Freitag, 29. März 2024

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Eine Stadt unter Zwangsverwaltung
Diyarbakir - Alltag im Ausnahmezustand

Diyarbakir im Südosten der Türkei steckt in einer doppelten Krise, politisch und wirtschaftlich. Hier leben mehrheitlich Kurden. Viele haben ihren Job verloren. Für sie ist der Schuldige klar: Die Zwangsverwaltung der AKP-Zentralregierung nutzt den Ausnahmezustand, um hart gegen Kritiker vorzugehen.

Von Azadê Peşmen | 09.03.2017
    Diyarbakir im Südosten der Türkei
    Südosten der Türkei: Polizisten bewachen am 4. November 2016 das Gerichtgebäude in Diyarbakir (imago/Depo Photos)
    Die ganz normale Rush Hour in Diyarbakir, der Millionenstadt im Südosten der Türkei. An der Haltestelle im Stadtteil Ofis fahren die grünen, städtischen Busse in alle Himmelsrichtungen. Auf den ersten Blick wirkt die Szene wie der ganz normale Berufsverkehr einer Großstadt. Nur, dass hier auch ständig Panzerfahrzeuge und Wasserwerfer auf den Straßen Diyarbakirs unterwegs sind. Spätestens hier bekommt die scheinbare Normalität Risse. Die Stadt steht unter Zwangsverwaltung. Diese Nachricht dominierte Anfang November vergangenen Jahres die Schlagzeilen in der Türkei.
    "Man wird angerufen und entlassen"
    Im Südosten des Landes leben mehrheitlich Kurden. Seit fünf Monaten entscheidet die türkische Regierungspartei in Diyarbakir. Bis dahin waren es die gewählten Abgeordneten der linksliberalen, prokurdischen HDP. Ihre Mitarbeiter in der Stadtverwaltung werden entlassen. Einige, aber nicht alle Stellen werden neu besetzt, mit regierungsnahen AKP-Mitgliedern. Eine der wenigen, die ihren Arbeitsplatz noch nicht aufgeben musste, ist Dilxwaz Yilmaz. Sie wirkt erschöpft. Ihren richtigen Namen möchte sie nicht nennen, weil auch sie Angst hat, dass sie plötzlich entlassen wird:
    "In dieser Abteilung muss man uns normalerweise einen Monat vorher oder zumindest 15 Tage vorher Bescheid sagen, dass der Vertrag nicht verlängert wird. Aber das ist jetzt bei vielen an einem einzigen Tag passiert. Man wird angerufen und es heißt: Sie werden entlassen. Es wird kein Grund genannt. Jetzt, während des Ausnahmezustands, ist es auch nicht so einfach, rechtlich dagegen vorzugehen und ein Verfahren einzuleiten. Eigentlich gibt es auf der rechtlichen Ebene gar keine Möglichkeit dagegen vorzugehen."
    Wie die Zwangsverwalter genau vorgehen, können die Stadtangestellten kaum nachvollziehen. Aber die Konsequenzen sind sichtbar: Das Büro von Dilxwaz Yilmaz ist nur sehr rudimentär eingerichtet. Zwei leere schwarze Schreibtische aus Holz, dahinter jeweils ein schwarzer Bürostuhl, kahle weiße Wände. Wohl fühlt sie sich hier nicht.
    "Es ist komplett anders, angefangen von der Motivation, zur Arbeit zu kommen, dass viele nicht mit den zugewiesenen Vorgesetzten zusammenarbeiten wollen. Und ich weiß nicht, ob du das gesehen hast, aber es ist nicht normal, bevor man zur Arbeit geht, am Eingang erst einmal durchsucht zu werden, oder? Du musst zwei Durchsuchungen über dich ergehen lassen, fühlst dich nicht wohl, in deiner Arbeitsumgebung. Wenn das in irgendeiner Weise richtig wäre, dann müsste man diesen Ort nicht so sehr überwachen."
    Absperrgitter schützen das Gebäude der Stadtverwaltung in Diyarbakir
    Absperrgitter schützen das Gebäude der Stadtverwaltung in Diyarbakir (Deutschlandradio / Azade Pesmen)
    Absperrgitter, Wasserwerfer, Leibesvisitation, Taschenkontrolle. Wer das Gebäude der Stadtverwaltung in Diyarbakir betreten möchte, wird genau überprüft. Die Folgen der Zwangsverwaltung bekommen aber nicht nur Mitarbeiter der Stadt zu spüren. Auch Ladenbesitzer sind beeinträchtigt, meint Dilxwaz Yilmaz.
    "Seit der Zwangsverwaltung bekommen viele Läden Strafzahlungen verordnet oder werden gleich enteignet. Der Grund dafür wird nicht genannt, manchmal reicht es auch schon aus, dass dort ein Schild auf Kurdisch hängt. Das wird alles offiziell natürlich nicht genannt."
    Ein Land, eine Sprache?
    Kurdisch ist für die meisten Menschen im Südosten der Türkei die Alltagssprache. Die AKP hält dagegen mit einer Politik unter dem Leitspruch: "Ein Volk, eine Fahne, ein Land". Das heißt auch: eine Sprache. Dementsprechend sieht die Zentralregierung in Ankara es nicht gern, wenn kurdisch, aramäisch oder eine andere Minderheitensprache gesprochen und geschrieben wird. Wie sich das jetzt auswirkt, lässt sich im belebten Stadtteil Ofis miterleben.
    "Wir müssen irgendwie miteinander klarkommen, damit meine ich, wir müssen einander verstehen", sagt ein eher kleiner, schmaler Mann, der Besitzer des Cafés. Er ist im Gespräch mit zwei Männern, mit zwei Zivilbeamten. Die beiden sehen sich in den Räumlichkeiten um. An der Wand hängt ein Bücherregal und Texte der kurdischen Dichter Cegerxwin und Melayê Cizîrî. Die kurdischen Gedichte seien nicht verboten, sagen die Beamten. Was sie stört, ist ein Bild, das hinter der Kasse an der Wand hängt: Es zeigt eine Frau aus der nordsyrischen Stadt Manbij, die gerade vom selbst ernannten islamischen Staat befreit wurde. Mit der einen Hand formt sie das Victoryzeichen, in der anderen hält sie eine Zigarette, an der sie zieht. Das Bild stifte zum Rauchen an, monieren die Beamten. Einen Tag später bekommt der Besitzer des Cafés schriftlich mitgeteilt, dass er 5.000 türkische Lira - das sind ungefähr 1.200 Euro - Strafe zahlen muss.
    "Ein Café, das nur 15, 20 Tage alt ist, aber trotzdem kamen schon zwei, drei Mal Beamte von der neuen Stadtverwaltung zur Kontrolle: Was macht ihr hier? Sie haben Ausreden gesucht: Raucht ihr hier oder raucht ihr hier nicht? Sie haben sich über das Bild mit der rauchenden Frau beschwert, eine Ausrede erfunden, dass das Bild verboten sei und eine Strafzahlung angedroht und gemeint: Wenn ihr unsere Freunde 'beglückt', dann wird nichts passieren. Sie haben Schmiergeld gefordert, das kann ich hier ganz offen sagen. Warum soll ich die denn glücklich machen?"
    "Egal wo du dich bewirbst, du wirst erst einmal auf deine Gesinnung hin überprüft"
    Yunus Demir, der eigentlich anders heißt, hat bis vor Kurzem auch für die Stadtverwaltung in Diyarbakir gearbeitet. Als die Zwangsverwaltung vor einigen Monaten begann, ahnte er, dass es bald auch ihn treffen könnte, erzählt er. Und so kam es. Einen Tag nach Neujahr wurde er grund- und fristlos entlassen. Er nahm einen Kredit auf, suchte passende Räumlichkeiten und eröffnete ein Café:
    "Im staatlichen Sektor können wir nicht arbeiten, das ist unmöglich, die würden mich nicht nehmen. Außerdem haben die jetzt etwas Neues eingeführt, eine Art Befragung, also egal wo du dich bewirbst, wirst du erst einmal vorgeladen und auf deine Gesinnung hin überprüft. Wenn es deren Gesinnung entspricht, dann kannst du dort arbeiten."
    Er ist zwar kein HDP-Mitglied, unterstützt aber die kurdische Bewegung. Das sieht jeder Cafébesucher sofort. An der Wand hängt ein schwarzes Halstuch mit Bommeln in Grün, Rot, Gelb, den kurdischen Nationalfarben. Für die Zukunft des Cafés hat er nur wenig Hoffnung:
    "Ich glaube, sie werden es uns nicht erlauben, dass wir hier arbeiten. Nach ein bis zwei Monaten werden sie diesen Ort schließen."