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Eine Nacht mit Adorno

Am Mittwochabend ist das Adorno-Denkmal in Frankfurt nach einer Restaurierung wieder freigegeben worden. Das Denkmal - ein von dickem Glas umhüllter Schreibtisch - war mehrfach Opfer von Vandalismus geworden. Wieder eröffnet wurde es mit einer symbolischen Nachtwache unter dem Motto "A Night With Adorno".

Von Philipp Krohn | 13.07.2005
    Ein massiver Holzschreibtisch, drei frisch bearbeitete Manuskripte, eine Tischlampe erleuchtet die Blätter. Ein Metronom gibt stetig-beruhigt einen langsamen Takt vor. Der Schreibtischstuhl ist leicht abgerückt. Der Denker ist kurz ausgetreten. Gerade hat er an ein Musikstück von Schönberg gedacht. In dem Moment passiert es:

    Drei Steine treffen das Glashaus, das den Schreibtisch umhüllt. So stellt sich der Cellist Frank Wolff die Angriffe auf das Frankfurter Adorno-Denkmal vor. In nur zwei Jahren wurde das Glasgehäuse, das ein stilisiertes Arbeitszimmer des Philosophen schützt, drei Mal von Vandalen beschädigt. Jetzt wurde es wieder eröffnet - mit einer symbolischen Nachtwache, um das fragile Kunstwerk in den Schutz der Bürger zu nehmen, wie der Leiter der Frankfurter Kulturabteilung Klaus Klemp erklärt:

    " Das Kunstwerk an sich ist natürlich schon eine Provokation: einen Glaskubus in den öffentlichen Raum zu stellen, ist ja eine heikle Angelegenheit, weil jeder weiß, dass Glas zerbrechlich ist. Das ist aber auch ein Symbol, das bewusst von dem Künstler so eingeführt worden ist, um auf die besondere Fragilität dieses Kunstwerks, dieser Platzgestaltung hinzuweisen. Und uns geht es ein bisschen darum herauszufinden, ist denn eine Stadt in der Lage, so etwas zu akzeptieren."

    Provokativ wirkt das Denkmal, bei aller Ruhe, die es ausstrahlt. Ein so intimes, privates Stillleben würde man eher in einem Museum erwarten. Doch Klemp meint, die Bürger der Stadt akzeptierten das Denkmal:

    " Ich glaube schon, dass sich sehr viele damit identifizieren, weil sie auch sehr differenziert jemanden wie Adorno durch solch ein komplexes Kunstwerk verstehen, auch repräsentiert sehen. Ich denke, es ist fast eine der wenigen Möglichkeiten gewesen, um sich überhaupt an Adorno in einem materialisierten Kunstwerk zu nähern."

    Rund 150 Frankfurter sind an diesem lauen Sommerabend auf den Adorno-Platz gekommen. Sie huldigen dem großen Philosophen der Stadt und wohnen einem ganz heterogenen Programm bei: Der Cellist Frank Wolff stellt sein Stück vor, das einen viel sagenden Titel hat: Adorno sitzt in seinem Glashaus und denkt an Schönbergs Pierrot Lunaire, während böse Buben aus dem Hinterhalt Steine werfen. Der Leiter der Kammeroper Rainer Pudenz hat zwei Sänger seines Ensembles mitgebracht. Am späteren Abend spielt die Band Pathos Legal einige Stücke. Auch Vadim Zakharov ist anwesend. Der russische Künstler hat das stimmungsvolle Kunstwerk vor zwei Jahren entworfen. Er sagt, das Denkmal sei nicht Adorno allein gewidmet:

    " Meine Idee war, damit einen Ort der Kreativität zu zeigen - von Schreibern oder Philosophen. Es geht nicht um den Tisch von Adorno oder seine Tischlampe. Tatsächlich geht es darum, den heiligen Ort berühmter Figuren unserer Welt zu präsentieren: Schreibern, Philosophen und Künstlern, die mit viel Worten gearbeitet haben."

    Die Frankfurter genießen den Abend. Zu dem Gesang des Opern-Ensembles trinken sie ein Glas Apfelwein, diskutieren die Thesen des Frankfurter Philosophen oder über ganz banale alltägliche Dinge. Für den Cellisten Frank Wolff bleibt die Auseinandersetzung mit seinem Lehrer wichtig. Nach vielen Jahren, die er sich mit Adorno beschäftigt hat, hat der frühere Sprecher der Studentenbewegung ein wenig Frieden mit seinem Lehrer geschlossen:

    " Er hat sich auch geweigert, unmittelbar politisch Stellung zu nehmen. Es war eher doch so, dass er sich reflektierend über bestimmte Phänomene der Studentenbewegung dann geäußert hat und mochte diese direkte Politisierung gar nicht. Er hat das auch nicht geglaubt, dass wir irgendwelche Erfolge damit erzielen würden. Und ja, manches hat sich an seiner Skepsis auch bewahrheitet. Aber man könnte auch sagen, uns hätte es ganz gut getan, er hätte ein bisschen direkter Stellung genommen oder sich auch früher mit uns direkt auseinandergesetzt."

    Inzwischen ist es dunkel geworden an dem kleinen Platz im Stadtteil Bockenheim. Zur ersten Nachtwache haben sich die Brüder Martin und Rainer Pudenz eingefunden - als Fotograf und Opernregisseur beide im Frankfurter Kulturleben fest verankert. Sie haben sich an einen Tisch gesetzt. Mit einem Glas Rotwein oder Bier vor sich bewachen sie das Denkmal - und erfreuen sich einer ganz neuen Perspektive auf das Kunstwerk. Martin Pudenz:

    " Ich habe das noch nie zur Nachtzeit hier gesehen. Das ist das erste Mal. Ich meine, was will man mehr: das Wetter ist gut, es ist warm, es regnet nicht, leichte Getränke und von daher lässt sich das wunderbar hier erledigen."

    Zwei weitere Tage noch werden Frankfurter Bürger Wache stehen. Danach wird das Denkmal wieder ungeschützt sein und manchen provozieren, andere zu neuen Gedanken anregen.