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Eine prägende Persönlichkeit des Theaters

Er forderte die Verantwortung und das Engagement des Theaters für die Gesellschaft ein, begleitete es als genauer Analytiker, streitbar, beharrlich, und widerborstig. Henning Rischbieter verstarb nun mit 86 Jahren.

Von Michael Laages | 23.05.2013
    Bald nach dem 80. Geburtstag wuchs wohl die Lust, auch mal von sich selber zu erzählen; nicht immer nur vom Theater, von Autoren und Regisseuren, von Schauspielerinnen und Schauspielern und dem Abenteuer einer Premiere. Henning Rischbieter begann, Geschichten zu sammeln aus dem eigenen Leben. Und unter dem sehr niedersächsischen Titel "Schreiben, Knappwurst, abends Gäste" erschienen die autobiografischen Skizzen im Frühjahr 2009. Dort, wo sie hingehörten – als Fortsetzung in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung.

    Rischbieter war Hannoveraner, der Heimatstadt in einer Art immerwährender Hassliebe verbunden. Als sie etwa vor etwas mehr als zwei Jahrzehnten das neue Schauspielhaus eröffnete, hatte der Kritiker nichts Freundlicheres zu tun, als die versammelte Festgemeinde an die überaus nazifreundlichen Theatertexte des späteren Fernsehkrimiautors Herbert Reinecker zu erinnern. Rischbieter eckte gerne an.

    Als er sich an sich selber erinnerte, ließ er eine Jugend in Hannover lebendig werden, mittendrin in den Jugendverführungsstrategien der Nazis. Von speziellen Vergnügungen wie der Lust am Fliegen auf dem alten hannoverschen Flugplatz erzählte er. Und natürlich vom Kriegserleben und –erleiden des Teenagers, der er ja war, als seine Einheit, wie so viele andere, verheizt wurde in den letzten Wochen des großen Schlachtens. Mit nur noch einem Arm ist er zurückgekehrt.

    Vom Studium in Göttingen berichtete er, von der Arbeit an verschiedenen Volkshochschulen. Und von der großen Theaterpassion, die vor allem in der Arbeit für die natürlich auch in der Hauptstadt des neuen Bundeslandes Niedersachsen tätige Besucherorganisation der "Volksbühne" heranwuchs. Der Pädagoge fand den eigenen Ort im Theater, er schrieb und erklärte und führte das fast aller kulturellen Emphase entwöhnte Publikum der Stadt an den unzerstörbaren Reichtum der Bühne heran.

    1960, fast parallel zum Start der neuen "Schaubühne am Halleschen Ufer" in West-Berlin und auch schon kurz vor der ersten Ausgabe vom "Theatertreffen", gründete Henning Rischbieter im Dörfchen Velber bei Hannover gemeinsam mit dem Theaterenthusiasten und Verleger Erhard Friedrich die Theaterzeitschrift, die einflussreich wie keine sonst die Wahrnehmung der Bühnenkünste in Deutschland prägte bis heute: "Theater heute".

    In dieser Gründerzeit ist er der Anwalt der Jungen und ziemlich Wilden; nur zur Erinnerung: Peter Zadek, der Jude aus Berlin, jetzt Heimkehrer aus englischem Exil, ist vom selben Jahrgang – nur war eben sein "deutscher Weg" ein ganz anderer. Rischbieters Vorstellung vom Theater, wie es sein sollte, war und blieb in dieser noch Nachkriegs- und schon Wirtschaftswunderzeit vor allem politisch.

    Er fordert mehr noch als den schönen Schein der Bühne auch die Verantwortung des Theaters ein – die Verantwortung und das Engagement für die Gesellschaft, in der das Theater spielt. Und über die Jahre hin schreiben und denken sehr unterschiedliche Journalisten an seiner Seite, einige von ihnen prägen später selber und als Macher das Theater: Botho Strauß als Autor, Ernst Wendt als Regisseur.

    Als Theaterprofessor wird Rischbieter schließlich nach Berlin berufen, später folgt ihm auch "Theater heute" in die Hauptstadt. Noch bis ins hohe Alter, lange nach der Übergabe der Leitung der Zeitschrift an die nachfolgenden Generationen, bleibt er ein genauer Analytiker, streitbar und beharrlich, widerborstig und gern auch ein wenig belehrend – die Zeitung aber und deren außergewöhnliche Stellung in der forciert intellektuellen Debatte über Machart und Wirkung des Theaters war und blieb ihm dabei stets wichtiger als die eigene Bedeutung.

    Aber nur keine falsche Bescheidenheit – mit Rischbieter ging eine der wirklich prägenden Persönlichkeiten des Theaters in Deutschland, deren Platz auf dieser, der Publikumsseite des Vorhangs war.