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Eine krude Geschichte

"Der Silbersee" ist ein musikalisches Wintermärchen über einen Polizisten und einen armen Hungernden, ein Schloss am Silbersee und den Konflikt von Adel und Arbeiter. Das Staatsschauspiel in Hannover zeigt es jetzt in der Regie von Lars Ole Walburg.

Von Michael Laages | 20.03.2011
    Das ist eine krude Geschichte; verstehbar nur mit einigem Sinn für Allegorie und Abstraktion – von Arbeits- und Obdachlosen handelt sie, die auf der Flucht vor dem Elend der Stadt weit vor deren Toren in Moos-hütten an einem "Silbersee" siedeln; dort wollen sie zu Beginn "den Hunger begraben", symbolisch – aber in ihren knarrenden Mägen wütet er weiter. Sie rauben einen Lebensmittelladen aus, und auf der Rückkehr an den See wird einer von ihnen von einem übereifrigen Polizisten an-geschossen. Den treibt von nun an das schlechte Gewissen, der Polizist mutiert zum Sozialarbeiter – lieber als verfolgen und bestrafen würde er die armen Kleinkriminellen lieber betreuen und auf den rechten Weg zurück führen. Die Vorsehung beschert ihm Geld: einen Lottogewinn – nun kann er zumindest das Opfer seiner Schüsse pflegen und päppeln, im eigenen Luxusschloss. Dort aber herrschen gefährliche Schranzen, die schließlich den Wohltäter enteignen und seine Untat enttarnen gegen-über dem Opfer. Doch die beiden Männer verzeihen einander und flüchten – hin zum Silbersee, um dort gemeinsam zu ertrinken. Der aber ist erstaunlicherweise mitten im Sommer gefroren und wird sie tragen können – auf dem gemeinsamen Weg irgendwohin.
    Auch Georg Kaisers Sprache atmet noch gehörige Mengen Expressionis-mus aus in dieser schrägen Geschichte – alles klingt immer irgendwie eine Nummer zu groß und leicht überkandidelt, Fallhöhen in die Ironie inklusive. Kurt Weills Musik ist demgegenüber blankes Feuerwerk, auch wenn schon ziemlich stark auffällt, wie sehr sich der Komponist strukturell in den eigenen Erfolgen der Jahre zuvor bedient – und es Passagen gibt, die wie abgekupfert (oder fortgesetzt) klingen von "Drei-groschenoper" und "Mahagonny" aus. Aber das schadet kaum – der Sound ist frech und frisch, er zitiert und travestiert; und wenn die Nazis nur wollten, konnten sie auch im "Silbersee" die linke Demo-Märsche wieder hören, für die zuvor Brecht die aufrührerischen Texte geschrieben hatte. Hier mischen Weill und Kaiser den zynischen Bürgerspruch vom "Gürtel-enger-schnallen" auf, mit dem noch jedes soziale Unrecht be-mäntelt wurde.

    Furios. Und es gibt eine Menge Songs und Arrangements von dieser Klasse und Schärfe am und im "Silbersee". Darum ist bei der Wiederent-deckung in Hannover vor allem das "Orchester im Treppenhaus" zu rühmen, einstudiert hat es und geleitet wird es von Thomas Posth. Die Inszenierung vom hannoverschen Schauspielhausherrn Lars-Ole Walburg tut sich da schon schwerer; vor allem deshalb, weil sie Kaisers eh schon ins Abstrakte driftenden Text mit immer neuen Verfremdungen auflädt, während ja zum Beispiel speziell die neue Armut heute ganz gut vorstell-bar wäre auf der Bühne (und pikanterweise gerade das hannoversche Schauspiel sich solcher Eingriffsstrategien ins "wirkliche Leben" immer wieder bedient in jüngerer Zeit, und gerade diesen Monat mit zwei Armutsprojekten), lässt Walburg die Leute vom See wie Urwaldmenschen erscheinen, weit weg von aller Wirklichkeit – gelegentlich kommunizieren sie auch wie tropische Primaten.

    Reinhild Blaschke hat auch weniger eine Bühne gebaut, als vielmehr Videofilmsequenzen als Hintergrund benutzt – durch die (etwa beim Blick in den Garten vom Schloss des neureichen Ex-Polizisten) virtuelle Hirsche traben und Federvieh gen Himmel flattert. Über allem thront eine herrschaftliche Ananas – das war die Traum- und wird die Albtraum-Frucht für das angeschossene Opfer Severin. Das Schloss selber wandelt sich durch die dort herrschende Haushälterin Frau von Luber schließlich zum zeitgenössischen Amüsiertempel, in dem weder Opfer und Wohltäter und überhaupt jemand wird überleben können, außer den lautstarken Propagandisten des schrankenlosen Kasinokapitalismus.

    Nicht, dass Kaisers Fantasie nicht Echos fände in der Gegenwart und unter Zeitgenossen – doch ist denen wohl nur schwer auf die Spur zu kommen, wenn eine Inszenierung auf die Abstraktionen des Autors selber noch mal anderthalbe setzt. Klarheit wäre nötig gewesen, um die Geschichte vom "Silbersee" (jenseits von Kurt Weills Feuerwerkerkunst) von Neuem kenntlich werden zu lassen – Walburg in Hannover hat bloß neue Unklarheit zu bieten.

    Informationen:
    Staatsschauspiel Hannover