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"Eine Großtat von unermesslichem Segen"

Als die Nationalsozialisten vor achtzig Jahren in Deutschland an die Macht kamen, schalteten sie zunächst die Parteien und Gewerkschaften aus. Schwieriger gestaltete sich für die Machthaber das Verhältnis zu den Kirchen. Doch beide Seiten bemühten sich um einen Weg des Miteinanders.

Von Ernst Piper | 21.07.2013
    Am 30. Januar 1933 wurde Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt. Nach einer jahrelangen, pausenlosen Jagd, nach einer endlosen Serie von Versammlungen, Aufmärschen, Ansprachen und Großereignissen, die der NSDAP ständig neue Anstrengungen abgefordert hatten, sodass sie zuletzt kurz davor war, in eine ernste Krise zu stürzen, war er endlich am Ziel. Am Tag darauf erklärte er die Koalitionsverhandlungen mit dem Zentrum, die in Wahrheit nie stattgefunden hatten, für gescheitert. Die Gespräche waren nur zum Schein geführt worden, um Reichspräsident Hindenburg, der noch immer starke Vorbehalte gegen den "böhmischen Gefreiten" hatte, zu beruhigen.

    Dem ersten Kabinett Hitler gehörten nur zwei Nationalsozialisten an, dafür fünf deutschnationale und mehrere parteilose Minister. Die Öffentlichkeit sollte den Eindruck haben, dass er, dem viele nach wie vor nicht über den Weg trauten, von verlässlichen konservativen Kräften eingerahmt sei. Das Amt des Vizekanzlers übernahm Franz von Papen. Der war im Jahr zuvor für einige Monate selbst Reichskanzler einer rechtsgerichteten Regierung gewesen und war aus der katholischen Zentrumspartei, in der er lange Zeit eine einflussreiche Rolle gespielt hatte, ausgetreten. Papen besaß das Wohlwollen Hindenburgs, den er 1925 bei der Wahl zum Reichspräsidenten gegen den aussichtsreichen Kandidaten des Zentrums unterstützt hatte.

    Nach dem großen Wahlerfolg der NSDAP im Jahr 1932 plädierte Papen energisch für eine Einbeziehung der Nationalsozialisten in die Regierungsverantwortung. Dabei gab er sich der Illusion hin, Hitler könne durch konservative Kräfte in Schranken gehalten werden. Als Kanzler sollte er gezwungen sein, dem maßlosen Verbalradikalismus seiner jahrelangen Forderungen und Ankündigungen jetzt konkrete Taten folgen zu lassen. Dann werde er rasch abgewirtschaftet haben, so glaubten damals viele. Papen, der sich nicht ganz zu Unrecht als denjenigen sah, der das alles eingefädelt hatte, war mit dem Ergebnis seines Intrigenspiels hochzufrieden. Er glaubte ernsthaft, die Bedrohung des Staates durch Hitler werde bald der Vergangenheit angehören, eine Fehleinschätzung, die er ein Jahr später fast mit dem Leben bezahlte.

    Der 30. Januar 1933, von den Nazis als Beginn der nationalsozialistischen Revolution gefeiert, war zunächst weniger eine "Machtergreifung" als vielmehr eine Aufgabe der Macht durch die alten Eliten. Hitler ging sehr rasch daran, den Rahmen, den man ihm hatte setzen wollen, zu sprengen und die alte Ordnung hinter sich zu lassen. Und die, die dazu ausersehen waren, ihn unter Kontrolle zu halten, legten zum allergrößten Teil gegenüber dem neuen starken Mann ein erstaunliches Maß an Willfährigkeit an den Tag. Er bestimmte das Tempo, und das war hoch. Seine konservativen Partner waren, ehe sie es sich versahen, in der Defensive.

    Bald wurde die Auflösung des Reichstages forciert. Die Neuwahlen seien notwendig zur Bestätigung der nationalen Regierung, lautete die offizielle Begründung. In Wahrheit versprach sich Hitler eine Stärkung seiner Machtposition davon. Er konnte nun erstmals einen Wahlkampf aus dem Amt heraus führen und hatte die nicht unbegründete Hoffnung, dass daraus Stimmengewinne resultieren würden. Hugenberg befürchtete für seine DNVP eher Verluste, ließ sich aber mit der Zusicherung abspeisen, dass er in jedem Fall sein Ministeramt behalten werde. So wurde am 1. Februar 1933 der Reichstag aufgelöst und der 5. März als Termin für die dritten Reichstagswahlen in sieben Monaten festgesetzt.

    Joseph Goebbels, der Reichspropagandaleiter der NSDAP, mobilisierte ein letztes Mal seinen ganzen Apparat zu einer Höchstleistung. Der Wahlkampf war außerordentlich intensiv und von heftigen Auseinandersetzungen gekennzeichnet. Es gab viele gewaltsame Zusammenstöße, sodass am Ende 69 Tote zu beklagen waren. Die Kommunisten und in geringerem Maße die Sozialdemokraten waren in ihren Möglichkeiten bereits sehr stark eingeschränkt.

    Auch die Wähler des katholischen Zentrums, der wichtigsten bürgerlichen Partei, waren Objekt massiver Einschüchterungskampagnen, während die Nationalsozialisten sich ihren gewaltigen Parteiapparat, aber auch die gerade errungene Staatsmacht zunutze machten. Die Kirche versuchte dagegenzuhalten. In einem Hirtenbrief der Bischöfe zur Reichstagswahl hieß es:

    "Wählet Abgeordnete, deren Charakter und erprobte Haltung Zeugnis gibt von ihrem Eintreten für Frieden und soziale Wohlfahrt des Volkes, für den Schutz der konfessionellen Schulen, der christlichen Religion und der katholischen Kirche. Hütet Euch vor Agitatoren und Parteien, die des Vertrauens des katholischen Volkes nicht würdig sind. Schöpfet Eure Belehrung aus bewährten katholischen Blättern."

    Tatsächlich gelang es dem Zentrum und seiner bayerischen Schwester, der Bayerischen Volkspartei, ihre Wähler weitestgehend bei der Stange zu halten. Sie kamen zusammen auf 13,9 % der Stimmen.

    Die Nationalsozialisten feierten das Ergebnis der Wahl vom 5. März 1933 als historischen Sieg, der es in Anbetracht der Umstände aber kaum war. Ihr Stimmenanteil stieg nur auf 43,9 %. Selbst nach Wochen intensivster Seelenmassage und angesichts eines nun im Scheinwerferlicht des Erfolges stehenden Reichskanzlers Hitler stimmte die absolute Mehrheit der Deutschen nicht für die NSDAP.

    Allerdings war die um die DNVP versammelte Liste "Schwarz-weiß-rot" auf 8 % gekommen, sodass die Regierung im Reichstag über eine Mehrheit verfügte. Aber diese Mehrheit genügte Hitler nicht, denn er wollte das parlamentarische System mit seinen Kontrollmöglichkeiten so rasch wie möglich aushebeln. Am 23. März 1933 legte er ein Ermächtigungsgesetz "zur Behebung der Not von Volk und Reich" vor, zu dessen Verabschiedung aber eine Zweidrittelmehrheit notwendig war. Der neu gewählte Reichstag hatte 647 Abgeordnete. NSDAP und DNVP verfügten über 340 Stimmen, was für die erforderliche Zweidrittelmehrheit bei Weitem nicht ausreichte. Die 81 Mandate der KPD wurden auf Grundlage der Reichstagsbrandverordnung annulliert, doch das allein führte noch nicht zum Ziel.

    Es mussten von den verbleibenden Abgeordneten noch weitere zur Zustimmung überredet werden. Die Sozialdemokraten kamen dafür nicht in Betracht. Von den 120 gewählten SPD-Abgeordneten waren 26 bereits verhaftet oder auf der Flucht. Alle anderen waren am 23. März anwesend und wollten mit Nein stimmen; ihr Fraktionsvorsitzender Otto Wels begründete die Ablehnung des Gesetzentwurfs mit einer mutigen Rede. Der SPD-Abgeordnete Josef Felder hat die dramatischen Stunden dieser Reichstagssitzung, die mit einer Regierungserklärung Hitlers begann, in seinen Lebenserinnerungen geschildert:

    "Sehr auf das noch schwankende Zentrum gezielt gab Hitler in gemäßigter Tonart innen- und außenpolitische Zusagen, verbunden mit dem Hinweis auf das Weiterbestehen von Reichstag und Reichsrat und die Rechte des Reichspräsidenten. Nach der Debatte wurde die Sitzung für drei Stunden unterbrochen, in denen die Fraktionen tagten. Auf Hitlers vage Zusicherung hin, die nationale Regierung sehe in den christlichen Religionsgemeinschaften wichtige Faktoren zum Erhalt des Volkstums, ließ sich das katholische Zentrum schließlich zur Zustimmung bewegen. Die Sozialdemokraten erhielten von Wohlmeinenden ernst zu nehmende Warnungen, ihr Leben sei in Gefahr, wenn sie nicht abreisten. Dennoch kehrten sie alle in den Sitzungssaal zurück, viele mit bebendem Herzen."

    Die Sozialdemokraten stimmten mit Nein, aber die erforderliche Zweidrittelmehrheit wurde durch die Zustimmung des Zentrums trotzdem erreicht. Hitler und Göring hatten im Vorfeld der Reichstagssitzung Prälat Ludwig Kaas, der seit 1928 Vorsitzender des Zentrums war und die Partei auf einen rechtskonservativen Kurs gebracht hatte, Versprechungen gemacht und auch die Möglichkeit eines Reichskonkordats angedeutet, nach dem Kaas immer gestrebt hatte. In seiner Regierungserklärung nahm Hitler dies wieder auf und betonte im Zusammenhang mit seinen Ausführungen zur Außenpolitik:

    "Ebenso legt die Reichsregierung, die im Christentum die unerschütterlichen Fundamente der Moral und Sittlichkeit des Volkes sieht, größten Wert auf freundschaftliche Beziehungen zum Heiligen Stuhl und sucht sie auszugestalten."

    Kaas antwortete den Reichskanzler:

    "Manche der von Ihnen, Herr Reichskanzler, abgegebenen sachlichen Erklärungen geben uns […] die Möglichkeit, eine Reihe wesentlicher Bedenken, welche die zeitliche und die sachliche Ausdehnung des Ermächtigungsbegehrens der Regierung bei uns ausgelöst hatte und auslösen musste, anders zu beurteilen. In der Voraussetzung, dass diese von Ihnen abgegebenen Erklärungen die grundsätzliche und die praktische Richtlinie für die Durchführung der zu erwartenden Gesetzgebungsarbeit sein werden, gibt die deutsche Zentrumspartei dem Ermächtigungsgesetz ihre Zustimmung."

    Das Protokoll vermerkt lebhaften Beifall im Zentrum, bei der Bayerischen Volkspartei und bei den Nationalsozialisten. Anschließend wurde das Gesetz mit 441 Stimmen gegen 94 Stimmen der SPD angenommen; bereits am nächsten Tag trat es in Kraft. Entscheidend waren die 91 Abgeordneten von Zentrum und Bayerischer Volkspartei, denn die anderen bürgerlichen Parteien stellten alle zusammen nur noch 13 Abgeordnete. So kam in diesem historischen Moment dem Zentrum eine Schlüsselstellung zu, obwohl der katholische Bevölkerungsteil die weitaus kleinere der beiden christlichen Glaubensgemeinschaften ausmachte.

    Deutschland war - anders als England, Frankreich oder Italien - konfessionell gespalten. Von den 65,2 Millionen Einwohnern im Jahr 1933 waren 40,9 Millionen evangelisch und 21,2 Millionen katholisch. Über 95 Prozent der Bevölkerung gehörten einer der beiden christlichen Kirchen an, knapp 500.000 Menschen bekannten sich zur jüdischen Religion. 2,7 Millionen hingen einem anderen Glaubensbekenntnis an oder waren ohne Bekenntnis. Größer war ihre Zahl nicht, aller atheistischen Propaganda und den zahllosen völkischen und neuheidnischen religiösen Gruppierungen zum Trotz.

    Die konfessionelle Zerrissenheit des deutschen Volkes erschien vielen in der NSDAP als Spiegelbild der lange Zeit nicht erreichten und auch jetzt aus ihrer Sicht unvollkommenen nationalen Einheit. Die Spaltung zog sich auch durch das Führungskorps der Partei. Hitler, Goebbels und Himmler waren katholisch, Rosenberg, Bormann, Göring und Schirach evangelisch. Größer als im Durchschnitt der Bevölkerung war natürlich die Zahl derer, die keiner Kirche angehörten. Zu ihnen gehörten zum Beispiel Heydrich, Feder, Streicher und Fiehler, die damals aber allesamt nicht in der allerersten Reihe standen und insbesondere mit ihrer Konfessionslosigkeit keine Propaganda machten.

    Die Nationalsozialisten vermieden auch nach 1933 Kritik an der Gläubigkeit der Volksgenossen, wohl aber sahen sie sich nun stark genug zur begrenzten Konfrontation mit den Organisationen dieser Gläubigkeit, was aber in der Bevölkerung auf erheblichen Widerspruch stieß. Gab es vergleichsweise wenig Kritik an der Verfolgung von Kommunisten, Sozialdemokraten und Gewerkschaftlern, so war dies ganz anders bei allen Maßnahmen, die gegen die Kirchen gerichtet waren. Wer dagegen protestierte, konnte das in der Überzeugung tun, dass das mit Politik nichts zu tun habe, weil das religiöse Bekenntnis die Privatsache jedes Einzelnen sei, die der Staat zu respektieren habe.

    Viele, die dem neuen Regime generell durchaus mit Sympathie gegenüberstanden, wollten ihren privaten Alltag von der neuen Politik geschieden wissen und missbilligten es entschieden, wenn der Staat, und sei es auch ein nationalsozialistischer, sich in Glaubensfragen einmischte. Viele Kirchenmänner dachten nicht anders. So angepasst sie sonst waren, so kampfbereit waren sie, wenn es um ihre Kirche ging. So gelten heute als Repräsentanten des kirchlichen Widerstands auch Leute wie Pastor Niemöller, der bekennender NSDAP-Wähler war, oder Kardinal Faulhaber, der aus seiner antidemokratischen Einstellung und seiner Abscheu gegenüber der Republik von Weimar nie einen Hehl gemacht hatte.

    Nach der "Machtergreifung" und der Ausschaltung von Parteien und Gewerkschaften waren, wenn man von der Reichswehr einmal absieht, die Kirchen mit ihren vielen Millionen Angehörigen der letzte bedeutende nichtnationalsozialistische Machtfaktor im Lande. Beide Seiten, die Nationalsozialisten wie die Kirchen, waren bemüht, in dieser Situation einen modus vivendi zu finden. Der zweite Satz des Artikels 24 im Programm der NSDAP lautete:

    "Die Partei als solche vertritt den Standpunkt eines positiven Christentums, ohne sich konfessionell an ein bestimmtes Bekenntnis zu binden."

    Doch ihm ging folgende Passage voraus:

    "Wir fordern die Freiheit aller religiösen Bekenntnisse im Staat, soweit sie nicht dessen Bestand gefährden oder gegen das Sittlichkeits- und Moralgefühl der germanischen Rasse verstoßen."

    Das konnte in der Praxis alles und nichts bedeuten. Die Katholiken fühlten sich durch diese Formulierungen nicht zu Unrecht mehr bedroht als die Protestanten.

    Bei den Protestanten, die aufgrund ihrer Geschichte ohnehin viel staatsnäher orientiert waren, gab es eine größere Affinität zur völkischen Erneuerungsbewegung als bei den Katholiken. Nicht wenige hofften, dass die Nazis im Anschluss an den "deutschen Mann Luther" eine erneute Reformation, eine Wiederauferstehung des deutschen Volkes realisieren würden. So waren auch die Wahlerfolge der NSDAP in den evangelischen Landesteilen deutlich größer gewesen als in den katholischen. In einigen Landeskirchen gab es zu Beginn der 30er-Jahre nationalsozialistische Pfarrergruppen, und zeitgenössische Schätzungen gehen davon aus, dass ein Drittel der aktiven evangelischen Christen Sympathisanten der NSDAP waren.

    Bald nach der Machtübernahme gingen die Nationalsozialisten daran, die protestantische Bevölkerungsmehrheit in einer Staatskirche zusammenzuführen und sie auf diese Weise unter Kontrolle zu bringen. Die 28 evangelischen Landeskirchen schlossen sich am 11. Juli 1933 zur Deutschen Evangelischen Kirche zusammen, was drei Tage später durch Reichsgesetz bestätigt wurde. Hitlers Bevollmächtigter für Fragen der Evangelischen Kirche war der Königsberger Wehrkreispfarrer Ludwig Müller. Er wurde, nachdem Hitler massiv interveniert hatte, im September 1933 in die neu geschaffene Position des "Reichsbischofs" gewählt. Eine seiner ersten Amtshandlungen war es, die evangelischen Jugendorganisationen in die HJ zu überführen.

    Die katholische Kirche, die lange Zeit eine ablehnende Haltung gegenüber den Nationalsozialisten eingenommen hatte, war am 23. März 1933 erstmals deutlich auf die neuen Machthaber zugegangen. Hitler wiederum hatte erklärt, die nationale Regierung sehe in den christlichen Religionsgemeinschaften wichtige Faktoren zum Erhalt des Volkstums. Am Tag nach der Sitzung des Reichstags erklärte Kardinal Faulhaber, die Regierung Hitler sei "rechtmäßig, wie noch keine Revolutionspartei in den Besitz der Macht gelangt" und Adolf Hitler habe nach dem Heiligen Vater als Erster seine Stimme gegen den Bolschewismus erhoben. Letzteres, die gemeinsame Frontstellung gegen die Sowjetunion, war ein Argument, das in der folgenden Zeit noch oft strapaziert werden sollte.

    Fünf Tage nach der Verabschiedung des Ermächtigungsgesetzes rückte auch die deutsche Bischofskonferenz von ihrer bisherigen Position ab. Der gläubige Katholik konnte nun, da sie einmal an der Macht war, bedenkenlos Mitglied der NSDAP werden und so seiner "Treue gegenüber der rechtmäßigen Obrigkeit" Nachdruck verleihen. Am 18. April 1933 verfasste der Vorsitzende der Fuldaer Bischofskonferenz Kardinal Bertram einen beschämend opportunistischen Brief an die deutschen Erzbischöfe, in dem er eindringlich davor warnte, dass die katholische Kirche sich gegen einen Boykott jüdischer Geschäfte ausspreche, wie er unter großem Radau der SA am 1. April stattgefunden hatte. Bertrams erstes Argument war,

    "dass es sich um einen wirtschaftlichen Kampf in einem uns in kirchlicher Hinsicht nicht nahestehenden Interessenkreis handelt".

    Der Kardinal hielt es für dringend geboten, der bedrängten jüdischen Minderheit jegliche Solidarität zu verweigern, da er andernfalls Nachteile für die Kirche fürchtete. Und im Übrigen, so fügte er hinzu, habe sich "die überwiegend in jüdischen Händen befindliche Presse" auch nicht für die Katholikenverfolgungen in anderen Ländern interessiert.

    Adolf Hitler hatte am 23. März davon gesprochen, dass er die Beziehungen zum Heiligen Stuhl freundschaftlich ausgestalten wolle. Am 8. April fuhr Franz von Papen in seinem Auftrag zu Gesprächen nach Rom. Im Vatikan gab es damals unterschiedliche Strömungen. Die einen lehnten jedes Gespräch mit den Nationalsozialisten grundsätzlich ab. Andere meinten, man könne ruhig verhandeln, denn eine Einigung sei ohnehin nicht möglich und in einer solchen Situation könne das Konkordat zu einer "moralischen Kampfquelle" für die Gläubigen werden. Die größte Gruppe aber war die der Taktiker und Diplomaten, denen das Überdauern der Kirche in schwierigen Zeiten das Allerwichtigste erschien. Sie wollten ernsthafte Verhandlungen.

    Ihr wichtigster Vertreter war Eugenio Pacelli, der seit 1917 erst in München und dann in Berlin als päpstlicher Nuntius gewirkt hatte, und 1930 zum Kardinalstaatssekretär ernannt worden war. Er sprach fließend Deutsch und hatte schon Konkordate mit Bayern, Preußen und Baden ausgehandelt, sodass er in jeder Weise prädestiniert schien für die Verhandlungen über das Reichskonkordat. 1939 wurde Pacelli als Pius XII. dann selbst Papst. Er setzte sich in vielen Einzelfällen für Verfolgte ein, vermied aber andererseits jede klare Stellungnahme zur Ermordung des europäischen Judentums, sodass seine Rolle in den Jahren des Holocaust bis heute äußerst umstritten ist.

    Der amtierende Papst Pius XI. hatte mit großer Umsicht und Entschlossenheit an der Sicherung der kirchlichen Machtposition gearbeitet. 1929 waren nach dreijährigen Verhandlungen die Lateranverträge abgeschlossen worden, durch die zum einen der Vatikanstaat geschaffen wurde, mit weniger als 1000 Einwohnern der kleinste Staat der Welt, zum anderen die Kirche gegen eine Entschädigungszahlung von 1,75 Milliarden Lire offiziell auf die Territorien verzichtete, die sie seit der Entstehung des italienischen Staates ohnehin nicht mehr besaß. Schließlich wurden die Rechtsbeziehungen zwischen Kirche und Staat geregelt.

    De facto brachten diese Verträge Mussolini einen nicht unerheblichen Ansehenszuwachs ein; eine Konfrontation mit der Kirche wäre in dem durch und durch katholischen Italien für die Faschisten ohnehin undenkbar gewesen. Zugleich aber sicherte die Kirche ihre Position, was für den Papst der handlungsleitende Gesichtspunkt war. Nach den aus seiner Sicht guten Erfahrungen mit den Lateranverträgen schloss er deshalb 1933 auch mit Österreich und Deutschland Konkordate, nachdem er schon zuvor den deutschen Episkopat zu einer konzilianteren Haltung gegenüber den Braunhemden gedrängt hatte.

    Pacelli war der Verhandlungsführer des Vatikans bei den Gesprächen über das Reichskonkordat. An seiner Seite war Prälat Kaas, der seit Kurzem im Vatikan lebte, 1934 Sekretär des Kardinalskollegiums wurde und bis zu seinem Tod im Jahr 1952 in Rom blieb. Das Konkordat, das Papen und Pacelli miteinander aushandelten, war ein umfangreiches Dokument mit 34 Artikeln. Die Freiheit des religiösen Bekenntnisses wurde gewährleistet, die früher abgeschlossenen Länderkonkordate mit Bayern, Preußen und Baden blieben bestehen, die kirchlichen Orden wurden respektiert. Im Reichskonkordat wurde der Fortbestand des konfessionellen Schulwesens und der konfessionellen Lehrerausbildung für diese Schulen garantiert, was keine Reichsregierung in der Zeit der Weimarer Republik getan hatte. Das war zweifellos ein Erfolg für die Kirche. Entscheidend aber waren die Artikel 31 und 32 des Konkordats. Der erste besagte:

    "Diejenigen katholischen Organisationen und Verbände, die ausschließlich religiösen, rein kulturellen und karitativen Zwecken dienen und als solche der kirchlichen Behörde unterstellt sind, werden in ihren Einrichtungen und in ihrer Tätigkeit geschützt."

    Diese Bestimmung sollte der Kirche ein Gefühl der Sicherheit geben. Der zitierten Bestimmung folgte allerdings eine empfindliche Einschränkung im zweiten Satz, der besagte, dass Organisationen, die außer religiösen, kulturellen und karitativen Zwecken noch andere Aufgaben, zum Beispiel soziale oder berufsständische, verfolgten, in staatliche Verbände eingegliedert werden konnten. Das bedeutete in der Praxis die Preisgabe der christlichen Gewerkschaftsbewegung.

    Im Artikel 32 kam dann der entscheidende Punkt:

    "Aufgrund der in Deutschland bestehenden besonderen Verhältnisse wie im Hinblick auf die durch die Bestimmungen des vorstehenden Konkordats geschaffenen Sicherungen einer die Rechte und Freiheiten der katholischen Kirche im Reich und seinen Ländern wahrenden Gesetzgebung erlässt der Heilige Stuhl Bestimmungen, die für die Geistlichen und Ordensleute die Mitgliedschaft in politischen Parteien und die Tätigkeit für solche Parteien ausschließen."

    Als das Reichskonkordat am 20. Juli 1933 unterschrieben wurde, gab es in Deutschland gar keine politischen Parteien mehr, mit Ausnahme der Staatspartei NSDAP. Dieser Artikel besiegelte für den organisierten Katholizismus vor allem das offizielle Verbot jeglicher politischer Betätigung in Deutschland. Die Zentrumspartei hatte sich in vorauseilendem Gehorsam bereits am 5. Juli selbst aufgelöst, die Bayerische Volkspartei, die in Bayern bis zuletzt den Ministerpräsidenten gestellt hatte, noch einen Tag früher.

    Es war das Ende einer Ära. Das Zentrum war 1870 gegründet worden und bei den ersten Reichstagswahlen 1871 mit 18,6 Prozent der Stimmen zweitstärkste Partei nach den Nationalliberalen geworden. Es gehörte neben Sozialdemokraten und der Deutschen Demokratischen Partei zu den Gründungsparteien der Weimarer Republik. Es war zwischen 1919 und 1932, abgesehen von kurzen Ausnahmen, in jeder Reichsregierung vertreten gewesen und hatte, wenn man Papen mitzählt, fünf Reichskanzler gestellt, mehr als jede andere Partei. Diese große Tradition des politischen Katholizismus, der sich auch im Kulturkampf gegen Bismarck behauptet hatte, war nun ein für alle Mal beendet. Eine katholische Partei sollte es in Deutschland nie wieder geben.

    Nach der Unterzeichnung des Reichskonkordats verlieh Pacelli Papen das Großkreuz des Piusordens, während Papen als Geschenk der Reichsregierung eine weiße Madonna aus Meißener Porzellan überbrachte. Im Vatikan überwog die Meinung, man habe aus einer schwierigen Situation noch das Bestmögliche gemacht, während für den seit wenigen Monaten amtierenden und international ziemlich isolierten Reichskanzler Adolf Hitler das Konkordat nicht nur einen enormen Prestigegewinn auf der außenpolitischen Bühne bedeutete; es steigerte auch sein Ansehen bei den Gläubigen im Lande und verlieh ihm die Aura der Legitimität. Der Völkische Beobachter sprach in seinem Leitartikel vom 24. Juli davon, dass das Konkordat eine "ungeheuere Stärkung der nationalsozialistischen Reichsregierung und ihres Ansehens" bedeute.

    Schon bald nach dem Abschluss des Konkordats zwischen dem Deutschen Reich und dem Heiligen Stuhl stapelten sich die Dankschreiben deutscher Bischöfe in Hitlers Kanzlei. Besonders euphorisch war Kardinal Faulhaber, der dem Reichskanzler schrieb:

    "Der Erzbischof von München gibt sich die Ehre, Eurer Exzellenz einen tief empfundenen Glückwunsch zum Abschluss des Reichskonkordats zu übersenden. Was die alten Parlamente und Parteien in 60 Jahren nicht fertigbrachten, hat Ihr staatsmännischer Weitblick in sechs Monaten verwirklicht. Für Deutschlands Ansehen nach Osten und Westen und vor der ganzen Welt bedeutet dieser Handschlag mit dem Papsttum, der größten sittlichen Macht der Weltgeschichte, eine Großtat von unermesslichem Segen."

    Die Kirche nahm den Prestigegewinn für Hitler in Kauf und erhoffte sich im Gegenzug eine Sicherung ihres Besitzstandes, eine Hoffnung, die sich keineswegs immer erfüllen sollte. Den Nationalsozialisten dagegen war es gelungen, die Situation an der Kirchenfront in ihrem Sinne zu befrieden. Adolf Hitler hatte als junger Mann mit erlebt, wie der überaus populäre österreichische Antisemit Georg Ritter von Schönerer in dem Moment in der Bedeutungslosigkeit versank, als er nicht mehr nur gegen die jüdische Minderheit hetzte, sondern sich mit seiner Los von Rom Bewegung auch gegen die katholische Kirche wandte.

    Hitler hatte deshalb vor 1933 konsequent jede Konfrontation mit den Kirchen vermieden und Glaubensfragen zur Privatsache erklärt. Nach der sogenannten "Machtergreifung" fühlte er sich stark genug, einen offensiveren Kurs einzuschlagen. Mit der Wahl eines evangelischen Reichsbischofs und dem Konkordat mit dem Vatikan war schon mal eine gewisse Kontrolle über die beiden christlichen Kirchen sichergestellt und der politische Herrschaftsanspruch der NSDAP auch in diesem Bereich durchgesetzt.

    Doch der "Scheinfriede des Jahres 1933" hielt nicht lange vor. Nun, da die Kirche die Legitimität des nationalsozialistischen Staates anerkannt hatte, fassten die Nationalsozialisten weitergehende Ziele ins Auge. Die konfessionelle Presse wurde drangsaliert, aktiven Christen die Mitgliedschaft in halbstaatlichen Verbänden wie der Deutschen Arbeitsfront untersagt, die zölibatär lebende katholische Geistlichkeit mit inszenierten Sittlichkeitsprozessen überzogen. Dem Konkordat zum Trotz sah der Vatikan sich ständig zu neuen Protesten gegen die Behinderung der kirchlichen Arbeit veranlasst, sodass sogar Zweifel laut wurden, ob der ausgehandelte und unterschriebene Text überhaupt ratifiziert werden sollte. Doch die deutschen Bischöfe rieten dazu und so erfolgte die Ratifizierung des Reichskonkordats am 20. September 1933.

    Die Drangsalierung der Kirche hörte nicht auf und die Klagen über ihre bedrängte Lage gipfelten 1937 schließlich in der Enzyklika "Mit brennender Sorge". Denen, die die Zusammenarbeit mit dem NS-Staat deshalb grundsätzlich infrage stellen wollten, hielt Kardinal Faulhaber aber entgegen:

    "Das Ja von 1933 darf 1937 nicht zu einem Nein umschwenken."

    Die Nationalsozialisten behinderten die Kirchen bei ihrer Arbeit nach Kräften. Aber die große Schlussabrechnung wollte sich Hitler, der bis zu seinem Tod nicht aus der Kirche austrat, für die Zeit nach dem "Endsieg" aufheben. So weit kam es Gott sei Dank nie.