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Einigung zwischen Union und SPD
"Einseitige Zurückweisungen waren nie unser Thema"

Auf dem Weg zu europäischen Lösungen in der Asylfrage müssten auch "nationale Maßnahmen" möglich sein, sagte der CSU-Politiker Stephan Mayer im Dlf. Es gehe darum, in Europa und auch "national handlungsfähig" zu bleiben. Zurückweisungen sollten jedoch nicht "einseitig", sondern in Absprache mit dem Nachbarland stattfinden.

Stephan Mayer im Gespräch mit Christoph Heinemann | 06.07.2018
    Mayer am Redepult im Bundestag. Er gestikuliert mit den Händen.
    Der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesinnenministerium, Mayer, begrüßte die Einigung zwischen Union und SPD (imago)
    Christoph Heinemann: Am Telefon ist Stephan Mayer (CSU), Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesinnenministerium, Wahlkreis Altötting und Mühldorf. Guten Morgen.
    Stephan Mayer: Guten Morgen, Herr Heinemann. Grüß Gott!
    Heinemann: Herr Mayer, woran ist die CSU gescheitert?
    Mayer: Die CSU ist beileibe nicht gescheitert. Ganz im Gegenteil! Die CSU hat sich in einem ganz zentralen Punkt durchgesetzt, nämlich dass in Zukunft die Personen unmittelbar zurückgewiesen werden können, die in einem anderen EU-Land bereits einen Asylantrag gestellt haben und dort auch ein Asylverfahren begonnen haben. Das war unsere zentrale Forderung und die ist jetzt Gegenstand des Asylkompromisses zwischen der CDU und der CSU und der SPD, und das ist durchaus ein Erfolg für die CSU.
    Heinemann: Und zwar fünf Personen minus X. Wollen Sie das als Wende verkaufen?
    Mayer: Ja, das ist jetzt mal eine geschätzte Zahl, fünf Personen. Das können mal mehr, das können auch mal weniger sein. Aber es kommt aus meiner Sicht weniger auf die Zahl an, sondern mehr darauf, dass wir wieder Recht und Gesetz an der deutschen Grenze durchsetzen. Deutschland ist nun mal für die Personen keinesfalls zuständig, die schon in einem anderen EU-Land einen Asylantrag gestellt haben, und wir verhindern damit, dass die Sekundärmigration weiter anhält, dass Migranten, die schon Asylverfahren begonnen haben, dann in einen anderen EU-Staat wechseln, weil es dort vielleicht vermeintlich angenehmer ist zu leben, und das ist für uns schon ein zentraler Punkt. Da geht es gar nicht um die absolute Zahl an sich, sondern um den Umstand generell, dass wir wieder zu Recht und Gesetz an der deutschen Außengrenze zurückkehren.
    Heinemann: Der ganze Streit für fünf Personen?
    Mayer: Der Streit ist wie gesagt nicht wegen fünf Personen geführt worden, sondern der Streit ist wegen der Frage geführt worden, wie wir an der deutschen Außengrenze verfahren. Es gibt ja seit vielen Jahren einen Dublin-Mechanismus, der auf dem Papier steht, aber leider in der Praxis nicht funktioniert. Das ist ein weiterer wichtiger Punkt, der gestern zwischen den Koalitionspartnern vereinbart wurde, dass man die Asylverfahren, für die man nicht zuständig ist, für die sogenannten Dublin-Fälle, schneller außer Landes bringen will. Derzeit ist es so, dass wir gerade mal ungefähr 15 Prozent der Personen überhaupt in ein anderes EU-Land überstellen können, für die wir an sich gar nicht zuständig sind, und dafür hat man sich jetzt auf ein sogenanntes beschleunigtes Verfahren verständigt. Sprich: Deutschland erklärt nicht die Zuständigkeit für sich, sondern wird in den Ankerzentren gerade diese Dublin-Fälle beschleunigt betreiben und dann entsprechend in die an sich für die jeweiligen Asylbewerber zuständigen Länder zurückführen.
    "Die gesetzliche Mitwirkungspflicht für Asylbewerber festschreiben"
    Heinemann: Herr Mayer, bleiben wir kurz noch beim Transitverfahren. Wenn ich das richtig verstanden habe, wird es das nur in Bayern geben, und das betrifft dann nur ein Viertel der illegal Einreisenden. Das heißt, drei Viertel des Problems haben Sie nicht gelöst, Stichwort Recht und Ordnung.
    Mayer: Letztes Jahr war es so, dass ein Drittel der illegalen Migranten allein an der deutsch-österreichischen Grenze aufgegriffen wurden. Sie haben recht, es gibt natürlich auch illegale Migration über andere Grenzbereiche, über die deutsch-schweizerische, die deutsch-französische, die deutsch-tschechische Grenze. Aber die Hauptmigrationsroute ist nach wie vor die deutsch-österreichische Grenze. Deswegen gab es auch sehr gute Gründe, dass Bundesinnenminister Horst Seehofer die stationären Grenzkontrollen bis Mitte November weiter fortgesetzt hat. Entsprechend kann natürlich auch dieses Transitverfahren lediglich an der deutsch-österreichischen Grenze durchgeführt werden. Aber das ist aus meiner Sicht schon allein ein erheblicher Zugewinn, weil damit klar wird, dass wir nicht weiter willens sind, die Personen in Deutschland aufzunehmen, die bereits in einem anderen EU-Land ein Asylverfahren begonnen haben.
    Heinemann: Fakt bleibt: Der größte Teil des Problems ist nicht gelöst.
    Mayer: Man muss sich auch von der Vorstellung verabschieden, dass allein eine Maßnahme ausreicht, um die gesamte Asyl- und Migrationskrise in den Griff zu bekommen.
    Heinemann: Aber genau diesen Eindruck haben Sie doch seit Wochen jetzt vermittelt.
    Mayer: Nee, ganz im Gegenteil! Bundesinnenminister Horst Seehofer hat einen Masterplan Migration erarbeitet mit insgesamt 63 Punkten, und da ist dieser Punkt einer von 63. Es gibt beileibe noch viele andere und wir werden auch in den nächsten Tagen und Wochen die anderen Punkte nachdrücklich als Bundesinnenministerium vorantreiben. Wir haben einen Gesetzentwurf in der Ressortabstimmung, in dem wir die drei Maghreb-Länder und Georgien als sichere Herkunftsländer definieren wollen. Wir wollen die gesetzliche Mitwirkungspflicht für Asylbewerber im Rücknahmeverfahren festschreiben. Es gibt viele andere Aspekte und dieser Punkt, Zurückweisungen von denen, die bereits ein Asylverfahren in einem anderen EU-Land begonnen haben, ist ein Punkt, ein wichtiger Punkt, aber ein Punkt von mehreren. Deswegen muss man sich wirklich von der Illusion verabschieden, allein eine singuläre Maßnahme würde ausreichen und wäre erforderlich, um die Asyl- und Migrationskrise zu meistern.
    Heinemann: Was wird denn passieren, wenn die österreichische und die italienische Regierung niemanden zurücknehmen werden?
    Mayer: Jetzt muss man erst mal abwarten. Es gibt nächste Woche einen informellen Innenministerrat in Innsbruck. Da wird Bundesinnenminister Horst Seehofer natürlich auch mit seinen Kollegen aus anderen Ländern wieder zusammentreffen und auch Gespräche führen können. Die Bundeskanzlerin wird Verhandlungen führen. Ich bin gar nicht so pessimistisch, was die Frage anbelangt, wie die Erfolgsaussichten sind bezüglich der Vereinbarungen dieser Abkommen. Ich glaube, dass da durchaus auch was Substanzielles zustande zu bringen ist. Griechenland und Spanien haben schon ihre Bereitschaft erklärt, für derartige Verhandlungen und auch Vereinbarungen offen zu sein. Da rate ich mal dazu, erst mal abzuwarten, was die Verhandlungen bringen. Man hat ja auch in den letzten Wochen durchaus Vorzeigbares auf der europäischen Ebene zustande gebracht.
    "Österreich ist natürlich für uns ein wichtiger Partner"
    Heinemann: Aber Sie haben keinerlei positive Signale aus Italien oder Österreich?
    Mayer: Wie gesagt, es gab auch vor einem Monat keine positiven Signale, dass wir überhaupt zu derartigen Regularien auf europäischer Ebene kommen, und dann haben sich doch sehr viele Staats- und Regierungschefs in Europa bewegt. Ich wäre da mal nicht so pessimistisch. Es ist nicht einfach. Ich bin jetzt auch nicht naiv. Natürlich ist mir klar, dass diese Verhandlungen insbesondere mit der neuen italienischen Regierung ausgesprochen schwierig sein werden. Aber mal abwarten: Ich bin durchaus optimistisch, dass wir hier auch in den nächsten Wochen auf europäischer Ebene vorankommen.
    Heinemann: Wer verhandelt denn? Horst Seehofer oder die Bundeskanzlerin?
    Mayer: Am besten beide auf ihrer jeweiligen Ebene.
    Heinemann: Kann das gut gehen?
    Mayer: Das kann sehr wohl gut gehen, weil beide das Ziel vereint, dass wir diesen Asylkompromiss, diesen Asylplan, der jetzt mit der SPD vereinbart wurde, auch zu einem Erfolg bringen.
    Heinemann: Sind einseitige Zurückweisungen vom Tisch?
    Mayer: Einseitige Zurückweisungen waren nie unser Thema.
    Heinemann: Das haben wir anders verstanden.
    Mayer: Es ging darum, dass wir natürlich im Einvernehmen mit Österreich Zurückweisungen vornehmen.
    Heinemann: Da ist die CSU lernfähig?
    Mayer: Österreich ist natürlich für uns ein wichtiger Partner. Das ist doch gar keine Frage. Wir werden doch keine Asylpolitik gegen unser Nachbar- und Partnerland Österreich betreiben.
    Heinemann: Herr Mayer! Das klang doch in den ganzen letzten Wochen komplett anders!
    Mayer: Es ging uns darum, dass wir national handlungsfähig bleiben. Aber es ging uns nicht darum, dass wir ohne Absprache mit unserem Nachbarland Österreich Zurückweisungen vornehmen. Wir haben als CSU – und da gab es natürlich einen Dissens; den negiere ich ja gar nicht, den bestreite ich ja gar nicht. Es gab einen Dissens zwischen der CSU und der CDU. Geeint hat uns das Ziel, auf europäischer Ebene zu Lösungen zu kommen, weil wir beide, sowohl CDU als auch CSU der Auffassung sind, dass letzten Endes nur Europa in der Lage ist, diese epochale Herausforderung der Migrations- und Flüchtlingskrise zu meistern.
    Aber der Unterschied bestand in der Frage, wie kommen wir zu dieser europäischen Lösung, und da war es sehr wohl die Auffassung der CSU, dass auf diesem Weg zur europäischen Lösung auch nationale Maßnahmen sachgerecht sind, also auch Zurückweisungen an der deutsch-österreichischen Grenze, insbesondere der Personen, die bereits in einem anderen EU-Land ein Asylverfahren begonnen haben. Aber natürlich sollten diese Zurückweisungen in Absprache mit dem Nachbarland stattfinden.
    Sie haben ja erwähnt: Mein Wahlkreis ist Altötting. Der grenzt unmittelbar an die österreichische Grenze. Uns verbinden ja in vielerlei Hinsicht, nicht nur was das Thema Asyl anbelangt, intensive Beziehungen zu unserem Nachbarland. Es wäre doch vollkommen dämlich und auch kurzsichtig, hier einseitig Maßnahmen vorzunehmen, ohne Absprache mit unserem Nachbarland. Man darf diese beiden Punkte nicht vermengen. Wir sind durchaus als CSU der Auffassung, dass, wenn Europa nicht handlungsfähig ist, dann auch nationale Maßnahmen möglich sein müssen, aber natürlich in Absprache mit dem jeweiligen Nachbarland, in diesem Fall mit Österreich.
    "Ich bin kein Freund von Zäunen"
    Heinemann: Herr Mayer, Viktor Orbán hat gestern gesagt: "Wir", Ungarn, "nehmen Deutschland eine große Last ab, weil wir gar keine Leute ins Land lassen." Hat er recht?
    Mayer: Viktor Orbán hat dort durchaus recht, weil Viktor Orbán natürlich, weil Ungarn eine EU-Außengrenze hat zu Serbien, und diese Grenze wird allem Bekunden nach sehr effektiv und gut gesichert. Insoweit ist diese Aussage von Viktor Orbán bei aller Kritik, die an ihm in Deutschland geübt wird, durchaus richtig.
    Heinemann: Wäre das ein Vorbild für deutsche Migrationspolitik?
    Mayer: Ich bin kein Freund von Zäunen. Ich sage das ganz offen. Ich würde ungern an einer deutschen Außengrenze Zäune sehen. Ich glaube, wir haben, wenn man die deutsche Vergangenheit ansieht, schlechte Erfahrungen mit derartigen Grenzsicherungsmaßnahmen gemacht. Aber die ungarische Befindlichkeit ist eine andere, auch natürlich die ungarische Vergangenheit ist eine andere, die ungarische Geschichte. Vor dem Hintergrund möchte ich es mir nicht anmaßen zu beurteilen, ob die Grenzsicherungsmaßnahmen, die Ungarn vornimmt, die richtigen sind. Auf jeden Fall – und insoweit gebe ich Viktor Orbán recht und bin ich auch durchaus der ungarischen Regierung dankbar – sind diese Sicherungsmaßnahmen effektiv.
    Heinemann: … sagt Stephan Mayer (CSU), der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesinnenministerium. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.
    Mayer: Bitte schön! – Schönen Tag.
    Heinemann: Ihnen auch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.