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Eine Frage der Sicherheit

Energie.- Was Wasser in einem Kernkraftwerk anrichten kann, zeigt das Beispiel Fukushima auf eindringliche Weise. Nach dem Unglück in Japan läuft eine sehr grundlegende Debatte über die Lehren aus der Vierfach-Havarie - und die rüttelt an den Grundlagen bestehender Sicherheitskonzepte.

Von Dagmar Röhrlich | 11.07.2011
    Der Fall Fukushima zeigt, dass es nicht reicht, sich auf den sogenannten Auslegungsstörfall vorzubereiten, also auf den Störfall, den die Sicherheitssysteme gerade noch beherrschen können.
    "Fukushima beweist, dass trotz aller Sicherheitsmaßnahmen Unfälle möglich sind und dass wir uns auf extrem unwahrscheinliche Ereignisse vorbereiten müssen."

    Laurent Stricker ist Vorsitzender der Wano, des Weltverbands der Kernkraftwerksbetreiber. Was in Fukushima passierte, sah kein Planspiel vor: Dass keine Sicherheitsmaßnahme greift und drei Reaktoren und ein Abklingbecken außer Kontrolle geraten über Monate und Monate hinweg. Die Ursache war diesmal eine Naturkatastrophe. Zwar soll die Anlage das Erdbeben im Großen und Ganzen überstanden haben, aber die Notstromversorgung von außen ging verloren - und damit die erste der Sicherheitsbarrieren.

    "Dann schwemmte der Tsunami alle ihre Sicherheitssysteme fort",

    erklärt Mike Weightman, oberster Nuklear-Inspekteur der britischen Aufsichtsbehörde. Er leitete die Expertenkommission, die im Auftrag der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA die Havarie von Fukushima analysierte:

    "Bei der Sicherheit von Kernkraftwerken setzen wir auf ein Konzept, das mehrere Barrieren vorsieht, und zwar unterschiedliche Barrieren, damit sie nicht durch eine einzelne Ursache alle zusammen ausfallen: Aber Alle Notkühlsysteme fielen aus und ebenso die interne Notstromversorgung durch die Dieselgeneratoren. Dabei sollten diese Barrieren dafür sorgen, dass der Sicherheitsbehälter dicht hält, die Kühlung funktioniert und die Anlage immer unter Kontrolle bleibt."

    Durch die Fehleinschätzung eines Risikos, konkret eines Tsunamis, fiel alles weg, was normalerweise die Sicherheit von Kernkraftwerken garantieren sollte. Die Lage konnte eskalieren. Weil außerdem die Katastrophenvorsorge mangelhaft war, blieb nur noch die Improvisation. Denn es gab weder Hochleistungspumpen für den Ernstfall, noch wasserdichte Schaltanlagen, noch überflutungssicher aufgestellte Notstromdiesel oder Treibstofftanks. Die Lehre aus Fukushima ist: Um in extremen Ausnahmesituationen wie dieser das Heft in der Hand zu behalten, brauche man zusätzliche Sicherheitsmargen.

    "Eine Havarie kann einen anderen Auslöser haben, einen, den wir uns nicht vorstellen können: Aber mit den richtigen Notfallmaßnahmen muss sie nicht zur Katastrophe eskalieren. Es geht um einfache Maßnahmen, die auch im Extremfall funktionieren. Dann lässt sich die Sicherheit der Nuklearanlagen trotzdem gewährleisten."

    Auch für Richard Meserve beweist Fukushima, dass es nicht reicht, sich auf den sogenannten Auslegungsstörfall vorzubereiten, also auf den Störfall, den die Sicherheitssysteme gerade noch beherrschen können. Richard Meserve ist Leiter der INSAG, in der sich Experten von Aufsichtsbehörden, Forscher und Industrie zusammengeschlossen haben:

    "Auch wenn wir noch nicht alle Fakten kennen, die in Fukushima zur Katastrophe geführt haben, scheint doch klar zu sein, dass wir die internationalen Sicherheitsstandards überprüfen sollten, mit denen wir festlegen, was die Anlagen aushalten sollten: was für eine Art von Stürmen, Überflutungen, Tsunamis oder was auch immer Sie sich vorstellen. Wir müssen außerdem überprüfen, ob die Standards für die Notfallausrüstung so sind, dass sie auch unter schwierigsten Umständen funktionieren."

    Die Liste möglicher Maßnahmen ist lang. Es geht darum, dass im Ernstfall die Kommunikation gewährleistet bleibt. Es sollten spezielle, gegen Strahlung geschützte Notfallzentren errichtet werden, von denen aus die Mannschaften arbeiten könnten. Die müssten außerdem für die Beherrschung schwerster Störfälle ausgebildet werden. Und: Die Aufsichtsbehörden müssen unabhängig sein und ausreichend Geld und Personal haben. Die internationalen Standards überprüfen und anzupassen ist jedoch nur das eine: Die große Frage ist, ob sie dann auch national umgesetzt werden.

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