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Eine strikte politische Biographie

Als "verfluchte Erziehungsanstalt" erlebte der Schriftsteller Jürgen Fuchs die DDR. Das Regime stempelt ihn schon in der Schule als "unzuverlässig" ab, steckt ihn 1976 ins Gefängnis, schiebt ihn ein paar Jahre später in den Westen ab. Auch dort eckt er an. 2000 stirbt Jürgen Fuchs im Alter von nur 49 Jahren in Berlin. Jetzt hat sein Weggefährte Udo Scheer eine erste Biographie vorgelegt. Jetzt hat sein Weggefährte Udo Scheer eine erste Biographie vorgelegt.

21.01.2008
    Gegen Mitternacht knarrte öfter das Faxgerät. Oder ganz früh am Morgen. Minutenlang quoll dann eine Papierschlange heraus. Briefe, Kopien von Artikeln, Anmerkungen, Hinweise des Schriftstellers an den befreundeten Adressaten - den in einer Thüringer Kleinstadt lebenden Autor und Publizisten Udo Scheer. Der bekam solche Sendungen ab 1990 öfter, von dem im vogtländischen Reichenbach aufgewachsenen und längst in Berlin ansässigen Autor Jürgen Fuchs.

    "Jürgen Fuchs-Bücher sind derzeit nicht auf dem Buchmarkt, sie müssten eigentlich unbedingt wieder hin, denn es sind wichtige Bücher. Man darf sie einfach nicht vergessen, Vernehmungsprotokolle beispielsweise, die modernen psychologischen Verhör- und Psycho-Folter-Methoden der Staatssicherheit sind nach wie vor hochaktuell."

    Udo Scheer legt eine nüchterne und dennoch inspirierte Fleißarbeit für 370 Seiten vor, die eine strikte politische Biographie sein will. Das Versprechen löst sie ein.

    "Ich kann nicht sagen, dass es mir schwer gefallen ist, ich habe ein halbes Jahr in Klausur mit Jürgen Fuchs gelebt, ich hatte mehrere innere Dialoge mit Jürgen Fuchs."

    Das deutet ein wenig zu sehr auf Verehrung. Kindheit und Jugend von Fuchs im Vogtland werden nur lapidar zusammengefasst, zu knapp. Die für Jürgen Fuchs sehr prägende und ihn später zu zwei wichtigen Romanen inspirierende Zeit bei der DDR-Armee wiederum analysiert Scheer genau.

    Das Militär als Nötigung und erstes Trauma, das autoritäre politische DDR-System entblößt sich dort ungewollt als ein allzu bekannter deutscher Militarismus mit sozialistischem Vokabular. Dann studiert Jürgen Fuchs in Jena Psychologie, wird aus politischen Gründen und wegen eigener Texte exmatrikuliert und entwickelt sich in beängstigender Rasanz zum jüngsten Dissidenten der DDR.

    Der Autor Scheer mixt persönliche Erlebnisse mit Zeitzeugenbefragungen, intensive Lektüre von Stasi-Akten kombiniert er mit anderen Recherchen. Es entsteht eine Art politisches Feature in Textausschnitten. Zum Beispiel anhand der Gedächtnisprotokolle eines Jürgen Fuchs, der seine Stasi-Anwerbegespräche einfach danach protokollierte. Das hat er sich vom Westkollegen Günter Wallraff abgeguckt. Unter den Verhältnissen der DDR ergab das etwas Eigenes und Freches. Wie in seinen frühen Gedichten nahm Jürgen Fuchs gleich Zensur und Selbstzensur ins analytische Visier. Mit weniger als der Machtausübung in der DDR an sich gab sich Fuchs nicht ab.

    "Er war ein Störfaktor als Staatsfeind im besten Sinne des Wortes - und seine Literatur war ein Aufstörfaktor."

    Er zog in das Gartenhaus von Robert Havemann (Grünheide bei Belin) und brachte Gleichaltrige mit den Staatsfeinden Biermann und Havemann zusammen. Der geexte Student wurde nach der Biermann-Ausbürgerung 1976 aus dem Wagen von Robert Havemann heraus verhaftet und nach neun Monaten in den Westen hinausgenötigt. Diese Erfahrungen in der U-Haft begleiten ihn bis zu seinem viel zu frühen Tod, den Freunde und er auf zielgerichtete radioaktive Strahlungseinwirkung durch den DDR-Geheimdienst schieben. Den Beweis dafür bleibt auch dieses Buch schuldig.

    Eine Studie der Stasi-Unterlagenbehörde schildert er fahrlässigen Umgang des MfS mit radioaktiven Stoffen, zum Beispiel bei der Markierung von Manuskriptblättern, um deren Weg zu verfolgen.

    1977 war Jürgen Fuchs der erste, der öffentlich die Freikaufpraxis politischer DDR-Gefangener durch die Bundesregierung problematisierte. Er arbeitete mit unglaublicher Intensität im Westen für eine grenzüberschreitende Opposition. Vom MfS wurde Jürgen Fuchs zum Staatsfeind Nummer eins erklärt. Udo Scheer beschreibt zum Glück auch vieles außerhalb der Aktenwirklichkeit, wie ein fast hyperaktiver Autor vielleicht auch ein Schuldgefühl kompensieren wollte, die DDR auf Druckverlassen zu haben. Lange fühlte sich Fuchs fremd in Westberlin.

    "Tagesnotiz vom 13.10.78
    Diese kleine Insel aus Flitter und Stein
    Könnte die Rettung sein -
    Wenn ringsum Wasser wäre
    Und nicht mein zu Hause."

    Diese vom Biographen gelesene lyrische Notiz aus einem der zu Unrecht vergessenen Gedichtbände nach der Übersiedlung spricht für sich. Dabei arbeitete Jürgen Fuchs mit seiner Frau bis zuletzt ganz praktisch in einer Betreuungsstelle für sozial gefährdete Kinder und Jugendliche. Ohne ihn hätte Heinrich Böll wichtige Informationen über die Andersdenkenden in der DDR nicht erhalten, Fuchs stellte entscheidende Kontakte zu Petra Kelly und den Grünen her - jener politischen West-Gruppierung, zu der viele Ost-Dissidenten eine gefühlte Nähe pflegten. Die Kapitel sind redlich bis glänzend geschrieben.

    Die Vorsicht bei der Schilderung des Privaten behindert oft die mögliche Lebendigkeit bei der literarischen Rekonstruktion. Der Biograph hätte mit mehr Menschen außerhalb des Fuchsschen Freundeskreises sprechen müssen, zum Beispiel mit seinem ehemaligen Hausverlag Rowohlt. Warum verlegte der die Gedächtnisprotokolle vor der Verhaftung in der DDR noch nicht? Und warum nach dem Tod von Fuchs nichts mehr? Udo Scheer verweist dafür auf andere nicht ausgelotete Forschungsstränge bezüglich literarischer und politischer Wirkung.
    "Die Stasi-Akten zu Jürgen Fuchs, es sind von 25 Bänden allein aus der Westberliner Zeit nur drei erhalten geblieben - einige vorvernichtete Säcke liegen in Zirndorf und wären unbedingt zu erschließen."

    Mit dem Ende der DDR beginnt für Jürgen Fuchs eine neue Phase des literarischen und politischen Kampfes. Im neuen Deutschland recherchiert er ein Jahr lang in der Gauck-Behörde - als deren zeitweiliger Mitarbeiter. Und alles, was in den letzten Monaten in den kritischen Diskussionen um die Birthler-Gauck-Behörde angesprochen worden ist, hat Jürgen Fuchs in seinem Buch "Magdalena" 1998 schon thematisiert. Da ist er schon von der Blutkrankheit befallen und kämpft zum letzten Mal.

    Eine Leiche mehr in den schier endlosen Kellerverliesen des Realsozialismus, das hat Jürgen Fuchs nicht verdient. Verdient hätte er einen noch gründlicheren und freieren biographischen Versuch - vielleicht ja auch von Udo Scheer, der dafür mehr Zeit bekommen müsste. Der vorliegende Band entstand in einem halben Jahr. Solange keine Alternativen geschrieben worden sind, lesen wir eben dieses sehr ordentliche Buch über einen außerordentlichen Menschen.
    "Jürgen Fuchs. Ein literarischer Weg in die Opposition" heißt das Buch von Udo Scheer, es ist im Jaron Verlag erschienen, 380 Seiten kosten 14,90 Euro. Eine Rezension von Lutz Rathenow.