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Eine Lange Nacht über DDR-Regisseurinnen
Filmemachen um jeden Preis?

In der DDR gab es nur wenige Regisseurinnen. Sich an der Filmhochschule in Babelsberg zu bewerben, um Regisseurin zu werden, war kein emanzipatorischer oder gar politischer Akt. Frauen im Westen Deutschlands hingegen verstanden ihre Filme oft nicht so sehr als Kunstwerke, sondern mehr als politischen Beitrag zur Entwicklung der Gesellschaft.

Von Beate Schönfeldt | 03.10.2015
    Hier in der Szene "1. Mai" von rechts: Axel Werner als Lehrer Simrock, Franz Viehmann als stellv. Schuldirektor Kabitzke, Regisseurin Gabriele Denecke und Ulrike Krumbiegel als Antonia.
    Aus "Schlaflose Tage" eines DFF-Filmes. Hier in der Szene "1. Mai" von rechts: Axel Werner als Lehrer Simrock, Franz Viehmann als stellv. Schuldirektor Kabitzke, Regisseurin Gabriele Denecke und Ulrike Krumbiegel als Antonia. (picture-alliance / dpa / Klaus Franke)
    Sie waren eng an die Produktivität der DEFA-Filmstudios und des Fernsehens der DDR gebunden. Der künstlerische Anspruch war durchaus hoch, zumal sich jeder Film innerhalb der nationalen Filmproduktion eines Jahres durchsetzen musste. Um zu einem Regiestudium zugelassen zu werden, brauchte es eine Delegierung entweder des Spielfilm- oder der Dokumentarfilmstudios, Berlin, Babelsberg und Kleinmachnow. Die Filmhochschule, heute Filmuniversität, bot weite Experimentierfelder für die drei Regisseurinnen Petra Tschörtner, Gabriele Denecke und Helke Misselwitz.
    Schwierig wurde dann allerdings der Übergang in die Praxis. Die delegierenden Institutionen forderten die Rückkehr an den staatlich gelenkten Arbeitsplatz und das Einhalten geschriebener wie ungeschriebener Gesetze. Um den Preis der garantierten Anstellung bleiben da und dort auch künstlerische Ambitionen auf der Strecke. Nach diesen ambivalenten Erfahrungen werden sie ab 1989 mit dem komplizierten westlichen Arbeitsmarkt konfrontiert, der manche zwingt, noch einen anderen Job auszuüben, für viele Künstlerinnen und Künstler längst Realität.

    Auszug aus dem Manuskript der ersten Stunde:
    Helke Misselwitz, Gabriele Denecke und Petra Tschörtner . Alle drei beginnen ihre beruflichen Werdegang in den siebziger, beziehungsweise Anfang der 80er-Jahre. Zu diesem Zeitpunkt hat sich das Verständnis von Kunst in der DDR schon erheblich gewandelt. Besonders in der Literatur ist dieser Wandel deutlich erkennbar. Bereits 1967 beschreitet Christa Wolf mit ihrem Roman "Nachdenken über Christa T." neue Wege. Noch unter dem Eindruck des berüchtigten 11. Plenums von 1965 stehend, nimmt sie den Lebensweg einer Freundin, die letztlich an Leukämie stirbt, zum Anlass über Wahrhaftigkeit und Wahrheit in der sozialistischen Gesellschaft zu reflektieren. Der Roman wurde in Ost und West mit großem Interesse besprochen. In der DDR zum Teil äußerst kritisch. 1968 im Mitteldeutschen Verlag Halle erschienen, war er jedenfalls sehr schnell vergriffen und längere Zeit nicht neu verlegt. Christa Wolf vollzieht hier eine Annäherung an eine subjektive Authentizität, die Aufhorchen ließ. Unter Schriftstellerkollegen, und hier besonders den weiblichen, formt sich ein Nachdenken über neue Schreibweisen, das dann in den 70ern und 80ern sehr deutlich wird. In diesen Jahren nimmt auch das Bewusstsein der Frau als Künstlerin erkennbar zu.
    "Das gilt erst recht für solche seit dem Ende der Siebzigerjahre erscheinenden Bücher, wie die Maxie Wander, Brigitte Martin, Irina Liebmann, Sarah Kirsch uns andere, Bücher, in denen das Thema "Frau" – darin auch, wenngleich nur begrenzt internationalen Trends folgend – bereits als spezifisches auf den Plan tritt, zunächst in Gestalt dokumentarischer oder eng daran angelehnter Genres. Was nun entsteht ist in der Tat so etwas wie "Frauenliteratur" im engeren Sinne, weibliche Selbsterfahrungsliteratur, Literatur von Frauen für Frauen über Frauen. Vor allem. junge, nach Kriegsende geborene Autorinnen, sozial emanzipiert, intellektuell, oft allein stehend, mit Kind, beginnen nach ihrer "Identität" zu fragen, nach ihrer "Besonderheit", nach dem Unterschied zwischen Männern und Frauen auch im Sozialismus. Es geht um eine "Differenz", auf die man so (nämlich als soziale) nicht gefasst war. Nun wurde diese "Differenz" nicht nur schmerzlich empfunden, sondern auch ganz handfest erfahren: als doppelte Belastung vor allem, aber auch als Irritation, als Enttäuschung, Behinderung, Verlust, auf alle Fälle als "Manko": an Liebe, Sex, Geborgenheit, Sicherheit, Zeit ..." (Dorothea Böck in "Feministische Studien", Mai 1990)
    Diese so genannte Protokollliteratur animiert die Regisseurinnen sehr und bewirkt neue Ansätze auch im Dokumentarfilm. Der schon zitierte Film "Winter Ade" ist das gelungenste Beispiel dafür. Aber der spielt erst im Jahre 1987, bis dahin gilt es für alle drei noch einen zähen Weg zu gehen. Zu regelrechten Aha - Erlebnissen werden die Veröffentlichungen von Maxie Wander "Guten Morgen Du Schöne" und "Die Pantherfrau" von Sarah Kirsch. Schon Anfang der 70er-Jahre ergab sich schon ein weiterer Trend des Schreibens in der Literatur der DDR, der in der Geschichte forscht nach Ansätzen weiblichen Bewusstseins, seines Ursprungs und Werdens.
    "Anders freilich die Bücher, von denen im Folgenden die Rede sein soll, Bücher, die mehr oder weniger erfolgreich versuchen, das fortzuschreiben, worum sich Autorinnen wie Irmtraud Morgner mit "Leben und Abenteuer der Trobadora Beatritz nach Zeugnissen ihrer Spielfrau Laura" und "Amanda, ein Hexenroman" oder auf eine andere Weise Christa Wolf mit "Kein Ort. Nirgends" und "Kassandra" seit Mitte der 70er-Jahre bemühen, auf hohem intellektuellem und künstlerischen Niveau: um rückwärts gekehrte Prophetie, um die Reflexion von Epochen- und Menschheitsproblemen – aus weiblicher Sicht. Zuerst und vor allem heißt das natürlich, gerade in der DDR, ein patriarchalisch geprägtes Geschichtsbild zu korrigieren, die andere, noch immer "unsichtbare" Hälfte der Historie sichtbar zu machen: ein über Jahrhunderte verdrängtes, verschüttetes, entfremdetes, ja diskriminiertes weibliches Erbe."
    Beide Strömungen der Literatur von Frauen in der Zeit als unsere Filmemacherinnen ihr Studium an der Hochschule in Babelsberg planen und ihren beruflichen Existenzkampf beginnen, wirken enorm anregend auf sie. In "Die Pantherfrau" von Sarah Kirsch und in "Guten Morgen Du Schöne" von Maxie Wander kommen ganz einfache Frauen, zum Teil Arbeiterinnen in der Produktion, zu Wort und erzählen freimütig und ungeschminkt aus ihrem Leben. Es ist die Zeit der Kassettenrecorder, auch in der DDR, und die Zeit einer neuen Offenheit in der Gesellschaft. Immer wieder ist es aber Christa Wolf, die, ihrer Zeit voraus, die gesellschaftlichen Prozesse beim Namen benennt. Die Frau in der Geschichte, besonders auch die Künstlerin wird ihr ureigenstes Thema.
    Helke Misselwitz: "Winter adé"
    Mehr in: Sonderreihe "Winter adé – Filmische Vorboten der Wende"Filmausschnitt Interviewder Lausitzer Rundschau
    "Winter adé", DVD, Ein Dokumentarfilm von Helke Misselwitz, 1988
    "Winter adé" steht als Symbol für eine Zeit in der DDR, die geprägt war von dem Wunsch nach Veränderung. Die Regisseurin Helke Misselwitz reist mit der Eisenbahn von ihrer im Süden gelegenen Geburtsstadt Zwickau quer durch das Land bis in den Norden an das Meer einem Ort der Sehnsucht. In verabredeten und zufälligen Begegnungen spricht sie mit Frauen verschiedener Generationen und unterschiedlicher sozialer Prägung über deren Leben, Sorgen und Hoffnungen. Widersprüche und Brüche, Poesie und Traurigkeit erfährt der Zuschauer in den offenen Gesprächen mit der Ökonomin Hillu, mit Christine, der Brikettfabrikarbeiterin im Dreischichtsystem und ihrer behinderten Tochter, den Punkmädchen Anja und Kerstin, der betagten Margarete Busse auf deren Diamantenen Hochzeit, den Frauen in der Fischfabrik Saßnitz und der Kinderheimleiterin Erika "Banni" Banhardt.
    Mauerkinder, DEFA-Wende-Dokus, 2 DVDs, 4 Filme: Sperrmüll; Eisenzeit; Unsere Kinder; Unsere bösen Kinder. Regie: Misselwitz, Helke. DDR/Deutschland 1989-1992 INFO-Programm gem. Best.-Nr.19339, 2014, Icestorm Distribution Berlin.
    Subkultur in der DDR und Straßenkinder im Berlin der 90er-Jahre.
    Ausschnitte aus dem Manuskript der ersten Stunde:
    Schauen wir uns jetzt Leben, Werdegang und einige Filme unserer drei Protagonistinnen an. Beginnen wir mit Petra Tschörtner:
    Sie sagt von sich "Ich habe ja sowieso zwei Seelen in meiner Brust. Auf der einen Seite das Künstlerische, auf der anderen Seite bin ich ein absolutes Organisationstalent."
    Petra Tschörtner, am 6. Mai 1958 in Babelsberg geboren, hat sich ihren künstlerischen Weg heftig erstritten. Nach einem Volontariat im DEFA- Studio für Spielfilme studiert sie von 1978 bis 1983 an der Hochschule für Film und Fernsehen Babelsberg zusammen mit Helke Misselwitz, der zehn Jahre älteren, Herwig Kipping, Thomas Heise und einer ganzen Reihe Studenten aus, mit der DDR befreundeten Ländern der Dritten Welt. 1980 wird ihre Tochter Lilly geboren. Ihr erster Dokumentarfilm "Das Heim" (1978) wird nicht zugelassen. Ihr Diplomfilm "Hinter den Fenstern" (1983) macht Furore und erhält bei den Oberhausener Filmtagen mehrere Preise. Sie, die ausdrücklich Dokumentarfilme machen will, wehrt sich nach dem Studium vehement gegen eine Rückkehr ins Spielfilmstudio Babelsberg und kommt nach zähem Hin und Her letztlich doch in der Gruppe "kinobox" im Berliner Dokfilmstudio an. Es entstehen Filme wie, "Der Zirkus kommt", "Schnelles Glück", "Unterwegs in Nicaragua" und "Das freie Orchester". In der so genannten Wendezeit realisiert sie zwei sehr aufschlussreiche Filme: "Unsere alten Tage" (1990), in dem sie beobachtet, dass es mit der Sorge um alte, kranke Menschen im real existierenden Sozialismus nicht so weit her ist. In "Berlin-Prenzlauer Berg/Begegnungen zwischen dem 1. Mai und dem 1. Juli 1990", der in den letzten drei Monaten vor der Währungsunion spielt, wird ein Land im Ausverkauf vorgeführt.
    Gabriele Denecke erzählt aus ihrer Kindheit und Jugend:
    Gabriele Denecke: "Na ja, also geboren bin ich in Berlin, da hat man natürlich keine Erinnerungen mehr. Aber wir sind sehr schnell aufs Dorf, bei Berlin, weil, damals gab es so eine Kampagne, nannte man das. Arbeiter und Angestellte aufs Land. Und mein Vater, der ein weichherziger Mensch war, fühlte sich also verpflichtet, diesem nach zu gehen. Also zog die ganze Familie, einschließlich mir aufs Land. Und das war eigentlich sehr schön, weil man da herumstromern konnte. Ich war immer so ein bisschen so ein abenteuerliches Kind, was ich so aus den Erzählungen entnehme. Also, stromern, verschwinden, streunen, immer auf Abenteuer aus. Insofern war das Dorf ganz schön. Da sind wir zwei Jahre geblieben, und dann sind wir wieder nach Berlin zurück, also, außer mit dieser Unterbrechung, war ich immer in Berlin.
    Und dann bin ich ganz normal aufgewachsen. Ich hatte keine Geschwister, und meine Eltern waren Angestellte. Also mein Vater arbeitete im Krankenhaus und meine Mutter im Ministerium für bezirksgeleitete Industrie. Die war so ökonomisch drauf, sie hatte immer mit Zahlen zu tun. Auch ganz normal. Also, unsere Oma wohnte noch mit zu hause. Die hatte allerdings immer einen Hang zum Dramatischen, was mir imponiert hat. Es gab bei uns zu Hause immer kleine Inszenierungen in der Küche. Damals heizte man die Küche ja noch mit Kohlen. Es gab so einen Kohlenkasten. Ich hatte so eine kleine Schürze und saß immer auf dem Kohlenkasten. Meine Oma hob ab zu dramatischen Entäußerungen, vielleicht wollte sie sich das Leben nehmen, also es war immer was, wo ich baff davor stand. Meine Mutter fegte dann immer rein und sagte, jetzt ist aber genug. So wurde die Theatervorstellung beendet. Also, die Familie war durchaus erzählerisch und munter, und wir hatten, also ich hatte ne schöne Kindheit, weil mein Vater, meine Mutter auch, viele Freunde hatten, die gern mit dem Boot im Sommer unterwegs waren und zelten. Also, es kam meinem Naturell des Abenteuerlichen sehr entgegen. Also, immer irgend-wo zu sein, was zu entdecken.
    Und dann bin ich in die Schule gekommen, in Weißensee. Alles ganz normal, nicht auffällig, durchschnittlich. Auch nicht so, dass ich sagen könnte, ich hätte ne musische Erziehung gehabt, überhaupt nicht. Ganz normal. Ich war eher mehr sportlich. Also ich habe immer irgendwie Sport gemacht, Schwimmen, Volleyball und Eisschnelllauf.
    Mit dem Wechsel an die EOS, also an die Erweiterte Oberschule, auf die Paul- Österreich-Schule in Weißensee. Die war zwar auch naturwissenschaftlich ausgerichtet, hatte aber im Lehrerkollegium so fossile Leute, also so merkwürdig, ein bisschen zu alt. Der Rest vom Schützenfest aus der Zeit vom Nationalsozialismus, die aber alle so Schichten hatten und wieder wunderlich waren. Wir hatten eine Zeichenlehrer, Herr Pahnke, der mit Klemke, mit dem Maler, immer im Tasso-Eck saß und redete, und uns immer erzählte, was er mit Klemke gerade beredet hatte, und wer alles in der Schule ist.
    Weißensee war ja so ein Einzugsgebiet, da wohnten also die Langhoffs, Girnus wohnte da. Und die gingen auch auf unsere Schule. Und die machten demzufolge auch immer so Inszenierungen in der Aula. Das hat mich aber auch nicht interessiert, aber er erzählte davon. Und ich habe immer überlegt, weil die ja früh wissen wollten, was man mal werden will. Bei mir stand so Maschinenbau, oder ich hatte ne Auswahl an Berufsvorstellungen, so Schiffsmaschinenbau.
    Also, ich fand Musik toll, und guckte mir auch gerne Bilder an, Filme sowieso, aber nie so hundertprozentig auf eine Sache fixiert, sondern so Durchschnitt. Und dann erzählte Pahnke wieder, unser Zeichenlehrer, also wieder tolle Inszenierungen und die Langhoffs, die gerne Regie hatten. Da dachte ich, was ist das denn, was ist denn Regie. Da habe ich nachgeguckt, Regie. Und da stand irgend- wo, ich kann Dir nicht mehr sagen, was, jetzt etwas verkürzt formuliert, das ist was, wo von allem was drin ist. Mensch, dachte ich, das passt doch zu Dir, von allem ein bisschen. Da war ich 15, da habe ich mich erkundigt, und zwar im Dokumentarfilmstudio, das habe ich alles herausgekriegt, was das dann wirklich ist, und was man da machen muss. Und die schrieben auch ganz ordentlich zu-rück, also so und so. Sie hätten natürlich keine Ausbildungsplätze, aber man muss das und das machen. Ach so, und vorher, es gab ja in der DDR, wahrscheinlich das, was bei Petra auch stand, kam ja immer Abordnungen, die durch die Klassen zogen und suchten entweder Kinder für den Sport, Kinder für Modeshowthings, damals schon, und auch Kinder für das Fernsehen. Da gab es so Pioniersendungen, Die Blauen Blitze, oder es gab noch andere. Und die suchten dann immer Kinder raus, und die suchten auch mich raus. Und dann landete ich in Adlershof. Und dann hast Du so ein Pioniertuch umgekriegt und spieltest also das, was Du sowieso nicht gerne machtest jetzt noch mal nach. Mit langen Wartezeiten, das fand ich überhaupt langweilig. Und dann gab es so ne kleine Gruppe, die waren undiszipliniert, dazu gehört ich, die rannten dann raus. Jeden- falls wurden wir ausgemustert, weil wir also nicht so reagierten, wie sie sich das vorgestellt hatten. Ich fand das auch sehr langweilig da. Es gab zwar ein bisschen was zu essen, aber, es waren immer diese gleichen Texte. Und da habe ich gedacht, furchtbar, das machst Du nie in Deinem Leben. Aber dann schrieben die eben vom Dokfilmstudio auf meine Anfrage, was das ist und dass sie nicht ausbilden, aber das Fernsehen würde Volontariate anbieten. Da habe ich gedacht, schreibst mal hin. Ich war immer so ein bisschen selbstständig, meine Eltern wussten gar nichts davon. Da schrieb ich an das Fernsehen, was denn das mit der Volontariat und dem Regiedasein da auf sich hat. Dann schickten sie mir so ne Mappe mit, was man alles machen muss, wie man sich bewerben muss, was man erbringen muss, wie die Zeiten sind. Dann habe ich mich mit 16 dort beworben, habe alle ausgefüllt. Da musstest Du eine kleine Geschichte schreiben. Du musstest ein bisschen fotografieren, also so, ich kann mich nicht mehr genau erinnern. So künstlerisch anmutende Dinge, musstest Du dort hin schreiben. Das habe ich gemacht, und dann haben die mich eingeladen. Das war in Adlershof, in so 'ner Baracke, gleich neben dem Wachregiment Felix Dserchinski. Und dann gab es so ein Eignungsgespräch. Das weiß ich noch. Da musste ich den "Lampenputzer" von Mühsam aufsagen. Dann fragten die Dich nach Diesem und Jenem, das hat man alles erzählt. Dann haben die geschrieben, man ist aufgenommen. Das hat mich sehr verblüfft, meine Eltern noch mehr, weil ich gesagt habe, guckt mal, ich bin aufgenommen. Da sagten sie, das würden sie ganz schlecht finden. In unserer ganzen Familie gibt es keinen Einzigen, der auch nur annähernd in diesem Beruf oder mit dieser Materie befasst ist. Ganz schlecht, sie würden doch dafür sein, dass ich Ökonomie studiere. Bei uns musste man doch in der 11.Klasse noch mal offiziell die Studienbewerbung ausfüllen. Da hatte ich als erstes Regie rein geschrieben und als zweites Ökonomie. Hinter Regie habe ich geschrieben, Volontariat schon bestätigt. Das hat die aber nicht interessiert, die haben das genommen. Da gab es ja diesen Verteiler, und plötzlich hatte ich noch eine Zusage von der Hochschule für Ökonomie in Karlshorst. Da bin ich dahin getrabt und habe gesagt, das muss ich zurückgeben. Ich mach das doch mit der Regie. Und dann ging das eben los. Also, es gab nie so einen großen Anstoß, außer, dass man natürlich als Kind gerne in Kino gegangen ist. Aber, dass Du gewusst hast, was dahinter steckt, oder was für Leute das sind, nee, das ist eigentlich erst so peu à peu passiert."
    Helke Misselwitz sagt von sich: "Ich wollte immer Grenzen überschreiten."
    Helke Misselwitz, geboren am 18.Juli 1947 in Zwickau, hatte, bevor sie das Regiestudium an der Filmhochschule Babelsberg aufnahm, schon einige andere Ausbildungen mit Abschluss als Facharbeiterin hinter sich. So hat sie parallel zur Oberschule Möbeltischlerin und nach dem Abitur Physiotherapeutin gelernt. Später ging sie dann nach Berlin, um im Fernsehen der DDR als Moderatorin und Regieassistentin zu arbeiten. Die Jahre an der Filmhochschule, sie lebte dort mit ihrer Tochter Katy im Internat, nutzte sie, sich ihrer eigenen Kreativität bewusst zu werden und diese in kleinen Filmen umzusetzen. So entstanden zum Beispiel: "Verstecken" (1979), "Haus. Frauen", (1981), " Ein Leben", (1982) Und "Haus", (1983).
    Schon hier beginnt sie Spielfilmelemente mit Dokumentarfilmelementen zu verweben. Ihre besondere Phantasie wird bereits deutlich. Zurück zum Fernsehen wollte sie auf keinen Fall. Deshalb machte sie, den in der DDR eher unüblichen Schritt in die Freiberuflichkeit. Nebenbei räumte und wusch sie Geschirr ab im Bahnhofslokal Berlin Lichtenberg. Mit der Zeit gelang es ihr mit kleinen Beiträgen für die Gruppe "kinobox" ins Dokumentarfilmstudio Berlin vorzudringen. Ihr Versuch, sich beim Spielfilmstudio in Babelsberg zu bewerben wurde vom Generaldirektor Hans Dieter Mäde brüsk abgewiesen. Es wurde ihr auch im Dokstudio sehr schwer gemacht, Fuß zu fassen, und Helke Hatte den Eindruck, dass das so gewollt war.
    Sie realisierte Aufträge nur dann, wenn sie sich mit ihnen identifizieren konnte. Dabei entstanden dann immer sehr phantasievolle, formal grenzüberschreitende Beiträge und auch die längeren Filme, "Stilleben", (1984) und "TangoTraum" (1985).
    Mitte der 80er Jahre wurde sie Meisterschülerin der Akademie der Künste der DDR bei dem bekannten DEFA Regisseur, Heiner Carow. In dieser Zeit entstand 1987/88 ihr bekanntester, langer Dokumentarfilm "Winter adé", eine Reise per Zug von dem Ort ihrer Geburt bis an die Ostsee. Unterwegs erzählt sie Frauenschicksale, die ihr begegnet sind. Nach dem Zusammenbruch der DDR und damit auch der Chance endlich eine Festanstellung zu erlangen, realisiert sie zwei Spielfilme: "Herzsprung" und "Engelchen". Damit ist sie ihrem eigentlichen Berufswunsch ganz nahe gekommen.
    Aber, wie viele westdeutsche Regisseurinnen vor ihr, machte sie die bittere Erfahrung, dass man allein vom Filmemachen schlecht leben kann. Sie nahm auch deshalb die Berufung als Professorin für Regie an die Filmhochschule Babelsberg an. Es gehört zu ihrem Wesen, dass sie diesen Job sehr ernst nahm und in dieser Zeit wenig Eigenes machte. Heute ist Helke Misselwitz berentet und arbeitet an verschiedenen Stoffen.
    Auszug aus dem Manuskript der zweiten Stunde
    Während unsere drei Regisseurinnen in den 70er,beziehungsweise noch Anfang der 80er-Jahre in Babelsberg studieren, festigt sich in der Literatur von Frauen in der DDR der Anspruch des Authentischen, ohne den künstlerischen Ansatz zu verleugnen. In der Regel liefern pragmatische, psychologisch vertiefte Darstellungs-, Analyse-, oder auch Kommunikationsverfahren ( Protokoll, Bericht, Brief, Kommentar, Interview und ähnlichem) das Vorbild für die Struktur literarischen Erzählens, für eine dem Einfühlungsschema verpflichtete Prosa, die sich auf dem schmalen, gar nicht so leicht zu bestimmenden Grat zwischen literarischer Dokumentation von authentischen Alltagserfahrungen und Literatur als Kunst bewegt. Das Ergebnis sind – wie nicht selten in der neueren DDR- Literaturtexte, in denen Fakten, Details, Widersprüche nur so hervorbrechen, Texte, in denen es um die Erkundung von Leerstellen, um das Aufbrechen von Tabus, und das Kenntlich-machen von Verdrängungen geht. Texte auch, denen man mit vorrangig "künstlerischen" Maßstäben schwerlich gerecht werden kann. Schließlich geht es hier nicht so sehr um die "ästhetische" sondern um die moralische, die psychologische, auch die politische Mobilisierung des Lesers.
    1976 wird der Liedermacher und Sänger Wolf Biermann ausgebürgert. Er darf nach einem Gastkonzert in Köln nicht wieder in die DDR einreisen. Das verunsichert viele in der Gesellschaft, und in den nächsten Jahren nehmen nicht wenige Künstler dies zum Anlass und reisen aus auf Dauer. Man lässt sie ziehen, man will sie loswerden. Die Zurückgebliebenen sind mindestens ebenso ratlos. Man gibt sich wieder einmal einen Ruck. Es muss doch endlich vorwärts gehen mit der DDR. Die Filmemacherinnen fühlen sich mit denen identisch, die so denken. Sie wollen etwas tun, beitragen zur gesellschaftlichen Entwicklung, sich einbringen mit ihren ureigensten Ideen und Möglichkeiten. Filme machen ist für sie der Weg.
    Die Filmhochschule.
    Petra Tschörtner: "Ich hab's dann tatsächlich im ersten Anlauf geschafft. In der 11. Klasse gab's so richtige Aufnahmeprüfungen beim DEFA–Spielfilm für das Volontariat. Da habe ich mich beworben. Da musste man 'ne Geschichte schreiben, 'ne Filmanalyse machen. Dann gab es 'ne mündliche Prüfung. Und ich bin da wirklich völlig naiv reingegangen. Ich hab das völlig aus dem Bauch heraus gemacht und war, glaube ich, auch damals ziemlich kess und frech und auch die jüngste Bewerberin in der Gruppe. Ich war ja 16 oder 17. Und, ich glaube, das hat dann irgendwie beeindruckt, dass ich einfach so geredet hab, wie mir der Schnabel gewachsen war. Und ich durfte dann tatsächlich dieses Volontariat machen. Und ich muss sagen, im Nachhinein, war das viel besser und wertvoller als das ganze Studium an der Filmhochschule.
    Und dann brauchte man 'ne Delegierung, die habe ich dann auch bekommen. Und dann musste man noch mal diese Aufnahmeprüfung machen, und die habe ich dann auch bestanden und war dann die Jüngste. Also ich war 1978 zwanzig als ich angefangen habe zu studieren. Also Helke war ja mein Studienjahr. Wir waren ja die beiden einzigen Frauen. Die Hälfte Ausländer. Und das hat mir eigentlich am besten gefallen an der Schule, dass wir zusammen alle gewohnt haben in einer alten Villa, und dieser Kontakt eben zu meinen ausländischen Kommilitonen auch. Also, das war so, dass die Welt noch mal rein kam. Also, wir haben ja in diesem Grenzgebiet völlig eingezäunt und eingemauert gelebt. Aber heute ist mir aufgefallen, dass wir eigentlich gar nicht so viel wussten über die Ausländer. Das war zwar sehr schön, und wir haben andere Kochrezepte kennen gelernt. Ich sag immer, Kochen hab ich an der Filmhochschule gelernt. Aber so richtig, wo die herkamen, und warum die jetzt Film studiert haben, oder was die da eigentlich wollten. Das habe wir eigentlich nie so offen besprechen können mit ihnen. Das ist mir neulich mal so aufgefallen, dass wir eigentlich nicht sehr viel wussten voneinander. Also, die von uns schon, weil sie ja mit uns gelebt haben. Aber wir haben nicht allzu viel gewusst. Also, weil viele Fragen auch tabu waren, und die, glaube ich, gar nicht viel erzählt haben, wo sie eigentlich herkommen, wo sie wirklich herkommen.…
    Petra Tschörtner: "Mir ging´s immer darum, Geschichten zu erzählen. Ich hab schon immer gern, auch als Kind, Geschichten erzählt und auch geschrieben. Und durch dieses Pionierfilmstudio ist dieser Wunsch immer heftiger geworden. Während des Studiums war es ja so, also zum Hauptstudium musste man sich entscheiden, ob man Dokumentarfilm oder Spielfilm machen will. Bei mir hat sich das ziemlich schnell herausgestellt, dass mich Dokumentarfilm viel mehr interessiert als Spielfilm. Also, ich hab dann sehr schnell gemerkt, dass mir die Arbeit mit den Schauspielern überhaupt keinen Spaß macht, dass da nicht mein Interesse liegt, sondern, dass es viel spannender ist, dass man Kontakt hatte mit Leuten, die man so nicht treffen würde.
    Also, zum Beispiel, bei meinem Diplomfilm wollte ich ja,... , ich war ja selber in dem Alter, wo man, es war ja in der DDR so, dass man früh geheiratet hat, um eine Wohnung zu bekommen. Dann hat man so einen Ehekredit bekommen und konnte sich das eine oder andere anschaffen. Und dann bekam man in der Regel ein oder zwei Kinder. Und dann kam so mit dreißig die Frage, und was nun? Also, diese Frage hat mich interessiert, wie die Leute eigentlich dann weiter leben. Die waren ja so fest gefahren. Und da hatte ich eben die Idee, in so ein Hochhaus zu gehen, weil ja meistens junge Leute dort wohnen. Das war ja so, die hatten über diesen Ehekredit oder über diese Heirat diese Wohnung zugesprochen bekommen. Also, dachte ich mir, da hast Du die Garantie, dass Du relativ viele Leute an einem Ort triffst, die genau in diesem Alter sind und auch diese Probleme vielleicht haben, oder eben nicht haben. Und das fand ich ganz toll, dass man einfach da so klingeln konnte und sagen, Guten Tag, mein Name ist Petra Tschörtner. Sie sind doch bestimmt verheiratet, und mich interessiert einfach mal, wie sie so leben. Dass man so einfach hinter die Fassaden gucken konnte. Das war ja sonst kaum möglich."
    Auszug aus dem Abschluss der dritten Stunde:
    Wir sind unseren Regisseurinnen in turbulenten Zeiten begegnet. Sie mussten sich umstellen und viel Neues lernen vom Filmgeschäft im Zeichen der Marktwirtschaft. Mit dem Fernsehen und seinen sich ständig neu bildenden Formaten mussten sie sich arrangieren. Dem großen künstlerischen Dokumentarfilm geht es nicht gut in dieser Landschaft. Ständig werden neue Sendeplätze erfunden, die allesamt so spät wie nur irgend möglich, oft in der Nacht, festgemacht sind.
    Petra Tschörtner, die so schwer gerungen hat um ihre soziale Sicherheit und die Ethik ihres Berufs, erkrankt schwer und stirbt 2012 im Alter von 54 Jahren in Berlin.
    Gabriele Denecke ist ungebrochen energisch und arbeitet an unterschiedlichsten Film-Stoffen für die Kulturmagazine von RBB und MDR oder an Dokumentationen.
    Helke Misselwitz hat ihre Professur für Regie an der Filmhochschule in Babelsberg um ein Jahr über das Rentenalter hinaus verlängert, weil sie ihren Studenten so sehr verbunden ist, und umgekehrt lassen die Studenten sie einfach nicht los. Konzentriert auf ihr ureigenstes Anliegen, arbeitet sie gerade an einem Spielfilmstoff.
    "Berlin - Prenzlauer Berg", DVD, Begegnungen zwischen dem 1. Mai und dem 1. Juli 1990. 75 Min. Regie: Petra Tschörtner, Best.-Nr.D210, 2012 Salzgeber

    We need revolution singt Herbst in Peking aus dem Prenzlauer Berg in den Trümmern der Mauer am Rande ihres Stadtbezirks. Dabei ist im Mai '90 schon fast alles gelaufen. Im Prater schwooft Knatter-Karl mit seiner Freundin. Frieda und Gerda im Hackepeter sind erschüttert; denn gleich nach dem Fall der Mauer wurde im Tierpark ein Papagei gestohlen. Die Polizei jagt bewaffnete Männer, während Näherinnen erklären, warum die Vietnamesen zuerst entlassen werden. Ein einsamer Gast aus dem Wiener Cafe singt zum Abschied das Lied von der Heimat, während die rumänische Combo zum Balkan-Express zurückeilt. Die Hausbesetzer träumen von Anarchie und Frau Ziervogel, Inhaberin von Berlins berühmtester Würstchenbude, segnet das erste Westgeld. Der Tag der Währungsunion ist da. Dieser Film aus der Wendezeit zeigt, warum der Prenzlauer Berg zum Szenekiez geworden ist! Petra Tschörtner fängt eine Stimmung ein, die ein bisschen konfus, ein bisschen melancholisch und ein bisschen anarchisch ist. In ihrem Film ist die Freude geteilt. Wird der Prenzlauer Berg bleiben können, was er ist? Die Gefilmten sind sich einig: `S wär schön! Heute wissen wir: S wäre schön gewesen!
    "Der Kremlflieger", Mathias Rust und die Landung auf dem Roten Platz,
    DVD, Auch in englischer Version. 95 Min., ein Dokumentarfilm von Gabriele Denecke, mit Interviews von Wladimir Kaminer und Hans-Dietrich Genscher.
    Best.-Nr.89321, 2012, Icestorm Distribution Berlin