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Einkommensunterschiede in Deutschland
Reich im Süden, arm im Westen

Rückschritt im Ruhrgebiet, leicht positiver Trend im Osten - eine neue Studie zeigt die Entwicklungen beim verfügbaren Einkommen. Zudem gebe es im Westen ein Nord-Süd-Gefälle, sagte Mitautor Helge Baumann im Dlf. In Süddeutschland verzerre teils eine sehr hohe Millionärsdichte das Ergebnis.

Helge Baumann im Gespräch mit Ursula Mense | 24.04.2019
Hände halten Euroscheine.
Die neue Studie der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der gewerkschaftlichen Hans-Böckler-Stiftung zeigt die regionalen Unterschiede beim verfügbaren Einkommen (Unsplash / Christian Dubovan)
Ursula Mense: Wie ist es um das verfügbare Einkommen der deutschen Haushalte bestellt - vor allem im regionalen Vergleich? Das wollten zwei Autoren des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der gewerkschaftlichen Hans-Böckler-Stiftung wissen. Ich hatte Gelegenheit mit einem der Autoren, Helge Baumann, zu sprechen und ihn zunächst nach der dokumentierten Einkommensveränderung im beobachteten Zeitraum zu fragen.
Helge Baumann: Das Einkommen hat inflationsbereinigt für die Bundesrepublik von 2000 bis 2016 etwa zehn Prozent zugenommen. Das ist eine positive Entwicklung, aber keine überraschende Entwicklung.
Mense: Und wie sieht es im regionalen Vergleich aus?
Baumann: Im regionalen Vergleich zeigt sich, dass es große Einkommensunterschiede gibt. Wenn wir nur mal den Westen betrachten, gibt es insgesamt ein nicht ganz klar strukturiertes, aber doch vage zu erkennendes Nord-Süd-Gefälle, also die wohlhabenden Regionen, die liegen eher in Baden-Württemberg und Bayern. Dort gibt es nur wenige bis gar keine Kreise, die im Durchschnitt weniger als 20.000 Euro pro Kopf zur Verfügung haben. So was gibt es im Norden doch deutlich häufiger, natürlich vor allem in Nordrhein-Westfalen, aber auch im Nordwesten der Bundesrepublik.
Ausreißer nach oben
Mense: Können Sie mal ein paar Beispiele nennen?
Baumann: Die reichsten Kreise in Deutschland sind Starnberg und Heilbronn, was das Durchschnittseinkommen angeht, wobei man dabei immer berücksichtigen muss, das sind Durchschnittswerte, die wiederum stark vor allem von Ausreißern nach oben, also von Multimillionären beeinflusst werden.
Mense: Davon gibt es ja dann wahrscheinlich in Starnberg ziemlich viele, in Heilbronn auch, also ist das vergleichbar oder hat Sie da doch das Ergebnis überrascht?
Baumann: Das Ergebnis vor allem für Heilbronn hat uns sehr überrascht, vor allem weil die Entwicklung da gegenüber 2000 sehr stark war. Starnberg war ja schon immer einer der Kandidaten, die ganz weit oben sind, und da war die Entwicklung jetzt auch nicht so überraschend. Gerade bei Heilbronn haben wir dann natürlich mal nachrecherchiert, was ist da eigentlich los, und da wurde dann ziemlich schnell augenfällig, ja, Heilbronn hat eine sehr hohe Millionärsdichte, und unter anderem der Lidl-Gründer und Inhaber Dieter Schwarz wohnt da.
Und wenn man dazu berücksichtigt, dass Heilbronn nicht gerade zu den bevölkerungsstärksten Kreisen in Deutschland zählt, dann wird natürlich klar, gut, da können einzelne Ausreißer nach oben den Wert schon mal ziemlich stark nach oben ziehen. Ärmere Gebiete finden wir zum einen, da Offenbach am Main zu nennen, aber vor allem auch das Ruhrgebiet. Vor allem Gelsenkirchen war sowieso schon auch 2000 sehr weit unten und hat da zusätzlich noch eine negative Entwicklung genommen.
Mense: In Zahlen heißt das?
Baumann: Gelsenkirchen liegt 2016 bei 16.203 Euro im Schnitt und hat inflationsbereinigt seit 2000 gegenüber 2016 etwa vier Prozent verloren.
"Mehr Geld in der Tasche"
Mense: Wenn man das jetzt mal in Vergleich setzt mit anderen Studien zur Einkommenssituation oder auch zur Armut in Deutschland - es gab ja auch erst kürzlich eine Studie über die Entwicklung der Armut in Deutschland im Zeitraum 2007 bis 2016 der Bertelsmann-Stiftung -, da waren die Ergebnisse erschreckend ähnlich. Insofern dürfte es ja eigentlich nicht überraschend sein, dass der regionale Unterschied hier jetzt zwischen dem Ruhrgebiet und dem Süden so groß ist.
Baumann: Das war tatsächlich keine große Überraschung.
Mense: Worin besteht denn dann für Sie so der Erkenntnisgewinn?
Baumann: Der Erkenntnisgewinn besteht darin, dass wir einerseits, vor allem wenn wir den Ost-West-Vergleich bemühen, feststellen, gut, es ist nicht so, dass jede Region, die 2000 wirtschaftlich nicht so stark war, sich negativ entwickelt hat. Ganz im Gegenteil, wir beobachten eigentlich grundsätzlich in den neuen Bundesländern, dass nur wenige über die, ich sag mal, magische Marke von 20.000 Euro pro Kopf kommen, aber die Entwicklung in der Regel positiv war, und zwar im deutlichen zweistelligen Prozentbereich, inflationsbereinigt.
Das heißt, da hat zumindest eine gewisse Angleichung stattgefunden, und wenn man die regionalen Preisniveaus dazu berücksichtigt, dann kann man schon sagen, gut, in vielen Kreisen der neuen Bundesländer haben die Einwohner mehr in der Tasche, wenn man es mal so platt ausdrückt. Im Gegenzug dazu beobachten wir, dass gerade in den alten Bundesländern zu beobachten ist, dass wirtschaftlich schwache Kreise, dass sich da die Unterschiede zum Teil auch verfestigt haben, dass also Kreise wie Gelsenkirchen, die schon 2000 wirtschaftlich nicht so stark waren, sich noch weiter verschlechtert haben.
"Keine große Trendwende"
Mense: Wenn man mal davon ausgeht, dass das Grundgesetz ja der Politik den Auftrag stellt, einheitlich beziehungsweise gleichwertige Lebensverhältnisse im ganzen Land zu schaffen, was kann man denn dann folgern aus diesen Zahlen, auch vielleicht im wirtschaftlichen oder wirtschaftspolitischen Kontext?
Baumann: Zunächst einmal sind das natürlich Daten der Beobachtung. Wir sehen zunächst mal, in welchen Kreisen läuft es gut, in welchen Kreisen läuft es nicht so gut. Aus diesen Daten heraus ist es natürlich schwierig, Ursachen und vor allem politische Empfehlungen zu ziehen, aber natürlich ist es auch klar, dass ohne staatliche, ohne Regionalpolitik sich vor allem die Unterschiede in den neuen Bundesländern offensichtlich noch stärker verfestigen würden. Sie haben jetzt hier vor allem Daten für 2016, die Einkommensdaten für 2018 haben wir nur für das komplette Bundesgebiet, die liegen jetzt heutzutage leicht höher. Aber wir können, denke ich, doch vorsichtig davon ausgehen, dass in den ärmeren Städten vor allem der alten Bundesländer seitdem keine große Trendwende stattgefunden hat.
Mense: Während im Osten Sie da doch eher so etwas wie kontinuierlichen Aufschwung sehen?
Baumann: Den sehen wir durchaus, ja.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.