Einsamer Kampf gegen das organisierte Verbrechen

Von Johannes Damian · 23.05.2012
Die Mafia ist keinesfalls unbesiegbar, davon war der Staatsanwalt Giovanni Falcone überzeugt. Seinen Ermittlungen verdanken wir einige der wichtigsten Erkenntnisse über das Wesen der "Ehrenwerten Gesellschaft". Am 23. Mai 1992 wurde er selbst Opfer der Mafia.
"Buonasera, siamo in grado di darvi le prime immagine dello spaventoso attentato…"

Eine Sondersendung des italienischen Senders RAI-UNO zeigte erste Bilder vom Schauplatz des Attentats: Die Autobahn, die vom sizilianischen Flughafen Punta Raisi nach Palermo führt, nahe der Ausfahrt nach Capaci, übersät mit Asphaltbrocken und Wrackteilen. Hier starben am 23. Mai 1992 der italienische Staatsanwalt Giovanni Falcone, seine Frau und drei Leibwächter. Etwa 500 Kilogramm Sprengstoff hatten die Täter in einem Abwasserrohr unter der Straße deponiert. Der vorderste Wagen des Konvois wurde durch die Explosion von der Fahrbahn geschleudert. Das Auto, in dem Falcone und seine Frau saßen, raste gegen den aufgerissenen Straßenbelag.

1939 in Palermo geboren, hatte Falcone schon als junger Jurist Mafiamorde an Politikern und Richtern erlebt. 1983 wurde auch Falcones Vorgesetzter von einer Autobombe getötet. Sein Nachfolger berief Falcone in eine neu gegründete Sondereinheit, die koordiniert gegen die Mafia ermitteln sollte. Für die Mehrheit der Italiener gehörte die Mafia damals untrennbar zur sizilianischen Kultur. Falcone sah das anders:

""Die Mafia ist keinesfalls unbesiegbar. Sie wird von Menschen gemacht. Und alles, was von Menschen gemacht wird, hat einen Anfang und wird auch ein Ende haben. Man muss sich allerdings auch viel bewusster werden, dass die Mafia ein sehr Ernst zunehmendes und schwerwiegendes Phänomen ist. Man kann sie nicht dadurch besiegen, dass man von wehrlosen Bürgern Heldenmut verlangt. Die besten Kräfte der staatlichen Institutionen müssen für diesen Kampf bereit gestellt werden."

1984 wird der nach Brasilien geflohene Mafioso Tommaso Buscetta an Italien ausgeliefert. Um seine Haftstrafe zu verkürzen, bricht er das Gesetz des Schweigens, die Omertà. In stundenlangen Gesprächen erläutert er Falcone die hierarchischen Strukturen der Mafia. Buscettas Aussagen ermöglichen 1986 den ersten sogenannten Maxi-Prozess. Ein eigens für die Verhandlungen gebauter Bunker aus Stahlbeton soll für die nötige Sicherheit sorgen. Hunderte Mafiosi werden verurteilt. Für Falcone eine Bestätigung seiner Methoden:

"...dass wir wichtige Erfolge gegen das organisierte Verbrechen erzielen können, wenn wir die Spielregeln der Demokratie einhalten."

Viele Italiener sehen Falcones Bemühungen jedoch skeptisch. Konservative Medien werfen ihm Karrierismus vor. Politiker und sogar die Justiz behindern seine Arbeit. Als sein Vorgesetzter in Rente geht, bekommt ein älterer Kollege den Posten, obwohl der kaum Erfahrung im Kampf gegen die Mafia hat. Falcone ahnt, dass die Mafia nur darauf wartet, dass der Staat ihn fallen lässt.

1991 profitiert Falcone von politischen Veränderungen. Er nimmt einen Posten im Justizministerium in Rom an. Von dort aus koordiniert er den landesweiten Kampf gegen die organisierte Kriminalität. Dazu gründet er zwei zentrale Antimafia-Behörden.

Im Januar 1992 bestätigt das oberste italienische Gericht das Urteil aus dem ersten Maxi-Prozess. Falcones Theorie von einer einheitlichen kriminellen Organisation, die den Staat gefährdet, ist offiziell anerkannt. Die Mafiabosse fühlen sich bedroht wie nie zuvor.

"Mörder!" rufen die Menschen auf Falcones Beerdigung der angereisten Politprominenz entgegen. Sie werfen dem Staat eine Mitschuld am Tod des Staatsanwalts vor. Dessen Nachfolger, Gian Carlo Caselli, spricht aus, was viele denken. Er zitiert aus Falcones Buch "Cose di Cosa Nostra":

"Man stirbt normalerweise, weil man allein ist, oder weil man in ein allzu großes Spiel geraten ist. Oft stirbt man, weil man nicht über die nötigen Bündnisse verfügt, weil man keine Unterstützung genießt. In Sizilien erledigt die Mafia die Diener des Staates, die der Staat nicht hat schützen können."

Giovanni Falcone hat mit seinem meist einsamen Kampf dazu beigetragen, dass die große Mehrheit der Italiener die "Ehrenwerte Gesellschaft" heute nicht mehr als Folklore, sondern als eine gefährliche Verbrecherorganisation wahrnimmt.
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