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Eine zweite Chance?

Opel ist gerettet - vorläufig jedenfalls. In einer langen Nachtsitzung ist eine Lösung für den angeschlagenen Autobauer gefunden worden. Das Ergebnis: Der österreichisch-kanadische Automobilzulieferer Magna wird Opel vom angeschlagenen Mutterkonzern General Motors übernehmen.

Von Michael Braun, Sönke Gäthke, Christoph Gehring. Moderation Stefan Maas | 30.05.2009
    Die Bundesregierung sagte einen Überbrückungskredit in Höhe von 1,5 Milliarden Euro zu, für später dann Staatsgarantien von rund viereinhalb Milliarden Euro - und durch eine Treuhand-Lösung wird Opel aus dem Verbund mit General Motors gelöst. Damit ist Opel sicher, wenn GM - wie erwartet wird - in den nächsten Tagen Insolvenz anmeldet. Bundeskanzlerin Merkel war zufrieden:

    "Für mich war entscheidend auch bei dem, was ich beschlossen habe, dass die Risiken einer Alternative für mich politisch absolut nicht verantwortbar sind."

    Die Alternative wäre eine geordnete Insolvenz gewesen, für die sich Wirtschaftsminister zu Guttenberg bis zuletzt ausgesprochen hatte. Weil:

    "In einem sehr schwierigen Abwägungsprozess, in einem Prozess, der eine hochkomplexe Materie beinhaltet, wo viele Prognosen, auch Hypothesen eine Rolle spielen, ich persönlich zu einer anderen Einschätzung der Risiken gekommen bin."

    Am Ende hat sich der Bundeswirtschaftsminister dann aber doch überzeugen lassen. Welche Perspektiven sich aus dieser neuen Konstellation für Magna und Opel ergeben, hat mein Kollege Michael Braun zusammengefasst:

    Der kanadisch-österreichische Magna-Konzern war von Anfang an der Favorit der Opel-Beschäftigten. Denn Magna ist vor allem ein Autozulieferer, anders als Fiat, ein Konzern, der überdies Autos ähnlicher Größe wie Opel baut, also im gleichen Marktsegment unterwegs ist. Opel übernehmen, Technologie absaugen, Kundschaft kassieren und dann Opel dichtmachen - das war es, was der Opel-Betriebsratsvorsitzenden Klaus Franz von einem Investor Fiat erwartet hatte.

    "Wir können und wir werden Überkapazitäten nicht wegdiskutieren. Das ist Realität, der wir uns auch stellen werden. Aber eines ist auch klar: Würde Fiat hinzukommen, würde sich das Thema der Überkapazitäten dramatisch verschärfen."
    Damit ist klar: Auch unter Magna wird Opel nicht so bleiben, wie es ist. Verbindliche Absprachen zu den rund 25.000 Arbeitsplätzen des Autobauers in Deutschland gebe es nicht, hieß es heute früh. Immerhin will Magna alle vier Opel-Standorte, also in Rüsselsheim, Bochum, Kaiserslautern und Eisenach erhalten. Ob solche Zusagen auch für die Werke im belgischen Antwerpen oder im britischen Ellesmere Port gelten, ist offen. Immerhin will Magna 11.000 Arbeitsplätze bei General Motors Europe streichen. 2500 davon sollen in Deutschland wegfallen - dem Vernehmen nach ohne betriebsbedingte Kündigungen, also mit Aufhebungsverträgen, Abfindungen, Vorruhestand.
    Das Wachstum plant Magna anderswo, in Russland. Deshalb hat Magna zwei russische Partner mitgebracht, die Sber-Bank und den Hersteller GAZ. Das Kürzel GAZ steht für Gorkowski Awtomobilnji Sawod oder Gorkier Automobilfabrik. GAZ wurde berühmt durch Autos der Marke Wolga, die aber nur noch Autohistoriker interessiert. Dass die beiden russischen Magna-Partner einen interessanten Markt mitbringen, mögen diese Zahlen zeigen: In Russland kommen 188 Autos auf 1000 Einwohner, in Deutschland sind es mehr als 560. Es gibt also viel Nachholpotential, wenn die Autokrise, die auch Russland erfasst hat, überwunden sein wird. Eric Heymann, Branchenanalyst bei DB Research:

    "Aktuell ist der Pkw-Absatz in Russland um etwa ein Drittel gegenüber dem Vorjahr eingebrochen in den ersten Monaten von 2009. Allerdings muss man auch bedenken, dass in den Jahren zuvor jeweils zweistellige Wachstumsraten erzielt wurden. Das heißt schon vor der Krise zählte Russland zu den wachstumsstärksten Pkw-Märkten."
    In Nischni Nowgorod hat GAZ voriges Jahr mit Hilfe von Magna ein neues Werk gebaut. Nach Berichten russischer Wirtschaftszeitungen sollen dort jährlich 180.000 Opelfahrzeugen montiert werden - mehr als zehn Prozent der bisherigen Opel-Produktion.

    Magna selbst würde 20 Prozent der Opel-Anteile übernehmen, die Russen 35 Prozent, GM bliebe mit 35 Prozent drin, zehn Prozent entfielen auf die Opel-Händler und -Mitarbeiter, so lautet das bisher bekannt gewordene Konzept. Dass Magna mit Opel vom Autozulieferer zum Autohersteller würde, ist nicht ohne Risiko. Hans-Peter Wodniok von fairesearch:

    "Die Frage stellt sich natürlich: Würde Magna denn mit seinen Komponenten, die es heute an andere Hersteller liefert, auch in Zukunft noch erfolgreich sein? Ich würde da mal Zweifel anmelden. Ein Konkurrent von Opel würde sicherlich Magna nicht mehr als Entwicklungspartner für Teile des Automobils benutzen wollen, denn er würde ihm dann ja Vorinformationen über neue Modelle liefern. Also, das ist gefährlich insofern als Magna dann Geschäfte mit anderen Kunden verlieren wird."
    Magna fertigt unter anderem in Österreich für Opel-Konkurrenten: etwa die Geländewagen BMW X3 und die Mercedes G-Klasse. Magna betreibt gut 240 Produktionsstätten in 25 Ländern. Mehr als 82.000 Mitarbeiter sind für das Unternehmen tätig. Es setzte voriges Jahr umgerechnet knapp 17 Milliarden Euro um und erzielte dabei ein operatives Ergebnis von 232 Millionen Euro.

    Magna plante bisher bei der Übernahme von Opel mit rund 4,5 Milliarden Euro Staatshilfe. Zum Konzept gehört ein fester Rückzahlungsplan: Es soll bei Opel künftig keine Dividenden geben, bis die Schulden beim Staat getilgt sind. Dafür sollen 30 Prozent des Gewinns verwendet werden. Eine neu aufgestellte Opel Europa AG mit guter Marktposition in Russland könnte auch in Teilen verkauft werden, um die Staatshilfen zu tilgen. Das sei aber, so Autoanalyst Christoph Stürmer von IHS Global Insight, derzeit noch weniger als eine Option:

    "Es ist eine Spekulation. Es könnte eine sehr langfristige Perspektive sein. Unter dem Magna-Modell ist es auf jeden Fall vorstellbar, denn im Unternehmensverbund von Magna ist Opel die einzige Automarke."

    Magna hat zumindest bisher klug gewirtschaftet. Anders als Fiat, das mit mehr als zehn Milliarden Euro verschuldet ist, hat Magna immerhin 1,5 Milliarden Dollar Bargeld auf den Konten. Damit ließen sich schwere Zeiten überbrücken.

    Allerdings - sagen Autoexperten - werden die Zeiten für Magna auch schwer: Das mehrheitlich in Kanada sitzende Untenehmen war eng mit der amerikanischen Autoindustrie verflochten. Und dort greifen die Insolvenzen ja um sich.

    Michael Braun hat für uns die Marktperspektiven analysiert, die sich der Automobilzulieferer Magna durch die Übernahme der Traditionsmarke Opel verspricht.

    Opel war lange stark und schnell - wie sie gerade in dem Werbespot aus den 30er-Jahren gehört haben - und fuhr bis in die 70er-Jahre zumindest auf dem deutschen Markt der Konkurrenz davon. Ab Mitte der 80er-Jahre sanken die Rüsselsheimer in der Gunst der Käufer - auch wegen einer verfehlten Modellpolitik. Das hat sich in letzter Zeit wieder etwas gewandelt, aber wie gut ist das Unternehmen, das gerade erst mit Staatshilfe vor der Insolvenz gerettet worden ist, mit seinen Neuentwicklungen auf die Bedürfnisse der Kunden eingestellt? Ein stärkeres Umweltbewusstsein zum Beispiel. Christoph Gehring hat sich ein neues Modell angeschaut, das noch dieses Jahr erscheinen soll - und ist zumindest verwundert.
    Manni, mach' den Fuchsschwanz klar, der Oppel hat wieder'n Auto für dich: Sechs Zylinder! Zwei Turbolader! 325 PS! Von Null auf Hundert in sechs Sekunden! Und wenn man ihn nicht bei 250 elektronisch abbremsen würde, dann könnte der Manni in dem Ding sogar mit 275 Sachen über die Autobahn scheppern - Wahnsinn! Ist nur irgendwie schade, dass sich der Manni dieses Geschoss nicht wird leisten können. Denn wenn er im Herbst auf den Markt kommt, wird der Opel Insignia OPC ohne Extras 43.000 Euro kosten - also soviel wie vier Corsas. Dafür gibt's dann 1A-Vorstadtstyling ab Werk mit Spoilern und Schwellern und schwarz getönten Scheiben und einen Säufermotor, der schon in schwächeren Ausbaustufen anderswo im kollabierenden GM-Konzern für Alltagsverbräuche jenseits von 15 Litern auf hundert Kilometer sorgt.

    Anders ausgedrückt: Der 325-PS-Opel ist so ziemlich das dümmste Produkt, das einem Autohersteller in der Krise einfallen kann. Denn ein 325-PS-Auto ist zwangsläufig ein Auto von gestern, als der Überfluss regierte. Die Zeiten, als stets der stärkste Motor siegte, sind vorbei. Bescheidenheit ist der neue Luxus. Klein ist die neue Größe. Denn nicht nur Opel ist klamm, auch die Opel-Kundschaft ist - freundlich ausgedrückt - preissensibel. Auch deswegen lässt sich kaum etwas denken, das weiter am Markt vorbeirauschen könnte, als der Opel Insignia OPC. OPC steht übrigens für "Opel Performance Center". "Performance" bedeutet im Deutschen "Leistung" - aber eben auch "Wertentwicklung". Der Wert der Marke Opel kann sich nur positiv entwickeln, wenn aus Rüsselsheim die Autos kommen, auf die die Welt gewartet hat. Der Opel Insignia OPC mit seinen sechs Zylindern, seinen beiden Turboladern, seinen 325 PS und seinem absurden Hunger nach fossilen Brennstoffen gehört ohne Zweifel nicht dazu. Am besten, sie hängen ihm den Fuchsschwanz an die Antenne und rollen ihn gleich ins Museum - als abschreckendes Beispiel für eine schlimme Ingenieursverirrung des 21. Jahrhunderts.

    Schnell statt sparsam. Für meinen Kollegen Christoph Gehring setzt Opel damit das falsche Signal. Denn in der Branche wird seit ein paar Jahren verstärkt auf die Entwicklung Alternativer Antriebe gesetzt. Besonders stark unter Beobachtung: die Entwicklungen bei Hybrid- und Elektromotoren. Die Unternehmensberatung Roland Berger prognostiziert für das Jahr 2020 einen Marktanteil von zehn Prozent. Wie gut deutsche Automobilhersteller für diese Entwicklung gerüstet sind, erläutert Sönke Gäthke.

    O-Ton: Anfahren/ Abfahren

    Das ist der Klang, den deutsche Hersteller lieben. Doch seine Zeit neigt sich dem Ende zu - 2030 dürfte eher dieser Klang die Straßen dominieren:

    Atmo: Hybrid-Fahrt

    Hybrid- und Elektroautos werden immer häufiger verkauft; Hersteller wie Toyota, Ford oder Honda, die bereits heute entsprechende Wagen anbieten können, dürften gute Chancen haben, auch in den kommenden 20 Jahren Autos zu verkaufen. Daneben tauchen neue Hersteller auf - wie etwa der Think! in Norwegen oder der Elektro-Sportwagenhersteller Tesla aus den USA: Beide verkaufen schon heute reine Elektroautos, die auch wie Autos aussehen, nicht wie Seifenkisten. Nur aus Deutschland - noch in den 90er-Jahren führend in der Elektroautoentwicklung - kommt derzeit so gut wie nichts. Doch die Forschungsabteilungen der deutschen Konzerne sind aufgewacht. Wolfgang Steiger, Antriebs-Entwicklungsleiter bei VW:

    "Wir gehen von einer Elektrifizierung der Antriebssysteme aus, wobei die Elektrifizierung maßgeblich von der Kapazität der Batterie getrieben wird. Wir haben eine Roadmap uns aufgestellt, welche Kapazität wir zu welchem Zeitpunkt erreichen wollen, und sehen eine große Chance Batterien darzustellen mit 200 Wattstunden pro Kilogramm Energiedichte, die würden ausreichen, um mit einem hundert Kilogramm schweren Batteriesystem etwa 70 Kilometer weit rein elektrisch zu fahren."
    Das wäre ein Riesenfortschritt. Derzeit wiegt die Batterie in Hybridautos 70 Kilogramm; ihr Strom reicht aber nur für rund zwei Kilometer. Aber Volkswagen will mehr: Die Wolfsburger testen derzeit etwas, was als Next-Generation Hybrid gelten könnte.

    Der große Vorteil eines solchen Autos: Es wäre - anders als konventionelle Elektroautos - kein reines Stadtauto. Der Verbrennungsmotor, der im fünften Gang automatisch dazu geschaltet wird, würde diesen Wagen auch für Pendler und Familien in den Vorstädten attraktiv machen. An einer vergleichbaren Technik arbeiten auch die Ingenieure in Rüsselsheim.

    Ein Problem ist allerdings die Zeit: Die Entwicklung dieser Wagen dauert. Während Volkswagen und Opel erst in den kommenden Jahren ihre Hybrid-Autos auf den Markt bringen werden, verkaufen Toyota, Honda und sogar Ford bereits mehrere Hybrid-Modelle, und haben damit die Nase vorn. Die Bundesregierung hat mittlerweile die Zeichen der Zeit erkannt. Sie fördert die Entwicklung leistungsstarker Batterien. Ob das reichen wird, um alle deutschen Auto-Konzerne über die nächsten 20 Jahre am Leben zu erhalten, ist aber völlig offen. Der Daimler-Konzern zumindest hat für sein Überleben einen anderen Weg eingeschlagen: Im Mai stieg er mit dem Geld, dass er mit konventionellen Autos verdient hatte, beim US-Elektroauto-Newcomer Tesla ein.

    Sie haben es gerade im Beitrag von Sönke Gäthke gehört. Noch liegen die deutschen Autobauer im Rennen um neue Antriebe zurück - und es ist nicht klar, ob alle den natürlichen Entwicklungen des Marktes standhalten. Doch mit der heute Nacht gefundenen Lösung zeigt die Bundesregierung, dass sie bereit ist in den Markt einzugreifen. Immerhin hängen an Opel in Deutschland direkt mehr als 25-tausend Jobs. Kleinen Unternehmen wird nicht so schnell geholfen, ärgert sich diese Besitzerin einer kleinen Baufirma:

    "Unternehmen zu retten heißt ja den Wettbewerb zu verzerren, anderen Unternehmen die Bürde alleine aufzuhalsen. Entweder gibt es staatliche Hilfe für alle oder Hilfe für keinen. Die Krise, in der wir uns befinden, die Firma retten zu müssen, da drängt die Zeit. Sie können sich gar nicht vorstellen, wie viele Gespräche ich geführt habe. Ich rede, und rede, und rede, stelle jedem meine Situation dar. Es werden Hilfen versprochen, die dann aber nicht kommen. Bei Opel reagiert man dann schneller."

    Die Frage dazu jetzt an Professor Michael Hüther, den Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln, ist das gerecht, dass den großen geholfen wird - und den kleinen nicht?

    Michael Hüther: Es ist sicher nicht gerecht, und es ist auch nicht effizient, denn der Staat interveniert, um einem zu helfen - oder einigen, und indem er das tut, diskriminiert er andere, die er nicht berücksichtigt, und er belastet alle, die nämlich als Steuerzahler die Mittel aufbringen müssen. Insofern ist es immer mit sehr umfangreichen Nebenwirkungen was der Staat tut. Und deswegen ist die grundsätzliche Ratio, dass er sich raushalten sollte aus Wirtschaftsstruktur und Wirtschaftsentwicklung, auch gut begründet.

    Stefan Maas: Der SPD-Vorsitzende Franz Müntefering hat sich ja heute für staatliche Hilfe auch für Arcandor ausgesprochen. Auch dort ist die Krise hausgemacht. Auch dort geht es um viele tausend Arbeitsplätze. Wie wichtig sind Politikern, Ihrer Meinung nach, im Moment wirtschaftlich nachvollziehbare Entscheidungen, und wie wichtig ist die Bundestagswahl am 27. September?

    Hüther: Dass derzeit das Argument oder die bevorstehende Bundestagswahl im Vordergrund steht bei der Gestaltung politischer Lösungen oder politischer Ideen, glaube ich, ist offenkundig und zwar für jedermann. Die Perspektive nun auch Arcandor zu helfen, öffnet jetzt allen möglichen staatlichen Interventionen Tür und Tor. Denn hier kann man auch argumentieren: Es sind soundso viel tausend Beschäftigte, das hat Effekte in den Fußgängerzonen bis hin zur Stadtentwicklung und die Kaufhäuser sind eigentlich ganz schön. - Und dennoch müssen wir einfach sagen, es ist in hohem Maß unternehmerisches Missmanagement, das in den letzten Jahren auch mit zum Teil luftigen Strategien versucht hat, etwas zu tun, was aber nicht wirklich tragfähig war. Muss das der Steuerzahler tragen? - das ist die eigentliche Frage.

    Maas: Sollte der Versuch des damaligen Kanzlers Gerhard Schröder, das Bauunternehmen Philipp Holzmann zu retten, nicht immer noch als abschreckendes Beispiel dienen? Das Unternehmen war wenige Monate nach der Rettung dann doch insolvent.

    Hüther: Der Fall Holzmann wird ja auch immer zu Recht zitiert, dass hier eine hochprominente politische Intervention zwar medienwirksam war, aber nicht wirklich in der Sache wirksam. Und das muss man einfach sehen: Man kann ökonomische Gesetze und ökonomische Zusammenhänge nicht mit politischem Wunschdenken übermalen oder überspringen. Das funktioniert nicht. Und wir werden ja auch sehen wie es bei Opel ausgeht. Natürlich werden Arbeitsplätze abgebaut. Es gibt ein Überkapazitätsproblem in der Branche. Es gibt einen Restrukturierungsbedarf. Die vier Werke, Hauptwerke in Deutschland sind unterschiedlich modern, haben unterschiedliche Funktionen, können unterschiedlich in die Zukunft hineingetragen werden. All dies wird auch jetzt diskutiert werden und wird in den nächsten Jahren von Magna, wenn es denn definitiv dazu kommt, auch entsprechend vorangetrieben werden müssen.

    Maas: Opel macht, das ist zu lesen, in diesem Jahr voraussichtlich zwei bis drei Milliarden Euro Verlust. Bundesfinanzminister Steinbrück hat gesagt, für den Staat bedeute der jetzige Rettungsplan hohe Risiken. Was sind das eigentlich für Risiken?

    Hüther: Nun, es sind Risiken, die sich mit diesem 1,5 Milliarden staatlich bereitgestellten Überbrückungskredit verbinden, der ja in den nächsten Jahren in einen 4,5-Milliarden- Bürgschaftsrahmen überführt werden soll. Und dieses als staatliche Leistung wird nur dann nicht dauerhaft auf den Steuerzahler zukommen, wenn dieses ganze unternehmerische Experiment glückt. Aber wir haben ja in den letzten Tagen gesehen, mit wie vielen Unbekannten hier zu spielen ist: Es ist die amerikanische Regierung im Hintergrund; es ist natürlich General Motors, ein völlig unberechenbarer Konzern, der irgendwie ums Überleben kämpft; kennen wir wirklich die Strategie von Magna? Dahinter stehen auch russische Kapitalgeber. - All dies muss letztlich einem Markttest unterzogen werden, und all dies ist letztlich ein unternehmerisches Risiko, das hier in erheblichem Maße auf den Steuerzahler verschoben wird. Und da muss man schon sehr genau mit umgehen. Und deswegen ist ja auch die grundsätzliche Überlegung, dass der Staat das eigentlich nicht tun sollte, so berechtigt. Die Risiken des Versagens und des Verschleuderns von Staatsgeldern sind am Ende sehr hoch.

    Maas: Hat Bundeswirtschaftsminister zu Guttenberg dann also Recht gehabt, dass eine Insolvenz für Opel besser gewesen wäre?

    Hüther: Nun, er hat zwar auch darauf hingewiesen, dass man hier verschiedene Risiken gegeneinander abzuwägen hat. Und niemand kann heute schon sagen, was das Zukunftsergebnis wäre, wenn man das eine oder andere tut. Aber richtig ist in jedem Fall, dass man die Insolvenz und die Planinsolvenz, die wir ja nach der neuen Gesetzgebung seit 1999 haben, nicht verteufeln sollte. Dadurch dass viele Politiker in den letzten Wochen und Monaten gleich eine Adrenalinattacke bekommen haben, wenn nur der Begriff irgendwo hochkam, schadet dem Instrument. (Es) Ist der Versuch mit dieser gesetzlichen Änderung vor zehn Jahren in schwierigen Situationen Unternehmen einen Neustart zu ermöglichen - das hängt sehr stark an dem Insolvenzverwalter; da kann man auch manches im gesetzlichen Detail bessern -, aber es ist eine zukunftsorientierte Strategie. Es ist keine Abwicklungsstrategie mehr. Und deswegen ist es außerordentlich richtig, dass man in solchen Alternativen denkt und die nicht ausschließt. Politik darf sich hier nicht binden. Und wie weit das führt, hat man ja mit diesen dann 350 Millionen Dollar, die dann noch einmal gefordert wurden, ja auch sehen können.

    Maas: Herr Prof. Hüther ich danke Ihnen ganz herzlich für diese Einschätzung.