Donnerstag, 28. März 2024

Archiv

Einigung zur Pkw-Maut
"Das wurde von Juncker von oben gemacht"

Der Grünen-Europaabgeordnete Michael Cramer hält die neue Variante der geplanten Pkw-Maut für unökologisch und unsozial. Sie entlaste die deutschen Autofahrer noch stärker als die vorherige Regelung, sagte Cramer im DLF. EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker sei dem Druck aus Deutschland erlegen.

Michael Cramer im Gespräch mit Christiane Kaess | 01.12.2016
    Michael Cramer sitzt für die Grünen im Europaparlament und ist dort Mitglied im Verkehrsausschuss
    Michael Cramer sitzt für die Grünen im Europaparlament und ist dort Mitglied im Verkehrsausschuss (Imago/ Ipon)
    Christiane Kaess: Es ist erst einmal ein Routinebesuch für Verkehrsminister Alexander Dobrindt heute in Brüssel, denn dort treffen sich seine Ressortkollegen aus der EU. Spannend wird es für ihn allerdings, wenn er am Nachmittag mit EU-Verkehrskommissarin Violeta Bulc zusammenkommt: Es geht um Dobrindts Pläne für eine neue PKW-Maut und es scheint, dass die beiden im Anschluss an ihr Treffen eine Einigung bekanntgeben werden. Darüber sprechen möchte ich jetzt mit Michael Cramer von den Grünen. Er ist Mitglied im Verkehrsausschuss des Europaparlaments. Guten Tag, Herr Cramer.
    Michael Cramer: Schönen guten Tag.
    Kaess: Die EU-Kommission hat ja ihren Widerstand aufgegeben, weil die Pläne von Verkehrsminister Dobrindt jetzt keine Eins-zu-Eins-Entlastung der deutschen Autofahrer mehr durch die Kfz-Steuer vorsehen. Die Entlastung, haben wir gerade gehört, soll abhängig sein vom Schadstoffausstoß. Das müsste ganz im Sinne der Grünen sein, oder?
    Cramer: Dass man auf die Schadstoffausstöße guckt, das ist im Sinne der Grünen. Aber es werden ja die Autofahrer jetzt noch mehr entlastet als bei der vorherigen Regelung. Und eins steht fest: Nur die Ausländer zahlen. Kein Deutscher zahlt mehr. Das ist im Grunde ein Nullsummenspiel. Und was am Schlimmsten ist: Die Vignette wird ja eingeführt. Vielfahrer zahlen genauso viel wie Wenigfahrer. Der, der 10.000 Kilometer im Jahr fährt, zahlt genauso viel wie der, der 200.000 Kilometer fährt. Das ist nicht nur unökologisch, das ist auch unsozial.
    Kaess: Aber wir können festhalten, Herr Cramer, wenn ich Sie da richtig verstanden habe, die umweltfreundlicheren Fahrer profitieren und das finden Sie gut?
    Cramer: Nein! Zunächst mal: Die mit den schlimmsten Schadstoffausstößen, die bekommen genauso viel Entlastung für den deutschen Steuerzahler wie die Vignette kostet. Und die anderen werden jetzt ein bisschen bessergestellt. Aber auch die größten Dreckschleudern zahlen nicht mehr, sondern das bleibt: Kein deutscher Autofahrer zahlt mehr. Nur die Ausländer. Das ist europafeindlich und zerbricht auch den Konsens, den wir in Europa haben, dass niemand wegen seiner Nationalität schlechter gestellt wird.
    "Das rechnet sich nicht mit dem Bürokratieaufwand"
    Kaess: Aber wir haben jetzt auch günstigere Kurzzeit-Vignetten: 2,50 Euro, haben wir gerade gehört, für die niedrigste Schadstoffklasse. Auch da ist der Umweltaspekt berücksichtigt?
    Cramer: Ja, da hat sich die Kommission an diesem Punkt durchgesetzt. Einmal ist es nicht so hoch, aber jetzt im Gesamten kommt natürlich auch nicht mehr so viel rein, weil ja nur die Ausländer zahlen. Die Deutschen zahlen ja nichts. Im Gegenteil! Und das rechnet sich dann überhaupt nicht mit dem großen Bürokratieaufwand. Man hätte, auch wenn es nach ökologischen Kriterien ginge, sagen sollen: das Diesel-Privileg, die Subvention für Diesel, der nicht nur umweltschädlich, sondern auch gesundheitsschädlich ist und 18 Cent pro Liter beträgt, das zu kürzen. Dann hätte man mehr Geld für die Investitionen zur Sanierung der Straßen und das wäre umweltgerecht.
    Kaess: Herr Cramer, Sie haben jetzt schon mehrfach die Diskriminierung angesprochen. Da ist ja Dobrindt auch der Kommission entgegengekommen, weil es genau diese Eins-zu-Eins-Entlastung durch die Kfz-Steuer nicht mehr gibt. Und die Kfz-Steuer kann ja jedes Land selbst regeln. Also alles in Ordnung da?
    Cramer: Die Eins-zu-Eins-Regelung gilt nur für die größten Dreckschleudern. Alle anderen werden noch bessergestellt, aber nur die Deutschen. Das heißt, alle anderen Ausländer zahlen, und das wollte ja damals schon der EuGH. 1992 hat er gesagt: Nein! Als die rot-grüne Bundesregierung die LKW-Maut einführen wollte mit Reduzierung der Steuern, hat der EuGH gesagt und die Kommission: Nein! Sie wurde trotzdem eingeführt. Das heißt, jetzt können auch andere Länder, Österreich oder die Niederlande können klagen. Es kann aber auch jeder ausländische PKW-Betreiber klagen, weil er sagt, ich werde schlechter gestellt als der deutsche Autofahrer, denn ich kriege zu Hause nach Einführung der PKW-Maut keine Steuerreduktion.
    "Juncker war das europäische Recht egal"
    Kaess: Aber der Kommission ging es ja genau um diese Koppelung der Eins-zu-Eins-Entlastung durch die Kfz-Steuer, und die ist ja jetzt vom Tisch.
    Cramer: Die ist einerseits vom Tisch, aber sie ist ja noch verschärft worden für die Deutschen. Nur die Deutschen haben ja jetzt kürzer. Sie wird gleichzeitig eingeführt. Und ich kann Ihnen sagen, es sieht ja alles so aus: Es war ja die Kommissarin gar nicht eingebunden, sondern das wurde von Juncker von oben gemacht. Der hat sich mit den Deutschen geeinigt und das europäische Recht war ihm ziemlich egal. Auch das spricht nicht gerade für die Kommission. Die ist Hüterin der Verträge und ist nicht dafür da, Schleichwege zu finden, wie man die Verträge umgeht.
    Kaess: Warum glauben Sie denn hat die Kommission da mitgemacht?
    Cramer: Da gab es natürlich Druck aus Deutschland. Und Sie wissen, auch der Kommissionspräsident Juncker hat Schwachstellen. Aber derjenige, der das alles organisiert hat, ist Herr Seelmeyer. Der ist Mitglied der CSU und kommt aus Passau und der wollte kurz vor dem Parteitag Herrn Dobrindt noch mal ein schönes Geschenk machen, damit der gut aussieht. Jetzt geht es so weiter, ohne Rücksicht auf Verluste. Das ist der Kabinettschef von Herrn Juncker. Der hat das alles eingefädelt. So kann man nicht Politik machen. Transparenz spielte da überhaupt keine Rolle.
    "Ich hoffe, dass Niederländer und Österreicher klagen"
    Kaess: Sie sagen, der Druck kam aus Deutschland. Aber der kommt ja genauso gut aus Österreich oder den Niederlanden zum Beispiel. Warum haben sich die Deutschen dann da durchgesetzt?
    Cramer: Ich hoffe, dass die Niederländer und die Österreicher daran festhalten zu klagen und dass der EuGH entscheidet, so wie es Kommissarin Bulc auch anfangs wollte, als es keine Einigung gab. Dann entscheiden die Gerichte und ich bin davon überzeugt, der EuGH würde seine Urteile von 1992 oder 2004 nicht revidieren.
    Kaess: Was sagen denn Ihre österreichischen oder Ihre niederländischen Kollegen zu dieser neuen Variante jetzt?
    Cramer: Die sind alle stocksauer. Es waren nur einige deutsche Abgeordnete im Verkehrsausschuss, die praktisch den Dobrindt noch unterstützt haben, weil es eine Große Koalition ist. Aber ich frage mich auch, das Gesetz muss geändert werden, ob die Sozialdemokraten diesem Gesetz zustimmen. Dann müssten sie eigentlich das "Sozial" in ihrem Namen auch streichen, denn das ist absolut unsozial, was da läuft.
    Kaess: Aber, Herr Cramer, wir kennen ja die Maut auch aus anderen Ländern. Wie ist es denn da geregelt? Gibt es denn da teilweise auch einen Ausgleich über die Kfz-Steuer, oder ist die dort niedriger?
    Cramer: Nein. Es gibt natürlich Länder, die haben keine Kfz-Steuer. Die haben eine höhere Maut. In der Schweiz gilt die Maut zum Beispiel auf allen Straßen.
    Kaess: Aber dann gilt die Diskriminierung für die Ausländer dort ja auch.
    Cramer: Nein! Das Steuerrecht ist ja ein nationales Recht. Da kann die Kommission nicht einwirken.
    Kaess: Aber das würde jetzt nach der neuen Variante für den deutschen Vorschlag auch zutreffen.
    Cramer: Niemand wäre auf die Idee gekommen, das Steuerrecht so zu ändern, dass die, die viel Schadstoffe ausstoßen, mehr bezahlen als die anderen. Das ist nur im Zusammenhang mit der PKW-Maut und das ist der Zusammenhang. Egal ob es jetzt eins zu eins ist oder eins zu 1,25 oder wie auch immer, so geht es nicht.
    "An den Unfällen, an den Staus, an den Sperrungen wird sich nichts ändern"
    Kaess: Dann schauen wir noch mal kurz auf die deutsche Perspektive und Ihre Bewertung dazu. Ist das jetzt eine versteckte Belastung für die deutschen Autofahrer oder eben nicht?
    Cramer: Nein! Es ist eine offene Entlastung der deutschen Autofahrer. Und das Verrückte ist ja: Die LKW von 3,5 bis 7,5 Tonnen, die zahlen überhaupt nichts. Die zahlen keine Maut, die sind davon ausgenommen. Die PKW zahlen eine Maut, sie werden aber mehr entlastet, als sie bisher zahlen müssen. Für die einzigen ist es gleich. Es wird sich an den Unfällen, an den Staus, an den Sperrungen, da wird sich gar nichts ändern, und an der Umwelt schon gar nicht. Wir machen das Autofahren weiterhin in Deutschland billig und das Bahnfahren extrem teuer. Denn ich kann Ihnen sagen: Jede Lokomotive auch in Deutschland und in ganz Europa muss auf jeden Kilometer eine Maut bezahlen, die in der Höhe unbegrenzt ist. Auf der Straße ist es eine freiwillige Angelegenheit der Staaten, ob sie das machen. Hundert Prozent des Schienennetzes ist bemautet und ein Prozent des Straßennetzes. So bringt man den Klimaschutz nicht zum Stoppen. Das Gegenteil ist der Fall. Die Klimaschädlinge werden entlastet und die klimafreundlichen Systeme werden belastet. Das ist deutsche Politik.
    Kaess: Herr Cramer, dann stellt sich jetzt tatsächlich noch die Frage nach der Einnahme. Was bringt das überhaupt? Hier sagt ja der Koalitionsvertrag, die Verwaltungskosten für die Einführung der Maut dürfen nicht höher sein als die Einnahmen. Kann das unter diesen Umständen dann überhaupt eingeführt werden?
    Cramer: Wenn wir Glück haben, ist es eins zu eins. Dann bleibt es dabei. Aber diese Rechnung hat ja damals schon selbst der Finanzminister Schäuble kritisiert. So geht es nicht, weil der Bürokratieaufwand so teuer ist, dass eigentlich kaum was rauskommt. Es gibt bessere Alternativen, ohne Bürokratieaufwand, höhere Effizienz und schneller umsetzbar, aber das wollte Dobrindt nicht. Es ging ihm gar nicht um die Autofahrer, sondern es ging ihm darum zu zeigen: Wir müssen in Österreich bezahlen, deshalb müssen die das hier auch, egal ob das mit Europarecht vereinbar ist oder nicht.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.