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Eine verbrecherische Organisation

Dass deutsche Diplomaten des Auswärtigen Amtes aktiv am Holocaust mitwirkten und ihre weitere Karriere im Nachkriegsdeutschland dadurch keineswegs behindert wurde, offenbart die Studie "Das Amt und die Vergangenheit".

Von Otto Langels | 25.10.2010
    1979 gab das Auswärtige Amt eine Broschüre über "Auswärtige Politik heute" heraus. Darin wurde die Geschichte des Ministeriums zwischen 1933 und 1945 kurz gestreift und behauptet, dass das Amt den Plänen der NS-Machthaber zähen, hinhaltenden Widerstand geleistet habe.

    Das Amt blieb lange eine 'unpolitische' Behörde und galt den Nationalsozialisten als eine Stätte der Opposition.

    Dieser Ansicht haben der amerikanische Historiker Christopher Browning und sein deutscher Kollege Hans-Jürgen Döscher bereits vor Jahren in fundierten Studien widersprochen. Vollends ins Reich der Legenden befördert diese Sichtweise das Autorenteam um Eckart Conze mit einer fulminanten, knapp 900 Seiten starken Publikation. Nach der Lektüre wird niemand ernsthaft noch behaupten können, das Auswärtige Amt – kurz AA - sei in der NS-Zeit eine widerständige Behörde gewesen.

    Bereits kurz nach der Machtübernahme kooperierten die Diplomaten bereitwillig mit der Gestapo. Die deutschen Auslandsmissionen lieferten Informationen über Emigrantenkreise und schreckten selbst vor geheimdienstlicher Tätigkeit nicht zurück, um Personen wie den Komponisten Hanns Eisler, den Journalistikstudenten Stefan Heym oder den jungen Sozialdemokraten Willy Brandt auszuspionieren.

    Nachdem der Reichstagsabgeordnete Gerhart Seger 1934 aus dem KZ Oranienburg entkommen war und ins Ausland fliehen konnte, stand er unter lückenloser Beobachtung der Gestapo.

    Wo auch immer er sich aufhielt – die Geheime Staatspolizei war schon da, weil sie vom Auswärtigen Amt im Vorfeld über Segers Reisetätigkeit informiert wurde; was auch immer Seger in seinen Vorträgen über das nationalsozialistische Regime verbreitete – deutsche Diplomaten berichteten es nach Berlin.
    Kaum eine andere Behörde konnte eine so große personelle Kontinuität aufweisen wie das Außenministerium in der Berliner Wilhelmstraße. Von den rund 50 Personen, die 1939 zur Leitungsebene des Auswärtigen Amtes zählten, waren 80 Prozent bereits vor der Machtübernahme der Nazis 1933 in das AA eingetreten, knapp die Hälfte sogar noch im Kaiserreich.
    Und sie waren keineswegs unpolitische Diplomaten, die nur ihrem Land dienen wollten, sondern ebenso eifrige Anhänger des Nationalsozialismus. Von 120 höheren Beamten gehörten 1940 71 der NSDAP an, von 611 aktiven Angehörigen waren ein Jahr später 465 Mitglieder oder Anwärter der Partei.

    Man lässt sein Land nicht im Stich, weil es eine schlechte Regierung hat, erklärte Bernhard von Bülow, Staatssekretär im Auswärtigen Amt, zur Begründung, warum er trotz Vorbehalten gegen den Nationalsozialismus nicht den Dienst quittierte. Die Autoren nennen dies einen billigen Rechtfertigungsversuch, den vor und nach dem Krieg die meisten Diplomaten vorgebracht hätten.

    Denn tatsächlich war das Auswärtige Amt viel tiefer und umfassender in die Verbrechen des NS-Regimes verstrickt, als bisher allgemein angenommen wurde. Es ist das Verdienst der Autoren, an zahlreichen Beispielen detailliert und nahezu lückenlos den Beitrag des AA zur Eroberungs- und Vernichtungspolitik der Nazis nachzuzeichnen. Nahezu lückenlos, muss man einschränkend anmerken, weil die Historiker den intransparenten Zugang zum Archiv des Außenministeriums kritisieren und sich nicht sicher sind, alle wesentlichen Unterlagen zu Gesicht bekommen zu haben.

    Im Archiv des AA fand sich nach 1945 zum Beispiel das einzig erhaltene Protokoll der berüchtigten Wannsee-Konferenz vom Januar 1942. An dem Treffen nahm auch ein Vertreter des Auswärtigen Amtes teil. In vielen Fällen waren Angehörige des Auswärtigen Dienstes an der Deportation von Juden beteiligt, ja sie ergriffen sogar, wie in Belgien der Botschaftsrat Werner von Bargen, die Initiative zur sogenannten "Lösung der Judenfrage".
    Das Amt unterhielt außerdem eigene Abteilungen, die sich mit der Organisation moderner Sklavenarbeit und mit Kunstraub beschäftigten. Das sogenannte Sonderkommando Künsberg unternahm im Verlauf des Zweiten Weltkriegs Beutezüge durch ganz Europa.

    Die Truppe entwickelte sich zu einer Räuberbande, die in zahlreichen Städten, kaum waren sie von deutschen Truppen besetzt, Kunstobjekte, seltene Bibliotheksbestände, kartographisches Material und bisweilen auch Devisen und Edelmetalle in ihren Besitz brachte.
    Widerstand gegen das NS-Regime aus dem Auswärtigen Amt heraus war die Ausnahme. Namen wie Ulrich von Hassell, Adam von Trott zu Solz oder Fritz Kolbe stehen für individuelles oppositionelles Handeln, aber nicht für das Amt insgesamt. Das vorgebliche Bemühen, Sand ins Getriebe der nationalsozialistischen Kriegs- und Mordpolitik zu streuen, war ein Mythos und diente den Diplomaten nach 1945 als Rechtfertigungsstrategie.
    Mit der Zeit nach 1945 beschäftigt sich der zweite Teil der Darstellung. Es ist ernüchternd zu lesen, wie die Angehörigen des Auswärtigen Amtes ein gigantisches Entnazifizierungswerk zu ihren eigenen Gunsten auf den Weg brachten.
    Tatsächlich schafften es die Angehörigen des Auswärtigen Dienstes fast doppelt so oft in die Gruppe der "Entlasteten" wie der Durchschnitt der Westdeutschen.
    Die Diplomaten kamen relativ ungeschoren davon, weil sie traditionell gute Verbindungen hatten und sich wechselseitig "Persilscheine" ausstellten. So wurde zum Beispiel Werner von Bargen, der die Deportation belgischer Juden forciert hatte, problemlos entnazifiziert, weil er eine Reihe eidesstattlicher Erklärungen vorlegen konnte, wonach er an der Pariser Botschaft mit den Verschwörern des 20. Juli in Verbindung gestanden habe. Die alten Seilschaften funktionierten auch unter alliierter Besatzung bestens.

    Der frühere Personalchef des AA, Hans Schroeder, NSDAP-Mitglied seit 1933, nach 1945 ein eifriger Produzent von Persilscheinen, bemerkte dazu:

    Eigentlich ist es ja komisch. Früher wollten immer alle von mir bescheinigt haben, dass sie für die Partei waren; heute soll ich allen bestätigen, dass sie immer dagegen waren! Ich habe keinen abgewiesen.
    Es war daher nicht erstaunlich, dass 1950 von den 137 Mitarbeitern des höheren Dienstes knapp die Hälfte NSDAP-Mitglieder gewesen waren. Dagegen sträubte sich der etablierte Führungsapparat des Amtes gegen die Aufnahme jüdischer Emigranten.

    Kritischer betrachtete man dagegen die Verwendung des alten Personals im Ausland. Und entsprechend vorsichtig agierte das Amt. Als Hans Arnold 1957 an die Botschaft in Washington versetzt wurde, war neben der fachlichen Qualifikation eine unbelastete Vergangenheit entscheidend. Umgekehrt kam der bereits erwähnte Werner von Bargen "angesichts der Gefahr von Angriffen" – wie es in einem internen Papier hieß – "in erster Linie für ein arabisches Land in Betracht."
    Andere Institutionen und Unternehmen haben bereits viel früher Studien zur NS-Vergangenheit ihrer Organisation in Auftrag gegeben. Das Außenministerium holt dieses Versäumnis jetzt nach – mit einer beeindruckenden, kenntnisreichen und an deutlichen Urteilen nicht sparenden Darstellung.

    Der Sprecher des Autoren-Teams Eckart Conze:

    "Das Auswärtige Amt war, das zeigt die Studie, von 1933 an an der Gewaltpolitik des Nationalsozialismus beteiligt. Es hat aktiv an der Verfolgung, an der Ermordung der europäischen Juden mitgewirkt. Und es war, man kann es nicht anders sagen, in diesem Sinne eine verbrecherische Organisation."

    Otto Langels über "Das Amt und die Vergangenheit. Deutsche Diplomaten im Dritten Reich und in der Bundesrepublik." Herausgegeben von Eckart Conze, Norbert Frei, Peter Hayes und Moshe Zimmermann im Blessing Verlag. Der 880 Seiten starke Band kostet 34 Euro und 95 Cent und ist ab nächsten Donnerstag erhältlich, ISBN 978-3-89667-430-2.