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Eine Frage der Sicherheit
Eindrücke aus dem NATO-Hauptquartier

Die NATO ist ein Bündnis aus sehr unterschiedlichen Staaten. Spannungen gab es vom ersten Tag an. Im Hauptquartier in Brüssel werden viele Sprachen gesprochen, es gibt viele Blickwinkel auf Sicherheitsfragen. Die Architektur des Gebäudes soll für Transparenz und Dialog stehen.

Von Bettina Klein | 10.02.2020
NATO - Hauptquartier in Bruessel, 20.11.2019 Berlin Deutschland *** NATO Headquarters in Brussels, 20 11 2019 Berlin Germany PUBLICATIONxINxGERxSUIxAUTxONLY Copyright: xThomasxImo/photothek.netx
Strategische Architektur: Das neue NATO-Hauptquartier in Brüssel ist so gebaut, dass die Vertreter der 29 Mitgliedstaaten einander ständig über den Weg laufen. (AFP / Photothek / Thomas Imo)
Der Sound draußen ist der gleiche geblieben. Wie das alte NATO-Hauptquartier liegt auch das neue nahe am Flughafen Brüssel-Zaventem. Man könnte sagen, es illustriert akustisch die internationale Anbindung. Doch diese Nähe ist eher Zufall.
1915 wurde auf dem heutigen Gelände ein Zeppelin-Flugplatz eröffnet. Charles Lindbergh landete hier. Später war es der erste und größte Auslandsflughafen Belgiens. Das Grundstück gehört bis heute dem belgischen Verteidigungsministerium. Eine große, unbenutzte Freifläche, die zur Verfügung stand, als die NATO schon vor 20 Jahren nach einem neuen Quartier Ausschau hielt.
Hier sitzen alle NATO-Staaten zusammen
Die Pointe ist, dass das Bündnis erst seit kurzer Zeit in einem Gebäude residiert, das so aussieht, wie man sich das Hauptquartier eines großen Militärbündnisses vorstellt. Viel Glas, Stahl und Granit. Lange Wege, ein riesiges Gelände. Eines der größten Gebäude in Belgien. Bogdan Lazaroe hat als Projektleiter den Umzug 2018 - aus dem Provisorium auf der anderen Straßenseite - hierher betreut.
"Das Gebäude wurde speziell für diesen Zweck als Hauptquartier konzipiert. Es ist einzigartig insofern, dass es als einziges Gebäude der Welt Vertretungen aus 29 Ländern unter einem einzigen Dach versammelt."
Dieser Beitrag gehört zur fünfteiligen Reihe "NATO – eine Frage der Sicherheit".
Andere Organisationen, wie die EU oder die UNO, haben natürlich auch große Versammlungsgebäude. Die nationalen Delegationen aber sind jeweils in der ganzen Stadt verteilt. "Hier sitzen alle zusammen", erklärt der Amerikaner mit rumänischen Wurzeln, während wir durch die große Agora, den Innenhof gehen: Zweieinhalb mal so lang wie ein Fußballfeld, 32 Meter hoch. Das Design des NATO-Gebäudes hat viel Symbolkraft. Hier spiegeln sich die Werte wider, für die das Bündnis steht:
"Aus der Luft betrachtet sieht es aus wie die Finger zweier Hände, die ineinander verschränkt sind. Eine Geste des Schutzes, die die NATO als Verteidigungsgemeinschaft symbolisiert."
Das zweite Motto ist Transparenz. 7.300 Quadratmeter Glas wurden verbaut. Botschaft: Die NATO hat nichts zu verbergen. Und schließlich, drittens, das Konsensprinzip, das nur durch ständige Konsultationen und Dialog verwirklicht wird. Symbolisiert durch den riesigen Innenhof, der alle Büros der 29 Delegationen verbindet.
"Diese Einigkeit ist unser höchstes Gut"
"Es ist so konzipiert, dass es zwischen den Flügeln des Gebäudes keine andere Verbindung gibt. Alle müssen hier entlang und einander begegnen. Ich treffe zum Beispiel einen Kollegen und denke, ach, das und das muss ich mit ihm noch besprechen. Und es ist gut möglich, dass wir das hier in fünf Minuten klären und dafür nicht ein extra Meeting brauchen."
Kay Bailey Hutchison
Kay Bailey Hutchison, US-Botschafterin bei der NATO (AFP / Eric Piermont)
Die Frage der internen Abstimmung ist mittlerweile besonders brisant geworden für das Bündnis. Einerseits ist die Vielfalt der NATO gerade ihre Stärke, glaubt die US-Botschafterin bei der NATO. Die offensive Art der Amerikaner, die eher vorsichtige, abwägende der Europäer, wie sie sagt. Dazu die unterschiedlichen Interessen je nach geografischer Lage. Doch alle eint das Anliegen der gemeinsamen Verteidigung. "Diese Einigkeit", sagt Kay Bayley Hutchison, "ist unser höchstes Gut":
"Wenn wir diese Einigkeit verlieren, wenn wir es zulassen, dass bilaterale Meinungsverschiedenheiten oder sogar Differenzen mit allen anderen Mitgliedstaaten uns spalten - dann wird die NATO aus den Fugen geraten".
Gemeinsamkeit ist Stoltenbergs Mantra
"Machen Sie sich keine Sorgen, dass wir jetzt ein Bündnis haben, das man erst obsolet und dann hirntot nennt? Was genau ist ihre Strategie, um die Leute wieder zusammen zu bringen?", fragte eine Journalistin kurz vor dem NATO-Gipfel im Dezember an die Adresse von Jens Stoltenberg.
"Es ist natürlich einfacher, Generalsekretär der NATO zu sein, wenn alle einer Meinung sind", erwiderte Jens Stoltenberg auf seine Art, augenzwinkernd.
Seine Aufgabe sieht der Generalsekretär darin, sicherzustellen, dass die NATO trotz aller Meinungsverschiedenheiten ihrer Kernaufgabe nachkommt: glaubwürdige Verteidigung und Abschreckung zu gewährleisten. Stoltenbergs Mantra: Die NATO macht heute mehr gemeinsam als in den Jahrzehnten zuvor. Absprachen sollen aber noch besser werden, angestoßen vom deutschen Außenminister Heiko Maas soll ein interner Konsultationsprozess unter Leitung des NATO-Generalsekretärs den politischen Dialog im Bündnis stärken. Die Einzelheiten sind noch nicht beschlossen.
"Wir hatten immer interne Spannungen, vom ersten Tag an"
Wir stehen im großen ovalen Konferenzsaal, dem Herzstück des Hauptquartiers. Hier finden alle Treffen des NATO-Rates statt. Das pulsierende Herz der NATO - eine gute Metapher findet Piers Cazalet, stellvertretender NATO-Sprecher. Das Bündnis sei nicht hirntot, sondern sehr aktiv, lebendig und immer dabei, sich wieder an neue Gegebenheiten anzupassen. Wir hatten immer interne Spannungen, vom ersten Tag an, sagt Cazalet. Aber dafür haben wir ja dieses Forum: Ein Forum für Diskussionen zwischen Verbündeten mit verschiedenen Interessen, mit unterschiedlicher Geschichte und Geographie.
"In Räumen wie diesem können wir darüber diskutieren und Übereinstimmung finden in den Fragen, die uns verbinden. Man darf nicht vergessen, es ist die einzige Organisation, die Verbündete aus Nordamerika und Europa an einen Tisch bringt. In Zeiten der Spannung ist es wichtig, dass wir uns treffen und reden können."
In der Agora des neuen NATO-Hauptquartiers
In der Agora des neuen NATO-Hauptquartiers (imago / Xander Heinl)
Im "Public Square" des Hauptquartiers können sich akkreditierte Journalisten und angemeldete Besucher frei bewegen. Es gibt einen Supermarkt, eine Apotheke, eine große Kantine und, ganz wichtig, eine Cafeteria als wichtigen Treffpunkt. Dazu Konferenzräume, eine Bibliothek, den Arbeitsbereich für die Medien sowie einen theaterartigen Saal für die Pressekonferenzen. Danach erst folgen noch einmal Sicherheitsschleusen. Dahinter arbeiten die Delegationen 29 Mitgliedstaaten rund um die Agora. Dass alle unter einem Dach sind erleichtert es uns sehr, sagt Piers Cazalet, stellvertretender NATO-Sprecher.
"Wir gehen in dieselbe Cafeteria, dieselbe Kantine. Wir sehen uns die ganze Zeit. Das ist gut, denke ich, und es schafft dieses Gefühl der Zusammengehörigkeit, eine ungezwungene Atmosphäre, die uns bei der Zusammenarbeit hilft."
Bei der NATO scheinen sich immer irgendwie amerikanische Hemdsärmeligkeit mit französisch geprägtem Lebensstil zu mischen – immerhin, wir sind in Brüssel. Es herrscht eine geschäftige, dabei relaxte und freundliche Atmosphäre. Der Stimmung im politischen Hauptquartier jedenfalls ist gut.