Eine Orangerie im Geiste der Aufklärung

Von Jochen Stöckmann · 18.05.2011
Er verkehrte mit Künstlern in Rom, London und Berlin, doch eine Parkanlage in der Provinz machte ihn berühmt: Friedrich Wilhelm von Erdmannsdorff, der Architekt des Wörlitzer Parks. Das Gartenreich war für die Aufklärer im 18. Jahrhundert ein Musterland.
Eine weitläufige Parklandschaft erstreckt sich längs der Elbe bei Wörlitz, es ist das Gartenreich eines aufgeklärten Fürsten. Inmitten der mit Flora- oder Venustempel, einem künstlichen Vulkan und der Höhle des sogenannten "Schmuckeremiten" inszenierten Natur ließ Leopold III. Friedrich Franz von Anhalt-Dessau 1769 ein Schloss errichten von auffälliger Schlichtheit. Diese Anlehnung an den klassischen Baumeister Palladio verdankt sich dem Architekten Friedrich Wilhelm von Erdmannsdorff. Geboren am 18. Mai 1736 in Dresden, absolvierte der Sohn eines kursächsischen Hofbeamten seine "Kavalierstour", seine Bildungsreise durch England und Italien und stieg auf zum Berater von Herzog Franz, fand in ihm einen Geistesverwandten. Was die Vordenker der Aufklärung allenfalls auf dem Papier, als "Projekt" betrieben, wurde in Wörlitz realisiert. In diesem stillen Winkel eilte die grüne Praxis aller grauen Theorie voraus – dank der Freundschaft zwischen einem Architekten und seinem Auftraggeber, von dem Goethe schrieb:

"Die Anlage eines damals einzigen Parks, der Geschmack zur Baukunst, welchen von Erdmannsdorff durch seine Tätigkeit unterstützte, alles sprach zu Gunsten eines Fürsten, der, indem er durch sein Beispiel den übrigen vorleuchtete, Dienern und Untertanen ein goldenes Zeitalter versprach."

Dieser Reformeifer, die Erziehung durch anschauliche Beispiele prägt das Gartenreich: Eine filigrane Eisenbrücke demonstriert den Stand der Technik. Nicht höfische Prachtentfaltung, sondern das Loblied auf nützliche Gewerbe lag Erdmannsdorff am Herzen. Davon zeugen die großzügige Orangerie und herrliche Blicke auf Äcker und Wiesen. Die einheimische Flora verbindet sich mit exotischen Gewächsen. In Sichtweite eines mustergültigen Kuhstalls steht das von Zinnen gekrönte "Gotische Haus", wo hinter der romantischen Fassade eine Kunstsammlung auf die Besucher wartet. Ein Park für alle, inszeniert im Auftrag eines Fürsten. Selbst radikale Fürsprecher demokratischer Umwälzungen wie etwa Georg Friedrich Rebmann sind begeistert:

"Es sind viele süße, liebliche Partien aus dem Nichts hervorgezaubert worden, die wohl allein eine kleine Reise verdienen. Was würde Herr von Erdmannsdorff aus einer Gegend zu machen gewusst haben, wo die Natur ihm nur etwas in die Hände gearbeitet hätte?"

Eisschollen der Elbe beschädigten 1770 den Schutzwall, im Sommer 1771 wurde der Wörlitzer Park vom Hochwasser überflutet. Aber selbst die unwirtliche Natur geriet dem kleinen Musterstaat zum Vorteil: Bis 1805 entstand ein Damm, aufgeschüttet von Tagelöhnern, die Erdmannsdorff stattlich entlohnte – und damit die Wirtschaft ankurbelte. Daneben entwickelten sich früh schon Ansätze eines Garten-Tourismus. Als Anziehungspunkt für den Fremdenverkehr, vor allem aber als Wallfahrtsort für Philosophen und Dichter wurde das Gartenreich berühmt. Über zeitgenössische Skulpturen und antike Büsten inmitten einer englischen Parklandschaft schwärmte Johann Gottfried Herder:

"In der Natur Harmonie und Disharmonie zu unterscheiden, den Charakter jeder Gegend kennen und brauchen lernen, mit dem regen Triebe, das Schöne der Natur allenthalben zu erhöhen und zu versammeln; wäre dies keine schöne Kunst, so gäbe es keine."

Als einzigartige Synthese von Natur und Kunst, Kultur und Gewerbe nahm die Unesco im Jahr 2000 den Park von Wörlitz in die Liste des Weltkulturerbes auf. Zugleich rief das benachbarte Bauhaus das Projekt "industrielles Gartenreich" aus. Im Städtedreieck Dessau – Bitterfeld – Wittenberg, im Spannungsfeld von chemischer Industrie, Großkraftwerk und ehemaligen Rüstungsbetrieben soll sich der Wörlitzer Reformansatz noch einmal bewähren: die harmonische Integration scheinbar unversöhnlicher Gegensätze in einer kultivierten Landschaft. Denn über ihr schwebt immer noch der Geist des im März 1800 gestorbenen Friedrich Wilhelm von Erdmannsdorff.
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