Donnerstag, 25. April 2024

Archiv


Eine Kulturgeschichte der Schönheit

Die spanische Schriftstellerin Alicia Gimenez Bartlett erzählt in ihrem literarischen Essay "Ich Bin Ich und Ich Ist Schön" eine Kulturgeschichte der Schönheit und Hässlichkeit von Frauen. Im Gegensatz zur männlichen Attraktivität beruht die weibliche auf der größtmöglichen Ähnlichkeit des Individuums mit einem allgemein anerkannten Schönheitsbild.

Von Ursula März | 17.08.2005
    Schönheit war immer bedeutsam, in vergangenen Epochen nicht weniger als in der Gegenwart. Sie wurde immer verehrt, begehrt, ersehnt - und bearbeitet. Die Ägypterinnen färbten und bemalten bekanntlich alles, was am Körper zu färben und zu bemalen ist. Aber die Art der Bedeutung, die der Schönheit zukommt, hat sich in der Moderne, zumal im letzten Jahrzehnt, rasant verändert. Schönheit wurde buchstäblich zum operativen Phänomen. Sie ist nicht mehr natürliches Geschenk, das man, das heißt: die Frauen mit Lockenstab, Gesichtscreme, Lippenstift und Wimperntusche möglichst gut zu verpacken suchen. Sie ist in Zeiten einer explodierenden Kultur der Schönheitschirurgie etwas anderes, kein Ideal, sondern eine Norm, kein Geschenk, sondern ein Produkt, das jeder und jede aus sich machen kann und soll.

    Denn aus der veränderten Bedeutung der Schönheit ergeben sich veränderte Koordinaten der Betrachtung. Wer heute nicht schön ist, trägt daran selbst die Schuld. Er ist nicht vom Schöpfer vernachlässigt worden, er vernachlässigt sich selbst. Schönheit gerät so in eine zwielichtige Verbindung mit Moral. Wer nicht schön, wer seine große Nase, seinen dicken Bauch, seine großen Oberschenkel nicht richten lässt, mit dem ist auch sonst was nicht ganz richtig. Wer dennoch mit seinen Makeln herumläuft, signalisiert nicht: so bin ich eben, sondern: so wenig bin ich gewillt, mich richten zu lassen.

    Was aber, fragt die bekannte spanische Schriftstellerin Alicia Gimenez Bartlett in ihrem literarischen Essay "Ich Bin Ich und Ich Ist Schön" bedeutet das für die Hässlichen? Die Autorin beschäftigt sich - um dies gleich zu sagen - in ihrer kleinen Kulturgeschichte der Hässlichkeit nur mit Frauen. Zu Recht; die Schönheits- bzw. Hässlichkeitsfrage berührt das männliche Geschlecht weniger, männliche Attraktivität und ihre Wahrnehmung speisen sich aus anderen Quellen: Temperament, Macht, Charme, Humor etc. Weibliche Attraktivität dagegen beruht mehr oder weniger auf einer Tatsache: der größtmöglichen Ähnlichkeit des Individuums mit einem allgemein anerkannten Schönheitsbild. So ist es - und so ist es zugleich nicht, weist Alicia Gimenez Bartlett an vielen Einzelbeispielen nach. War Anna Magnani eine attraktive Frau? Und wie? Kam sie dem allgemein anerkannten Schönheitsbild so nah wie möglich? Eher nicht. Zu klein, zu plump, zu viel Doppelkinn, zu dunkle Schatten unter den Augen. War Anna Magnani also hässlich? Gott bewahre. Sie war ganz einfach nicht perfekt. Was ist mit Coco Chanel? Sie gilt und galt als Ikone weiblicher Eleganz im 20. Jahrhundert. Aber wie sah sie tatsächlich aus? Die Natur hatte die Ikone der Eleganz klein, dürr und mit einem etwas mäuseartigen Gesicht auf die Welt gebracht. Und Jeanne Moreau? Nach Maßstäben heutiger Schönheitschirurgen wäre an einer der erotischsten Frauen, die je auf der Leinwand erschienen sind, einiges zu machen und zu begradigen. Ober- und Unterlippe sind etwas unproportional, die Stirn ein wenig zu kurz, auch die Ohrläppchen lassen zu wünschen übrig.

    Am Beispiel der hinreißenden Französin, der auch das Alter nichts von ihrer sinnlichen Ausstrahlung nimmt, wird klar, wie wenig die schematische Opposition schön/hässlich über Frauen und Frauenkörper aussagt. Es wird aber auch klar, wo der kleine gedankliche Schönheitsfehler dieses Essays liegt. Alicia Gimenez Bartlett schreibt über hässliche Frauen, das heißt über Frauen, die nicht in die Kategorie der schönen Frau fallen. Sie meint aber einen etwas anderen Unterschied, nämlich den zwischen perfekten und nichtperfekten Frauen.

    Man könnte nämlich auch sagen: Die wirklich schönen Frauen sind und waren nie perfekt. Im Zeitalter der Schönheitschirurgie nähert sich allerdings der Schönheitsbegriff immer mehr dem Perfektionsbegriff an.

    Die Perfektion unterwirft sich die Schönheit. Auf diesen Schluss will die spanische Schriftstellerin ihrem Essay hinaus. Sie erreicht ihn auf dem Weg einiger begrifflicher Unschärfen, anregend ist ihr Buch allemal. Im übrigen ist es tröstlich. Man schaut nach der Lektüre versöhnter in den Spiegel. Das ist ja auch schon einiges.