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"Eine vernünftige Neuaufstellung unserer Mannschaft erreicht"

Mit den personellen Veränderungen in seiner Partei habe man eine "vernünftige Neuaufstellung" erreicht, betont FDP-Generalsekretär Christian Lindner. Rainer Brüderle verkörpere den Einsatz für Mittelstand und Mittelschicht. Der neue Gesundheitsminister Daniel Bahr bringe als jüngerer Politiker Aspekte der Generationengerechtigkeit wieder mehr ins Spiel.

Christian Lindner im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 11.05.2011
    Dirk-Oliver Heckmann: Hat er sich durchgesetzt, oder hat er seine mangelnde Durchsetzungsfähigkeit unter Beweis gestellt, der designierte Parteichef der FDP Philipp Rösler? Der personelle Neuanfang nämlich jedenfalls, der ist eher eine Rochade, eine Neuaufstellung mit alten Köpfen.

    Am Telefon begrüße ich jetzt den FDP-Generalsekretär. Guten Morgen, Christian Lindner!

    Christian Lindner: Guten Morgen, Herr Heckmann.

    Heckmann: Herr Lindner, Sie haben ja den mitfühlenden Liberalismus ausgerufen. Ist es aber nicht ein bisschen des Mitgefühls zu viel, ausgerechnet einen Verlierer zum Fraktionsvorsitzenden zu machen?

    Lindner: Also die programmatische Akzentuierung, die ich vorgenommen habe, die lief ja nun darauf hinaus, neben der wirtschaftspolitischen Kompetenz der FDP Fragen fairer Bildungspolitik auch stärker ins Zentrum zu rücken. Das hat mit unseren Personalfragen nichts zu tun.

    Hier im aktuellen Geschehen haben wir, wie ich finde, eine vernünftige Neuaufstellung unserer Mannschaft erreicht. Rainer Brüderle ist ein erfahrener Politiker. In Ihrem Beitrag eben wurde zurecht hervorgehoben, dass er für marktwirtschaftliche Positionen steht, eine Art ordnungspolitisches Gewissen der Koalition war, und er verkörpert den Einsatz der FDP für Mittelstand und Mittelschicht. Und wenn, wie ebenfalls in Ihrem Beitrag gesagt worden ist, Rainer Brüderle die FDP-Bundestagsfraktion öffentlich stärker zur Geltung bringen kann und ihre Positionen in der Koalition gegenüber dem Partner stärker auch durchsetzen kann, dann ist das für die FDP kein Nachteil, aber auch für die Regierungskoalition insgesamt von Vorteil, weil ja auch unser Partner CDU/CSU doch darunter leidet, dass wir zu wenig durchgreifende Reformen bislang verabschiedet haben, für die diese Koalition im Unterschied zur Großen Koalition aber gewählt worden war.

    Heckmann: Herr Lindner, wer bestimmt in der FDP, wer Minister bleibt und wer nicht, beziehungsweise wer ein hohes Amt in der Fraktion hat, der designierte FDP-Chef Philipp Rösler, oder die amtierenden Minister und Fraktionschefs?

    Lindner: Ja selbstverständlich hat Philipp Rösler hier einen Personalvorschlag herbeigeführt, unterbreitet, und das ist auch richtig so, denn bei ihm liegt jetzt die Gesamtverantwortung für die FDP. Es hat sich gezeigt, dass er kein Typ ist, der mit Basta oder Machtdiktat führt, sondern er macht das durch Gespräche, setzt auf Einsicht und führt dann, wenn es erforderlich ist, aber auch mit der nötigen Konsequenz die Entscheidungen herbei, die erforderlich sind, damit die FDP jetzt auch wieder offensiv in der Koalition arbeiten kann.

    Heckmann: Und das Ergebnis ist, dass alle sagen, ich bleibe auf meinem Platz und ich weiche nur, wenn ich eine Kompensation bekomme in Form eines stellvertretenden Parteivorsitzes beispielsweise? Das heißt, das Ergebnis ist alter Wein in neuen Schläuchen, Westerwelle, Brüderle, Homburger, alle sind immer noch dabei?

    Lindner: Nein. Das Gesicht, Herr Heckmann, der FDP ändert sich doch tiefgreifend. Wir haben auch einen neuen Bundesminister in der Bundesregierung mit Daniel Bahr, und da kann man schon ein Konzept sehen.

    Philipp Rösler hat das so auf den Punkt gebracht: Erfahrung an der Spitze der Bundestagsfraktion mit einem Routinier wie Rainer Brüderle – ich habe ihn eben ja charakterisiert – und gleichzeitig dynamische Kräfte in der Bundesregierung, er selbst als Wirtschaftsminister, der auch innovative Ansätze verfolgen will und kann, es stehen ja große Fragen an. Daniel Bahr, ein jüngerer Politiker, im Gesundheitsressort, wo niemand von denen, die das heute in den Leitartikeln kommentiert haben, gesagt hat, das sei fachlich für ihn zu viel. Im Gegenteil: Er wird geschätzt für seine Kompetenz. Und es ist ein jüngerer Politiker wie Philipp Rösler, wie auch ich selbst und viele andere, die wir auch Aspekte der Generationengerechtigkeit einbringen wollen, die wir auch durchaus die Interessen nachfolgender Generationen gerade im Sozialbereich stärker berücksichtigen wollen. Bislang wird da viel in der Gegenwart verteilt und wenig an die Zukunft gedacht und wir Jüngere sind vielleicht in der Lage, das stärker auch in den Blick zu nehmen als Ältere.

    Heckmann: Und wie soll das gehen mit einem Fraktionschef Rainer Brüderle, der nach eigener Aussage steht für FDP pur? Man könnte das auch übersetzen in "FDP ohne Sozial-Klimbim. Sie möchten ja wie gesagt diesen mitfühlenden Liberalismus. Geht das Spiel also jetzt in Zukunft Fraktion gegen Partei?

    Lindner: Nein! Ich stehe auch für FDP pur.

    Heckmann: Aber Sie haben durchaus eine unterschiedliche Akzentuierung. Das macht sich ja durchaus deutlich.

    Lindner: Ich bin aber nicht wie viele andere dafür, das eine Politikfeld gegen das andere auszuspielen, sondern ganz im Gegenteil: Ich bin ein Anhänger einer konsequenten ordnungspolitischen Linie. Die FDP ist die einzige Partei der sozialen Marktwirtschaft. Als einzige Partei kann und muss sie auch klar ansprechen, dass wir in Deutschland völlig intransparente Verteilungsströme in der Sozialpolitik haben. Wir haben einen bürokratisch verholzten Wohlfahrtsstaat, der sich überhaupt gar nicht mehr tatsächlich um Bedürftige kümmert, um Benachteiligte kümmert, und auch zum Ziel hat, sie aus ihrer Bedürftigkeit zu befreien, sondern er verteilt einfach, er verteilt Taschengeld. So, das ist die eine Komponente. Da stimmen wir überein.

    Und die andere Komponente ist, dass tatsächlich dann aber auch diese wirksame Hilfe geleistet werden muss, und zwar eher mit präventivem Charakter, also durch faire Bildungschancen. Da ist nichts Sozialdemokratisches dran, das ist FDP pur, und ich will es sogar noch stärker sagen: Das ist die Rückbesinnung eigentlich auf den Liberalismus, denn ein Liberalismus, der nur die eine Seite, die Wirtschaftsordnungspolitik sieht, aber nicht die andere Seite, dass auch die Chancen aus der Offenheit tatsächlich realisierbar sein müssen für Menschen, eben dadurch auch, dass es eine solche Bildungspolitik gibt, oder auch einen aufstiegsorientierten Sozialstaat, erst ein solcher Liberalismus ist komplett, und da stimmen wir in der FDP überein. Ich kenne niemanden, der das anders sieht.

    Heckmann: Aber Brüderle stand in erster Linie für die Themen Steuersenkung, für Ordnungspolitik, für die Atomkraft. Glauben Sie denn, dass er die geplante Kursänderung glaubhaft verkörpern kann? Nehmen wir zum Beispiel die Atomkraft, da soll er ja gesagt haben, dass die Energiewende allein aus taktischen, aus wahltaktischen Gründen vollzogen worden sei.

    Lindner: Na ja, das ist nun lange bearbeitet, dabei hat es sich um eine Intrige gehandelt. Jeder kann ja jetzt am Regierungshandeln, auch an seinem Sechs-Punkte-Plan, den er mit dem Umweltminister Röttgen vorgelegt hat, ablesen, dass wir das ernst meinen. Die FDP hatte auch immer die Auffassung, auch in den alten Beschlusslagen – als Generalsekretär könnte ich Ihnen natürlich die Beschlüsse von 1976 über 1988 bis ins letzte Wahlprogramm im Einzelnen durchdeklinieren -, dass die Kernenergie nur eine Übergangstechnologie ist, und da bleiben wir uns auch treu. Die Zeitpläne verändern sich, die Möglichkeiten verändern sich, aber die Grundlinie bleibt.

    Wir werden uns auch von außen keine Kursdebatten in die FDP hineintragen lassen. Selbstverständlich denken wir über Fragen nach, selbstverständlich wollen wir uns auch programmatisch weiterentwickeln, weil sich die Zeitläufe ändern, aber es gibt keinen Kursstreit in der FDP und ich werde auch einen solchen Kursstreit in der FDP nicht von außen inszenieren lassen, wo es ihn nicht gibt. Das macht uns nämlich nicht erfolgreich, sondern das lähmt uns, wenn wir auch noch Einflüsterungen vom Spielfeldrand wie eben in Ihrem Beitrag von Frau Künast jetzt auch noch tatsächlich folgen würden.

    Heckmann: Letzte Frage mit der Bitte um eine kurze Antwort, Herr Lindner. Der Berliner "Tagesspiegel" meldet, die Universität Heidelberg wolle offenbar Silvana Koch-Mehrin den Doktortitel aberkennen wegen Plagiatsvorwürfen. Wird also ein weiterer Platz im FDP-Präsidium frei?

    Lindner: Ich kenne die Vorgänge im Einzelnen nicht, sondern lese auch nur Presseberichterstattung wie Sie, und insofern kann ich Prüfungen der Universität dort nicht vorgreifen. Da bitte ich um Verständnis für.

    Heckmann: Was wäre denn, wenn sich diese Vorwürfe erhärten würden?

    Lindner: Da spekuliere ich nicht. Jetzt wollen wir erst mal abwarten, wie dort die Sachlage ist, und da kann man nicht vorgreifen. Das wäre wirklich unfair.

    Heckmann: Der FDP-Generalsekretär Christian Lindner war das im Interview hier im Deutschlandfunk. Herr Lindner, besten Dank für das Gespräch und auf Wiederhören!

    Lindner: Ich danke Ihnen! Tschüss!