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Eine Stadt im Dunkeln

Am 13. Juli 1977 fiel in New York für 25 Stunden der Strom aus. Während einigen Bewohnern die ungewohnte Situation Raum für besondere Begegnungen unter Nachbarn gab, nutzten Kriminelle den Schutz der Dunkelheit für ausgedehnte Raubzüge.

Von Xaver Frühbeis | 13.07.2007
    Erst hatte der Kameramann gedacht, er habe das Ganze versemmelt. Man schrieb den 13. Juli 1977, in den Straßen New Yorks wurde der Film "Superman" gedreht, es war Nacht geworden, und Geoffrey Unsworth, der Chef des Kamerateams, bereitete den nächsten Drehtag vor. Als Unsworth einen seiner großen Filmscheinwerfer an das Stromnetz stöpselte, gingen plötzlich die Lichter aus, und mit einem Schlag war alles finster. Die Häuser, die Straße, das Stadtviertel, ganz New York lag im Dunkeln.

    Erschrocken dachte Unsworth, er habe den Stromausfall verursacht. Aber bald schon stellte sich heraus, dass Unsworth ganz unschuldig war. Ein Blitz hatte in ein Transformatorenhäuschen am nahen Hudson River eingeschlagen und zwei Sicherungsschalter außer Gefecht gesetzt. Weil bei einem der Schalter eine Mutter lose war, schnappte er nicht wieder zurück. Von da an wurde im Transformatorenhäuschen nichts mehr transformiert, und die restlichen Generatoren und Leitungen waren überlastet. Weitere Blitzeinschläge setzten wesentliche Stromleitungen matt, um 9.27 Uhr, knapp eine Stunde nach dem ersten Einschlag, schaltete sich New Yorks größtes Stromkraftwerk automatisch vom Netz, und die Stadt versank im Dunkeln.

    "Diesen Blackout zu sehen, zu sehen, wie einfach überall in der Stadt mit einem Schlag die Lichter ausgingen, das war eine der größten Erfahrungen meines Lebens."

    James Post, ein jugendlicher Graffiti Sprayer, war begeistert. Auch andere New Yorker genossen das Schauspiel. Zwar stand das ganze elektrische Leben der Stadt still, Klimaanlagen, Ampeln, Lifte, U-Bahnen, nichts ging mehr. Aber die New Yorker stellten erstaunt fest: Mitten in ihrer Stadt war plötzlich der Sternenhimmel zu sehen.

    "Die Straßen sind voller langsam gehender Menschen, sie stehen beieinander in kleinen Gruppen, sie lachen und erzählen, wo sie waren, als das Licht ausging. Es ist erstaunlich: Plötzlich spricht man in New York miteinander."

    In Greenwich Village stellten die Leute Kerzen auf die Straßen und batteriebetriebene Radios, um Musik zu hören. Nachbarn brachten Bänke und Essen und Trinken, und die Nacht geriet zu einem großen Freundschaftsfest. So war das in Greenwich Village.

    In anderen Stadtteilen war es anders. In den Problemvierteln von Harlem, Brooklyn und der Bronx nutzten viele Menschen die Anonymität der Dunkelheit. Sie warfen Steine in Schaufenster, stiegen in die Läden und nahmen sich, was ihnen gefiel: Lebensmittel, Fernseher, Möbel, Kleidung. Einem Autohändler wurden 50 Autos gestohlen. In schnell organisierten Aktionen wurden 1600 Geschäfte geplündert, Brandstifter legten über tausend Feuer, es brannten Autos, Busse, Läden und Häuser, die Polizei, machtlos gegen dieses Aufbranden von Gewalt, nahm knapp 4000 Menschen fest. Es war die größte Massenverhaftung in der Geschichte New Yorks.

    Den ganzen nächsten Tag war die Stadt ohne Strom. Die New Yorker fragten sich, wie es möglich war, dass ein paar gezielte Blitzschläge die Stromversorgung einer Millionenstadt derart lahmlegen konnten. Der Stromversorger selbst wies jede Schuld von sich: Blitzschläge kämen von oben und seien als eine Art direkte Einwirkung Gottes zu betrachten.

    Erst kurz vor elf Uhr nachts, mehr als 25 Stunden, nachdem Unsworth seinen Stecker eingesteckt hatte, gelang es, die Stadt wieder vollständig ans Netz zu bringen. Die Lichter kamen zurück, die Klimaanlagen surrten wieder, und New York war wieder obenauf. Dieser 14. Juli jedoch und besonders die Nacht zuvor, mit ihren Plünderungen, Brandstiftungen und Ausschreitungen, zählen bis heute, neben "Nine Eleven", dem 11. September 2001, zu den dunkelsten Stunden der Geschichte New Yorks.