus Poesie Realität entstehen kann. Sie führen das sprachlich durch, das hat aber auch eine Konsequenz, nämlich dass die Figuren ganz aus ihrer Zeit heraus denken und handeln. Man findet bei Ihnen nicht, wie bei anderen historischen Romanen, Figuren, die ein modernes Bewusstsein haben. Das macht es möglicherweise für Junge Leser sehr anspruchsvoll. Welche Rückmeldung bekommen Sie zu diesem Roman?

    Leeuw: Einige Leser finden das Buch schwer zu lesen, weil es da fremde Namen gibt wie Hallgerd und Asmund und Magnus. Außerdem ist jedes Kapitel aus der Perspektive einer anderen Person geschrieben, man muss sich jedes Mal in einer neuen Welt zurechtfinden und eine neue Figur verstehen lernen. Und dann gibt es auch noch Zeitsprünge, also muss man sich vorstellen, was in den Wochen oder Jahre passiert ist, die dazwischen liegen. Das ist schon eine große Herausforderung für jüngere, noch unerfahrene Leser.

    Interessanterweise hat aber noch nie jemand die Figuren infrage gestellt, die ja ganz anders denken als wir heute. Und das freut mich sehr, denn das heißt, dass die Figuren wirklich lebendig geworden sind. Ich habe sehr darauf geachtet, dass ich nicht eine moderne Figur aus unserem 21. Jahrhundert in eine Geschichte stecke, die im Mittelalter spielt. So was begegnet mir in anderen Büchern ständig, und ich kann das wirklich nicht ausstehen. Natürlich weiß ich auch ich nicht, was die Menschen im Mittelalter wirklich gefühlt haben. Aber ich habe meine Hausaufgaben gemacht, und ich denke viel darüber nach, wie es sein muss, in einer Gesellschaft zu leben, die ein ganz anderes Wertesystem hatte. Sogar eine ganz andere Weltsicht, eine Weltsicht, die nicht linear war. Und eine ganz andere Religion. All das muss diese Menschen geprägt haben, die Art, wie sie miteinander umgehen, wie sie sich selbst und ihre eigene Zukunft sehen. Ich habe also versucht, mich in die Psyche der Figuren hinein zu versetzen. Aber ich würde nie eine Figur mit moderner Psychologie in diese Umwelt stecken, das fühlt sich falsch an. Viele Leser Historischer Romane sehen sich aber selbst gerne in diese Umwelt transportiert, nach Versailles oder in den Ersten Weltkrieg, und das ist auch legitim. Aber die Menschen damals haben anders gedacht. Ich versuche, so nah an sie heranzukommen, wie möglich.

    Lieske: Ich mache einen Sprung, gehe zurück zu ihrem Debüt, "Das Schweigen der Eulen." der Roman spielt in Deemstervelde, das ist ein fiktiver Ort, in dem nur noch alte Leute und ein paar skurrile Typen unterwegs sind. Wie gut kennen Sie die Provinz in Flandern?

    Leeuw: Nicht so gut. Der Roman spielt im Westen von Flandern. Ich selbst komme aus dem Osten, also kenne ich die Provinz nicht so gut, über die ich da schreibe. Aber Belgien ist klein, und ich kenne mich gut aus mit dem Zweiten Weltkrieg, denn ich bin bei meiner Großmutter aufgewachsen, die beide Weltkriege erlebt hat. Meine eigenen Eltern waren Kinder im Zweiten Weltkrieg, und all die Geschichten, die man mir erzählt hat, waren für mich lebendig. Der Weltkrieg selbst war noch lebendig, als ich ein Kind war, ich glaube, ich konnte mich gut in das hineinversetzen, was die Menschen damals mitgemacht haben.

    Lieske: Sie legen diesen Roman in die Zeit der deutschen Besatzung, allerdings in der Vergangenheit. Die Erzählgegenwart ist die Gegenwart des 14-jährigen Arnoud, der mit seinem Vater das Haus seiner verstorbenen Großmutter ausräumt. Dabei kommt einiges zutage, Familiengeheimnisse auf dem Dachboden, ein Brief. Es stellt sich im Verlauf dieses Romans die Frage, ob der Großvater unseres Erzählers ein Kriegsheld war oder ein Kriegsgewinnler. Sie lassen das offen, spielen mit Grauzonen in der Geschichtsdeutung, auch mit Grauzonen in Biografien. So entsteht wieder etwas, was ich zwar sehr poetisch finde, aber auch sehr lebensnah, denn in unserer Wirklichkeit haben wir es ja auch oft mit diesem ethischen Grauzonen zu tun. Warum war Ihnen das so
    wichtig?

    Leeuw: Für mich war es sehr wichtig, dass meine Figur erfährt, dass die Menschen nicht entweder von Grund auf schlecht oder aber sehr gut sind. Arnoud ist 14 Jahre alt, er lässt gerade seine Kindheit hinter sich, er erobert die Welt, die ihn umgibt, und er muss lernen, nicht mehr in den Kategorien Schwarz oder in Weiß zu denken. So ging es im Krieg in Flandern, man war angeblich schwarz oder weiß. War man schwarz, dann hatte man mit den Deutschen kollaboriert. Also der Krieg und die Rolle, die Flandern darin gespielt hat, war ein gutes Beispiel dafür, wie man Menschen in Schubladen steckt. Aber wenn man diese Menschen kannte, dann war es klar, dass sie natürlich nicht nur schwarz oder nicht nur weiß waren. Für mich war es interessant, das alles mit den Augen eines Jungen zu betrachten, ihn sehen zu lassen, wie innere Widersprüche zu seltsamen Entscheidungen führen. Man trifft seine Entscheidung nicht mit dem Verstand, sondern mit dem Herzen, mit der ganzen eigenen Impulsivität, mit einer Mischung aus Liebe und Emotionen, und das kann auf andere Menschen sehr befremdlich wirken. Arnoud findet also heraus, dass sein Großvater nicht der Held war, für den ihn alle halten, und das wird auch nicht aufgelöst. Am Ende des Buchs kann der Leser kein definitives Urteil fällen, und das ist gut so, denn der Großvater ist schon seit 40 Jahren tot, und oft genug kennt man ja noch nicht einmal die Lebenden, wer kennt schon seine Eltern oder seinen Mann oder seine Frau oder seine Kinder? Es gibt immer einen Aspekt, der sich dem Bewusstsein entzieht. Und das ist etwas, was man lernen muss, womit man umgehen muss.

    Lieske: Schwankende Sicherheiten, auch Unsicherheiten sind ein großes Thema in diesem Roman. Liebe, Verrat, auch ein Kunstraub - trotzdem merkt man, dass Sie um große Leichtigkeit bemüht sind, diese auch herstellen. Glauben Sie, dass die Vergangenheit mit Leichtigkeit besser zu ertragen ist?

    Leeuw: Auf jeden Fall. Alles ist besser zu ertragen, wenn man es leicht nimmt, wenn man Humor an den Tag legt. Wenn man das Leben als großen Witz nimmt, ist es leichter zu tragen, als wenn man eine große, schwere Pflicht darin sieht. Ich schreibe auch für junge Leute, und wenn das Thema schon schwer ist, dann kann es mit etwas Humor doch erträglich machen. Man will ja seine Leser nicht abschrecken.

    Lieske: Wir bleiben beim Humor. Es gibt viel schwarzen Humor in Ihrem Roman "Schrödinger, Dr. Linda und eine Leiche im Kühlhaus". Der 15-jährige Jonas findet seine Mutter tot auf. Seine kleine Schwester erwartet eine Geburtstagsfeier. Jonas muss eine Leiche beseitigen, dabei kommt das Kühlhaus eines Metzgers zum Einsatz. Sind Sie eigentlich ein Anhänger von Roald Dahl?
    Leeuw: Ja, in der Tat. Als Kind habe ich leider nicht so viel gelesen, weil meine Eltern das für Zeitverschwendung hielten, also habe ich Roald Dahl erst entdeckt, als ich schon etwas älter war. Aber ich liebe Roald Dahl, zum Beispiel seine Matilda! Und auch Charlie in der Schokoladenfabrik. Ich liebe seine fiesen, dunklen Typen. Roald Dahl war ein sehr kluger Autor, der sich gut aufs Schwarz-Weiß-Zeichnen verstand, und er hat sich damit auch an Kinder gewendet. Wenn die etwas älter sind, also 14 oder 15, dann funktioniert das nicht mehr so gut. Wenn einer fiesen Person richtig fiese Sachen passieren, dann findet man das gut, und dann kommt auch der schwarze Humor zum Tragen.

    Lieske: Wenn man Ihren Namen im Internet eingibt, erscheint ein ganzer Satz: "Jan de Leeuw, geboren 1968, ist ein belgischer Psychologe und Jugendbuchautor aus Flandern." Sind Sie sehr auf den Schutz Ihrer Privatsphäre bedacht oder gibt es zu Ihnen nicht mehr zu erzählen?

    Leeuw: Beides. Es gibt zu mir nicht mehr zu sagen. Alles, was für mich sehr interessant ist, ist auch sehr persönlich, sollte andere Leute nichts angehen. Das Buch ist wichtig und nicht die Person, die es geschrieben hat. Aber ich muss zugeben, dass ich selbst furchtbar neugierig bin auf andere Autoren, darauf, wie sie leben oder gelebt haben. Das ist eine sehr menschliche Neugierde. Ich persönlich habe mich gegen diese Öffentlichkeit entschieden. Manchmal denke ich darüber nach, ob ich mir eine zweite Identität zulegen soll, die ich dann im Internet vorschicke, und hinter der ich mich verstecke. Das wäre dann eine sehr glitzernde, attraktive Person. Aber das klingt nach viel Arbeit und könnte auch schief gehen. Also, ich bin zufrieden damit, wie es ist. Manchmal bekomme ich eine Mail und da werden sehr persönliche Sachen gefragt, bist du verheiratet, hast du Kinder, was ist deine Lieblingsfarbe? Ich beantworte das, aber welchen Unterschied macht es, wenn man weiß, was mein Leibgericht oder meine Lieblingsfarbe ist?
    Trotzdem bin ich davon überzeugt, dass das Privatleben eines Autors seine Bücher nährt, und dass es ihnen neues Leben verleihen kann. Die Brontë-Schwestern würden wohl kaum noch gelesen werden, wenn wir nicht wüssten, wie sie gelebt haben, in Haworth, und dass sie an Tuberkulose gestorben sind. Es ist also nicht so klug, was ich mache, aber ich ziehe ein Leben jenseits der Öffentlichkeit vor.

    TL Belgien ist ein kleines Land mit drei Sprachen. Es ist nicht dicht besiedelt, hat aber eine reiche Literatur, auch und gerade im Kinder- und Jugendbuch. Im vergangenen Jahr hat Belgien uns außerdem in Atem gehalten mit Regierungskrisen und einem anhaltenden Sprachenstreit. Sehen Sie sich eher als Flame oder als Belgier?

    Leeuw: Ich bin in erster Linie Belgier, in zweiter Linie ein Flame

    Lieske: Danke für das Gespräch.

    Jan de Leeuw:
    Roter Schnee auf Thorsteinhalla, Gerstenberg Verlag
    Das Schweigen der Eulen, Gerstenberg Verlag
    Schrödinger, Dr. Linda und eine Leiche im Kühlhaus, Gerstenberg Verlag
    Nachtland, Arena Verlag