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Eine Gewerkschaft als Hort des Umsturzes

Die polnische Gewerkschaft Solidarnosc avancierte Anfang der 1980er Jahre zu einer gesellschaftlichen Bewegung, die mit ihren Forderungen nach mehr Demokratie die Alleinherrschaft der Kommunisten infrage stellte. 1982 wurde sie verboten.

Von Helga Hirsch | 08.10.2007
    Fragte man die Bürger auf der Straße, wann die freie und unabhängige Gewerkschaft Solidarnosc verboten wurde, so würde die Mehrheit der Polen verwundert aufblicken. Selbstverständlich, so die landläufige Meinung, endete die legale Existenz von Solidarnosc mit dem Kriegsrecht im Dezember 1981. Fast alle Führer wurden damals verhaftet und interniert, Zehntausende von Aktivisten entlassen. Den neun Millionen Mitgliedern waren Versammlungen und Demonstrationen untersagt. Solidarnosc konnte sich nur noch aus dem Untergrund melden.

    Rein juristisch hatte das Kriegsrecht die Tätigkeit der Gewerkschaft allerdings nur suspendiert. Die offizielle Auflösung der Organisation erfolgte erst am 8. Oktober 1982. Zehn Monate hatte Solidarnosc aus dem Untergrund agiert, ohne verboten zu sein. Dazu der Historiker Andrzej Albert:

    "General Jaruzelski meinte zunächst, der Arbeiterflügel der Gewerkschaft könne sich von den sogenannten Propheten der Konfrontation und Konterrevolution trennen. Dann hätte man eine Wiedergeburt der Solidarnosc in reduzierter Variante in Betracht ziehen können. Doch im Sommer 1982 wurde schon nicht mehr über Suspendierung, sondern nur noch über Liquidierung von Solidarnosc geredet."

    Der Versuch, eine vom Regime gesteuerte Solidarnosc mit Hilfe inoffizieller Mitarbeiter des Geheimdienstes zu schaffen, war kläglich gescheitert. Auch der internierte Gewerkschaftsführer Lech Walesa hatte jegliche Mitarbeit an einer angepassten Organisation abgelehnt. Eine Unterwerfung kam nicht infrage. Das bekräftigten untergetauchte Gewerkschaftsführer immer wieder, wenn sie sich im stark sendegestörten Radio Solidarnosc zu Wort meldeten:

    "Wir wollen keine Rache, wir wollen keine Vergeltung - wir wollen eine landesweite Verständigung. Aber eine Verständigung, die der Gesellschaft keine Kapitulation aufzwingt, sondern für alle Polen eine haltbare Grundlage beim Aufbau unseres Landes schafft."

    Die Frage war allerdings, wie eine Verständigung mit einer Macht erreicht werden könnte, die sich auf keine Kompromisse mehr einließ und auf Protest mit massiver Gewalt reagierte. Die einen setzten auf starke Untergrundstrukturen und letztlich auf einen Generalstreik. Die anderen plädierten für ein dezentrales Netz aus Solidaritätskomitees, Freundes- und Kollegenkreisen. Die offene Konfrontation galt als zu riskant, zudem nahm die Bereitschaft zum offenen Widerstand von Monat zu Monat ab. Nur einmal noch, am 31. August 1982, kam es zu großen Demonstrationen. Dazu der Historiker Lukasz Kaminski:

    "In fast 60 Städten wurde gestreikt. Vielerorts kam es zu Straßenkämpfen, die nur mit großer Mühe von den Ordnungskräften gewonnen werden konnten. In kleineren Ortschaften ohne Miliz beherrschten die Demonstranten die Straßen viele Stunden ohne jede Behinderung. Der 31. August war der Höhepunkt des Widerstands, er brachte ihn aber auch gleichzeitig an den Rand der Erschöpfung."

    Danach vollzog die kommunistische Macht, was sie zuvor noch nicht gewagt hatte. Am 8. Oktober 1982 verabschiedete das polnische Parlament mit zwölf Gegenstimmen ein Gewerkschaftsgesetz, das alle Gewerkschaften für aufgelöst erklärte, einen Gewerkschaftspluralismus in Zukunft untersagte und die unbotmäßige Solidarnosc damit aus den Betrieben vertrieb. Aus dem Ausland kamen scharfe Proteste. Im Lande selbst aber wurde der spontane Streik auf der Danziger Werft nicht von anderen Belegschaften aufgegriffen, auch der Aufruf der Gewerkschaftsführung zu einer landesweiten Arbeitsniederlegung einen Monat später wurde kaum befolgt.

    Es sollten sieben Jahre vergehen, bis Solidarnosc wieder aus dem Untergrund auftauchen konnte. Die Gespräche am Runden Tisch beendeten die Alleinherrschaft der Kommunisten in Polen. Im April 1989 ließ sich Solidarnosc wieder als Gewerkschaft registrieren.