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Eine für alle?

Von- und miteinander lernen, ohne Ausgrenzungen und das gemeinsam, von der ersten bis zur 10. Klasse - das sind die vielversprechenden Merkmale einer Gemeinschaftsschule. Nachdem internationale Vergleichsstudien dem deutschen Schulsystem wiederholt zu frühe Selektion und mangelnde Chancengleichheit speziell für Kinder aus bildungsfernen Schichten attestiert hatten, entdecken nun immer mehr Bundesländer die Gemeinschaftsschule für sich.

Von Gudrun Damberg | 21.02.2009
    So auch Berlin. Hier beteiligen sich seit vergangenem Sommer 11 Schulen an einer Pilotphase, die bis 2011 dauern soll. Die Schulform, in der Schüler nicht mehr nach Bildungsniveau getrennt unterrichtet werden, scheint sich zum Erfolgsmodell zu entwickeln. Das Interesse der Eltern ist groß, es gibt bereits erste Wartelisten.

    PISAplus fragt nach: Worin unterscheiden sich diese neuen Gemeinschaftsschulen von den herkömmlichen Gesamtschulen? Sind sie tatsächlich "Schulen für alle Kinder"? Oder doch eher ein "ideenloses Nebeneinander von Kindern mit unterschiedlichen Begabungen" - wie Kritiker behaupten?

    Auf der Suche nach Antworten hat die Autorin Gudrun Damberg drei verschiedene Oberschulen in Berlin besucht, die an der Pilotphase zur Gemeinschaftsschule teilnehmen.


    Schüler: "Durch diese Gemeinschaftsschule merken wir ja auch, dass noch andere Klassen da sind. Also nicht nur wir. Dadurch dass wir auch mit den 7. arbeiten, ist eher ein Miteinander, statt ein Gegeneinander."

    Sigfried Arnz: "Senator Zöllner hat, als er nach Berlin kam, sehr deutlich gesagt, für ihn ist die spannende Herausforderung die schulischen Probleme Berlins zu lösen; weil dort alles zusammen kommt, was wir in Deutschland haben. Die besondere Situation mit der Migrantenförderung, die Großstadtsituation, die soziale Situation in der Stadt, die unterschiedlichen Sozialräume - also es gibt sozusagen eine große Vielfalt. Auf der andern Seite haben wir natürlich - eben mit Pisa und mit der anderen Beachtung der Ergebnisse von Schule - haben wir eine Entwicklung, die nicht nur in Berlin stattfindet. Aber, eins ist allen gemeinsam. Wir wollen uns auf bessere Ergebnisse für einzelne Kinder in der Fläche und im Ergebnis auch in der Summe für Viele orientieren. Und dass Berlin ein` Weg offensiv geht, darüber bin ich sehr froh. Und zwar sowohl zu sagen, wie gelingt dieser Umgang mit Heterogenität und wie wird dieser Weg akzeptiert - die Gemeinschaftsschule - und wo dann nicht mehr diese Aufsplitterung stattfindet wie sie heute stattfindet."

    Ein Tag der offenen Tür ist für alle Schulen eine besondere Herausforderung. Schließlich sollen die interessierten Eltern und potentiellen Schülerinnen und Schüler einen guten Eindruck bekommen. Vom besonderen Profil, dem Schulklima, den Lernbedingungen. Selbst wenn die Gebäude und Klassenräume alles andere als einladend, weil sanierungsbedürftig sind. Auch an der Fritz Karsen Schule in Neukölln ist das nicht anders. Es ist Freitagnachmittag, kurz vor 16 Uhr. In den kommenden drei Stunden herrscht hier Hochbetrieb. Namensschilder werden verteilt, am improvisierten Empfangstresen im Treppenhaus müssen noch die Flyer und bunten Infoblätter zur Schulgeschichte sortiert werden. Die ersten Eltern kommen und schauen dem Treiben abwartend zu. Hinter einer Glastür, in einem der Klassenräume sammeln sich die Schülerlotsen. Denn es ist schon lange Tradition, dass die Schüler aus den 7. Klassen die Besucher durchs Gebäude führen. Auch Angelina und Jessica warten ein wenig nervös auf ihren Einsatz. Die 12 und 13 Jahre alten Mädchen haben sich sicherheitshalber Notizen gemacht über ihre Schule, damit sie nachher nichts Falsches erzählen. Doch dann ist in der Aufregung die Fritz Karsen Schule glatt 100 Jahre älter, als sie tatsächlich ist. Aber das ist nicht das Entscheidende. Viel wichtiger für die beiden ist, dass

    "mir die Schule gefällt, die Lehrer sind auch nett.

    Was ist das Besondere hier?

    Also die Lehrer versuchen das jedem recht zu machen, also den Hauptschülern und den Gymnasiumsschüler und den Realschülern.

    Wie funktioniert denn das?

    Also in fast jedem Fach gibt es zwei Lehrer, in Deutsch, Mathe, Englisch, Naturwissenschaften - also bei uns ist es so. Und man kann auch nicht sitzen bleiben, es sei denn die Eltern wollen das so.

    Welche Gründe sollte es dafür geben?

    Keine Ahnung, also wenn die Eltern jetzt zum Beispiel meinen, dass es so schlecht ist, dass es noch mal wiederholt werden sollte. Aber man kann hier auch sehr viel lernen, deswegen glaub ich nicht, dass es so ist, weil das Lernen eigentlich auch Spaß macht. Also hört sich so streberhaft an. Ja, hier gibt's kein Probehalbjahr, und das ist das Gute. Da hat man nicht so ´n Druck wie auf ´m Gymnasium.

    Wärst du denn mit Gymnasial Empfehlung auch auf ein Gymnasium gekommen?

    Also ich wäre auf ein Gymnasium gekommen aber das wäre mir zuviel Druck gewesen und deswegen bin ich auf der Schule."

    Ein wenig erleichtert heften sich Angelina und Jessica jetzt ihr Namensschild auf den Pullover und machen sich auf den Weg durch das weitläufige Schulhaus. Im Türrahmen lehnt Bettina Weber. Mit verschränkten Armen schaut die Mutter den Kindern nach.

    "In welcher Klasse ist ihre Tochter jetzt?

    In der 7.2. Also ich hab mich gefreut, dass sie so entschieden hat, sie hat einen geregelten Tagesablauf von acht bis vier. Ich muss keine Angst haben, dass sie danach auf der Straße sitzt. Ich weiß, wann sie nach Hause kommt, sie hat ihre Hausaufgaben in der Schule erledigt, hat ihr Mittagessen hier in der Schule und darüber bin ich sehr zufrieden.

    Darf ich fragen, mit welcher Empfehlung sie von der Grundschule in die Oberschule gewechselt ist?

    Real.

    Hätte auch eine Realschule sein können?

    Hätte auch sein können, ja. Aber dem Anspruch, weiß ich nicht, ob sie dem gewachsen wäre. Also ich denke mal, dass die Forderungen noch ein bisschen schwerer geworden wären. Und hier hat sie, sag ich mal, den Ausgleich und kann sich so entwickeln wie sie sich fühlt und wie sie sich empfindet und hat nicht die Angst, sag ich mal, abzurutschen und die Schlechtere zu werden und ich denke, dass ist in einer Realschule schon gegeben.

    Wie ist das Feedback ihrer Tochter?

    Also ich glaube sie fühlt sich gerecht behandelt. In jeder Leistung, in jedem Fach und ich denke in ihren Noten spiegelt sich das auch wieder. Also sie fühlt sich wohl."
    Immer mehr Familien kommen die Treppe hoch - manchmal sind sogar die Großeltern dabei. Bis zu 300 Besucher nutzen erfahrungsgemäß den Tag der offenen Tür. Denn die Gesamtschule war schon immer beliebt. Doch mit Beginn der Pilotphase Gemeinschaftsschule kann sich die Fritz Karsen Schule vor Anmeldungen kaum noch retten, erzählt Ulrich Meuel. Er ist aus dem Lehrerzimmer gekommen und hat interessiert zugehört. Geschichten wie die der Mutter eben freuen ihn natürlich. Schon allein wegen der kritischen Kommentare konservativer Politiker. Aber wer die Gemeinschaftsschule für eine Kopie der Polytechnischen Oberschule der DDR hält übersehe, dass sich beispielsweise die Fritz Karsen Schule als demokratisches Erziehungsmodell schon seit 60 Jahren als eine Schule für alle begreift, erklärt er bei einem Rundgang durchs Haus.

    "Es waren ja politische Gründe, warum es 1950 wieder aufhörte und diese Schule existierte weiter! Und zwar deswegen, weil es Eltern gab, die diese Schule haben wollten. Und diese Eltern hatten parteipolitischen Einfluss, das waren SPDler, die hatten ihre Kinder hier, könnte einige SPDler nennen, auch Senatoren, die ihre Kinder hier hatten. Und die haben dafür gesorgt, ich sag mal, dass es weitergeht. Und das andere ist natürlich: Ich kann das einschätzen. Ich bin seit 33 Jahren Lehrer, bin eigentlich immer an der Gesamtschule gewesen und ich kenne diese Auseinandersetzung und ich kenne auch die Probleme, die damit zusammenhängen und wenn ich dem englischen Kollegen versuchen soll, das deutsche dreigliedrige Schulwesen, was eigentlich ein viergliedriges ist, zu erklären, dann sagen die immer nach fünf Minuten, sag mal, du willst mir doch nicht erklären, dass das funktioniert?! Also ganz ernsthaft; ganz unabhängig davon, ob man sie schulpolitisch eher progressiv oder konservativ sind. Sondern die sagen, das kann doch gar nicht funktionieren. Als die Rütli-Schule hier, ich sag mal in der Öffentlichkeit war, da war ich bei dänischen Freunden in Kopenhagen, die hatten einen großen Zeitungsartikel in der größten Kopenhagener Tageszeitung über die Rütlischule - und das erste war: und da wunderste dich nicht, dass das so lange gut gegangen ist? Es hätte doch schon längst knallen müssen. Das war die einzige Reaktion, das waren auch keine Lehrer, und dann muss man sich fragen, warum machen wir das? Natürlich, der Widerstand ist groß und der wird auch groß bleiben und ich kann auch nicht versprechen, dass das was man neu macht, dass das auch immer 100-prozenttig von Anfang an funktioniert. Also - ich könnte jetzt auch nicht behaupten - und das ist sicherlich ein Stück Lebenserfahrung als Lehrer - dass das Ei des Kolumbus jetzt erfunden hätte und dass man sagen könnte Klipp machen, klipp machen und alles wird gut. Ich weiß nur, dass es so, wie es jetzt ist, nicht weitergehen kann."

    "Ein Kollege, der also Studienratslaufbahn hat, wird natürlich genauso eine 7. Klasse übernehmen, da wird nicht unterschieden. Wir achten aber drauf, dass in den Fachteams auch Lehrer drin sind, die Abiturstufenerfahrung haben, damit über diese Lehrer auch bestimmten Anforderungsprofile rein kommen in die Absprachen Am besten vermittelt man das, wenn man gemeinsam unterrichtet; genauso wie Lehrer, wenn sie das wünschen, auch wenn sie nicht Studienräte sind, in der gymnasialen Oberstufe unterrichten können. Sie suchen eine Grundschullehrerin, hab ich im Internet gelesen? Hm. Haben sie schon eine? Ganz viele Bewerbungen - Ich hab jeden 2. Tag eine Mail von Menschen die sagen, sie sind interessiert an dem Gemeinschaftsschulprofil. .. explizit .. Ja ja .. ich frage auch immer als erstes bei einer Bewerbung, wissen Sie, was wir für eine Schule sind? Haben sie sich das mal angeschaut? Sind schon welche weggegangen? Ne. Es gab Skeptiker an der Schule, es gab auch Gegner - aber keiner ist gegangen. Was sagen die Gegner? Ist mir zu heftig! Zweifeln, dass wir das können. Und manche sagen auch, ich schaff das nicht mehr. Sie sagen, im Prinzip ist das eine richtige Entscheidung aber unter den gegeben personellen Bedingungen - also 26 Pflichtstunden und dann der Druck, der lastet - das ist eine Sache, die ich nicht mehr schaffe. Und das ist ein Argument, das ich ernst nehme und das auch ehrlich und klar. 26 Stunden sind mörderisch viel! und jeder, der sagt, ich kann einfach nicht mehr - der hat mein Verständnis."

    Ortswechsel. Auch die B. Traven Gesamtschule in Berlin Spandau ist auf dem Weg zu einer Gemeinschaftsschule. Doch anders als in Neukölln bringen die Kinder und Jugendlichen hier zu fast zweidrittel eine Hauptschulempfehlung aus der Grundschule mit. Und: das benachbarte Falkenhagener Feld gilt als sozial problematisch, weswegen ein Quartiersmanagement eingerichtet worden ist. Aber noch etwas ist anders an der Spandauer Oberschule: Es fehlen die sogenannte Grundstufe und auch der Oberstufenzweig. Trotzdem will das Kollegium unter der pädagogischen Leitung von Rita Schäffler die Schülerinnen und Schüler so gut fördern, dass sie nicht nur den Mittleren Schulabschluss schaffen, sondern sogar das Abitur auf einem der vier Oberstufenzentren ablegen, mit dem die Schule kooperiert. Letzteres war allerdings Voraussetzung, um überhaupt an der Pilotphase Gemeinschaftsschule teilnehmen zu können.

    Pünktlich um acht Uhr morgens begrüßen sich Rita Schäffler und ihre Schülerinnen und Schüler. Das Thema Schulabschluss ist für die Siebtklässler noch lange nicht spruchreif. Und auch ihre selbst gesteckten Ziele sind vergleichsweise schlicht: Ich will bis zu den Osterferien immer meine Materialien dabei haben, steht da zum Beispiel auf kleinen Zetteln, die sie sich auf die Tische geklebt haben. Im Raum sitzen 21 Kinder, an Gruppentischen, wie es das Konzept Gemeinschaftsschule vorsieht.

    Jetzt steht Ethik auf dem Stundenplan. Rita Schäffler unterrichtet heute gemeinsam mit dem Religionslehrer. Freundschaft, lautet die Überschrift. Und weil die Klassenlehrerin auch Deutsch unterrichtet, sollen die Jungen und Mädchen sich Adjektive, Verben beziehungsweise Nomen ausdenken, die sie mit dem Thema Freundschaft verbinden. Gruppenarbeit ist angesagt.

    "Ihr seid ja fast fertig Wir sind eine ganz gute Tischgruppe ... Ist das denn der Unterricht so wie er immer ist? also dass ihr an Gruppentischen zusammen diskutiert? Oder wie?! Also es ist ´n bisschen anders. Weil an einer normalen Schule würde man an den Gruppentischen quatschen und hier machen wir wirklich, dass wir die Gruppe nutzen um mehr zu arbeiten.. Ist das tatsächlich so? ja! in Mathe auch? wie kommen Sie jetzt auf Mathe?.. Na, hier findet doch nicht nur Ethikunterricht statt.. Ja, in Mathe auch. genauso. Sind dann auch immer zwei Lehrer da? Nein, in Mathe nur einer. Aber manchmal kommt ein 2. dazu, der wechselt immer zwischen den Klassen. Aha. Wieso? Keine Ahnung, vielleicht weil wir vielleicht nicht so viele Mathelehrer haben, dass sie zwei in jedem haben können?! Weil, wir haben ja Doppelstunden. Dann kommen der erste zu uns und dann die 2. Std. geht er in die andere Klasse. Es gibt ja keine Leistungsstarken und Leistungsschwachen Kurse mehr wie in der Gesamtschule .. und jetzt haben wir aber, weil das Können ja trotzdem unter-schiedlich sind, haben wir sogenannte Individualisierungskurse eingerichtet - wir sagen immer "Indikurse" - und da können die Schüler nach Neigung und nach Leistung einen Kurs wählen. Und da haben wir Deutsch-Literatur, Mathematik im Alltag, Englisch als Theaterspiel, Kunst, Naturwissenschaften für die etwas Leistungsstärkeren. Und dann haben wir noch Basiskurse in Mathe und in Deutsch für die, die speziell gefördert werden müssen. Und das ist zwei Stunden in der Woche. Und da geht die Klasse auseinander. Und ansonsten sind die zusammen im Klassenverband. Und das probieren wir jetzt aus, ob das funktioniert mit diesen Individualisierungskursen. Das ist auch neu für uns, wir wissen noch nicht so ganz genau, .. ob wir damit so glücklich sind. Aber das machen viele Gemeinschaftsschulen. Die nennen das nur zum Teil anders, ne. Aber so im Prinzip brauchen wir irgendwas, wo wir auch so ´ne spezielle Förderung trotzdem noch haben. also alles können wir im Klassenverband nicht leisten, das geht nicht. also Extraaufgaben geht nicht so nebenbei mal.. das geht nich so nebenbei."

    Das Modell der kleinen Klassen in den Gemeinschaftsschulen können sich besonders die ehemaligen Gesamtschulen durch einen rechnerischen Trick leisten. Weil die Schülerinnen und Schüler nicht mehr nach Leistung aufgeteilt und unterrichtet werden, haben die Schulleiter jetzt Stunden übrig und auch die Räume, die sie für diese kleineren Klassen brauchen. Kein Wunder also, dass sich überwiegend ehemalige Gesamtschulen an der Pilotphase Gemeinschaftsschule beteiligen. Zwei Lehrer im Unterricht dagegen, so wie jetzt hier im Ethikunterricht, sind eher die Ausnahme. Denn nicht alle Schülerinnen und Schüler haben das Prinzip Gruppenarbeit schon begriffen. Sich gegenseitig zuzuhören oder Kompromisse zu machen, fällt manchmal noch schwer. Kevin zum Beispiel mault zwar immer wieder, wenn die Mädchen am Tisch einen Vorschlag machen. Hat selbst aber keine Idee für konstruktive Lösungen. Dann muss die Lehrerin helfend eingreifen, ermahnen, möglicherweise aber auch Konsequenzen ziehen. Wie bei Matthias. Er sitzt seit einiger Zeit allein an einem Tisch. Hat sich ständig mit den anderen gestritten, egal in welcher Gruppe er saß. Jetzt muss er eben, wie die Lehrerin sagt, mit sich selbst diskutieren ... .

    "Bist du alleine eine Gruppe? Na, so in der Art. Warum? Weil ich mich mit meinen andern Kameraden da drüben gestritten habe. Und wie geht's dir dabei? Na, ist schon in Ordnung so. Und mit wem diskutierst du jetzt? Ich denk mir irgendwas aus."
    Nicht Gruppenfähig heißt das im Sozialarbeiterdeutsch. Kurz: Hier wäre dringend Sozialarbeit gefragt. Aber dafür gibt es hier gerade mal zwei Planstellen. Viel zu wenige also um in den Unterricht zu kommen, damit Kindern wie Matthias gezielt geholfen werden kann. Also wird improvisiert; per Einzeltisch. Rita Schäffler hebt bei dem Gedanken ein wenig ratlos die Schultern. Es gibt noch einiges zu tun, damit sich das Projekt Gemeinschaftsschule zu einem Erfolgsmodell entwickelt. Und dies ist nur eine von vielen Baustellen.

    "Wir haben relativ häufig Teamsitzungen. Also alle Klassenlehrer der 7. und besprechen immer alles Mögliche. Was können wir anders machen, was läuft ganz gut, wo gibt es Schwierigkeiten; und wir haben jetzt zum Beispiel festgestellt, dass wir.. in den einzelnen Fächer viel mehr zusammen arbeiten müssen. Ne. Auch im Bereich Deutsch zum Beispiel viel häufiger Konferenzen nur für den 7. Jahrgang machen müssen, damit wir gemeinsam da erarbeiten, was wir wie im 7. Jahrgang machen. was wir da differenzieren können, wie das geht usw. das sind wir so nicht gewohnt.. Da hat jeder seins gemacht?! ja, ganz genau - und das muss schon anders werden. aber das geht nicht so von heute auf morgen. Das ist das Problem, wir arbeiten wirklich in kleinen Schrittchen. Aber, ich steh dahinter - also ich denke auch, diejenigen die stärker in der Gruppe sind, die profitieren auch davon, wenn sie den anderen helfen können. Weil in dem Moment wo se das formulieren müssen, erklären müssen, wird es ihnen ja auch klarer im Kopf dann. Und di e Starken kriegen auch dann Extraaufgaben immer mal wieder. ist nicht so, dass wir die vernachlässigen.. Aber noch mal zu der Frage - jede Gemeinschaftsschule macht es im Prinzip ähnlich? Das heißt sie haben alle eine zentrale Fortbildung gehabt? Ja, wir haben mehrere Fortbildungen, immer wieder. brauchen wir auch, wo wir auch ganz praktische Unterrichtsbeispiele kriegen, wie man diese Binnendifferenzierung machen kann.. also das geht von der Projektleitung im Senat aus und die haben ja eine ganze Truppe von Frauen, Kolleginnen, die uns - die Gemeinschaftsschulen fortbilden in den verschiedenen Fächern. Und das ist relativ häufig; 1x im viertel Jahr und dann werden die Schulleitungen immer gesondert fortgebildet - und wir müssen auch immer Bericht abgeben, was wir machen, wie weit wir sind. ... Wir haben Unterstützung an der Schule - wir haben eine wiss. Begleitung an der Schule Ja - mein Lieber."

    Besuch in der Senatsschulverwaltung. Hier sitzt Sigfried Arnz. Er ist der ist der Leiter der Pilotphase Gemeinschaftsschule. "Die neue Schulform soll durch längeres gemeinsames Lernen zu mehr Chancengleichheit und -gerechtigkeit unabhängig von den Voraussetzungen der Kinder und Jugendlichen führen," hat er in einem Schreiben an die Eltern formuliert. Es gab noch nie homogene Lerngruppen, lautet sein Mantra. Aber so lange es die Gymnasien gibt, wird auch das gegliederte Schulsystem weiter existieren, sagte er. Nur: internationale Studien belegen auch, dass Deutschlands Schulen über 25 Prozent der 15-jährigen in wesentlichen Bereichen nicht erreichen beziehungsweise diese sogar unter Grundschulniveau bleiben - das kann sich eine Gesellschaft einfach nicht leisten, erklärt Arnz, der früher Leiter einer Tempelhofer Hauptschule war. Seit vielen Jahren plädiert er dafür, Haupt - und Realschulen zusammen zu fassen und die Jugendlichen individuell nach ihren Fähigkeiten zu fördern. Schulen, wie etwa die Heinrich von Stephan Schule in Berlin-Mitte beweisen, dass dieser Weg erfolgreich ist. Inzwischen melden immer mehr Eltern von Kindern mit einer Realschulempfehlung ihre Kinder in der ehemaligen Hauptschule an. Demnächst sollen sogar noch die potentiellen Gymnasiasten dazu kommen. Mit anderen Worten: auch das Angebot Gemeinschaftsschule kann nur dann erfolgreich sein, wenn die Nachfrage stimmt. Genau deshalb wurde die wissenschaftliche Begleitung eingesetzt, so Siegfried Arnz.

    "Das find ich ´n Grundprinzip. Dass man sich in die Karten gucken lassen muss. Das gilt natürlich eigentlich überall, nicht nur im öffentlichen Bereich, gute Unternehmen tun das sowieso. Mit einem Blick von Außen einschätzen zu lassen, wie gelingt das, was ihr da macht. Das hat ganz viele Vorteile. 1., die Betriebs-Blindheit zu überwinden; jedes soziale System hat ganz natürlich blinde Flecke, und sozusagen sich den Blick von Außen zu leisten und zu sagen: da seid ihr gut und das gelingt euch nicht, das finde ich ausgesprochen wichtig und das gilt erst recht für ein solchen Weg wie wir ihn jetzt beschreiten, kann dieser Weg Gemeinschaftsschule gelingen und was ist erforderlich, dass er gelingt. Das, was wir mit der wiss. Begleitung wollen ist ja nicht nur einfach der Spiegel oder einfach der Blick von Außen, sondern wir wollen eben die Erfahrung, auch die universitäre Erfahrung nutzen, um sowohl konzeptionell als auch von der jeweiligen Akzeptanz der Eltern und von der Gestaltung der Lernprozesse in den Schulen zu begleiten, wie kann das gelingen. Das heißt wir haben eine Prozessbegleitung, wir haben nicht nur einfach eine Ergebnis-Evaluation, eine Prozessbegleitung zum Beispiel die jetzt in den Schulen alle Gruppen befragt, ihre Einschätzung und wir haben die wiss. Begleitung nicht einfach eingesetzt, sondern wir haben eine Ausschreibung vorgenommen, hatten eine ganze Reihe Bewerbungen, Konsortien sowohl aus Berlin als auch von Außerhalb - .. und ich bin sehr froh über die wissenschaftliche Begleitung die zwei wesentliche Voraussetzunge mitbringt: Es ist ja das Rumble Konsortium und Prof. Bastian, Uni HH; da sind zwei unterschiedliche Linien, die sich hier zu einem Konsortium zusammen geschlossen haben, Rumble Management hat viel Projekte, die zwischen Schule und Wirtschaft entwickelt worden sind wiss. begleitet auch in Verbindung mit der Stiftung Dtsch. Wirtschaft einerseits. Und Prof. Bastian hat Schulreformprojekte, sehr erfolgreiche - Max Brauer Schule in HH - die wenn man so will eine Gemeinschaftsschule ist, auch von 1 bis zum Abitur - hat er sehr langfristig erfolgreich wiss. Begleitet. Das heißt auch den päd. Prozess sehr genau kennen gelernt. und die beiden als Konsortium jetzt gewonnen zu haben finde ich eine ausgesprochen glückliche Konstellation."

    Das Projekt Gemeinschaftsschule in Berlin ist heute Thema in PISAplus.

    Zurück nach Spandau zur B. Traven Schule. Rita Schäffler hat in der großen Pause die Tür zu ihrem Büro weit geöffnet. Viele Schülerinnen und Schüler nutzen die Gelegenheit für ein kurzes Gespräch. Wie Svantje. Wahrscheinlich wird sie den Mittleren Schulabschluss nicht schaffen, vermuten die Lehrer. Auch sie selbst hat da wenig Hoffnung. Sie ist in der 9. Klasse und geht seit zwölf Jahren zur Schule, sagt sie bestimmt, das muss reichen. Aber dann hätte sie, wie so viele andere Jugendliche, überhaupt keinen Schulabschluss, mahnt die Lehrerin. Denn die Prüfung für den Mittleren Schulabschluss darf jeder nur einmal machen. Wenn das Mädchen dagegen in einer der Praxisklassen den versäumten Lernstoff wenigstens teilweise nachholt, hat sie doch noch Chancen. Wenigstens auf den einfachen Hauptschulabschluss. Nachdenklich verlässt die Schülerin das Lehrerzimmer. Und schon schiebt Schulleiter, Harald Kuhn die nächsten durch die Tür. Max, Nicos und Patrick. Sie sollen das Prinzip des Nicht Sitzenbleibens erklären. Denn in der Gemeinschaftsschule gibt es kein Probehalbjahr mehr. Auch das Sitzen bleiben ist abgeschafft. Normalerweise hätten die drei Jungs die 9. Klasse wiederholen müssen. Aber an der B. Traven Oberschule gibt es das schon lange nicht mehr. Stattdessen wurde der Status "Gastschüler" eingeführt. Gastschüler?, was ist das denn?

    "Denn haben die mir gesagt, dass es diesen Gastschülerstatus gibt und dass ich denn ein halbes Jahr Zeit habe um meine Noten zu verbessern. Also ich bleib in meiner Klasse, damit ich das Gemeinschaftsgefühl noch da bleibt - und ja ... also es gibt ja diese Arbeitslehrekurse, die man selber aussuchen kann - und in der 9. hat jeder zwei bekommen. Das heißt 1x Arbeitslehre und Musik oder so. und wir haben nur 1 bekommen - und Förderkurs. Also allgemein haben wir da die Noten verbessert. ist denn so ´n Gaststatus Motivation oder ist das nicht ´n arg strammes Programm? Irgendwie hört sich das total anstrengend an..?! ich find, das ist nicht anstrengend. Das wird in den normalen Unterricht integriert, dass wir das schaffen .. (Lehrerin) Ich zeig ihnen das mal hier .. Die haben zwei Wahlpflichtkurse. Zum Beispiel hier Dienstag, 6., 7. hat der 9. Jahrgang und Donnerstag erste, zwote - und einer dieser Wahlpflichtkurse, die haben die Schüler nicht, sondern stattdessen Förderkurse. Also sie machen keinen zusätzlichen Unterricht, sondern das ist in den Unterricht eingebaut, ne. Was gibt einem denn so die Motivation weiter zu machen? und nicht wieder .. so - jetzt hab ich es geschafft, kann ich mich zurück lehnen..?! ich hab es gemacht, damit ich meine Mutter nicht noch mal enttäusche. Und das ist extra eine gute Schule, damit man das noch schaffen kann, dass man jetzt gleich 9. ist. Sonst - wäre ich ja ´n Jahr länger auf der Schule geblieben. Wie alt seid ihr eigentlich? Ich bin 15 .. Also das ist der berühmt berüchtigte Knoten, der platzt?! Das hat eben auch mit dieser Fördermaßnahme zu tun. Das ist eine andere Art Verständnis von Schule , also indem ich den Schüler nicht nur abkanzel oder nur negativ bewerten, sondern eben gucken, wo seine Stärken rauskitzeln, ja. und eben da ihn fördern wo er die Schwächen hat, ja. denn es gibt keine guten oder schlechten Schüler, es gibt nur Schüler mit Stärken und Schwächen und wir versuchen beides gezielt, individuell zu fördern. Und das klappt einigermaßen, kann man sagen."

    Schon wenige Minuten später wird der letzte Satz von Harald Kuhn auf drastische Weise konterkariert.

    "Das ist jetzt der Basiskurs Mathe.. Können wir ruhig mal reingehen.. Ruhe bitte.. Hallo Frau Schäffler .. Ruhe bitte.. darf ich um Ruhe bitten.. Kevin .. eure Blätter .. hab ich nicht ... okay - dann nehmt ihr bitte ´n normales Blatt raus.. kannst du ´n Kommentar dazu sagen.. Gegenstände fliegen.. kannst du noch die 2. rechnen.. Notiert ihr bitte ... schreibst du bitte weiter.. . Stopp mal - 2x3 bin ich einverstanden.. würdet ihr bitte jetzt die Aufgabe c und d alleine rechnen ... Kinder schimpfen vor sich hin."

    Zehn Schülerinnen und Schüler, versprengt in einzelnen Ecken sitzend hören miss-mutig einem offensichtlich überforderten Lehrer zu. Während sich die einzigen beiden Mädchen bemühen, irgendwie den Überblick zu behalten, lümmeln die meisten Jungs auf ihren Stühlen. Sie stören massiv und es scheint fast so, als fühlten sie sich von der Aufforderung des Lehrers, sich zu beteiligen, belästigt. Die Bitte, doch wenigstens ein Blatt auf den Tisch zu legen wird überhört. Nach kaum fünf Minuten Hospitation im Unterricht des Kollegen steht eine nachdenkliche Rita Schäffler auf den Flur:

    "Da haben Se glaub ich aber auch schon gemerkt, dass die ganz Schwachen, das sind auch die Verhaltens-schwierigen .. Wollt ich grade sagen, die der Lehrer versuchen muss qua Autorität .. Tür .. zu bündeln. Hm - Obwohl das nur sehr wenige sind ist das trotzdem, wenn da drei oder vier drin sind, die sich überhaupt nicht verhalten können, ist das enorm schwierig. Gut - da sind jetzt die drin, die in Mathe ganz (!) schwach sind. Hat man ja auch gemerkt. Auf der andern Seite ist es ja tatsächlich so, es brauchen bloß zwei so schwierige zu sein, dann ist das Niveau unterirdisch?! (nachdenklich) Ja ... . weil die ja! die ziehen dann auch so die ganze Aufmerksamkeit auf sich. Es ist schwierig. Aber ist das nicht genau die Krux, die die Sache mit dem Binnendifferenzieren so schwierig macht?! Nun ist das aber auch ´n Basiskurs, also da sind die Schwachen drin, die eh wenig Lernmotivation haben. wenn die jetzt in ihren eigentlichen Klassen sind, sind sie ja mit 20 anderen zusammen. Und dann ist es nicht so schlimm. Weil dann werden se noch von anderen ´n bisschen im Zaum gehalten. Nur, wenn die so massiv auftreten so wie jetzt - ich kannte den Kurs auch noch nicht, da waren ja auf Anhieb 5 Leute, die extrem schwierig waren - wenn es insgesamt, waren es 10? .. dann ist das ja ... Die Hälfte! Ja. das ist ja kaum zu schaffen. Ja, aber macht das dann Sinn? Tja, das sind so Punkte, die man eben diskutieren muss. und wir haben demnächst ´n Gespräch mit allen Kollegen, die die Kurse machen um mal deren Erfahrung zu hören, ne. Weil, normalerweise gucken wir da nicht rein. Und dann werden wir mal sehen, was die sagen."

    Vom Nordosten Berlins zum entgegen gesetzten Ende der Hauptstadt. Genauer nach Adlershof, zur Anna Seghers Schule. Auf einer kleinen silbernen Gedenktafel gleich neben dem Eingang steht: "1920 entstand hier die erste weltliche Schule Berlins. Mit der vollzogenen Trennung von Schule und Kirche war es der Versuch eine Gemeinschaftsschule für Jungen und Mädchen unabhängig von der geistigen Haltung und ihrer Herkunft zu etablieren." So gesehen ist die Schule nach beinahe 90 Jahren auf dem Weg zurück zu ihren Wurzeln. Aufbruchstimmung auch hier.

    Eine große Sporttasche über der Schulter wartet Enrico im Sekretariat auf seinen Einsatz. Der 19-Jährige, so hatte die Schulleiterin vorab erzählt bietet im sog. Mittagsband - also der gut anderthalbstündigen Pause bis zum nächsten Unterrichtsblock am Nachmittag - eine HipHop-AG für die Siebtklässler an. Immer dienstags. Und zwar freiwillig. Okay, die Schule hat ihn ein bisschen an seinem tänzerischen Ehrgeiz gepackt. Denn Enrico will später Tanzlehrer werden und unterrichtet schon jetzt in einem Studio. Also, warum nicht auch hier in der Schule? Sein Kumpel, der später Chemie studieren will, bietet zeitgleich eine Chemie AG an, andere aus dem 13. Jahrgang spielen mit den Kleinen aus der ersten Klasse, die es seit diesem Schuljahr hier gibt. So hat jede oder fast jeder der Großen eine Aufgabe gefunden in dem neuen Konstrukt Gemeinschaftsschule.

    Der Trainingsraum ist im Keller. Die Wand, links neben der Tür ist komplett verspiegelt. Genau gegenüber stehen Stapel von Stühlen. Kichernd betrachten die Mädchen das Mikrofon. Die Jungs dagegen demonstrieren Langeweile und lassen sich breitbeinig auf die Stühle fallen. Enrico hat sich inzwischen umgezogen. Mit Basecap, weiten, hellgrauen Jogginghosen sowie einem T-Shirt in Größe XXL stellt er sich vor der Gruppe auf.

    "Okay, das letzte machen wir noch mal. Könnt ihr nicht mal eure Jacken ausziehen .. doch .. damit könnt ihr doch gar nicht tanzen - ja du, das ist auch was anderes, du hast eine große Jacke an, aber ..,5,6, 7,8."

    Ungerührt von der allgemeinen Lustlosigkeit beginnt Enrico mit den ersten Tanzschritten. Die Gruppe folgt zögernd. Die Mädchen in ihren engen Jacken können sich kaum bewegen. Aber die Jugendlichen haben die Bitte sich umzuziehen von Anfang an boykottiert. Beim nächsten Kurs im kommenden Schulhalbjahr wird er das nicht mehr kommentarlos hinnehmen, erzählt Enrico mir später. Wer nicht pariert, fliegt raus. Doch hier und jetzt wird nicht mehr diskutiert. Man trifft sich eh nur noch wenige Male. Und überhaupt: so ist das nun mal, wenn Kinder in der Pubertät sind, lacht Enrico das Problem einfach weg.

    "Klar sind wir schon aus der Pubertät raus, einige noch nicht .. aber .. natürlich wissen wir, wie es ist in dem Alter. Und verstehen natürlich die Probleme wenn es kommt: ach ja, ich hab mich verliebt, ich weiß nicht wie ich das machen soll und die Lehrerin ist blöd .. wo man dann sagt: das ist ganz normal. Das hat jeder gedacht in dem Alter. Stichwort Verantwortung?! Es ist schon eine ganz schön große Verantwortung natürlich .. dass wir die 7.Klässler halt beaufsichtigen, dadurch dass wir jetzt nicht das Pädagogenstudium hinter uns haben und so .. Aber man lernt dazu. Man lernt dazu, wie man das im Leben einfach machen kann, wirklich sagen wir mal, Menschen unter Kontrolle haben kann. sprich, wenn se halt jünger sind, wie man denen beibringen kann, Respekt zu haben, man lernt einfach, wie man viel weiter vermitteln kann. und die Kinder vermitteln einem auch wieder was zurück. Man lernt voneinander ... Und die Mädchen erzählen mir auch ihre Probleme in der Schule und welche Lehrer und ich setz mich auch mit denen auseinander und probier auch wirklich halt Konflikte zu lösen, wenn alt welche da sind. Dass halt keiner benachteiligt ist und denkt, ach nee, die Lehrerin hat was gegen mich und dann reden wir einfach drüber, dass die Mädchen vielleicht merken, dass sie selber auch Fehler haben. und das ist zum Beispiel bei einem Mädchen hier auch der Fall gewesen, die immer auf ner Lehrerin rum gehackt hat, aber letztendlich ist raus gekommen, dass sie der Fall ist. Und sie hat es jetzt auch eingesehen und sich verbessert."

    Parallel zur Tanzgruppe treffen sich die sog. Paten mit den Kindern aus der ersten Klasse. Ein Markenzeichen dieser Gemeinschaftsschule. Denn mit dem neuen Schuljahr wuseln jetzt auch Fünfjährige über das Schulgelände. Damit die ganz Großen und die ganz Kleinen sich nicht beziehungslos gegenüber stehen, gab es die Idee mit den Paten. Insgesamt 47 Schulanfänger sind es, die in den ehemaligen Arbeitslehreräumen untergebracht sind. Der Flur ist übersät mit winzigen Paaren Schuhe. Girlanden und Bilder schmücken die Wände. Überhaupt sieht es hier eher nach einer Kita, als nach einem Schulgebäude aus. Die 1a ist soeben fertig mit Mittag essen und die Kinder stürmen aus dem Essensraum auf Janina, Claudia und Stine zu. Wie kleine Äffchen hängen sie sich an die 18 und 19-jährigen Mädchen, die das geduldig geschehen lassen.

    "Wir haben es per Auslosung gemacht.. und das ist aber nicht Deine?! Die sind alle so zutraulich, die kommen immer alle .. wer bist du denn? Ich heiß Alina.. und wer ist deine große Patin? Ich hab ein Pate. Volkmar heißt der. Wo ist der.. Der ist bestimmt noch auf der Hofpause. Er kommt nicht grade oft. Der hat immer so viel zu tun und.. Und was macht ihr alles zusammen? Spielen! Inner Hofpause kommen wir halt oft rüber und.. spielen mit denen und wen wir mal eine Freistunde haben, setzen wir uns mit in den Unterricht rein ... Und was macht den Job so attraktiv? Spaß haben mit den Kleinen. Ist einfach schön so mit den Kleinen was zu machen.. Das ist deine? .. wer bist du denn? Nele ... und ihr mögt euch, sehe ich richtig? .. wie lang kennt ihr euch jetzt? Auch so seit Oktober - aber ich kenn ja ihre Mama schon länger ... (Pate) Geht ihr jetzt raus? (Kind) nee, das ist zu glatt, weil da fallen wir bloß hin .. aber ich hab Geld mit! .. soll ich dir mein Portemonnaie zeigen .. Diese Kontakte, hab ich mir angelesen, gehen auch über diese schulischen Geschichten raus? stimmt das? Ihr trefft euch auch privat mit denen? Ja, manche werden zum Kaffe essen eingeladen oder sonst zum babysitten.. wie alt sind die jetzt? ... 5? ..6? so in dem Dreh.. sie hat schon einen auf dem Schoß und sagt, sie kennen sich überhaupt nicht - das kann gut sein, also die kommen einfach auf einen zu und sagen, ja, bist du meine Patin oder so ähnlich, das ist ganz lustig ... Ja, aber wie merkt man, dass man sich sympathisch ist? oder geht das automatisch.. also die sind alle so lieb, das geht automatisch, die sind alle sehr lieb. In welcher Jahrgangsstufe seid ihr eigentlich? 13. Ach so, kurz vorm Abitur?! Ja. Hat man ja eigentlich was anderes zu tun, als auf Kinder aufzupassen - Ja, aber in der pause ist es immer eine gute Abwechslung. Finde ich zumindest. Da kommt man mal von dem Schulalltag so ´n bisschen weg, kann man sich mit den Kleinen beschäftigen und denn brauch man nicht an Schule denken. Sie sind Erzieherin hier? Jaaa. Wie erleben Sie das denn, wenn die Großen mit den Kleinen. Ich bin da gerne Beobachter! Ne, und da ist das recht schön wie die Großen mit den Kleinen umgehen, dass die och spielerisch wunderschön mit den Kindern umgehen, also ich ..auch wenn man das draußen so beobachten kann, das sind nicht Schüler der 11., 12. oder 13. Klasse, sie sind och ganz schnell und sind genauso und spielen mit den Kindern, wo man sagt?! So was gibt es auch noch? Ich find das ganz toll."

    Dass sich das Patenmodell so erfolgreich entwickeln konnte, überrascht alle. Mehr und mehr der älteren Schülerinnen und Schüler bewerben sich, wollen in ihren Freistunden im Unterricht mithelfen. Nicht nur bei den Kleinsten, auch im 7. Jahrgang. Nicht zuletzt deshalb haben die Schüler einer 11. Klasse ein Netzwerk gegründet. Was sich dahinter verbirgt?

    Steven Franke und Rebecca Nessich sind einigermaßen überrascht, als die Schulleiterin Angelicha Jurczich die beiden aus dem Matheunterricht heraus in ihr Büro dirigiert.

    "Dass Lehrer halt uns gefragt haben, ob wir die Möglichkeit hätten, nach der Schule oder während des Unterrichtes Förderunterricht zu geben, dass halt bei schwächeren Fächern dann dort die Schüler unserer Klasse oder auch aus der 12. und 13. den Schülern, die Probleme haben, direkt helfen können. Wo bist du fit? Also ich kann relativ gut Mathe und Deutsch und dann vielleicht noch ´n bisschen Geschichte.. Wir versuchen auch Vorschläge zu machen, dass wir in den großen Pausen jetzt nicht mehr raus müssen, sondern auch versuchen auch im Gebäude bleiben zu können.. Und da wollen wir zum Beispiel planen, dass es Ordnungsgruppen gibt, die von Neuntklässlern und Zehntklässlern geführt werden.. und dass halt auch die Lehrer mehr unterstützt werden, zum Beispiel die Aufsicht zu machen.. dass jetzt auch die Schüler sich mit verantwortlich fühlen. Wie halt die Hofpause gestaltet wird und auch Unterricht - wie dann alle Klassen miteinander verknüpft werden.. Wie gestalte ich denn ´ne Hofpause. Ich dachte, da steht man nur rum?! Ja, genau. Und das soll halt bei Regenpausen zum Beispiel dass man mal ´n paar Aufgaben machen kann, schon mal. Vorbereitend für den Unterricht. dass halt immer, sag ich mal, aktiv Unterricht machen kann auch in den Pausen .. Wie schrecklich ... wir möchten halt grade im Winter.. möchten die meisten drin bleiben, aber das dürfen wir ja nicht. und das wollen wir halt ändern, und deswegen wollen wir zum Beispiel Gemeinschaftsräume der Klassen oder so was machen, wo wir uns aufhalten können. Was verbindet einen denn so sehr mit Schule, dass man sich derart engagiert?! Ja, weil man selber auch Fehler in der Schule feststellt und die dann auch beheben möchte. Was stinkt dich denn hier an? Dass man halt mit andern Schülern nicht wirklich Kontakt hat. dass halt jeder Schüler in seiner Klasse ist und das reicht und dass insgesamt in der ganzen Schule jeder mit jedem sprechen kann oder Kontakt haben könnte. dass halt innerhalb der Schule so ´n Wir-Gefühl entsteht. ich nehme mal an, das Schulklima ändert sich jetzt?! Ja. War das denn vorher so furchtbar? Ja, nein - das war nicht so furchtbar. Aber jetzt kommt ja eine große Änderung durch die 1. Klassen und dann auch später die 2. und 3. Klassen müssen wir uns erstmal dran gewöhnen. Und jetzt möchten wir halt auch mit denen mehr Kontakt haben. durch Patenschaften zum Beispiel.. Was macht es denn so attraktiv? Die Kleinen... Eigentlich sind die auch mehr offen, diese Kleinen. Die nehmen sich mehr von den Großen dann an, möchten dann auch, sag ich mal, dass ich dann als Bruderfigur oder so ansehen. Und das ist dann halt auch so was, dass ich dann auch als 11.-Klässler dann das Gefühl kommt, ja, den kann man helfen und den möchten, dass geholfen wird und das ist dann auch für einen selber so ´ne Bestätigung, dass die auch Hilfe brauchen und wir Hilfe geben können."

    Ursprünglich wollte die Anna Seghers Oberschule in Berlin Adlershof mit der benachbarten Grundschule kooperieren. Aber das hat nicht geklappt. Dann bauen wir eben unsere eigene Grundstufe auf, sagte sich das Kollegium um Angelicha Jurczich. Heißt das: die Grundschulempfehlung, welches Kind sich voraussichtlich wie entwickelt und welche weiterführende Oberschule besuchen sollte, ist damit obsolet?!

    "Ich stehe sowieso auf dem Standpunkt, dass dieser Schulwechsel zu einem Zeitpunkt stattfindet, den ich für außerordentlich ungünstig halte. Weil die Schüler in einem Alter sind, wo sie so in ihrer eigenen Umstrukturierung sind, so in biologischen Prozessen sind, die eigentlich eine absolute Veränderung in der Regel auch ihrer Persönlichkeit, auch ihres Anspruchs an Wissen usw. Sodass man also zu dem Zeitpunkt wenn man also relativ spät das macht, nicht wirklich eine gute Prognose geben kann. wir haben auch Schüler mit einer Hauptschulempfehlung, die am Ende das Abitur abgelegt haben. das sind also wirklich so Biografien die man nachvollziehen kann, wo an dem Punkt grade der Schüler sehr pubertierend ist, überhaupt keine Lust auf Schule hat oder was auch immer grade in seinem Umfeld passiert und dass die Lehrer dann sagen, er wäre an der Hauptschule gut aufgehoben - damit ist ja irgendwo so ein Stückchen weit sein Schulabschluss vorprognostiziert, und in Wirklichkeit ist es dann an irgend einem Zeitpunkt in so einer Entwicklung, dass er ´n Abitur leisten kann.. halt ich für sehr bedenklich.. Wobei wir da wieder bei dem alten DDR-Prinzip wären ..?! Wieso? Na, mit 10 Jahre zusammen beschulen und dann sehen wir weiter..?! Ja, ob das immer verkehrt war, weiß ich nicht. sag ich einfach mal so. ob das nicht an best. Stellen auch ´n Vorteil war, dass man eben wirklich lange gemeinsam .. Was ist negativ daran, wenn man lange in überschaubaren Klassen gemeinsam lernt. Ich höre immer so einen negativen Touch raus! ich sehe an bestimmten Stellen hat eben die Praxis gezeigt, dass es vielleicht gar nicht so schlecht war, dass man lange .. wichtig ist, dass es die Schule gemeinsam macht. Dass es Hand in Hand geht. Dass das, was die einen aufbauen, die andern fortsetzen können. Davon profitieren die Kinder eigentlich nur. Als wenn man so ´n Schnitt macht und sagt: jetzt fängt das wahre Leben an. Ob nach Klasse 4 oder nach Klasse 6. Wir haben gestern Eltern gehabt, die ihr Kind an einem Schnellläufergymnasium hatten in Klasse 5 und 6. und die jetzt sagen, so - und jetzt nehmen wir es da wieder runter und jetzt soll es an eine weiterführende Oberschule gegeben werden, weil wir wollten verhindern, dass es in Klasse 5 und 6 nicht genug gefördert wird. Und das ist nicht ein Einzelfall. Die einfach sehen, dass an den Grundschulen nicht das gemacht wird, was die Eltern erwarten an Leistungsvorbereitung und die dann sagen, okay, wenn mein Kind das schafft an einem Schnellläufergymnasium zu gehen, dann machen wir das. Die aber dann merken, dass natürlich der Leistungsdruck sehr hoch ist, dass wenig Zeit bleibt für Freizeit und die dann sagen, okay, und jetzt geht's wieder seine normale Schullaufbahn weiter. Denen geht's nicht um Elite, ein Teil der Eltern geht's wirklich darum, diese Phase die so unbefriedigend ist, zu überbrücken. Für uns war es auch relativ neu; aber sehr überraschend. Dass Eltern auf die Art und Weise .. bestimmte Dinge, mit denen sie nicht zufrieden sind, umgehen. Das ist für mich bedenklich. Und es ist nicht eigentlich das, was beabsichtigt ist mit Schnellläufergymnasium. Und insofern haben wir gesagt, weil, der Bedarf der Eltern war da, dann machen wir unser eigenes - und ich sag im Nachhinein jetzt, es ist gut so."
    Angelicha Jurczich hat sich wie alle anderen Kolleginnen und Kollegen, sehr viel Zeit genommen, um das Modell Gemeinschaftsschule zu erklären. Mit allen Unwägbarkeiten - aber auch den Chancen, die es hat. Wer sich an die Diskussionen über die Gesamtschule erinnert und woran manche gescheitert sind, kann das Engagement und die Aufbruchstimmung in den Schulen vielleicht verstehen. Aber auch die Skepsis derjenigen, die sich nur schwer vorstellen können, wieso ausgerechnet die Schulform Gemeinschaftsschule zu besseren Ergebnissen kommen soll. Angesichts der desolaten Finanzlage in Berlin, der personellen Engpässe, der immer älter werdenden Kollegien. Und: nicht zuletzt, weil, um Erfolg zu haben alle am gleichen Strang ziehen müssen. Schule, Elternhäuser und die Kinder selbst. Doch wir müssen heute andere, neue Wege in der Pädagogik gehen. Dazu brauchen wir Zeit, antwortet Angelicha Jurczich und spricht aus, was alle Lehrerinnen und Lehrer mir so oder ähnlich ins Mikrofon gesagt haben.

    "Wir befinden uns auf einem Weg der 1. steinig ist, gar keine Frage. Der nicht immer gradlinig sein wird, der auch dazu führen wird, dass wer manchmal auch ´n Schlenker machen müssen und gucken müssen, dass man auch mal ´n Schritt zurück geht, auch das gehört dazu, realistisch einschätzen zu dürfen, an der Stelle haben wir uns Gedanken gemacht, die so nicht richtig waren oder wo wir uns noch mal korrigieren müssen. Deswegen sag ich immer, wir brauchen auch von Außen die notwendige Ruhe, um arbeiten zu können. Es ist immer so, dass man sehr viel erwartet und die Zeit sehr kurz ist. also man braucht grade in der Pädagogik Zeit; Ruhe und man muss einem auch die Möglichkeit schaffen, seinen Weg zu finden."