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Eine starke Vermittlerrolle

An der Uni Osnabrück hat im Oktober ein Weiterbildungsprogramm für Imame begonnen. Auf dem Programm: Deutschunterricht, das deutsche Bildungs- und Rechtssystem, Religionspädagogik und die Rolle der Frau in der europäischen Gesellschaft. Doch nicht nur Männer nutzen das Programm, unter den Teilnehmern sind auch Frauen.

Von Viola Zech | 25.11.2010
    Ein Vorlesungssaal im Erdgeschoss der Uni Osnabrück. Hier geht es heute um das deutsche Schulsystem. Auf ausklappbaren Holzbänken sitzen 30 Imame. Unter ihnen auch fünf Frauen mit bunten Kopftüchern. Imaminnen könnte man sagen, oder korrekter: muslimische Seelsorgerinnen. Bülent Ucar, Professor für Islamische Religionspädagogik an der Uni Osnabrück und Leiter des Weiterbildungsprogramms:

    "In den Moscheen gibt es viele Frauen, die auch als Imaminnen tätig sind, für eine separate Gemeinde, die aus Frauen besteht. Und seelsorgerische Tätigkeiten, gemeindepädagogische Tätigkeiten, all das sind Tätigkeiten, die im Wesentlichen bereits heute in den Händen von Frauen liegen und deshalb haben wir gesagt, ist es für uns sehr wichtig, dass Frauen in der Weiterbildung ihren Platz finden und daran teilnehmen dürfen."

    Häufig sind die Imame mit den vielfältigen Aufgaben in den Gemeinden überfordert, besonders, wenn sie selbst fremd sind in Deutschland und die deutsche Sprache und Kultur nicht sprechen und verstehen.

    Mit Unterstützung der Schura, dem Landesverband der Muslime in Niedersachsen, hat sich die Uni Osnabrück das Ziel gesetzt, die Imame und Seelsorgerinnen weiterzubilden und zu fördern und sie zu Vermittlern zwischen der deutschen Gesellschaft den muslimischen Gemeinden zu machen.

    Dass Frauen eine so wichtige Rolle in der muslimischen Gemeindearbeit einnehmen, genau wie bei den christlichen Gemeinden auch, ist vor allem für die Mehrheitsgesellschaft neu, für die Muslime ist es ganz selbstverständlich, so Ucar.

    "Man vergisst allzu sehr in Bezug auf den Islam, weil man meint, der Islam sei eine patriarchale Religion, Religion wird in allen Religionen, auch im Islam, zunächst und primär von den Frauen vermittelt, von den Müttern. Ohne Frauen hätten die Gemeinden heute größte Probleme."

    Gülsen Altiner ist eine dieser Frauen. Auch die 35-Jährige hat das Gefühl, dass die meisten Deutschen die Rolle der muslimischen Frauen in den Moscheegemeinden falsch einschätzen.

    "Sogar ein Bürgermeister, mit dem ich mich unterhalten habe, der meinte, bevor ich mit den muslimischen Gemeinden zusammengearbeitet habe, dachte ich, dass die Frauen ungebildet, sehr zurückhaltend, sehr schüchtern sind und nur das gemacht haben, was der Vater, der Bruder oder der Mann gesagt hat, aber das ist gar nicht so, meinte er, es sind sehr gebildete, studierte, selbstbewusste Frauen. Das hätte ihn sehr erstaunt."

    Gülsen Altiner arbeitet als Seelsorgerin für Kinder und Frauen in einer Moscheegemeinde in Hannover mit über 100 Gemeindemitgliedern. Sie ist in der Türkei geboren, aber in Deutschland zur Schule gegangen. Später hat sie Jura studiert, sich dann aber mehr und mehr auf die Gemeindearbeit konzentriert, die sie ehrenamtlich macht.

    "Also ich bin eigentlich Mädchen für alles, ich mache alles, fast wie ein Imam, nur ich darf keine Gebete verrichten, vor der Gemeinde stehen und Gebete verrichten, sonst mache ich genau dieselben Aufgaben, die auch ein Imam macht. Also ich unterrichte die Kinder, ich beschäftige mich mit den Problemen der Kinder, ich geh in die Schulen, wir arbeiten auch mit den Schulen zusammen."

    Die Äußerungen Thilo Sarazzins haben viele Jugendliche in der Gemeinde verstört. Auch der Ton in den Schulen ist rauer. Rat und Trost finden sie dann bei Gülsen Altiner. Es sind schließlich ganz normale Jugendliche, die die gleichen Fragen haben wie deutsche Jugendliche auch.

    "Wir bekommen Anfang Dezember eine Sozialarbeiterin und dann hat sie mich angerufen und hat sich angeboten, über Drogen und über Aids zu sprechen. Und dann meinte die Frau, weil wir eine muslimische Gemeinde sind meinte sie, wenn es Ihnen hilft, kann ich das auch ein bisschen versteckt erklären. Ich meinte, Sie müssen das nicht versteckt erklären, das sind aufgeklärte Menschen, die aufs Gymnasium gehen, da können Sie ganz offen damit umgehen."

    Das deutsche Schulsystem kennt Gülsen Altiner aus eigener Erfahrung ganz genau. Und als Juristin natürlich auch das deutsche Rechtssystem. Sie weiß auch, wie wichtig ein interkultureller und interreligiöser Dialog ist, denn sie arbeitet viel mit christlichen und jüdischen Gemeinden zusammen. Aber Religionspädagogik und Islamische Theologie, hat sie bisher nur auf Türkisch behandelt. Und so ist sie schon richtig gespannt auf die nächsten Seminartage in Osnabrück.