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"Eine moderne Opera buffa"

"Der junge Lord" ist ein weniger bekanntes Märchen von Wilhelm Hauff, aber eine sehr bekannt gewordene Oper von Hans-Werner Henze, die 1965 in Rom uraufgeführt wurde. Jetzt hat Christine Mielitz das Werk für Dortmund in Szene gesetzt. Schauspielerisch und musikalisch auf den Punkt gebracht und überaus präzise, so Kritiker Thomas Voigt.

Thomas Voigt im Gespräch mit Beatrix Novy | 19.05.2009
    Beatrix Novy: Was ein echter Lord ist, darf ruhig ein Affe sein. Seine bürgerlichen Mitmenschen werden ihn trotzdem umschmeicheln und umwerben. "Der junge Lord", die Geschichte spielt im biedermeierlichen Hülsdorf-Gotha, also im biedermeierlichen Duodezfürsten-Ambiente. Diese Geschichte ist ein weniger bekanntes Märchen von Wilhelm Hauff, aber eine sehr bekannt gewordene Oper von Hans-Werner Henze. 1965 wurde sie in Rom uraufgeführt, alle mochten sie sofort, es war ein Erfolg. Jetzt hat Christine Mielitz das Werk für Dortmund in Szene gesetzt.

    Thomas Voigt, um was handelt es sich denn vorweg eigentlich genau? Ein deutsches Lustspiel, so hat Henze es genannt, oder ist es eine komische Oper?

    Thomas Voigt: Ich würde es charakterisieren als moderne Opera buffa. In dieser Tradition wollte Hans-Werner Henze komponieren, und er hat da auch sehr viele Rossini-Zitate untergebracht, der der Meister der Opera buffa war. Hin und wieder klingt auch Verdis "Falstaff" an, was ja das letzte große Ensemblestück der italienischen Oper ist. Also in dieser Tradition bewegt sich Henze, zitiert das und bietet da auch ganz faszinierende Collagen. Und dieser Zitatenschatz für Musiker, dem versucht Christine Mielitz in ihrer Inszenierung zu entsprechen durch optische Zitate. Da tauchen also auf im Outfit von Tokio Hotel der junge Lord, dann die schwarze Köchin als Josephine Baker mit Bananengürtel, Wilhelm, der junge Liebhaber, sieht aus wie Max Raabe, und in der zweiten Szene stolpert der Diener wie in "Dinner for One" über ein Tigerfell. Lauter solche optischen Zitate, und das macht das Ganze eigentlich ganz reizvoll.

    Novy: Hat das Ganze denn eine erzählbare Handlung? Es ist ja noch eine interessante Facette dieser Oper, dass Ingeborg Bachmann das Libretto geschrieben hat.

    Voigt: Ingeborg Bachmann hat das Libretto geschrieben, und sie schreibt in der Entstehungsgeschichte zu dieser Oper, zur Oper ist sie eigentlich gekommen durch die Traviata der Callas an der Mailänder Scala. Da hat sie zum ersten Mal gedacht, na ja, so schlecht ist diese Kunstform doch nicht, und sie hat Lust gekriegt auf eine Opernarbeit. Und das kam dann 63 dazu, als die deutsche Oper ein Auftragswerk an Hans-Werner Henze vergab und sie macht das Libretto.

    Ja, die Geschichte von Hauff ist ein, sie nennt es ein diabolisches Experiment, dass eben ein Gelehrter, Sir Edgar, versucht, einen Spießbürger an der Nase herumzuführen, indem er einen Affen so dressiert, dass er für einen jungen Lord gehalten wird und seine, sagen wir mal etwas lax, Manieren als extravagante englische Art aufgenommen und prompt auch nachgeahmt werden. Und damit endet dann die Oper eben, dass der Bräutigam der Dorfschönen Luise sich als Affe entpuppt.

    Novy: Das ist ja eine schöne, aktuelle Pointe auch. Und das wurde also von Christine Mielitz in der beschriebenen Art inszeniert, was ja recht kulinarisch klingt, sicher auch gut ankam. Wie war das Ganze denn stimmlich und musikalisch?

    Voigt: Musikalisch erstklassig, ich muss sagen, wieder Hut ab vor dem Dirigenten Jac van Stehen und dem Dortmunder Orchester und Chor. Das war so auf den Punkt gebracht, so präzise, wie ich das nicht erwartet hätte. Ich kannte das Stück ja nur vom Video, von der Uraufführung, deutsche Oper, das gibt's auch als Video. Und die Solisten waren durchweg wirklich sehr, sehr gut, zum Teil enorm textverständlich, was man ja heutzutage nun wirklich nicht hat, also da war das Übertiteln eigentlich nicht notwendig. Bei anderen Sachen ist es notwendig, weil bei Henze viel gleichzeitig stattfindet, so wie es in der Opera buffa der Fall ist. Da singen dann alle durcheinander und es gibt dieses Tohuwabohu und das Orchester ist ziemlich laut, da ist es dann ganz gut, dass man den Text wieder mitlesen konnte. Aber es waren hervorragende Darsteller: Jeff Martin als Lord Barrat, Martina Schilling als Luise und Maria Hilmes als Baronin Grünwiese, die ja so einen hysterischen Anfall hat, wenn der Lord seinen Besuch beim Tee abgesagt hat und sie da die hoch dramatische Nummer fährt, "Unerhört!". Da ist ja das Unerhörte auch dieser Geschichte, das Verhalten des Sir Edgar. Es geht ja nicht so sehr darum, eine Satire auf Spießbürger zu schreiben, also da ging es der Ingeborg Bachmann nicht so darum, sondern das Experiment zu zeigen und das Verhalten solcher Bürger auf Merkwürdiges, auf Fremdes, auf Unerklärliches.

    Novy: Das heißt auch, das Schauspielerische wurde bewältigt, was ja immer sehr wichtig ist, sonst ist eine Opera buffa ja verpufft sie leicht.

    Voigt: Ja, und das Schauspielerische wird bei Christine Mielitz eigentlich immer sehr gut umgesetzt, auch diesmal, dass man wirklich glaubhafte Figuren auf der Bühne hatte. Es wurden in der Pause kritischen Fragen laut, warum jetzt zum Festival Europa, also Ruhrfestival 2010, für dieses Henze-Projekt ausgerechnet das Stück vorgestellt werden sollte, gibt's nicht was anderes? Ich finde es gerade gut, dass das mal genommen wurde, eine andere Facette von Henzes Schaffen gezeigt wurde und dass man nicht immer nur auf die - zugegeben sehr starken - Bassariden zurückgreift.

    Novy: Also ein durchweg erfreulicher Eindruck vom jungen Lord in der Dortmunder Inszenierung. Das war Thomas Voigt.