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"Eine kaum zu lösende Aufgabe"

Die neueste CD-Einspielung, die der Countertenor Max Emanuel Cencic zusammen mit den Barocchisti unter der Leitung von Diego Fasolis bei Virgin Classics veröffentlichte, beinhaltet Mezzo-Sopran-Arien aus Opern von Georg Friedrich Händel.

Von Christiane Lehnigk | 27.06.2010
    1.MUSIK: Georg Friedrich Händel
    aus: Arianna in Creta HWV 32
    - Arie des Tauride (Da Capo)
    Qual leon che fere irato
    Max Emanuel Cencic
    I Barocchisti
    Leitung: Diego Fasolis
    CD <7>

    Dies war ein Ausschnitt aus einer der unbekannteren, frühen Opern von Georg Friedrich Händel: Arianna in Creta von 1734, und zwar die Arie, in der sich Tauride zum Helden aufspielt und in der Vorstellung schwelgt, Teseo im Kampf zu vernichten.

    Es ist ja nicht so, dass es an Aufnahmen prominenter Sänger mit Händel-Arien mangelt, zumal ja auch 2009 ein Jubiläumsjahr war. Und noch im Juli wird eine Aufnahme mit Händel-Arien in einer Instrumentalfassung erscheinen.

    Dennoch nimmt diese neue Einspielung des Ausnahme-Countertenors Max Emanuel Cencic eine Sonderstellung ein. Das hat damit zu tun, dass hier erstmals ein Mann die Mezzo-Sopran-Partien in der originalen Tonhöhe singt, und zum anderen in der Präsentation einer stupenden Gesangstechnik, die so manchen Mezzo erblassen lassen muss. Cencic hat sich hier, nach seinem Rossini-Programm, wieder einem Barockthema zugewandt, einem Repertoire, an dem er wohl schon seit 20 Jahren arbeitet und mit dem er sich hier einen lang gehegten Wunsch erfüllt hat, zugleich aber bis an seine Grenzen geht.

    Dabei war es eine kaum zu lösende Aufgabe, wie er im Vorwort schreibt, "alles unterzukriegen", alle Facetten vorzustellen, die für ihn den Dramatiker Händel ausmachen. Zusammen mit Diego Fasolis hat er zwölf Arien aus zehn Opern ausgesucht, um einen Überblick über die ganze Bandbreite seines Könnens zu geben. Dass es ein Kraftakt für eine männliche Stimme ist, diese bekannten aber auch weniger bekannten hochvirtuosen schillernden Mezzo-Arien zu singen, ist nicht zu überhören, das wäre aber wahrscheinlich auch ein wenig zu viel verlangt.

    Die großen Rollen in Opern und Oratorien, die stimmlich über den Tenören angelegt sind, werden immer noch überwiegend, auch in der historischen Aufnahmepraxis, mit Frauen besetzt. Max Emanuel Cencic zeigt mit dieser Aufnahme, dass das nicht unbedingt sein muss; die meisten dieser männlichen Partien waren ursprünglich für Kastraten geschrieben, die großen "Diven" des 18.Jahrhunderts. Sie mit männlichen Altisten zu besetzen, ist natürlich eine "Erfindung" des 20.Jahrhunderts, so Cencic, kommt aber der eigentlichen Konzeption sehr nahe. Doch selbst, wenn es inzwischen eine ganze Riege hochkarätiger Countertenöre gibt, so ist doch seine Stimmkultur, mit der er sich seine Sopranstimme unbeschadet in das Erwachsenenalter hinüber retten konnte, einzigartig.
    2. MUSIK: Georg Friedrich Händel
    aus: Arianna in Creta HWV 32
    - Arie des Teseo (Da Capo)
    Salda quercia in erta balza
    Max Emanuel Cencic
    I Barocchisti
    Leitung: Diego Fasolis
    CD <3>

    "Die Eiche auf der Höhe trotzt dem Wind" aus der Oper Arianna in Creta von Georg Friedrich Händel mit I Barocchisti unter der Leitung von Diego Fasolis. In dieser Oper hatte Händel zum ersten Mal den Kastraten Giovanni Carestini mit einer Hauptrolle bedacht. Hier ist "der Schlaf" dem Athener Prinzen erschienen und hat ihm den Sieg über den Minotaurus und seine eigene ruhmreiche Zukunft vorausgesagt. In dieser vehementen Arie vergleicht sich Teseo mit einer mächtigen Eiche, die heftigen Stürmen trotzt.

    Inzwischen werden auch Countertenöre wie ihre Gesangskollegen als Stars vermarktet, und es rückt immer wieder eine neue Generation nach, der die Technik noch leichter zu fallen scheint, deren Ausbildung noch perfekter ist. Und es gibt auch tatsächlich Sopranisten, die die großen Partien ihrer Kollegen bewältigen können. Doch heißt das nicht unbedingt, dass sich damit auch die Sinnlichkeit einer weiblichen Stimmfärbung überträgt oder dass überhaupt die Registerwechsel nicht mehr hörbar sind. Wenn manche Tempi auf dieser Aufnahme auch ein wenig gehetzt klingen, was nicht zuletzt an der sportiven Herangehensweise der vielleicht etwas zu groß besetzten Barocchisti liegt, so meistert doch Cencic diese Arien mit einer unvergleichlichen Bravour. Seine Stimme besitzt einen großen Umfang mit einer kräftigen Tiefe, einem weichen Mittelregister und einer leichten Höhe.

    Doch Cencic geht es hier nicht unbedingt nur darum, virtuose Zirkusstückchen vorzuführen. Das zeigen die langsamen, emotionsgeladenen Arien in der sich seine Stimme unangestrengt entfalten kann, in der ganz spannungsvolle Bögen entstehen und die Musik sozusagen direkt ins Herz geht.

    3. MUSIK: Georg Friedrich Händel
    aus: Floridante HWV 14
    - Arie des Floridante
    Alma mia
    Max Emanuel Cencic
    I Barocchisti
    Leitung: Diego Fasolis
    CD <2>

    Dies war die Arie des Floridante Alma mia, mit der er seine geliebte Almira begrüßt, nachdem er siegreich aus einer Schlacht zurückgekehrt ist.

    Max Emanuel Cencic und die Barocchisti unter der Leitung von Diego Fasolis haben mit dieser Aufnahme von Mezzo-Sopran-Arien aus Händel-Opern verschiedener Schaffensperioden, mit Sicherheit eine Referenz-Einspielung veröffentlicht, die in nächster Zeit wohl kaum ihresgleichen finden kann. Zu Händels speziellen Begabungen gehören die eindringlichen und natürlichen Charakterzeichnungen seiner Protagonisten und von diesen verschiedenen Figuren wird hier ein interessanter Ausschnitt auch aus unbekannteren Opern vorgestellt. Um die außergewöhnliche Stimme von Cencic hier einmal mehr in halsbrecherischen wie auch lyrischen Partien zu präsentieren, hätte es allerdings nicht unbedingt solch einen "quasi barocken" großen Sound gebraucht und ein etwas kleiner besetztes Orchester hätte dem intimen Rahmen der Minidramen auch besser getan, zumal da noch mit dem Coro della Radiotelevisione svizzera ein 22-köpfiger Klangkörper hinzukommt, was akustisch nicht ganz aufgeht. Aber das sind wohl solche Zugeständnisse an den Geschmack eines Major-Labels.
    4.MUSIK: Georg Friedrich Händel
    aus: Parnasso in festa
    - Arie des Apollo
    Lunga serie d'alti eroi
    Max Emanuel Cencic
    Coro della Radiotelevisione svizzera
    I Barocchisti
    Leitung: Diego Fasolis
    CD <12>
    Die Neue Platte im Deutschlandfunk. Sie hörten heute Mezzo-Sopran-Arien von Georg Friedrich Händel mit dem Countertenor Max Emanuel Cencic und I Barocchisti unter der Leitung von Diego Fasolis, eine bei Virgin Classics erschienene Aufnahme aus dem Jahre 2009.

    Zuletzt erklang die Arie des Apollo "Eine lange Reihe hehrer Helden" aus der Oper Parnasso in festa. Im Studio verabschiedet sich, mit Dank fürs Zuhören, Christiane Lehnigk.