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Eine moralische Erzählung aus New York

Die Wiederauflage von John O'Haras Roman "Begegnung in Samarra" aus dem Jahr 1934 war ein Erfolg: ein Kleinstadt-Porträt aus der Weltwirtschaftskrise im Jahr 1930. Nun ist auch sein zweiter Roman wieder erschienen. "Butterfield 8" heißt er und beruht auf einem wahren Vorfall, dem ungeklärten Tod durch Ertrinken einer jungen Frau aus New York. Doch diesmal enttäuscht O'Hara.

Von Michael Schmitt | 24.06.2008
    John O'Hara, geboren 1905 und aufgewachsen in einer amerikanischen Kleinstadt, hätte mit sich und seinen Erfolgen zu Lebzeiten zufrieden sein können. In jungen Jahren hatte er es zum Reporter des "New Yorker" gebracht, darauf konnte er dann aufbauen, als er zur Schriftstellerei überwechselte. Als Verfasser von etwa 400 Kurzgeschichten - viele davon erschienen ebenfalls im "New Yorker" - und von 14 Romanen, avancierte er dann auch schnell zum Bestsellerautor. Aber wer ist schon zufrieden, mit dem was ihm gelingt - irgendetwas bleibt immer unerreichbar. Und im Fall von John O'Hara war das wohl eine gewisse Distinktion, jene Art von Ehrerbietung, die man nicht durch Auflagenzahlen erwirbt. Bennet Cerf, sein Verleger bei Random House seit den Vierziger Jahren, berichtet dazu manches in seinen eigenen Memoiren: Wie sehr O'Hara darunter litt, dass niemand ihn ernsthaft mit dem Literatur-Nobelpreis in Verbindung brachte, oder dass keiner ihn in der gleichen Spielklasse einordnete wie etwa William Faulkner, der auch bei Random House unter Vertrag stand.

    John O'Hara war ein irischstämmiger Katholik aus kleinen Verhältnissen, der in seinen Romanen gepflegte Unterhaltung, Elemente der zeitgeschichtlichen Sozialreportage und - gemessen an dem, was die Zeit erlaubte - ein nicht unerhebliches Maß an Sex zusammenmischte. Er war ein Choleriker, zeitweise ein Trinker, fuhr mit dicken Autos herum und verschaffte sich bei der katholischen Kirche durch großzügige Spenden Absolution von den sündigen Inhalten seiner Bücher. Er war eine Institution und ein bisschen suspekt. Aber er starb 1970 ohne bemerkenswerte Spuren in der Literaturgeschichte zu hinterlassen.

    Überrascht, jedoch überwiegend angetan reagierte daher das Publikum als im vergangenen Jahr O'Haras erster Roman, "Begegnung in Samarra" aus dem Jahr 1934 wieder unter die Leser kam: ein Kleinstadt-Porträt als Momentaufnahme aus der Weltwirtschaftskrise im Jahr 1930. Im Mittelpunkt ein junger Auto-Händler, der sich durch einen gesellschaftlichen Fauxpas, aus einer schlechten Laune heraus, ruiniert. Aber nicht die Affekthandlung macht den Roman interessant, sondern das dichte Bild der sozialen Zusammenhänge, der Gerüchte und Verdächtigungen, die den Kosmos der sehr überschaubaren Gemeinde Gibbsville bestimmen - in jeder einzelnen Gesellschaftsschicht und in den Beziehungen aller Schichten untereinander.

    Nun ist auch der zweite Roman John O'Haras aus dem Jahr 1935 wieder aufgelegt worden, ebenfalls in einer Übersetzung von Klaus Modick. "Butterfield 8" heißt er, spielt erneut 1931/32 während der Weltwirtschaftskrise und beruht auf einem wahren Vorfall, dem ungeklärten Tod durch Ertrinken einer jungen Frau aus New York. Das verspricht zunächst einmal so etwas wie ein Krimi zu werden, zielt aber, das merkt man schnell, statt dessen auf ein Porträt des zeitgenössischen New York. Die Messlatte liegt damit hoch, denn ein Vergleich mit den Büchern von John Dos Passos ist dadurch vorprogrammiert - und um es gleich zu sagen: John O'Hara läuft diesmal nur unter der Latte durch.

    Die Geschichte, die er um die lokale Nachricht herum erfindet, rankt sich um die junge Gloria Wandrous, die in ihrer Jugend missbraucht wird, aus ihrer Intelligenz nichts rechtes machen kann und sich dann in zahllosen Affären verliert, nicht selten nahe der Prostitution. Am Ende stirbt sie auf dem East River vor den Augen eines ihrer Liebhaber. Durchaus ein soziales Drama, das am Morgen nach einer Liebesnacht beginnt, die Gloria im Appartement des Geschäftsmannes Weston Liggett verbracht hat; er hat ihr Kleid zerrissen, dafür revanchiert sie sich, indem sie den teuren Nerzmantel von Liggetts Frau mitnimmt, als sie das Appartement verlässt. Liggett ist nun einerseits vernarrt in Gloria, muss aber andererseits auch den Mantel wieder besorgen, wenn er seine sozialen und ehelichen Verhältnisse stabil erhalten will. Das treibt die Handlung voran - quer durch Manhattan, von großbürgerlichen Milieus bis in die Speak-Easies, wo der Alkohol fließt, wo verirrte upper class-Menschen zwischen die Vertreter der Halbwelt geraten.

    Darin verwickelt sind ältere Geschäftsfreunde Liggetts und die Boheme-Cliquen um Gloria, junge Leute, die zwischen Jobs als Grafiker oder als Journalisten und ihren Ambitionen als Schriftsteller oder Künstler schwanken und kaum einmal Geld haben.
    Sie leben in getrennten Welten, auch wenn nur wenige Häuserblocks zwischen ihnen stehen, sie werden allesamt von Radio, Schlagzeilen und Werbung beschallt - und von dem Roman müsste man nun erwarten, dass er all diese Elemente, die er herbeizitiert, zu einem stimmigen Bild Manhattans verbindet. Am Beispiel der Kleinstadt Gibbsville war das O'Hara ja in einem vergleichsweise traditionellen Erzählduktus überzeugend gelungen. Die Vielfalt der Großstadt aber meistert er nicht mit der gleichen Souveränität. Er löst sich zwar erkennbar vom linearen Erzählen, um der Zersplitterung der Lebensverhältnisse in Manhattan Rechnung zu tragen. Es gelingt ihm jedoch nicht, die vielen Stimmen der großen Stadt in ähnlicher Weise mosaikartig anzuordnen, wie das zur gleichen Zeit etwa John Dos Passos zuwege bringt.

    "Butterfield 8" überzeugt immer dann, wenn kurz und knapp Charaktere skizziert und voneinander abgesetzt werden, oft in den Dialogen. Es ist auch literaturhistorisch interessant zu verfolgen, wie sich O'Hara an die seinerzeit geltenden Grenzen für die Darstellung sexueller Handlungen heranschreibt und sie ausreizt. Aber an vielen Stellen zerfällt der Roman dann doch, weil die verschiedenen Zeitebenen und die nebeneinander agierenden Figuren viel zu flüchtig und nicht immer schlüssig angeordnet sind; weil viel zu oft sozialpsychologische Fragen und gesellschaftliche Verhältnisse im Reportagestil abgearbeitet werden, weil der Roman letztlich als moralische Erzählung herhalten muss und dabei das erzählerische Element geopfert wird. Da ist wohl dem eingefleischten Reporter die Feder durchgegangen, und schnelle Schreibe und flotte Begriffe haben passagenweise über die Literatur triumphiert.

    John O'Hara: Butterfield 8. Roman.
    Aus d. Amerik. von Klaus Modick. Verlag C.H.Beck, München 2008