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Eine Welt in Bewegung

Für den internationalen Kunstbetrieb war die arabische Halbinsel lange Zeit kaum mehr als ein weißer Fleck auf der Landkarte. Der hat sich in den letzten Jahren allerdings ziemlich rasant zu einem Hot Spot der Kunstwelt gewandelt. Die Auktionshäuser Christie’s und Sotheby’s haben Filialen in Dubai und Katar eröffnet, immer mehr arabische Künstler sind auf internationalen Biennalen und Messen vertreten.

Von Kersten Knipp | 22.01.2011
    Die Entwicklung ist geradezu dramatisch: Im Jahr 2010 setzte das Auktionshaus Christie´s in seinen Auktionen für Kunst aus dem Nahen Osten 29 Millionen US-Dollar um – mehr als doppelt so viel wie im Vorjahr. Grund dafür sind die Verschiebungen auf dem arabischen Markt, erklärt Étienne Hellmann, bei Christie´s Direktor für den arabischen Markt.

    "Am Anfang gab es das Klischee, die arabischen Sammler würden nur romantische orientalisierende Kunst kaufen. Aber dann traten in Europa arabische Künstler auf die Bühne, die teils auch schon in ihren Herkunftsländern bekannt waren. Anfangs folgten die Verkäufe nationalen Mustern: Ägypter kauften ägyptische Kunst, Syrer syrische und so weiter. Das gilt heute aber nicht mehr. So entdecken alle Beteiligten eine neue Welt."

    Aber auch in Europa steigt das Interesse an Kunst aus dem arabischen Raum, erklärt Pascale Odille,

    "Lange Zeit verbanden wir Kunst aus dem arabischen Raum mit sehr romantischen Bildern. Das hat sich geändert. Arabische Künstler treten immer häufiger in Europa auf, finden Eingang in Ausstellungen und Sammlungen. Nach wie vor gibt es offene Fragen, etwa die Beziehung zwischen dem Islam und künstlerischer Arbeit. Sie ist problematisch, fasziniert das Publikum aber auch. Über die Kunst machen sich die Leute ein Bild von der islamischen und arabischen Welt."

    Einer Welt in Bewegung allerdings. Nicht ausgeschlossen, dass die arabische Welt mit ihren vielen politischen Erschütterungen Auflösungserscheinungen zeigt, die der Westen erst noch vor sich hat. Die algerisch-französische Künstlerin Zoulikha Bouabdellah jedenfalls setzt auf eine Kunst jenseits fester Zuschreibungen.

    "Ich habe den Eindruck, die meisten Leute leben in einer Welt der ständigen Übergänge, der Menschen ebenso wie der Dinge und Bilder. Deshalb nehme ich Einflüsse beider Kulturen auf, der westlichen und der arabischen. Kunst ist dann interessant, wenn sie sich der Welt öffnet, die sie umgibt."

    Arabische Künstler lösen sich von der klassischen Rollenzuschreibung, beobachtet auch Étienne Hellmann.

    "Wir bewegen uns jetzt auf einen Markt jenseits einer identitätsgeleiteten Kunst zu. Ich bin ein arabischer Künstler und arbeite darum so und so: Das haben wir hinter uns. Natürlich ist der Hintergrund eines Künstlers weiterhin wichtig, aber er spielt keine solche Rolle mehr. Darum ist es auch fraglich, ob man Kunst aus dem arabischen Raum als "arabische Kunst" bezeichnen sollte."

    Das ist auch darum problematisch, weil der arabische Raum ganz unterschiedliche Voraussetzungen für die Rezeption moderner Kunst aufweist. Pascale Odille.

    "Anders als die Maghrebstaaten hat der Libanon seit jeher enge Bindungen mit der westlichen Tradition. Natürlich gibt es seit Langem auch im Maghreb eine moderne Kunstszene. Aber im Libanon existiert sie viel länger. Darum gibt es zwischen zeitgenössischer libanesischer und westlicher Kunst kaum mehr Unterschiede. In Saudi-Arabien hingegen entwickelte sich eine entsprechende Szene erst seit dem neuen Jahrtausend."

    Wichtig sind darum schnelle, eingängige Bilder. Zoulikha Bouabdellah spielt etwa mit dem Wort "hub", "Liebe". Zwei arabische Schriftzeichen, die einander in den unterschiedlichste Formationen umschlingen – ein Wort also, das zugleich auch ein Bild ist – arabische Pop Art, wenn man will.

    "Pop Art schafft Bilder, die sich dem Zuschauer sofort einprägen. Das Wort 'hub', 'Liebe', ist allen Arabern bekannt. Aber auch Nicht-Arabern prägt sich das Wort dank seiner Form schnell ein. Es ist sehr eingängig und kurz, es steht für die Liebe und erleichtert so den Zugang zur arabischen Welt."