Donnerstag, 18. April 2024

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Eine Kultur der Rache

1989 begann die OP-Schwester aus Dortmund, Karla Schefter, südlich von Kabul ein Krankenhaus aufzubauen. Ihr liegen die Menschen im Land am Herzen. Die politische Lage in Afghanistan hält sie für hochproblematisch.

Moderation: Jasper Barenberg | 04.05.2011
    Jasper Barenberg: Nach der Tötung von Osama bin Laden steigen die Chancen, Afghanistan zu stabilisieren, sagen die einen. Die anderen fürchten das genaue Gegenteil, den Tod des meistgesuchten Terroristen als Ansporn für Extremisten und weitere Anschläge. Sie haben die Al Kaida im Sinn, vor allem aber die Taliban. Die haben der internationalen Schutztruppe bereits eine neue Offensive angekündigt.

    Als Land im Krieg erlebt die Deutsche Karla Schefter Afghanistan seit inzwischen 20 Jahren. Kurz nach dem Abzug der Sowjets 1989 begann die OP-Schwester aus Dortmund, südlich von Kabul ein Krankenhaus aufzubauen. Sie leitet es bis heute, bietet der Bevölkerung kostenlos medizinische Versorgung. Vier Regimewechsel hat sie miterlebt - und seit 2001, dass sich die Zustände im Land von Jahr zu Jahr verschlechtert haben. Vor der Sendung habe ich mit Karla Schefter sprechen können, auch über das Buch, das sie gerade über ihre Arbeit geschrieben hat. Der Titel: "Ich gebe die Menschen nicht auf".

    Karla Schefter: Mein erstes Buch war "Weil es um die Menschen geht", und das verfolgen wir seit 22 Jahren nach wie vor. Und ich gebe die Menschen nicht auf, weil es geht eben um die Menschen, dass die im Vordergrund für uns stehen und man sie nicht im Stich lassen sollte, wie ich jetzt den Eindruck habe, dass das gerade in den letzten zwei, drei Jahren der Fall ist, dass man die Provinzen im Stich lässt. Dass man sich aus den Provinzen nicht nur rauszieht, sondern das hat man schon von Anfang an, also 2002 versäumt, mehr in den Provinzen zu tun, gerade was die Humanität betrifft.

    Barenberg: Sie beschreiben in Ihrem Buch, Frau Schefter, an vielen Stellen ja auch Konflikte mit Soldaten der internationalen Schutztruppe. Sie sparen auch nicht mit Kritik auch an internationalen und staatlich-deutschen Hilfsorganisationen. Aus dieser Perspektive habe ich das Buch auch eben als Vorwurf gelesen. Ist das Buch auch ein Vorwurf, eine Kritik an der Politik der Bundesregierung, am Westen allgemein?

    Schefter: Ja, mit Sicherheit. Das beklage ich seit 2002. Nach Sturz der Taliban hatte man eigentlich eine große Chance, und die hat man versäumt. Ich sage ja, indem man die Provinzen sträflichst vernachlässigt hat oder Strategien verfolgt hat, die völlig unpassend waren. Uns hat mal einer gesagt, sie kennen uns nicht, aber sie wollen uns verändern. Und es ist eine andere Kultur, eine andere Gesellschaftsform, die es gilt zu respektieren und nicht verändern zu wollen ohne Kenntnis.

    Barenberg: In Ihrem Krankenhaus handhaben Sie das anders, versuchen Sie, es anders zu handhaben. Wie gelingt Ihnen das, dieser Spagat zwischen unseren eigenen Werten und der afghanischen Kultur, den afghanischen Werten?

    Schefter: Ja einmal muss man sagen, ich werde nie Afghane. Nach wie vor bin ich Deutsche, bin natürlich westlich geprägt. Aber eben, wie Sie sagten, Spagat. Also ich bezeichne das immer als eine Gratwanderung, dass man am langen Zügel lässt, also sie lässt. Und ich arbeite ja seit 1990 mit ausschließlich Afghanen zusammen, reise mit ihnen zusammen, lebe ihr Leben, nicht das eines Ausländers, aber auf der anderen Seite, wenn es um die Sache geht, auch wieder richtig konsequent ist. Ich habe es sogar geschafft, dass die Afghanen pünktlich sind.

    Ich habe mich eigentlich nicht, nie erpressen lassen in dem Sinne, sondern es kam mal jemand, so ein richtig großer Bärtiger, der dann gesagt hat, you must, und da habe ich gesagt, I must not, I will not be bagger to work here, also ich muss nicht, ich werde mich auch nicht erpressen lassen, also ich werde nicht Bettler sein, hier arbeiten zu dürfen.

    Oder beim ersten Taliban-Gouverneur – ich habe ja die ganzen Regierungswechsel im Land, in der Provinz mitgemacht -, der wollte erzwingen, dass ich ihn treffe in der Burka, also dieser Ganzverschleierung, und das habe ich abgelehnt. Ich habe gesagt, Kopfschleier ja, damit habe ich auch keine Schwierigkeiten, aber den Ganzschleier nein. Ich bin zwar ein paar Mal auch unter der Burka gereist, habe auch Grenzen passiert, ich kenne das Gefühl, aber es ist nicht … - ich möchte es nicht, auch wenn das ihre Gesellschaft ist.

    Barenberg: Ich will mal ein Beispiel nennen, das mich sehr beeindruckt hat bei der Lektüre: Eine Frau wird eingeliefert in Ihrem Krankenhaus. Es stellt sich heraus, es handelt sich um das Opfer eines versuchten Ehrenmordes, wie man ja sagt. Ein Ehrenmord, versucht vom Vater dieser Frau, der der Vorwurf gemacht wurde, sie sei untreu gewesen. In dieser Situation gibt es das Angebot, die Frau nach Kabul zu bringen und damit in Sicherheit zu bringen vor ihrer eigenen Familie. Sie haben das abgelehnt und haben gesagt, dann gerät das ganze Krankenhaus in Gefahr, wenn wir uns sozusagen in diese Tradition einmischen. Ist das so ein schwieriger Grenzfall, ein Dilemma auch?

    Schefter: Auf jeden Fall! Also das ist nicht so, dass ich es leicht nehme oder einfach überlasse oder mir keine Gedanken mache. Nur es ist eben abzuwägen, bringt man ein Krankenhaus zu Fall, muss man das verlassen, hilft einer Frau, und damit hat man aber dann die Krankenhausmöglichkeit für, wie wir auch sagten, im letzten Monat waren es über 1000 stationäre und 61 Prozent davon waren Frauen, die dann keine Chance hätten. Das gilt es eben auch abzuwägen. Das ist immer mein Reden. Ob ich das mag, oder ob das meine Werte sind, das ist dann eine ganz andere Sache.

    Barenberg: Die Sicherheitslage hat sich in den letzten Jahren ständig verschlechtert. Die Verantwortung für die Sicherheit soll jetzt aber mehr und mehr an die afghanischen Behörden, an die afghanische Regierung übergeben werden. Die USA, Deutschland, sie wollen beginnen mit dem Abzug der Truppen in diesem Jahr. Ich habe da in Ihrem Buch einen Widerspruch gelesen. Auf der einen Seite sagen Sie nämlich, der angekündigte Abzug der internationalen Truppen sei eine falsche Entscheidung; auf der anderen Seite schreiben Sie ja auch, Deutschland hätte sich gar nicht an dem militärischen Einsatz erst beteiligen sollen.

    Schefter: Da habe ich ja jetzt Deutschland genannt, und sie hatten sich ja aus dem Irak-Krieg rausgehalten. Nur wenn sie jetzt beteiligt sind … - wer A sagt, muss auch B sagen. Nur dann gelten sie auch nicht mehr als Deutsche, sondern als NATO.

    Nur ohne Militär – und damit rede ich jetzt nicht von den Deutschen, sondern generell Militär – wäre es nach Fall der Taliban auch nicht gegangen. Ich habe ja diese ganzen Regierungswechsel erlebt, ich habe die Zeit von Mudschaheddin gegen Nadschibullah erlebt, und als Nadschibullah gefangen war, es ging einzig und allein nur noch um Machtkämpfe und dann ging der Krieg ja immer weiter. Das hat ja erst den Weg bereitet, dass Taliban kommen konnten.

    So wäre das nach Sturz der Taliban wieder um einen Machtkampf gegangen, weil die ganzen alten Warlords waren ja wieder vorhanden und die haben sich ja auch sofort in die Ministerien gesetzt. Wahlen und auch Parlament, das wäre meiner Meinung nach nicht zu Stande gekommen, wenn das nicht gestützt worden wäre.

    Barenberg: Und jetzt? In der jetzigen Situation halten Sie die afghanische Armee, die afghanische Polizei für nicht in der Lage, für Sicherheit zu sorgen?

    Schefter: Noch nicht. Nein, gar nicht! Und es stellt sich ja immer wieder heraus, aus der Erfahrung wird das ja auch bestätigt, dass jetzt eben auch so ein afghanischer Pilot nachts im Militärflughafen acht Soldaten quasi erschossen hat, oder in Kundus war es ja auch ein Afghane, der eigentlich als Wächter angestellt war im ISAF-Camp, der dann auch wild um sich geschossen hat. Und das liest man auch in den Security-Reports, dass die dann in Uniform, oder auch die Polizei ja auch Raubüberfälle machen. Und das ist darin begründet, dass sie einfach auch nicht genügend Geld, Gehälter haben. Auch, das ist ein Punkt, nicht nur ausschließlich.

    Nur ich halte sie noch nicht für so weit, und vor allen Dingen der entscheidende Fehler ist ja, dass man das Humane gerade in den Provinzen nicht genügend gestärkt hat. Man bildet Polizei und Armee aus, aber Krankenhäuser, Schulen bleiben auf der Strecke.

    Barenberg: Frau Schefter, die USA, US-Soldaten haben Osama bin Laden in Pakistan getötet, also den mutmaßlichen Drahtzieher der Anschläge vom 11. September 2001. Was wird sich dadurch in Afghanistan selber ändern?

    Schefter: Also entscheidend ändern, das weiß ich jetzt nicht. Aber es wird nach wie vor undurchsichtiger werden, willkürlicher, unberechenbarer. Und was ich ganz genau weiß ist, das ist ihre Mentalität, aber schon seit Jahrhunderten. Sie hatten ja immer mit Kriegen zu tun, sie sind immer überfallen worden, auch von Alexander dem Großen und Dschingis Khan und den Engländern und den Sowjets und das ging ja immer so weiter, dementsprechend das zutiefste Misstrauen.

    Und die Mentalität ist: Es gibt Revanche. Die ist so sicher wie nur was. Er ist jetzt getötet worden, es gibt dann aber von seinen Anhängern eine Revanche. Ob die sofort passiert oder schnell passiert oder auf lange Sicht … - also Afghanen zum Beispiel können warten, und wenn sie zwei Jahre oder drei Jahre oder zehn Jahre warten, aber sie können nicht nur nicht vergeben, sondern auch nicht vergessen, auch nicht vergeben. Also es erfolgt unweigerlich die Revanche, das mit Sicherheit.

    Barenberg: Karla Schefter, die in der Provinz Wardak im Süden Afghanistans ein Krankenhaus leitet. Das Buch über ihre Arbeit ist gerade im Rowohlt-Verlag erschienen. Weitere Informationen auch über ihr Krankenhausprojekt auf unserer Internet-Seite www.dradio.de.

    Chak-e-Wardak-Hospital