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Einschüchterungen an Universitäten

An tunesischen Universitäten versuchen radikale Islamisten, ihr Weltbild mit Gewalt durchzusetzen. Diese Kampagne läuft mit der schweigenden Zustimmung der regierenden Ennahda-Partei, die die Salafisten als ihre natürlichen Verbündeten betrachtet.

Von Martina Sabra | 14.04.2013
    Die naturwissenschaftliche Fakultät der Campus-Universität El Manar in Tunis: Anlässlich des Weltsozialforums haben sich Ende März rund zweihundert Hochschullehrer und Wissenschaftler aus ganz Tunesien im großen Hörsaal versammelt. Die Professoren und Dozenten wollen die tunesische und die internationale Öffentlichkeit aufrütteln. Sie sehen die gerade erst mühsam erkämpfte Autonomie der tunesischen Hochschulen in Gefahr. Habib Mellakh, Professor für französische Literatur an der Universität La Manouba, ist Mitglied der gewerkschaftsnahen "Beobachtungsstelle für die Einhaltung der akademischen Freiheiten" in Tunesien. Das Gremium hat im März seinen jüngsten Bericht vorgelegt. Darin ist dokumentiert, dass die Attacken religiöser Extremisten an tunesischen Universitäten System haben und keine Einzelfälle sind. An der Universität La Manouba sind die Täter namentlich bekannt.

    "Es handelt sich um eine bewusst inszenierte Kampagne gegen die Autonomie der Universitäten und gegen die öffentlichen Freiheiten. Einer der Drahtzieher in Manouba ist ein gewisser Abu Iyad. Er ist der Guru der Salafisten im Viertel Hay Tadamun in Tunis, wo hauptsächlich arme Leute leben. Von Hay Tadamun bis zur Universität läuft man zu Fuß nur 15 Minuten. Diese Kampagne läuft mit der schweigenden Zustimmung der regierenden Ennahda-Partei, die die Salafisten als ihre natürlichen Verbündeten innerhalb der islamischen Bewegung betrachtet."

    Habib Mellakh hat jüngst auch ein neues Buch veröffentlicht. Das fast dreihundert Seiten starke, im In- und Ausland viel beachtete Werk trägt den Titel "Chroniken aus Manoubistan". Es beschreibt minutiös den Gesinnungsterror, den Salafisten und Islamisten seit fast zwei Jahren gegen Wissenschaftler und Studierende an der Universität Manouba bei Tunis ausüben. Die Kampagne begann im Herbst 2011. Amel Grami, Professorin für arabische Sprache und Geistesgeschichte war eines der ersten Opfer.

    "Für sie bin ich eine Ungläubige. Deshalb sei ich nicht befähigt, islamisches Denken zu unterrichten. Ich habe unter anderem ein Seminar über vergleichende Religionswissenschaft gegeben. Die Salafisten haben behauptet, ich wollte die Studierenden zum Christentum oder zum Judentum bekehren. Sie horchten auch meine Studierenden aus, wollten wissen, was ich im Seminar gesagt hatte."

    Die Salafisten, die teilweise gar nicht an der Universität eingeschrieben waren, demonstrierten für die Geschlechtertrennung in Hörsälen und Restaurants und für das Recht auf Vollverschleierung - den sogenannten Nikab. Da die Polizei nur zögerlich einschritt, um die illegalen Sit-Ins zu beenden, wurde die Universität geschlossen. Nachdem die Leitung Hausverbote ausgesprochen hatte, stürmten vor gut einem Jahr zwei vollverschleierte Studentinnen das Büro des Dekans und schlugen das Mobiliar kurz und klein. Doch nicht die Studentinnen wurden danach vor Gericht gestellt, sondern der Dekan: Habib Kazdaghli, Professor für Geschichte, soll eine der beiden Studentinnen geohrfeigt haben. Kazdaghli weist diese Vorwürfe weit von sich. Und er betont:

    "An unserer Fakultät gibt es eine interne Regelung, die unmissverständlich vorschreibt, dass Lehrende und Studierende sich gegenseitig sehen können müssen. Die zuständigen Behörden helfen uns nicht, dieses Reglement durchzusetzen. Sie machen sich stattdessen zu Komplizen der Fundamentalisten. Ich habe es in der Geschichte der Universitäten Tunesiens noch nicht erlebt, dass ein gewählter Dekan, der seine Funktion ausüben will und der daran gewaltsam gehindert wird, von den politischen Entscheidungsträgern derart allein gelassen wird."

    An vielen tunesischen Universitäten versuchen radikale Islamisten derzeit, ihr Weltbild mit Gewalt durchzusetzen. Liberale und säkulare Hochschullehrer vermuten eine Zermürbungstaktik. Sie gehen davon aus, dass die regierende Ennahda-Partei in der noch zu schreibenden Verfassung die Rechte der Universitäten beschneiden und dass sie die führenden Positionen an den tunesischen Hochschulen möglichst bald mit politisch genehmem Personal besetzen will. Habib Kazdaghli sieht es so:

    "Die islamistische Regierungspartei weiß, dass sie die Hochschulen nicht im Griff hat. Die Polizei, die Journalisten, die Armee, die Eliten sind politisch nicht auf der Linie der Islamisten. Deshalb muss man den Druck aufrechterhalten. Und das macht die Ennahda-Partei sehr geschickt. Offiziell steckt nicht die regierende Partei hinter den Aktionen, sondern es sind die Salafisten. Oder die sogenannten ‚Ligen für die Bewahrung der Revolution.‘ Das ist die offizielle Version der Regierung. Doch gleichzeitig rechtfertigen sie, was hier passiert."

    Der offensichtlich politisch motivierte Prozess gegen den Historiker Habib Kazdaghli hat weltweit eine Welle der Solidarität ausgelöst. Auch deutsche Akademiker haben an die tunesische Regierung appelliert, die Freiheit von Wissenschaft und Forschung zu garantieren. Beim Gerichtstermin am kommenden Donnerstag wird Habib Kazdaghli vermutlich freigesprochen – mangels stichhaltiger Beweise. Doch der Kampf um die Freiheit der tunesischen Hochschulen habe erst begonnen, meint Habib Kazdaghli.

    "Es gibt an den Universitäten sehr viel zu tun. Die Akademikerarbeitslosigkeit ist in Tunesien enorm hoch. Wir müssten eigentlich alle Energie darauf verwenden, die Hochschulausbildung und die Jobchancen der Studierenden zu verbessern. Stattdessen vergeuden wir unsere kostbare Energie mit solch nutzlosen Auseinandersetzungen."