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"Eine kleine Chance gibt es noch"

Der ehemalige griechische Außenminister Dimitrios Droutsas zeigt sich überrascht, dass die Verhandlungen um eine neue Regierung in Athen gescheitert sind. Das baldige Treffen der Parteichefs unter Staatspräsident Karolos Papoulias könnte jedoch noch eine kleine Chance sein und Neuwahlen vermeiden, hofft Droutsas.

Christiane Kaess im Gespräch mit Dimitrios Droutsas | 12.05.2012
    Christiane Kaess: Vor der europäischen Schulden- und Finanzkrise wäre wohl kaum vorstellbar gewesen, was jetzt eingetreten ist: Ein Land in der Eurozone geht pleite, kann nur mit Hilfsgeldern vor dem offiziellen Bankrott gerettet werden, und bei Neuwahlen entsteht eine politische Landschaft, die das Land an den Rand der Unregierbarkeit bringt. Griechenland bleibt im Moment nichts erspart. Während der schwierigen Suche nach einer handlungsfähigen Regierungskoalition werden neue traurige Rekorde gemeldet: Die Arbeitslosigkeit erreicht fast 22 Prozent, bei den unter 25-Jährigen haben fast 54 Prozent keinen Job.

    Am Telefon ist Dimitrios Droutsas von den griechischen Sozialisten, er ist Mitglied des Europaparlaments und ehemaliger griechischer Außenminister. Guten Morgen, Herr Droutsas!

    Dimitrios Droutsas: Guten Morgen, Frau Kaess!

    Kaess: Herr Droutsas, hat Sie das Scheitern der Regierungsverhandlungen gestern überrascht?

    Droutsas: Ein bisschen doch, muss ich sagen. Ich glaube, dass wir bis gestern Abend doch Anlass zu etwas mehr Optimismus gehabt haben. Die drei Parteien, die die Bereitschaft erklärt hatten, gemeinsam eine sogenannte ökumenische Regierung bilden zu wollen – das war ein positiver Schritt. Bedingung war allerdings, dass auch der Wahlsieger – wenn Sie so wollen – des letzten Sonntags, die radikalen Linken, sich an dieser Regierung beteiligen sollten oder diese zumindest stützen sollten, gestern Abend hat der Parteichef der radikalen Linken, Herr Tsipras, erklärt, dies nicht tun zu wollen. Er erhofft sich, scheint es, eine Wiederholung seines Wahlerfolges, seines Wahlsieges bei den unmittelbar bevorstehenden Neuwahlen.

    Wie gesagt, Neuwahlen scheinen nun sehr wahrscheinlich, allerdings: Eine kleine Chance gibt es noch. Es wird ein Treffen der Parteichefs unter Staatspräsident Papoulias kommen, entweder Sonntag oder spätestens am Montag. Ich kann nur meiner großen Hoffnung Ausdruck verleihen, dass doch noch Vernunft einkehrt und wir noch eine Regierung sehen. Aber …

    Kaess: Aber ich höre da raus, Herr Droutsas, dass für Sie Alexis Tsipras der Schuldige ist?

    Droutsas: Man muss leider klare Worte verwenden. Ja, es ist so: Herr Tsipras ist der allein Verantwortliche nun, weil es gab eben einen sehr konkreten, sehr realistischen Vorschlag hier der drei anderen Parteien, einen sehr verantwortungsvollen Vorschlag, würde ich sagen, zu einer Regierungsbildung: Herr Tsipras – das hat sich herausgestellt – ist mit dem Kopf bereits bei den unmittelbar bevorstehenden Neuwahlen. Er sieht auch aus gewissen Umfrageergebnissen der letzten zwei Tage, dass er weiterhin über Dynamik verfügt in der griechischen Wählerschaft. Ich glaube, sein Ziel ist es, hier stärkste politische Kraft zu werden im Land, und leider Gottes vergisst er darüber die eigentliche Zukunft des Landes.

    Kaess: Auf der anderen Seite muss man sagen, dass Alexis Tsipras nichts anderes tut als das, was ihm die Wähler aufgetragen haben, nämlich die Sparbeschlüsse abzulehnen.

    Droutsas: Das ist schon so. Der Großteil der griechischen Bevölkerung natürlich leidet enorm, blutet unter diesen Sparmaßnahmen. Und die Wählerstimme war klar: Man möchte diese rigiden Sparmaßnahmen nicht. Aber ich glaube, man muss hier wieder pragmatischer und realistischer sein. Ich glaube, es gibt eine wirkliche Chance hier für eine neue griechische Regierung, seriös den EU-Partnern gegenüberzutreten und zu sagen: Hier, das ist die Botschaft, die wir alle ernst nehmen müssen, nicht nur in Griechenland, in ganz Europa: Nur mit rigiden Sparmaßnahmen geht es nicht. Ihr habt das Land und die Leute kaputt gespart. Deswegen müssen wir hier etwas ändern.

    Die Wahl François Hollandes zum französischen Staatspräsidenten führt glaube ich zu einem Umdenken. Auch hier möchte ich Realist sein: Ich erwarte hier nicht die großen Umwälzungen, aber ein Umdenken findet statt, und man kann hier die Sparmaßnahmen und das, was von Griechenland gefordert wird, etwas auflockern, sodass auch die weiten Bevölkerungsschichten Griechenlands, die sehr stark darunter leiden, etwas mehr Atem bekommen.

    Kaess: Dennoch verlangt die EU, dass von dem Sparkurs zum allergrößten Teil zumindest nicht abgewichen wird. Sie gehören einer Partei an, die dem harten Sparkurs zugestimmt hat. Warum hat man denn der Bevölkerung nicht besser erklärt, worum es geht?

    Droutsas: Frau Kaess, das ist leider Gottes eine sehr, sehr schwierige Situation gewesen, vor der wir gestanden sind. Das Land stand unmittelbar vor dem Bankrott, wir mussten hier die notwendigen Maßnahmen ergreifen, um diesen Bankrott abzuwenden. Vergessen Sie nicht noch: Die Europäische Union verfügte nicht über die notwendigen Mechanismen, wie wir sie heute nach zwei Jahren in der Europäischen Union … verfügen, um hier Ländern wie Griechenland, die in der Krise sind, zu helfen.

    Ich sage es offen, Frau Kaess: Uns wurde auch seitens der EU-Partner das Messer an den Hals gesetzt. Wir konnten nicht anders agieren, als unmittelbare Maßnahmen zu ergreifen. Das Ganze ist sehr schnell gegangen, und das ist auch glaube ich der Schlüssel nun zum Erfolg. Griechenland braucht etwas mehr Zeit, um die notwendigen Reformen umzusetzen. Das sollten unsere EU-Partner bitte sich zu Herzen nehmen.

    Kaess: Jetzt sagt der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble, er schließt weitere europäische Hilfen für Griechenland nicht aus, und er sagt: Wenn die Griechen eine Idee haben, was wir zusätzlich tun können, um das Wachstum zu fördern, kann man immer darüber sprechen und nachdenken. Schaffen die radikalen Kräfte in Griechenland durch ihren Wahlerfolg jetzt doch indirekt etwas, was die PASOK und die Nea Dimokratia nicht geschafft haben, nämlich ein Wachstumsprogramm geradezu zu erzwingen?

    Droutsas: Schauen Sie, ich bin auch hier ganz offen mit meinen Worten: Wenn wir wirklich so etwas, ein neues Wachstumsprogramm für Griechenland erzielen können seitens der Europäischen Union, dann, möchte ich Ihnen ganz ehrlich sagen, ist mir das nicht so wichtig, wie dies erzielt wurde oder wer dies erzielt hat. Ich glaube, dass die griechische Bevölkerung in ihrer Gesamtheit zunächst einmal durch die großen Opfer, die sie gebracht hat, aber auch jetzt durch ihre Reaktion, ihre politische Reaktion dieses Ziel erreicht hat. Es ist wichtig zu betonen: Es findet ein Umdenken in der Europäischen Union statt, und ich glaube, das …

    Kaess: Woran machen Sie das fest, Herr Droutsas?

    Droutsas: Woran mache ich das fest? Erstens einmal, erstens einmal die Wahl Françoise Hollandes, nochmals: Ich will es nicht überbewerten, aber sie hat eine neue Diskussion vom Zaun gebrochen.

    Kaess: Aber das ist ja noch keine Abkehr vom Sparkurs.

    Droutsas: Es ist keine Abkehr vom Sparkurs, und niemand sagt ja auch, dass wir abkehren sollen von einem Sparkurs. Wir müssen aber das notwendige Sparen, die richtigen Maßnahmen, die notwendigen Maßnahmen flankieren, auch durch stützende Maßnahmen für die Wirtschaftsförderung. Und hier hat François Hollande sehr richtige Dinge gesagt. Und ich verweise auch auf gewisse Statements, öffentliche Stellungnahmen anderer europäischer Führungspolitiker, Führungsspitzen, insbesondere seitens des Europäischen Parlamentes, die hier sehr offen davon gesprochen haben: Das Rezept für Griechenland ist falsch, dieses Rezept ist für ganz Europa falsch, wir müssen hier mehr an Wachstum denken.

    Kaess: Da ist immer noch die Frage, ob mit Wachstum immer das Gleiche gemeint ist. Damit können ja auch weitere Strukturreformen gemeint sein.

    Droutsas: Unbedingt – Strukturreformen sind notwendig. Ich bin der Erste, der dies auch offen und sehr laut sagt: Griechenland braucht vor allem Strukturreformen. Wir müssen den Staat ändern. Wir müssen den maroden, nicht effizienten Staatsapparat solide und von Grund auf ändern. Aber dafür bedarf es mehr Zeit, dafür bedarf es auch mehr flankierender Maßnahmen, Unterstützungsmaßnahmen, damit das griechische Volk nicht kaputt gespart wird, nicht weiter kaputt gespart wird.

    Kaess: Und woher soll das Geld dafür kommen?

    Droutsas: Auch hier gibt es viele gute Ideen, die in der Vergangenheit bereits diskutiert wurden. Ich denke hier zum Beispiel an die Diskussion über Eurobonds, über europäische Finanztransaktionssteuer.

    Kaess: Hat bisher keine Mehrheit gefunden.

    Droutsas: Hat leider bisher keine Mehrheit gefunden, Frau Kaess, das ist wahr, aber hier muss man glaube ich den Hebel ansetzen, und hier müssen alle europäischen Führungsspitzen und Führungspolitiker zeigen, dass sie sich ihrer Verantwortung bewusst sind und nochmals diese Diskussion um diese Instrumente, Eurobonds, europäische Finanztransaktionssteuer wieder aufmachen und hoffentlich endlich zu einem positiven Ende führen.

    Kaess: Auf der anderen Seite sagt Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble, ein Austritt Griechenlands aus der Eurozone wäre verkraftbar.

    Droutsas: Mahnende Worte sind teilweise notwendig, aber alleine genügen sie nicht, Frau Kaess. Wir haben davon bereits genug gehört, und wir sehen das Ergebnis. Ich glaube nicht, dass diese Art von Politik und diese Art von Drohungen hier wirklich zielführend sind. Nochmals: Wir sind uns alle unserer Verantwortung bewusst, wir wissen, worum es geht, welche Risiken, welche Gefahren sich verbergen in der unmittelbaren Zukunft. Wir müssen hier alle an einem Strang ziehen, und die richtige Rezeptur muss heißen: nicht nur kaputt sparen – flankierende Maßnahmen, die zu einer Wirtschaftsförderung führen werden, nicht nur in Griechenland, ich betone dies, für ganz Europa, denn Griechenland steht nicht alleine da in dieser Krise.

    Kaess: Herr Droutsas, Griechenland wird unregierbar, Zustände wie in der Weimarer Republik – das kann man in den letzten Tagen über Ihr Land lesen. Wie sehr machen Sie sich Sorgen?

    Droutsas: Natürlich macht man sich Sorgen über diese Entwicklung, aber ich möchte bitte hier nicht zu sehr Schwarzmalerei betreiben oder auch nicht zu viel Schwarzmalerei zulassen. Die Situation ist schwierig, aber sie ist nicht aussichtslos. Griechenland ist eine Demokratie mit sehr, sehr festen Strukturen. Wir müssen alle daran glauben, und alle Szenarien, die hier von unseriösen Mündern und unseriösen Stimmen geäußert werden, dass hier die Demokratie in Griechenland in Gefahr sei, oder zum Beispiel, dass ein Besuch in Griechenland, wer seinen Urlaub verbringen will in Griechenland, hier einer Gefahr ausgesetzt sei – das bitte nicht ernst zu nehmen. Ich appelliere an alle hier, dass sie alle Seriosität zeigen, dass Vernunft einkehrt bei allen und wir alle gemeinsam für die Zukunft Griechenlands arbeiten.

    Kaess: Dimitrios Droutsas von den griechischen Sozialisten, er ist Mitglied des Europaparlaments und ehemaliger griechischer Außenminister. Vielen Dank für das Gespräch, Herr Droutsas!

    Droutsas: Ich danke Ihnen!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.