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Einen Obulus für eine gute Reportage

Initiativen wie "Facing Europe" sammeln im Internet Spenden für eine Berichterstattung jenseits des Mainstreams. Die Idee des Crowdfunding etabliert sich hierzulande gerade erst - und birgt auch Risiken.

Von Marion Nagel | 18.08.2012
    "Also: Agenda. Geld und Stiftungen, den aktuellen Stand, da gibt es gute Nachrichten, dass sage ich euch gleich."

    Matthias, Jan und Freya schauen gespannt auf ihre Kollegin Hannah Kappes. Gleich wird sie verkünden, wieviel Geld sie für die gemeinsame Recherchereise nach Bulgarien und Rumänien bisher zusammengekommen ist.

    "Ich mach mal kurz das Protokoll auf."

    Die 3.000-Euro-Marke haben sie mittlerweile geknackt. 4.800 müssen sie einsammeln. Ansonsten ist das Team gezwungen, die Kosten selbst zu tragen. Denn Crowdfunding funktioniert nach dem Alles-oder-nichts-Prinzip. Wenn sie nicht genügend Spenden erhalten, dann geht das Geld wieder an die Unterstützer zurück. Ein Verlag oder Sender wollte das journalistische Projekt vorab nicht finanzieren, erzählt Jan Schilling:

    "Wir haben versucht, an die Medien heranzutreten, hier Facing Europe, vier Wochen lang Berichterstattung aus Südosteuropa. Da war die Resonanz sehr gering, bisweilen auch etwas harsch, mit dem Zitat: Schon gar nicht, wenn wir dafür Geld in die Hand nehmen müssen."

    Gerade grenzüberschreitende Projekte schrecken Verlage oder Rundfunkanstalten oft ab, denn die Recherchen sind zeitaufwendig und teuer. Südosteuropa? Zu weit weg. Doch Geschichten, wie zum Beispiel die der pomakischen Minderheit in Bulgarien müssen erzählt werden, sagt Nachwuchsjournalist Matthias Winkelmann:

    "Das sind alles Geschichten, die wenig beleuchtet werden, die aber eigentlich, wenn man sich näher damit befasst, ganz interessant sind. Wo man einfach immer wieder zu dem Punkt kommt und sich sagt: Eigentlich ist Bulgarien unheimlich faszinierend und ein interessantes Land. Davon höre ich bloß in Deutschland nichts. Und das zu ändern ist wirklich das, was mich daran interessiert."

    Um wenigstens die Reisekosten decken zu können, starteten die Vier ein Crowdfundingprojekt. Drehten ein Video, in dem sie potenziellen Unterstützern ihre Idee vorstellten und erklärten, wofür sie das Geld benötigen.

    In den USA werden mittlerweile viele journalistische Recherchen und Beiträge über Crowdfunding finanziert. Auf der Internetseite spot.us, die speziell für Journalisten konzipiert wurde, kommen regelmäßig kreative Themenideen und Finanziers zusammen. Die Summen, die in den USA insgesamt in Crowdfundingprojekte fließen, sind mit denen in Deutschland nicht zu vergleichen, erzählt der Tino Kressner, Gründer der Dresdner Crowdfundingplattform Startnext.

    "Der Unterschied zu Amerika ist zugegeben enorm. Das gleiche Thema hat dort zwei, drei Nullen mehr hinten dran. Das heißt, auf einer amerikanischen Plattform werden wahrscheinlich dieses Jahr 150 Millionen in solche Projekte fließen. Und wir streben an, dieses Jahr drei Millionen zu schaffen."

    Eine Plattform für rein journalistische Projekte gibt es im deutschsprachigen Raum bisher nicht. Mediafunders.net in der Schweiz will voraussichtlich ab Herbst diese Lücke ein Stück weit schließen. Der Erfolg von Crowdfundingprojekten hänge von mehreren Faktoren ab:

    "Man muss dort viel, viel stärker motivierend sein, muss neugierig machen, man muss begeistert sein von seiner Idee. Der Projektinitiator muss es immer schaffen, im Bereich zwischen einer und fünf Minuten seine Idee zu erklären. Dort muss alles drin sein. Worum es geht, wofür man Geld gibt und was man auch zurück bekommt."

    Das Spendensammeln im Netz bringe auch Risiken mit sich, so Medienwissenschaftler Dennis Brüntje von der TU Ilmenau. Er erforscht am Institut für Medien und Kommunikationswissenschaft das Phänomen Crowdfunding:

    "Gerade bei journalistischen Projekten geht man ja auch in Vorleistung, mit Recherche und so weiter. Die dann auf diese Teilfinanzierung angewiesen sind. Und wenn die Projekte dann nicht durchfinanziert werden können und einige Journalisten, die sich dann vorrangig auf diese Finanzierungsform verlassen, dann können Probleme entstehen."

    Freya Reis vom Projekt "Facing Europe" sieht weitere Hürden:

    "Es ist ein Problem, wenn Leute denken, sie geben uns Geld und können dafür eine bestimmte Berichterstattung erwarten. Das ist natürlich dann ein Problem. Man kann sich als Journalist nicht kaufen lassen. Tut uns leid, das machen wir nicht. Entweder unterstützt du das Projekt an sich oder wir kommen nicht zusammen."

    Trotz der Bedenken sieht Jan Schilling im Crowdfunding vor allem gute Chancen für Projekte jenseits des journalistischen Mainstreams:

    "Das ist dann so ein Schnippchen, das man den Medien schlägt. Und auch sagen kann hier, ihr habt vielleicht nicht das Geld, aber es gibt eine Leser oder Hörerschaft, die das einfach trotzdem möchte und die auch bereit einfach ist, guten Journalismus zu finanzieren."