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Einer für alle, alle für einen

Die Wohnungsbaugenossenschaften in Deutschland können auf eine über 100-jährige Geschichte zurückblicken. Das Hamburger Museum der Arbeit beleuchtet jetzt die historischen und aktuellen Hintergründe des genossenschaftlichen Wohnens in der Hansestadt.

Von Ursula Storost | 17.01.2013
    "Wir sind hier in einem Hof an der Barner Str. 47. Die Genossenschaft nennt das Barner Block. Gehören ungefähr 200 Wohnungen zu."

    Bärbel Wegner wohnt selbst in einer dieser Genossenschaftswohnungen des Altonaer Spar- und Bauvereins von 1892.

    "Da sieht man, Rasenfläche, Tischtennisplatte, Spielgeräte für die Kinder. Das haben wir alle zusammen geplant."

    Jeder der Bewohner besitzt Genossenschaftsanteile. Deshalb sind wir alle Miteigentümer, erzählt Bärbel Wegner. Die Journalistin hat ein Buch über genossenschaftliches Wohnen geschrieben. Jetzt öffnet sie die Tür zum gemeinsamen Waschhaus. Vier hochwertige Markenwaschmaschinen und ein Trockner stehen da. Genossenschaften investieren in Qualität, die sich langfristig auszahlt, erklärt Bärbel Wegner:

    "Und das machen die Investoren oder die Heuschrecken oder wie man sie nennen will, das machen diese Unternehmen nicht. Und wenn ein Unternehmen an die Börse geht. Was wollen die' Geld machen. Schnell Geld machen. Und das ist für eine Genossenschaft, die für ihre Mitglieder das macht, das geht darum nicht."

    Die erste deutsche Wohnungsbaugenossenschaft wurde 1862 auf der Hamburger Elbinsel Steinwerder gegründet. 48 Handwerker und Arbeiter hatten sich dort zusammengefunden, um gemeinsam etwas zu schaffen, was einer allein niemals hätte schaffen können, sagt der Historiker Stefan Rahner:

    "Es ist so, dass im späten 19. Jahrhundert Hamburg rasant wuchs. Es herrschte in Hamburg enorme Wohnungsnot. Vor allem günstige Wohnungen in der Nähe der Arbeitsplätze am Hafen. Und diese Baugenossenschaft von 1862 sorgte eben dafür, dass am südlichen Norderelbufer Wohnungen entstanden in der Nähe der Arbeitsorte."

    Stefan Rahner hat am Hamburger Museum der Arbeit eine Ausstellung zur Geschichte der Wohnungsbaugesellschaften erarbeitet. Er zeigt auf ein Foto des 1902 erbauten Gebhardhofs. Ein mit Türmchen und Ornamenten aufwendig verziertes Mietshaus, das schnell den Namen Arbeiterschloss bekam:

    "Wobei wir hier nicht über goldene Wasserhähne reden sondern über Balkone, Spülklosetts, Wannenbäder im Keller. Oder später auch Waschzentralen mit Waschmaschinen, Bügelzimmern. Oder die Kinderhorte. Gemeinschaftsräume, in denen man sich treffen konnte. Das zeichnet eben genossenschaftliche Wohnungsbau aus."

    Einer für alle, alle für einen lautet bis heute der Wahlspruch der Genossenschaften. Es ging von Anfang an um Selbsthilfe, Selbstverwaltung und Selbstverantwortung. Der Staat interessierte sich damals nicht für das Wohnen der einfache Leute, weiß der Historiker Dr. Holger Martens:

    "Der Wohnungsbau war reine Privatsache. Und es ist von den privaten Investoren einfach danach gebaut worden, wie die höchste Rendite zu erzielen war. Und das war eben im Geschosswohnungsbau waren das Großwohnungen mit fünf, sechs Räumen, die dann von einem Hauptmieter angemietet wurden. Und die Zimmer und z.T. nur die Betten sind dann untervermietet worden."

    Holger Martens, selbst Genossenschaftler, hatte die Idee zu der Hamburger Ausstellung. Denn Baugenossenschaften, sagt er, haben den Wohnungsbau bis in die 1970er-Jahre maßgeblich mitgeprägt:

    "Da fällt sehr schnell der Begriff des Reformwohnungsbaus, also dass man kleine, abgeschlossene Wohnungen gebaut hat. Für eben die kleinen und mittleren Einkommen. Dass es Licht und Luft in die Wohnungen gekommen ist. Und die Genossenschaften waren die Vorreiter für Erneuerungen und Fortschritte im Bereich des Wohnungsbaus."

    Heute sind Baugenossenschaften im Aufwind. So manche Gruppe von Freunden, Arbeitskollegen oder Nachbarn sucht nach alternativen Wohnformen. Und möchte die in einer eigenen Genossenschaft verwirklichen. Holger Martens:

    "Aber man sollte nicht unterschätzen, dass das doch ein erheblicher Aufwand ist. Also man gründet ein Unternehmen. man muss sich also auch in diese ganzen unternehmerischen Dinge auseinandersetzen."

    Einfacher ist es, das eigene Projekt unter dem Dach einer bestehenden Genossenschaft zu verwirklichen, sagt Frank Seeger. Der Betriebswirt ist Mitglied im Vorstand der Baugenossenschaft der Buchdrucker von 1927. Vor ein paar Jahren wandten sich zum Beispiel 50 Menschen an ihn.

    Frank Seeger: "Wir suchen Wohnraum, wo wir gemeinsam älter werden können, wir können uns auch vorstellen für die jüngeren in der Gruppe, die Kinder haben, dann mal als Ersatzomas und Opas zur Verfügung zu stellen. Wir wollen gemeinschaftlich hier leben zusammen grillen und nicht alleine das machen auf dem Balkon."

    Die Mieten der Baugenossenschaften sind niedrig. Die Genossenschaft der Buchdrucker nimmt im Schnitt 4,60 Euro. Der Mittelwert des Hamburger Mietspiegels liegt bei 7,15 Euro pro Quadratmeter. Allerdings, so Frank Seeger, ist der Wohnungsneubau auch für Genossenschaften eine Herausforderung:

    "Wenn sie heute hier in Hamburg ein Grundstück kaufen und das bebauen, haben sie Investitionskosten, die liegen locker bei 2800, 3000 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche. Und da muss man kein großer Mathematiker sein, selbst wenn man 20 Prozent davon an Eigenmitteln dann mitbringt dann kommt man da auch schnell zu Mietpreisen von neun bis elf Euro. Ohne dass die Genossenschaft selber großes Geld daran verdient."

    Die Stadt Hamburg hat auf die steigenden Grundstückspreise reagiert. Hier gibt es eine sogenannte Konzeptvergabe. Überzeugt ein Wohnkonzept, spielt der für das Grundstück gebotene Quadratmeter-Preis nicht mehr die absolute Hauptrolle. Man weiß, Genossenschaften bieten Mietern soziale Sicherheit.

    Frank Seeger: "Die eine Sicherheit ist, dass nicht bei jeder möglichen Mieterhöhung die Genossenschaften die auch durchführen. Die zweite Sicherheit ist, dass sie nicht gekündigt werden. Und damit ist so gesehen auch die dritte Sicherheit, die Genossenschaft wird das Gebäude nicht verkaufen, um Geld damit zu verdienen. Sondern wir sind Bestandshalter. Und das sind wir auch in 30 Jahren noch."

    Und, fügt Iris Beuerle vom Verband norddeutscher Wohnungsunternehmen hinzu, genossenschaftlich zu wohnen heißt immer auch, ein intaktes soziales Umfeld zu haben:

    "Insofern engagieren sich Wohnungsgenossenschaften sehr stark für ihre Nachbarschaft und für das Quartier, für ihr Umfeld. Die haben Nachbarschaftstreffs, wo sie Menschen die Begegnungsmöglichkeit geben, miteinander ins Gespräch zu kommen. Dass keine Vereinsamung zum Beispiel stattfindet."

    Einrichtungen für Kinderbetreuung, Spiel und Spaß, Sommerfeste. Was Baugenossenschaften ihren Mieter anbieten ist vielfältig, sagt die Betriebswirtin und Sozialwissenschaftlerin. Überhaupt stehe die gesamte Wohnungswirtschaft vor neuen Herausforderungen.

    Iris Beuerle: "Die Verteilung der Einkommen und der Vermögen. Dass auch das Armutsrisiko eigentlich zunimmt. So gut wie es den jetzigen Rentnern geht finanziell, geht es den künftigen auf keinen Fall. Und auch viele Migrantenhaushalte haben weniger Einkommen zur Verfügung als es die deutsche Bevölkerung hat."

    Bezahlbare Wohnungen, so Iris Beuerle, werden in Zukunft noch mehr gebraucht werden als bisher:

    "Und da sind Wohnungsgenossenschaften neben den kommunalen Gesellschaften, die ja auch günstige Wohnräume zur Verfügung stellen eben ganz wichtige Partner."

    Kommunale Wohnungsbaugesellschaften könnten im Gegensatz zu Genossenschaften aber verkauft werden, gibt die Journalistin Bärbel Wegner zu bedenken:

    "Und es gibt Wohnungsbestände in Deutschland, die sind schon vier, fünfmal verkauft worden. Da wechselt dann das Schild. Da kommt dann keiner mehr, wenn ne Reparatur ist. Und was die Mitglieder hier schätzen, man ruft an, es kommt jemand. Und ich bin mittlerweile überzeugt davon, dass es an dieser Unternehmensform liegt."

    Die Qualitäten genossenschaftlichen Wohnens schätzt auch Anni Pribisch. Die quirlige 77-jährige Dame wohnt seit fast 40 Jahren in ihrer Genossenschaftswohnung. Das Haus sei wie ihr Eigentum, sagt sie. Und da möchte sie auch sterben:

    "Das war immer mein beruhigtes Leben. Hier geht das alles seinen normalen Weg. Und wenn die Miete erhöht wird, ist es minimal. Ich weiß immer, hier, die ganzen Jahre schon, ich kann meine Miete immer bezahlen. Ich kann meine Miete bezahlen auch wenn ich 90 bin. Das ist diese Sicherheit."


    Die Ausstellung "Eine Wohnung für uns! Genossenschaftlicher Wohnungsbau in Hamburg" ist noch bis zum 1. April 2013 im Hamburger Museum der Arbeit zu besichtigen.

    Das Buch "Wohnen bei Genossenschaften - Basics, Geschichte, Projekte" von Bärbel Wegner, Anke Pieper und Holmer Stahncke ist bei Ellert & Richter erschienen und kostet 19,95 Euro.