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"Eine grobe Idee habe ich schon"

Christoph Schlingenief wird den Deutschen Pavillon auf der Biennale gestalten - und freut sich schon darauf. Thematisch gehe es auf der Biennale um "das Nationale und das Globale" - und was beides miteinander zu tun habe.

Christoph Schlingensief im Gespräch mit Doris Schäfer-Noske | 03.05.2010
    Doris Schäfer-Noske: Zunächst jedoch zu Christoph Schlingensief, auf den eine neue Aufgabe wartet. Er war kein Opernregisseur, als er nach Bayreuth gerufen wurde, um dort den "Parsifal" zu inszenieren, er ist kein bildender Künstler und trotzdem wurde nun bekannt, dass Christoph Schlingensief nächstes Jahr den deutschen Pavillon auf der Biennale von Venedig gestalten soll. Dazu die Kuratorin Susanne Gaensheimer.

    Susanne Gaensheimer: Ich finde das ja immer wahnsinnig unterhaltsam, wenn er richtig zuschlägt. Mich freut es, und ich mag das an seiner Arbeit extrem gerne, da ist ja auch ein Mut drinnen, eine Rückhaltlosigkeit, die finden Sie ja in der bildenden Kunst ganz selten. Christoph Schlingensief ist ein Künstler, der keinerlei Angst um sich selber hat, ich bewundere das.

    Schäfer-Noske: Zuletzt hatte Christoph Schlingensief vor einem Vierteljahr mit der Grundsteinlegung für sein Operndorf in Burkina Faso Schlagzeilen gemacht, und zurzeit probt er eine Oper, die auf Luigi Nonos Oper "Intolleranza 1960" basiert. Diese Oper ist ein Protest gegen Intoleranz und sie ist zufällig auch für die Biennale von Venedig entstanden. Frage an Christoph Schlingensief: Ist das mehr als ein Zufall?

    Christoph Schlingensief: Das ist wirklich ein Zufall. Also ich habe das mit dem Venedig auch erst gelesen - sagen wir mal - vor kurzer Zeit, und die Anfrage von Frau Gaensheimer kam auch erst vor zwei Wochen, also das ist wirklich ein super Zufall. Es ist auch so ein merkwürdiger Zufall wieder dabei, dass ich die Nachricht, dass ich in Bayreuth damals den "Parsifal" machen darf, diese Pressemeldung habe ich damals erst in Venedig gehört, als ich die "Kirche der Angst – Church of Fear" für die Biennale aufgebaut habe. Also irgendwie hängt das alles zusammen, glaube ich. Ich weiß nur noch nicht wie genau?

    Schäfer-Noske: In der Öffentlichkeit wurde ja die Nachricht, dass Sie den deutschen Pavillon gestalten, mit Überraschung wahrgenommen, dabei haben Sie ja auch immer wieder Kunst gemacht, Sie haben es schon angesprochen, die "Church of Fear" in Venedig, dann eine "Kirche der Angst" bei der Ruhrtriennale. Wird es denn in Venedig nächstes Jahr auch so eine Art theatrale Installation von Ihnen geben?

    Schlingensief: Ich muss ehrlich sagen, jetzt bin ich ja so zwei Wochen gefragt worden, ich habe mich selber in den Kunstkreisen nicht so richtig wohlgefühlt, weil das doch auch sehr viel pekuniäres Zeug ist. Oder ich finde, es sind auch unheimlich viel Leute unterwegs, die große Töne spucken und man sieht dann aber nichts oder die stellen sich einfach sechs Minuten schweigend in eine Ausstellung vor ein Bild und halten den Finger an die Stirn und gucken etwas nachdenklich, dann denken alle schon, Sie wollen das Bild kaufen oder Sie sind der Kurator. Also das sind so komische Sachen. Und ich freue mich total drüber, und jetzt habe ich ein Jahr vor mir, wo ich weiß, irgendwann wird es dann dort sein, und bis dahin wird mir, glaube ich, schon was einfallen. Also eine grobe Idee habe ich schon.

    Schäfer-Noske: Die Kuratorin Susanne Gaensheimer hat erklärt, ihr gehe es in Venedig um die Bedeutung des Nationalen in Zeiten der Globalisierung. Ist das ein Thema, mit dem Sie was anfangen können?

    Schlingensief: Das ist schon auch sehr groß, nicht, diese Begriffe sind ja auch komischerweise abgeschmackt, aber es sind ja auch die Begriffe, die wir immer benutzen, also kosmopolitisch, global, all solche Sachen, das ist, glaube ich, so ein Suppentopf, in dem wir selber schwimmen, oder wir sind sogar dieser Topf. Und ich glaube, in diesen Zeiten ist es wieder soweit, dass wir sagen, wir wollen einfach jetzt mal handeln und wir wollen nicht nur schwätzen. Und so in der Ebene verstehe ich dann auch diese Frage des Nationalen. Ich habe auch eine Sehnsucht danach, dass ich irgendwo wieder mal sage, das ist jetzt so mein Zuhause, das muss jetzt nicht gerade nur Deutschland sein, aber ich habe das Gefühl, dass natürlich ganz viele Sachen immer so verschwimmen. Es gibt so Dinge, die schwimmen immer mit und die sind nicht zu sehen, und die haben mich immer interessiert, also das heißt, immer Dinge, wenn ich glaube, jetzt bin ich hier und mir geht es gut, dann geht es anderen ja gerade deshalb nicht gut. Also das schwimmt immer alles zusammen, und vielleicht ist das auch das Nationale und das Globale, es hat doch alles miteinander zu tun und keiner kann sich mehr verstecken. Das meine ich mit dem, wir wollen jetzt auch einfach wieder handeln.

    Schäfer-Noske: Im Vorjahr war ja der britische Künstler Liam Gillick, der sich mit dem Pavillonbau auseinandergesetzt hatte, und dieser Pavillonbau stammt ja noch aus der Zeit des Nationalsozialismus. Seine Arbeit wurde dann heftig kritisiert, weil man sagte, die Auseinandersetzung werde der deutschen Geschichte nicht gerecht. Sollen und wollen Sie da einen Gegenentwurf realisieren, der sich noch mal mit diesem Bau auseinandersetzt?

    Schlingensief: Da muss ich ehrlich sagen, da habe ich auch gar keine Lust drauf. Ich weiß, dass damals in Bayreuth haben alle damit gerechnet, dass ich BDM-Mädchen auf die Bühne stelle und Hakenkreuze aus Scheiße forme, und das Ganze ist dann so eine Provokation mit Wagner und Nazis und Winnie und so – habe ich nicht gemacht, das war wahrscheinlich die größte Überraschung für alle. Und ich habe das Gefühl, es gibt was zu diskutieren, und ich frage mich, ab wann mich die Kunst wirklich wieder berührt, warum das Spirituelle in der Kunst mich sogar manchmal mehr berührt als das Religiöse in der Kirche. Das sind alles solche Dinge, die ich jetzt durch dieses Glück, dass ich das machen darf, noch stärker auf meinem Aufgabenblatt finde. Und dazu brauche ich dann jetzt auch eben Zeit, gute Freunde, einen kleinen Kreis werde ich mir suchen, mit dem ich das eben auch bespreche. Aber ich habe dadurch auch mehr Punkte der Ruhe. Und die, glaube ich, kommen der Sache entgegen. Also da jetzt was Hektisches hinzuknallen und zu sagen, bloß damit es knallt, bin ich gut dabei, das ist irgendwie vorbei.

    Schäfer-Noske: Das war Christoph Schlingensief, der im kommenden Jahr den deutschen Pavillon auf der Biennale in Venedig gestalten soll.