Donnerstag, 25. April 2024

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"Eine Normalität wird hier so schnell nicht einkehren"

Vor knapp einem Jahr ereignete sich die Katastrophe im Atomkraftwerk von Fukushima. Normalität sei in der Region nicht eingekehrt, berichtet Jürgen Döschner aus Minamisoma. Die Stadt liegt in der äußeren Sperrzone von Fukushima und wird von Dekontaminationstrupps versucht zu reinigen.

Jürgen Döschner im Gespräch mit Benjamin Hammer | 01.02.2012
    Benjamin Hammer: Am 11. März letzten Jahres geriet das Atomkraftwerk von Fukushima außer Kontrolle. Die Folgen der Katastrophe werden noch lange, sehr lange messbar sein. Dennoch bemühen sich die japanischen Behörden um so etwas wie Normalität. Das Land will auch in Zukunft auf die Atomkraft setzen und die Bewohner vieler Orte um Fukushima sollen in ihre Häuser zurückkehren. – Der ARD-Reporter Jürgen Döschner befindet sich im Moment in der äußeren Sperrzone von Fukushima und wir sind jetzt am Telefon mit ihm verbunden. Herr Döschner, Normalität oder zumindest ein geregelter Alltag, ist das für die Bewohner von Fukushima und um Fukushima überhaupt möglich?

    Jürgen Döschner: Nein. Eine Normalität wird hier so schnell nicht einkehren. Sie ist in dem vergangenen Jahr nicht eingekehrt und sie wird auch in den nächsten Jahren nicht einkehren. Das liegt ganz einfach daran, dass Radioaktivität und speziell das Cäsium 137, das aus dem Kraftwerk vor einem Jahr oder vor knapp einem Jahr freigekommen ist, eine Halbwertszeit von mehr als 30 Jahren hat. Das heißt, auch diese Tragödie hat gewissermaßen eine Halbwertszeit von 30 Jahren. So lange mindestens können die Menschen nicht zurück. Man muss ja sagen, dass Halbwertszeit bedeutet, dass die radioaktiven Stoffe dann nur zur Hälfte zerfallen sind. Deshalb hat man hier zum Beispiel in der Stadt Minamisoma – die liegt direkt an der Grenze zu dieser 20 Kilometer Sperrzone, innerhalb derer ja niemand mehr wohnen darf und soll und nur vereinzelt noch Menschen sich aufhalten -, dass in dieser Stadt an vielen Straßen, an vielen Häusern Dekontaminationstrupps unterwegs sind. Man muss sich das so vorstellen: Die gehen mit dem Hochdruck-Wasserstrahl auf das Dach, sprühen das Dach ab, sprühen die Wände ab. Teilweise habe ich heute gesehen, wie sie auch Bäume im Garten, Obstbäume mit Hochdruckreinigern abgesprüht haben. Dann aber absurderweise fließt das Wasser einfach die Straße entlang in die Kanalisation oder in den Boden hinein. Also ein verzweifelter Versuch, die Radioaktivität los zu werden. Man wird sie aber nicht so ohne Weiteres los, sie fließt woanders hin beziehungsweise der Wind trägt dann aus der nahegelegenen Sperrzone die radioaktiven Partikel wieder aufs Dach und in den Garten der Häuser.

    Hammer: Das heißt, der Ort, in dem Sie sich befinden, wird auch weiter relativ stark verstrahlt sein. – Sie haben auch mit Anwohnern und Bewohnern gesprochen. Wollen die überhaupt wieder zurück? Wie groß ist denn die Angst vor Langzeitschäden?

    Döschner: Ja, die Angst ist natürlich gerade bei den jungen Leuten sehr groß und bei den Eltern von insbesondere kleineren Kindern. Ich habe mit einer älteren Frau gesprochen, die in einem der Häuser wohnte, das heute dekontaminiert wurde, und diese alte Frau sagte, vor mehreren Monaten, also vor der Katastrophe, haben hier in dem Haus elf Personen gewohnt, und zwar ihre gesamte Familie, ihre Kinder, ihre Enkelkinder und sogar die Urenkel, und jetzt ist sie die Einzige, die noch da ist. Sie sagt, sie sei auch vorübergehend in einem Evakuierungslager gewesen, wollte sich dann aber um die Haustiere und um das Haus selber kümmern, und sie sagt wie so manche, die ich gesprochen habe, ich bin alt – sie ist über 60 – und wenn ich Krebs bekomme, dann sterbe ich eben, aber irgendwann werde ich sowieso bald sterben, deshalb macht mir das nicht viel aus. Aber diese Menschen, die sind doch irgendwo auch verzweifelt, weil sie natürlich auch gerne ihre letzten Jahre mit ihren lieben verbringen möchten, aber die kommen nur hin und wieder zu Besuch und trauen sich nicht, wieder in das Haus zu ziehen, in dem jetzt die alte Frau wohnt, und so ist das an vielen Orten. Also die Tendenz geht eher sogar dahin, dass mehr Menschen, insbesondere aus dieser Stadt hier, wegziehen. Sie bekommen immer mehr Einblick darin, wie stark die Stadt wirklich verstrahlt ist, weil sie von den Behörden eigentlich nicht richtig informiert werden. Da gibt es viele Privatinitiativen, und je mehr gemessen wird, desto deutlicher wird, dass diese Stadt eben auch zumindest in großen Teilen so verstrahlt ist, dass man hier eigentlich nicht wohnen sollte.

    Hammer: Herr Döschner, Sie beschreiben die Lage. Können Sie uns das vielleicht noch mal etwas genauer beschreiben? Müssen wir uns das vorstellen wie eine Geisterstadt, wo wirklich nur noch relativ wenige Bewohner sind und eigentlich nur noch die Reinigungstrupps durch die Straßen geistern?

    Döschner: Nein. Diese Stadt Minamisoma hatte mal 60.000 Einwohner. Jetzt sind es noch 40.000. Also es ist keine reine Geisterstadt, zumindest tagsüber nicht. Gegen Abend – wir haben ja jetzt fast 20 Uhr Abends -, da leeren sich die Straßen, weil die jungen Leute, die ansonsten Abends die Straßen bevölkern, die sind eben nicht mehr hier und es gibt auch nur noch wenige Restaurants. Nachts oder abends sieht die Stadt schon aus wie eine Geisterstadt. Tagsüber sind aber doch relativ viele Leute hier. Das sind aber nicht nur Einwohner. Es sind auch viele Arbeiter, die in dem Kraftwerk, in Fukushima I, die Aufräumarbeiten mitmachen und die dann hier in den Hotels übernachten und wohnen. Es sind ja viele Sicherheitskräfte, die dazu da sind, die 20 Kilometer Sperrzone abzuriegeln. Also es gibt schon eine gewisse Geschäftigkeit, aber längst nicht so wie früher, und es gibt durchaus Orte, wie zum Beispiel der Ort Iitate, der sehr stark verstrahlt ist, auch außerhalb der 20 Kilometer Zone liegt, der ist so gut wie komplett entvölkert. Das ist wirklich eine Geisterstadt, so ähnlich wie alle Städte, die innerhalb der Sperrzone liegen.

    Hammer: Absolut keine Normalität um die Sperrzone von Fukushima herum. Jürgen Döschner war das live aus Japan. Besten Dank.